Für bessere Asylsysteme und eine wirkliche Harmonisierung von Asylstandards in Europa!
Protest gegen eine Verschärfung des Asylrechts in Berlin. Foto: picture alliance / NurPhoto
Statt auf größtmöglichen Schutz von Menschen in Not zielt das EU-Asylsystem auf Abschottung, kritisiert Rejane Herwig (Jusos). Auch die Folgen des Klimawandels seien als Fluchtgrund zu berücksichtigen.
Ein Beitrag von Rejane Herwig
Ein Proteststurm tobt durch die Gesellschaft. Viele Menschen gehen auf die Straße und klagen die Abwehr von Geflüchteten vor den Grenzen Europas, die zu einem Massensterben im Mittelmeer führen, lautstark an. Die große Zahl von über tausend Menschen, die ihr Leben ließen auf der Suche nach Schutz ist für viele kaum fassbar. Doch sie ist nur die Spitze des Eisbergs. Seit Jahren sterben Menschen auf der Flucht vor den Mauern der Festung Europa. Das Mittelmeer ist zum Massengrab geworden, nein, es wurde viel mehr dazu gemacht. Das europäische Asylsystem ist keines, das darauf ausgelegt ist, möglichst viele Schutzsuchende unter guten Bedingungen aufzunehmen. Das Credo scheint viel mehr zu sein, das reiche, entwickelte Europa, in welchem Freizügigkeit herrscht, das sich den Menschenrechten verschrieben hat, das den Friedensnobelpreis erhielt, für all jene, die nicht nützlich erscheinen abzuschotten – Koste es was es wolle, auch wenn es Menschenleben sind!
Die Grenzen innerhalb der europäischen Union fielen, doch gleichzeitig wurden jene nach außen doppelt und dreifach verstärkt.
Noch immer kein echtes gemeinsames Asylsystem
Die Dublin-Verordnung verlagert die Zuständigkeit für Asylsuchende an die Randstaaten der europäischen Union. Der Asylantrag muss dort gestellt werden, wo man zuerst den Fuß auf europäischen Boden setzt. Als Grundlage dafür steht die Annahme, dass in allen EU-Staaten Menschenrechte geachtet und verteidigt werden und mit einem fairen Asylverfahren zu rechnen ist. Dieses System ist Teil der „Harmonisierung“ des Asylrechts, welches jedoch auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner der tonangebenden Staaten entstanden ist. Wer sich eine Landkarte vor Augen führt, stellt fest, dass bspw. Deutschland keine europäische Außengrenze besitzt, folglich nach europäischem Asylrecht nie in erster Instanz zuständig sein kann. Damit zieht Deutschland sich schon seit Verabschiedung des Asylkompromiss' aus seiner menschenrechtlichen Verantwortung!
Im Kontext des europäischen Asylrechts von Harmonisierung zu sprechen, ist mehr als zynisch: Unterschiedlichste Anerkennungszahlen, der Rücküberweisungsstopp nach Griechenland, Berichte über Inhaftierung und Folter in Bulgarien und menschenunwürdige Befragungsmethoden in Ungarn zeigen das sehr deutlich. Doch auch wenn dies seit Jahren bekannt ist, sind wir von besseren Bedingungen für Geflüchtete, von einem echten gemeinsamen Asylsystem, welches Menschenrechte achtet und Schutzsuchende in ihrer Not anerkennt und unterstützt noch meilenweit entfernt.
Wo bleiben die Taten?
Millionen von Euro werden in in eine stärkere Kontrolle, Fingerabdrucksysteme, meterhohe Stacheldrahtzäune, die an Hochsicherheitsgefängnis erinnern und vor allem in ein ausgeklügeltes Abschottungssystem investiert, welches in großen Teilen aus Missionen der Grenzschutzagentur FRONTEX besteht. Eine Agentur, die ohne Kontrolle des europäischen Parlaments agiert und immer wieder schärfster Kritik ausgesetzt ist. Fluchtrouten werden abgeschnitten, wodurch Geflüchtete gezwungen sind, sich auf noch gefährlichere Wege zu machen. Überfüllte Schlauchboote in der Größe von Nussschalen werden auf hoher See zurückgedrängt. Menschen auf Booten ohne Treibstoff zurückgelassen, in der Hoffnung, dass sie an eine andere Küste zurücktreiben, auch wenn sie dabei verdursten!
Ist das die EU, die den Friedensnobelpreis verliehen bekam? – Ein Staatenverbund, der den Anspruch auf Migrationskontrolle höher wiegt als tausende Menschenleben!?
Es geht auch ein Aufschrei durch die Politik. PolitikerInnen beklagen das große Unglück und prangern den Tod so vieler Menschen und das System, das dazu führte an. Ein Aufschrei ja, aber was wird gemacht?
Action speaks louder than words! Taten zählen mehr als Worte!
Zeitgleich wird in Deutschland weiter an einer Asylrechtsverschärfung gearbeitet. Noch weniger Schutzsuchenden soll es möglich sein, Asyl zu bekommen. Weiterhin werden diese in „echte“ Flüchtlinge und solchen die „nur“ aus wirtschaftlichen Gründen kämen, eingeteilt.
