Lieber MisterEde,

danke für Deine Analyse. Ich werde viel davon zur Europawerkstatt mitnehmen. Ganz kurz zu Deinen Punkten:

  • Das System : Zweifellos ist die von Dir geschilderte Vielzahl der Akteure und Ebenen für die klare, pointierte Debatte nicht förderlich. Trotzdem kann es meines Erachtens (mit ein paar Neuerungen) gelingen, zumindest die konkrete EU-Politik derjenigen VertretInnen kritisch zu verfolgen, die wir wählen können, also unserer nationalen Abgeordneten (Länderparlamente, Bundestag / Bundesregierung / EU-Parlament)

  • Natürlich würden wir dann auch an ein paar Grenzen stoßen. Etwa wenn es heißt: 'tja, das ist aber an Frankreich oder Großbritannien gescheitert', oder 'das wollte Bulgarien aber so', oder 'das wusstet ihr nicht, aber hinter dieser Entscheidung verbirgt sich dieser Deal.'

  • Die Gefahr wäre bei voller Transparenz ständig Streit zwischen EU-Bevölkerungen anzuzetteln. Die Konflikte zwischen den Nationen hält das bisherige System sehr gut unter dem Deckel - und sei es nur, indem Ratssitzungen nicht öffentlich sind. So gut, dass konkrete nationale Verwantwortlichkeit oft bis zur Unkenntlichkeit im großen "EU-Topf" verschwindet, der dann aber eben in der Fundamental-Kritik steht.

  • Ich will wie Du letztlich auch gar keine nationale, sondern eine europäische Debatte. Also etwa an den Konfliktlinien Linke vs. Konservative, Arbeitgeber vs. Arbeitnehmer, grün vs. fossil, liberal vs. regulatorisch, usw, in der sich die EU-Bürger nicht über ihre Nationalität verorten, sondern über ihre persönlichen, politischen Interressen. Das ginge natürlich mit einer echten EU-Regierung und einem starken EU-Parlament sehr gut. Und ich kann die Träume in dieser Richtung völlig verstehen. Andererseits haben wir diese Art EU-Demokratie noch überhaupt nicht eingeübt oder breit verinnerlicht - wird das noch was oder können wir da lange warten?

  • Medien: Ich weiß gar nicht, ob wir ein europäisches Medium wirklich brauchen. Abgesehen davon, dass viele entsprechende Versuche gescheitert sind oder ein Nischendasein fristen - es wäre doch schon viel erreicht, wenn EU-Politik so formatiert ist, dass sie rechtzeitig medienwirksam und "diskutabel" wird. Dass wir also europaweit vor EU-Entscheidungen diskutieren, etwa in Talkshows und nicht danach. Dass scheitert meines Erachtens daran, dass viele Redaktionen (natürlich nicht alle) EU-Politik immer noch nicht als als die knallharte Innenpolitik begreifen, die sie ist, sondern als irgendetwas apolitisches, bürokratisch-technokratisches, kompliziert-langweiliges Externes. Die EU ist auch schlicht eine Überforderung und macht unendlich viel (Erklärungs)-Arbeit. Und das ließe sich aber auch ohne europäisches Medium ändern, indem die nationalen Medien grundsätzlich anfangen, real-europäisch zu ticken. Die Lösung wäre also für mich metaphorisch eine besseres Heute-Journal und nicht noch ein Europamagazin ganz hinten auf Arte irgendwo, das sowieso niemand anschaut (Um mal auf unsere Medienkritik-Debatte zu verweisen).

Fazit:

  • es geht mir auch gar nicht so sehr um das Ausmaß der Thematisierung, seit der Finanzkrise sind "Euro" und "EU" überall, es geht mir um die Qualität, die Sichtweise - wie denken wir diese EU, unsere Demokratie?

Grüße! Alex