Wann streiten wir uns endlich über EU-Politik?
Erinnert ihr euch noch, wie die Menschen an jeder Straßenecke darüber diskutierten, welche Landwirtschaftspolitik die EU einschlagen sollte? Oder wie wir alle stritten, ob die EU-Kommission geeignete Energie-Label für Staubsauger vorgeschlagen hat? Nein? Eben. Foto: (Auschnitt): York Berlin CC BY-ND 2.0
Update: Die Ergebnisse dieser Diskussion und einer Session zur EU-Streitkultur auf der Europawerkstatt findet ihr hier zusammengefasst: Wie wir uns endlich um unsere EU-Politik streiten (Sie können natürlich ergänzt und weiter diskutiert werden)
Ein Diskussionsanstoß von Alexander Wragge, Redaktion
Wann streiten BürgerInnen breit um ihre EU-Gesetzgebung? Seien wir einmal ehrlich: gar nicht. Oder dann, wenn es für eine wirksame Debatte viel zu spät ist, weil die politischen Entscheidungen längst gefallen sind (Stichwort Staubsauger). Am Ende erschöpft sich die europäische Streitkultur - wenn überhaupt - im vielfach eingeübten "Brüssel"-Bashing. Die politischen Verantwortlichkeiten und Einzel-Entscheidungen hat mal wieder niemand rechtzeitig mitbekommen (ausser den Lobbyisten und EU-Profis natürlich). Sie scheinen plötzlich verschwunden im Nebel eines oft jahrelangen Gesetzgebungsprozesses, in vielen tausend Änderungsanträgen, irgendwo in den komplizierten Tiefen des 'Mehrebenensystems'.
Und dann droht alle fünf Jahre auch noch der traditionelle Gipfel dieser latent 'blutleeren' Demokratie: dem Europawahlkampf "fehlt" es doch tatsächlich an Themen - so als hätte es die nicht gerade ohnmächtige EU-Politikmaschine überhaupt nie gegeben. Und bei der Bundestagswahl spielt EU-Politik en détail sowieso keine Rolle.
Ich will von euch wissen, ob es auch radikal anders geht. Wie gelingt eine europäische, politische Streit- und Debattenkultur aller EU-BürgerInnen, die uns rechtzeitig und folgenreich für unsere EU-Demokratie brennen lässt?
Eine entsprechende Session bei der JEF-Europawerkstatt möchte ich hier mit einer allgemeinen, offenen Diskussion zur EU-Streit- und Debattenkultur vorbereiten - und bin sehr gespannt auf eure Sicht.
Einzelaspekte können sein:
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teilt ihr meine zugespitzte 'Analyse'? Fehlt euch EU-Streit- und Debattenkultur überhaupt oder geht es auch ohne?
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liegt der Fehler im EU-System? (zu verwirrend, zu prozesshaft, zu konsensorientiert, zu elitär, zu....)
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sind "die" Medien schuld?
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gibt es vielleicht gute Gründe, nicht allzu breit und maximal-kontrovers über EU-Gesetzgebung zu streiten?
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gibt es Gegenbeispiele? Ist die TTIP-Debatte für euch wünschenswert 'gelebte' EU-Demokratie?
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hängen der Mangel an systeminterner Kontroverse und die EU-Fundamentalkritik (AfD, UKIP, etc.) miteinander zusammen?
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alles was euch einfällt...
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UPDATE: Lesestoff
Liebes Forum, hier noch einige meines Erachtens lesenswerte Texte rund um's Thema (Ergänzungsvorschläge sind jederzeit willkommen):
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Cicero.de: „Die EU ist ein Elitenprojekt“ - Interview mit EU-Blogger Jon Worth, 28. April 2014
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Der (europäische) Föderalist: Sollen die Medien mehr über die EU berichten? Dann ändert nicht die Medien, ändert die EU!, 23. Oktober 2013
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Der (europäische) Föderalist: Verdrossenheit oder Europäisierung: Zur Zukunft der Parteiendemokratie, 12. November 2014
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Der (europäische) Föderalist: Das Internet als Chance für die europäische Öffentlichkeit?, 12. November 2014
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mister-ede.de: Die Machtverschiebung von Parlamenten zu Regierungen in der EU
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mister-ede.de: Ein Überblick über die Herausforderungen der Europäischen Union
nemo
BURNOUT
Hallo Alexander, darf ich (Jahrgang 1953) hier auch mitdiskutieren, obwohl es bei der Europawerkstatt ja eigentlich um junge Europäer geht? Ich tue es trotzdem mal!
Was deine Hauptfrage betrifft, weiß ich auch keine konkrete Antwort und was das Brennen für Europa angeht, konstatiere ich wie du eher ein allgemeines Burnout. Soweit so schlecht.
Allerdings haben wir zumindest hier auf publixphere häufig über Europafragen diskutiert. Ich selbst habe mich z.B. über die Maut aufgeregt. Andere Themen kamen eher an Rande vor. Mit der Folge, dass CETA und damit auch TTIP realpolitisch eigentlich „gelaufen“ sind. (Übrigens kommt dabei ACTA auch durch die Hintertür wieder zurück.)
Zwei weitere Gründe, die ich allerdings ausmachen kann sind a) die Komplexität der meisten Themen, weil es in der EU primär immer um wirtschaftliche Zusammenhänge (Binnenmarkt) geht und b) dass Europapolitik noch immer in erster Linie die Summe der nationalen Politiken der Mitgliedsstaaten ist. So entstehen quasi nationale Diskurse, die nur bedingt auf Europa verweisen. Und wo sie dies tun, z.B. bei der wirtschaftlichen Situation in Süd-und Osteuropa, sind die Menschen mit dem Überleben beschäftigt, nicht mit dem Diskutieren.
Wir bewegen uns aber alle leider auch in einer Art diskursiven Blase, aus der der kaum etwas in den erweiterten politischen Raum gelangt. Jakob Augstein (Spiegel, Freitag) hat in seinem Buch Sabotage (Hanser, 2013) für Deutschland etwas verdruckst die Rückkehr der Körperlichkeit in die politische Auseinandersetzung gefordert und schreibt dazu: „ … ohne Mut zur Radikalität wird das schwer.“ (o.a., S.288) Gemeint ist hier natürlich so etwas wie der Druck der Straße, die Manifestationen und nachdrückliche Demonstration politischen Willens und politischer Forderungen in den Zentren und auf den Plätzen unserer Städte und Metropolen. Eine Aktionsform und ein Recht, das nicht umsonst in unserem GG einen solch hohen Stellenwert genießt.
Ich komme damit auf meine rhetorische Eingangsfrage zurück und damit schließt sich der Kreis. Wer seine politische Sozialisation Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre erlebt hat, weiß um die Bedeutung solcher politischer Aktionen! Ein Grund für die Nichtexistenz einer erfolgreichen oder wenigstens folgenreichen europäischen politischen Streit- und Debattenkultur ist m.E. dass wir insbesondere in der BRD stets brav auf die Reaktion der Politiker auf unsere Kritik, Vorschläge Anregungen warten, anstatt selbst den Worten Taten (s.o.) folgen zu lassen.
Diesen öffentlichen politischen Raum haben wir in Deutschland beklagenswerter Weise Rechtsradikale, Islamisten, Antisemiten, Hooligans und Anti-Europäern überlassen !