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Gibt es freiwillige und selbsbestimmte Prostitution? Wo beginnen Zwang und Ausbeutung? Die Bundesregierung will das Geschäft mit dem Sex neu regulieren. Europaweit steht die Bestrafung der Freier zur Debatte.
Prostitution steht derzeit im Zentrum verschiedener Debatten. Zum einen entzünden sich Diskussionen um einen Passus im Koalitionsvertrag, mit dem Zwangsprostitution bekämpft und legale Prostitution stärker reguliert werden soll. Zum anderen geht es grundsätzlich um die Frage, ob Prostitution in Deutschland weiterhin legal sein soll, oder ob Menschen bestraft werden sollen, die Sex kaufen.
Was ist der aktuelle Stand?
Noch in diesem Jahr will die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Situation von Prostituierten vorlegen. Im Juni soll es eine Expertenanhörung geben, bei der Verbände, Fachberatungsstellen, Polizei und Bundeskriminalamt, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Gewerbeämter und Prostituierte zu Wort kommen sollen.
Erste Eckpunkte hat Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) Mitte April 2014 vorgestellt. "Menschenunwürdige Geschäftsmodelle" sollen verboten werden. Als Beispiel nennt Schwesig "Flatrate-Bordell", in denen Freier gegen einen Pauschalpreis in einem bestimmten Zeitraum unbegrenzt sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Auch sollen Bordellbetreiber künftig nachweisen müssen, dass sie nicht vorbestraft sind, um eine Genehmigung zu erhalten. Das Gesetzesvorheben soll außerdem mehr Beratungsangebote für Prostituierte und Opfer von Menschenhandel schaffen.
"Das Schlimme an der Prostitution in Deutschland ist, dass sie ohne Regeln abläuft und dass brutale Ausbeutung und Gewalt verbreitet sind", so Schwesig in einem Interview mit der "Zeit". Auch der Bundesrat unterstützt eine Verschärfung des Prostitutionsgesetzes von 2002. Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) erklärte, für jede Imbissbude gebe es Auflagen, nicht aber für Bordelle. Eine Arbeitsgruppe der Unionsfraktionen hatte bereits am 8. April Eckpunkte für eine Reform vorgelegt. Sie sehen unter anderem vor, das Mindestalter für die Ausübung von legaler Prostitution von 18 auf 21 zu Jahre erhöhen.
Ein völliges Verbot der Prostitution plant die Bundesregierung allerdings nicht, "da dieses zu einer Kriminalisierung von Frauen und Männern führen würde, die in der Prostitution arbeiten", wie es von Seiten des Bundesfamilienministeriums heißt. "Dadurch würde es noch schwieriger werden, auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Prostituierten Einfluss zu nehmen." Auch CDU/CSU fordern in ihrem Papier eine Bestrafung der Freier nur bei "wissen- und willentlicher Inanspruchnahme von Zwangsprostituierten". Der Zeitschrift "Emma" kommentiert: "Doch da Zwangsprostitution erfahrungsgemäß nur sehr schwer beweisbar ist, ist dieser Punkt nicht mehr als eine folgenlose Geste."
Was steht im Koalitionsvertrag?
Laut Vereinbarung (Punkt Menschenhandel und Prostitutionsstätten) will man
das Prostitutionsgesetz im Hinblick auf die Regulierung der Prostitution umfassend überarbeiten und ordnungsbehördliche Kontrollmöglichkeiten gesetzlich verbessern. Wir werden nicht nur gegen die Menschenhändler, sondern auch gegen diejenigen, die wissentlich und willentlich die Zwangslage der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution ausnutzen und diese zu sexuellen Handlungen missbrauchen, vorgehen. Wir werden die Ausbeutung der Arbeitskraft stärker in den Fokus der Bekämpfung des Menschenhandels nehmen.
Was will das EU-Parlament?
Das EU-Parlament fordert in einer rechtlich nicht bindenden Resolution (26. Februar 2014) die EU-Staaten auf, dem schwedischen bzw. nordischen Modell zu folgen, wonach Freier sich strafbar machen, die sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Auch freiwillig angebotene sexuelle Dienstleistungen gegen Bezahlung verletzen laut Resolution die Menschenrechte. „Statt der Legalisierung, die in den Niederlanden und Deutschland zu einem Desaster geführt hat, brauchen wir einen nuancierten Ansatz, der die Männer bestraft, die die Körper der Frauen als Gebrauchsgegenstand behandeln, ohne dabei diejenigen zu bestrafen, die in die Sexarbeit abgeglitten sind“, erklärte Mary Honeyball (S&D, Großbritannien), die die Resolution verfasst hat.„Wir senden ein starkes Signal: Das Europäische Parlament ist ambitioniert genug, um Prostitution aktiv zu bekämpfen, anstatt sie einfach als unumgängliche Realität zu akzeptieren.“
Welche Reaktionen gibt es?