Wer sind wir, die Fluchtgründe zu beurteilen?
Die europäische Kommission schlägt zur Verhinderung solcher Katastrophen stärkere Kontrollen vor, eine stärkeres Vorgehen gegen sogenannte Schlepper, eine schnellere Rücküberführung illegalisierter MigrantInnen und einmal wieder schwebt der Vorschlag von Exterritorialisierung im Raum. Die Antwort auf tausende Tote vor Europas Grenzen, die Antwort auf 50 Millionen Geflüchtete weltweit ist also mehr Abschottung? Diese Logik ist schlicht und ergreifend perfide und menschenverachtend! Europa muss seine Verantwortung anerkennen! Menschenrechte sind keine Auslegungssache!
Niemand verlässt ohne guten Grund den Ort, an dem sie*er aufgewachsen ist, Familie und Freunde hat und begibt sich auf einen ungewissen Weg, der auch den Tod bringen könnte. De facto begibt sich auch nur ein kleiner Teil aller Geflüchteten auf den Weg Richtung Europa, ca. 30 Millionen Menschen sind Vertriebene im eigenen Land. Ein weiterer großer Teil flieht in die Nachbarländer, immer in der Hoffnung wieder zurückkehren zu können.
Menschen fliehen aufgrund von Verfolgung, weil sie von Kriegen und Unruhen betroffen sind, Menschen müssen ihren Lebensmittelpunkt verlassen, weil der Klimawandel zu Dürren und Umweltkatastrophen führt und ja, Menschen fliehen auch vor Armut und ökonomischer Unsicherheit!
Doch wer sind wir, die in einer Region leben, in der es keine Hungersnöte gibt, in der nur von relativer Armut gesprochen werden kann, in der es soziale Sicherungssysteme gibt, zu beurteilen, was ein Leben in absoluter Armut bedeutet und ob dieses es rechtfertigt zu fliehen?
Insbesondere bedenkend, dass absolute Armut, die weltweite Schere zwischen Arm und Reich in dieser Form nur existiert, weil die Länder des globalen Nordens, wie auch Deutschland, von der Ausbeutung vieler Länder des globalen Südens profitieren.
Asylgründe ausweiten
Das Letzte was nun gebraucht wird sind Investitionen in mehr Abschottungssysteme! Wir müssen in bessere Asylsysteme investieren, in eine wirkliche Harmonisierung von Asylstandards in Europa! Anerkannte Asylgründe müsse ausgeweitet werden und bei diesen auch die Folgen des Klimawandels Berücksichtigung finden! Europäische Staaten wie Deutschland, die keine europäischen Außengrenzen haben, müssen stärker von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen und Resettlementprogramme ausweiten. Wir müssen dafür sorgen, dass es mehr legale Wege für Personen gibt die vor Armut und ökonomischen Missständen fliehen, aber auch unseren Teil dazu beitragen dem globalen Wohlstandsgefälle entgegen zu wirken.
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Europäischer Salon: Alle Diskussionen
Redaktion
Liebes Forum des Europäischen Salons, hier nun zwei Stimmen von der Podiumsdiskussion am 27. April in Berlin.
Probleme der EU-Asylpolitik
Dr. Ole Schröder (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesinnenministers, sieht das Hauptproblem darin, dass es in der EU noch keine gemeinsame kohärente Asyl- und Flüchtlingspolitik gebe. Eine solche fordere die Bundesregierung seit vielen Jahren. Zwar habe man die entsprechenden Richtlinien auf EU-Ebene vereinbart, allerdings mangele es an der Umsetzung. "Wir haben die Situation, dass das gemeinsame System nicht implementiert wird", so Schröder.
Zugleich wehrt sich Schröder gegen die Kritik, Europa mache die Grenzen dicht. "Das stimmt nicht." Es gelte die Genfer Flüchtlingskonvention. Mit Verweis auf die schwierige Lage bei der Flüchtlingsaufnahme in Griechenland und Italien sagt Schröder, die Einhaltung der Menschenrechte dürfe nicht unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden. Auch in der Frage der Seenotrettung weist Schröder Kritik zurück.
Schröder mahnt eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten an. "Wenn wir sagen, Europa muss mehr Flüchtlinge aufnehmen, dann möchte ich auch die Unterstüztuung haben, wenn wir sagen, dann schicken wir jetzt 2.000 Aslybewerber nach Polen. Das ist eine Frage des Rechtsstaats. Vielleicht ist die Situation in Polen nicht so wie in Deutschland, aber sie ist jetzt nicht so, dass man dort nicht leben kann."
Prof. Dr. Ernst M.H. Hirsch Ballin, ehem. niederländischer Justizminister, mahnt an, die Einhaltung der EU-Verpflichtungen in der Flucht- und Asylpolitik ähnlich rigoros einzufordern wie die Einhaltung der Euro-Stabilitätskriterien.