Hanno Gundert, Geschäftsführer des Journalisten-Netzwerks
n-ost, stützt die Kritik an der medialen Aufbereitung des Konflikts in Deutschland: "Die gesamte Berichterstattung ist von Schwarz-Weiß-Positionen geprägt – in der einen wie in der anderen Richtung", so Gundert
gegenüber der Deutschen Welle.
Die deutschen Medien hätten anfangs eine sehr ähnliche Sichtweise auf den Konflikt in der Ukraine gehabt wie die Bundesregierung - nämlich einseitig und unausgewogen, meint der Politikwissenschaftler Simon Weiß (Universität Heidelberg). “Kritische Stimmen zum Vorgehen der ukrainischen Übergangsregierung in der Ostukraine, zur eskalierenden Rolle des Westens und zu den ökonomischen und militärischen Interessen von USA und EU bleiben Mangelware”, kommentierte David Goeßmann im Deutschlandfunk Mitte Mai 2014. Peter Nowak von Telepolis meint: "Lange Zeit wurde in der deutschen Öffentlichkeit die massive rechte Präsenz in der ukrainischen Oppositionsbewegung weitgehend ignoriert."
Eine Gruppe international tätiger Sozial- und Geisteswissenschaftlern wiederum hält mit einem Aufruf (veröffentlicht von der Heinrich-Böll-Stiftung) dagegen – und verteidigt die auch “Euromaidan” genannte Oppositionsbewegung: “Der Kiewer Euromaidan ist keine extremistische, sondern eine freiheitliche Massenbewegung zivilen Ungehorsams." Sie warnen vor einer Instrumentalisierung Maidan-kritischer Inhalte durch Moskaus “Polittechnologen”. Diese Berichte könnten “rhetorische Munition für Moskaus Kampf gegen die ukrainische Unabhängigkeit” liefern.
Schwarz-Weiß-Malerei im Nahost-Konflikt?
Auch im Gaza-Konlikt steht zur Debatte, ob deutsche Medien einseitig berichten. Die Welt beobachtet “überwiegend propalästinensische Berichterstattung” in deutschen Medien. Auch die taz-Journalistin Sonja Vogel meint, Israel werde einseitig als Angreifer dargestellt. “Von der Hamas oder ‘den Palästinensern’ auf der anderen Seite keine Spur.”
Umgekehrt wird der Vorwurf erhoben, deutsche Medien folgten israelischer Propaganda. So spricht der Publizist Jürgen Todenhöfer von einem “Netz der Lügen” im Gaza-Konflikt. Etwa werde die Behauptung, dass die Hamas Israel zerstören wolle, “gebetsmühlenartig von israelischen Regierungen vorgetragen und von der Mehrheit der Medien ungeprüft nachgeplappert”. Todenhöfer steht selbst in der Kritik, die Lage in Nahost verzerrt darzustellen. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, beschwerte sich in einem offenen Brief, dass Todenhöfer seine "bizarre Sicht der Dinge" auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ungebremst als absolute Wahrheit verkaufen dürfe.
Unreflektierter, bequemer Journalismus?
Die Erklärungsmuster für eine einseitige, schablonenhafte Berichterstattung sind vielfältig. Die ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz, nennt in einem Interview mit dem ARD-Medienmagazin ZAPP (Text, Video) als einen Grund die “Bequemlichkeit” von Redaktionen. “Wenn ich gegen den Strom schwimme, muss ich mich gut munitionieren. Schwimme ich mit dem Strom, hat keiner Fragen und ich bin schneller fertig mit meinem Job.” Auch sei die Welt einfacher zu sortieren, “wenn man sie in Gut und Böse unterteilt”.
Diese "schablonenhafte Berichterstattung" kritisiert Krone-Schmalz scharf. “Es kann einfach nicht sein, dass Journalisten bevor sie über etwas berichten, sich nicht mit ihren eigenen Freund-Feindbildern beschäftigen. (...) Sich über so etwas klar zu werden, die Dinge von allen Seiten zu betrachten, ist für mich seriöser Journalismus.”
In einem offenen Brief an das ZAPP-Magazin verweist der Journalist und Buchautor Boris Reitschuster auf mögliche Interessenkonflikte von Krone-Schmalz, die mehrfach mit Vorträgen und Moderationen für kremlnahe Unternehmen tätig gewesen sei. In ihrer Antwort stuft die Magazin-Redaktion die ehemalige ARD-Korrespondentin als "russlandfreundlich" ein.
Dominieren transatlantische Denkmuster in den Redaktionen?
Der freie Journalist und Sozialwissenschaftler Stefan Korinth meint, Redaktionen würden aufgrund ihres Personals eine "anti-russische Sicht" fördern. Die meisten Vertreter der “Oberschicht des deutschen Journalismus” seien in der in der “Bundesrepublik des Kalten Krieges” sozialisiert und politisiert worden. Top-Zeitungsjournalisten seien “stark in euro-atlantische Eliten-Netzwerke eingebunden”, daher würden “transatlantische Denkmuster dominieren”, so Korinth. Der “russlandfeindliche Konformitätsdruck in deutschen Redaktionsstuben” scheine beachtlich.