Interessengruppen der Prostitutionsbranche kritisieren die Vorhaben der möglichen künftigen Regierungskoalition als Überregulierung und unbotmäßige Überwachung. Auch lehnen sie eine Bestrafung von Freiern grundsätzlich ab.
Die von der Publizistin Alice Schwarzer herausgegebene Zeitschrift "Emma" begrüßt dagegen die Absichtserklärung der Parteien als ersten Schritt im Kampf gegen Zwangsprostitution. Wenige Wochen zuvor hatte das Blatt einen Appell gegen Prostitution lanciert, in dem das Prostitutionsgesetz von 2002 kritisiert wird.
Debatte um das Prostitutionsgesetz
Mit dem Gesetz, das die damalige Regierungskoalition aus SPD und Grünen verabschiedet hat, wurde die "Sittenwidrigkeit" der Prostitution abgeschafft. Ziel war es, dadurch die rechtliche Stellung und die Arbeitsbedingungen von Prostituierten zu verbessern und den Zugang zu Sozialleistungen zu ermöglichen. Außerdem sollte Kriminalität bekämpft werden.
Für Kritikerinnen und Kritiker des Prostitutionsgesetzes wie den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des Emma-Appells, trägt das Gesetz die "Handschrift der Frauenhändler und LobbyistInnen." Sie lehnen Prostitution grundsätzlich ab als "Ausbeutung und zugleich Fortschreibung der traditionell gewachsenen Ungleichheit zwischen Männern und Frauen (und Ländern/Kontinenten)."
Andere Kritiker stören sich an Phänomenen, die durch die deutschen Regelungen begünstigt würden, etwa Großbordelle oder Sextourismus. Sie beklagen zudem, dass das geltende Prostitutionsgesetz keine gesonderten Maßnahmen gegen Zwangsprostitution vorsehe.
Befürworterinnen und Befürworter des Prostitutionsgesetzes betonen die größere Rechtssicherheit für Prostituierte in Folge der Regelung, die allerdings häufig durch andere Vorschriften konterkariert werde. Sie argumentieren zudem, dass das Prostitutionsgesetz zur Entstigmatisierung von Prostituierten und damit zur Stärkung ihrer Autonomie beitrage. Positionen, die insbesondere Frauen absprechen, eine freie Entscheidung für die Erbringung sexueller Dienstleistungen treffen zu können, lehnen sie als patriachalisch ab. In der Diskussion melden sich auch Sexarbeiterinnen zu Wort - so schildert auf Zeit Online Lady Hekate ihre Sicht auf ihren Beruf.
die Anti-Prostitutionsseite müsste beispielsweise begründen, welche qualitative Differenz – theoretisch und politisch – zwischen der Veräußerung sexueller Dienstleistungen gegen Geld und der Veräußerung von Arbeitskraft in allgemein akzeptierten Erwerbs- und Berufsfeldern gegen Entgelt besteht (sowie vice versa für die Nachfrageseite). Die "gewerkschaftlich" orientierte Pro-Prostitutionsseite müsste – jenseits der berechtigten Forderung nach der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiterinnen – begründen, worin der grundlegende emanzipatorische Gehalt der Subsumtion von Sexualität unter das Diktat kapitalistischer Entfremdungslogik besteht. Verkürzt gesprochen kann argumentiert werden, dass erst dadurch der Blick frei werden kann für die Frage nach einer emanzipatorischen Form der gesellschaftlichen Organisation von Sexualität und ökonomischer Reproduktion – jenseits von Macht, Herrschaft und Ausbeutung von Menschen durch Menschen.
Wie ist die Situation in anderen Ländern Europas?
Die Regelung der Prostitution in Europa unterscheidet sich stark von Land zu Land; die Institutionen der Europäischen Union halten sich in dieser Frage zurück. In fünf EU-Ländern, darunter Deutschland, und auch in der Schweiz ist Prostitution legal und gesetzlich geregelt. Als Gegenbeispiel zu solchen eher liberalen Ansätzen gilt die Regelung in Schweden, wo Prostituierte zwar nicht kriminalisiert werden, Freiern aber Gefängnis droht. Das norwegische Parlament hat ein ähnliches Gesetz verabschiedet, dass darüber hinaus das Bezahlen für Sex im Ausland unter Strafe stellt.
Aktuell wird auch in Frankreich wird über Prostitution diskutiert. Nach dem Willen der sozialistischen Regierung soll das Bezahlen für Sex strafbar werden. Die Nationalversammlung hat einem entsprechenden Gesetzesvorhaben im Wesentlichen zugetimmt. Eine Entscheidung des Senats steht noch aus.
ARD-Sendung "Maischberger" zum Thema:"Schluss mit käuflichem Sex: Kann man Prostitution verbieten?"