Ich habe nie gesagt, dass ich keinen Reformbedarf sehe. Am wichtigsten fände ich, das jegliche Prostitutionsverbote, die es noch gibt, konsequent abzuschaffen. Es kann nicht sein, dass in Deutschland Sexarbeiter*innen immer noch wegen Sperrbezirksverordnungen und anderen Verboten hohe Strafen zahlen müssen oder sogar eine Haftstrafe absitzen müssen. Das ist kontraproduktiv und hilft niemanden. Dazu u.a. hier: http://menschenhandelheute.net/2014/05/18/stuttgart-zwangsprostituierte-schutz-bestraft-sabine-constabel/

Das Mindestalter zu erhöhen ist Unsinn - mehr dazu hier: http://menschenhandelheute.net/2013/12/30/warum-es-unsinn-ist-das-mindestalter-fur-die-ausubung-der-sexarbeit-auf-21-zu-erhohen/

Ich sehe nicht, warum man einer 20 Jahre alten Studentin verbieten sollte, Sex anzubieten und dabei auch mit anderen zusammen zu arbeiten. Letztendlich wird sie es trotzdem tun, wenn sie es will, aber sie darf sich bei niemanden Rat einholen, wie das geht, denn sonst werden die Hilfebietenden dafür bestraft. Letztendlich führt also ein solches Verbot dazu, dass die 20jährige Studentin völlig uninformiert, alleine und ohne Hilfsangebote TROTZDEM der Prostitution nachgeht. Halt unsicherer.

"Gerne würde ich auch von dir wissen, wie Frauen aus diesem Beruf herauskommen, die ihn eben nicht selbstbewusst und selbstbestimmt machen"

Selbstbewusst und selbstbestimmt sind zwei unterschiedliche Wörter. Bitte klären Sie, was Sie damit meinen. Abgesehen davon, sehe ich nicht wie ein verbot "Selbstbewusstsein" und "Selbstbestimmung" herstellen soll. Das kann im Zweifel nur ein stark arbeitsrechtlich orientierter Ansatz tun. Nur wer Rechte hat, sie kennt, wird sie auch durchsetzen und somit selbstbewusst und selbstbestimmt arbeiten. Aber Sexarbeiter*innen verwehren wir diese ja immer noch und glauben, dass Polizeikontrollen von Pässen ein guter Ersatz sind. Gibt es eine andere Branche, in der wir Arbeitsrechte zugunsten polizeilicher Razzien aufgeben würden?

Falls sie "freiwillig" (nicht selbstbewusst) meinten: Es ist verboten, jemanden zur Prostitution zu zwingen. Das ist pure Vergewaltigung. Dass es im Bereich Menschenhandel an vielen Ecken hakt, hängt nicht mit dem Prostitutionsgesetz zusammen sondern mit den immer noch fehlenden Unterstützungsmaßnahmen für Betroffene von Menschenhandel. Meistens gibt es überhaupt keinen Grund für Betroffene sich bei der Polizei zu melden, weil sie nichts davon hätten. Wortwörtlich nichts. Außer vielleicht (!) eine Verurteilen. Aber keine Entschädigung, keinen Aufenthalt, keinen Job. Nur Hartz IV oder Bezüge aus dem Asylbewerberleistungsgesetz. Vielleicht sollten wir mal darüber reden, wie schlecht Deutschland mit Betroffenen von Menschenhandel umgeht!

Drogen: Ich bin keine Sozialarbeiterin, ich muss und will auch kein Konzept vorlegen, wie ich drogenabhängigen Menschen helfen kann. Das machen qualifiziertere Leute und es gibt auch schon gute Ansätze dazu, die unter dem Begriff "harm reduction" zusammengefasst werden. Auch da stehen Unterstützungsangebote vor Verboten. Tatsache ist, dass dieses Segment nicht die Mehrheit der Sexarbeiter*innen stellt und es daher auch nicht die grundsätzliche Debatte über Sexarbeit prägen soll. Es gibt ja auch genug Drogenabhängige in Hochleistungsbranchen, wie z.B. der Unternehmensberatung und trotzdem gibt es da immer noch keine Diskussion über Ausstiegsberatungen, obwohl das eine Branche ist, die das aus meiner Sicht dringend nötig hätte.

Zuletzt: Wer verzweifelt Geld braucht und sich für die Sexarbeit entscheidet (nicht alle, die verzweifelt Geld brauchen, machen Sexarbeit), soll das in einem sicheren und geschützten Umfeld tun dürfen. Ich sehe ehrlich gesagt das Problem nicht. Es gibt genug Leute, die aus purer Armut arbeiten (wer arbeitet letztendlich nicht wegen des Geldes? Die Reichen? Ok.). Oft arbeiten sie unter wirklich sehr schlechten Arbeitsbedingungen. Aber noch nie ist jemand auf die absurde Idee gekommen, es sei sinnvoller die Fleischindustrie, die Baumindustrien, die Pflege, usw. abschaffen zu wollen, weil es dort Ausbeutung gibt. Ich denke wir sind uns da alle einig, dass gute Arbeitsbedingungen und einklagbare Arbeitsrechte die Lösung sind. Bei der Prostitution sehe ich das nicht anders.

Eine Anmerkung zum "Hilfe"-Vokabular: Wenn Sie mal mit einer Sexarbeiterin geredet haben, werden sie merken, dass diese Frauen zwar nicht immer in optimalen Lebensverhältnissen sind, aber sie sind nicht dumm, sie sind nicht auf den Kopf gefallen und sie können sie sehr wohl selber helfen. Sie lehnen eine Hilfe, die von oben herab kommt, auch oft ab. Es geht hier nicht um "Hilfe" sondern es geht um Ermächtigung, Stärkung und Respekt. Mein Ziel ist es, dass die Strukturen und gesellschaftliche Situation so ist, dass Prostituierte keine Hilfe brauchen, weil sie ein- und aussteigen können, wann sie wollen, ohne Stigma und Ausgrenzung zu fürchten.