Auch das Medienmagazin ZAPP geht der Frage nach, welche Verbindungen zwischen renommierten Zeitungsjournalisten und transatlantischen Gruppierungen bestehen. Hierüber hatte zunächst der Medienwissenschaftler Uwe Krüger geforscht (Siehe Krügers Buch: “Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten"). Das ZDF-Satiremagazin Die Anstalt griff Krügers Ergebnisse auf. Gegen die Darstellung ihrer Beziehungen zu transatlantischen Lobbyvereinigungen haben die betroffenen Journalisten allerdings eine einstweilige Verfügung erwirkt. Die entsprechende Passage aus Die Anstalt wurde vom ZDF aus der Mediathek genommen, ist aber auf YouTube noch nachzusehen (ab Minute 36).
Stefan Kornelius, Ressortleiter Außenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung, wehrt sich im ZAPP-Beitrag gegen den Vorwurf, wegen seiner Beziehungen zu transatlantischen Vereinigungen voreingenommen zu berichten (Siehe hierzu auch den Blog des Interviewers Daniel Bröckerhoff). Entsprechende Kontakte seien Teil seines Geschäfts als Journalist. Zugleich stellt Kornelius mehr Transparenz in Aussicht.
Mangel an Ressourcen, Mangel an Expertise
Als weitere Erklärung für einseitige Berichterstattung gelten die aktuellen Arbeitsbedingungen des Journalismus, speziell fehlende Zeit für Recherche. “Es ist sicher ein Vorteil, wenn man auf Grund der neuen technischen Möglichkeiten ganz schnell reagieren kann. Mit Blick auf die Recherche kann das aber auch ein Nachteil sein", meint Gabriele Krone-Schmalz. Stefan Korinth verweist zudem auf einen Mangel an Personal vor Ort. “Besonders gut sichtbar werden die fehlenden Ressourcen der Medien beim Blick auf die Auslandsstudios von ARD und ZDF. Beide Sender haben hierbei quasi identische Strukturen aufgebaut. Für Ostmitteleuropa ist das Studio in Warschau zuständig, für die riesige Landmasse östlich davon bis zum Pazifik das Studio Moskau.” Auch die bereits genannte Gruppe von Sozial- und Geisteswissenschaftlern empfiehlt mehr Vor-Ort-Recherche. “Dies könnte dazu beitragen, dass die bedauernswert häufigen Klischees, Irrtümer und Fehlinterpretationen in westlichen Diskussionen über die Lage in der Ukraine künftig vermieden werden.”
Kommunikation in Lichtgeschwindigkeit
Auch Frank Schirrmacher, bis zu seinem Tod am 12. Juni 2014 Feuilleton-Chef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, setzte bei seiner Medienkritik an den Produktionsbedingungen an. Ein “Echtzeitjournalismus” setze auf die Semantik der Eskalation und werde dadurch selbst zur Waffe, so Schirrmacher Ende März 2014. In der Ukraine-Krise vermisste Schirrmacher die Reflexion der Ereignisse zugunsten einer politischen und gesellschaftlichen Kommunikation im “Lichtgeschwindigkeitsmodus”. “Es ist das erste europäische Krisenereignis, das vollständig im Zeichen der neuen automatisierten Medienökonomie steht.” Auch auf Publixphere wird die Geschwindigkeit der politischen Einordnung nachrichtlicher Geschehnisse kritisiert (Siehe Kommentare in der Diskussion: "Medien: Plädoyer gegen die Propaganda-Universen")
“Größtmögliche Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit”
Viele Redaktionen wehren sich gegen den Vorwurf der Einseitigkeit. So beobachtet Hannah Beitzer im März 2014 in der Süddeutschen Zeitung, es gebe “sehr wohl Artikel über den Einfluss der Rechten auf Übergangsregierung und Maidan”. In der Wochenmagazin Zeit setzt sich Bernd Ulrich mit der Frage auseinander, warum so viele Bürger die Krimkrise ganz anders beurteilen als Politik und Medien.
Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell, verweist darauf, dass journalistisches Arbeiten immer auch Auswahl und Gewichtung bedeute. Es könne keine Berichterstattung "nach dem Rechenschieber" erfolgen, das sei unseriös, so Gniffke.
Auch die ARD-Berichterstattung zur Ukraine steht in der Kritik, etwa die Bezeichnung “Pro russischer Mob” für “Demonstranten in der Region Donenzk (Siehe Leserkommentar auf Focus Online). Gniffke erklärt, man habe
stets versucht, auch bei der Sprache nicht die eine oder andere Position unreflektiert zu übernehmen. Zwar räumt Gniffke ein: “Mag sein, dass wir nicht in jedem Beitrag den journalistisch optimalen Weg getroffen haben.” Allerdings stimme die Gesamtleistung. Man habe sich um “größtmögliche Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit” bemüht.
Das Magazin Spiegel wehrt sich gegen den Vorwurf, der Magazintitel "Stoppt Putin jetzt!" (Ausgabe 31 / 2014) sei "kriegstreiberisch”. “Das ist eine absurde Behauptung, die weder durch das Titelbild gedeckt wird noch durch die Artikel im Heft”, heißt es von Seiten der Redaktion. Auch organisiert auftretende, anonyme User würden “jegliche Kritik an Russland mit einer Flut an Wortmeldungen in den Foren vieler Online-Medien kontern”, heißt es in der Hausmitteilung.
Im April musste sich ZDF-Moderator Claus Kleber für einen Fehler entschuldigen. Fälschlicherweise hatte man berichtet, ein russischer Oberstleutnant befehlige eine Einheit von Seperatisten in der Ostukraine. Inzwischen macht das Video auf YouTube die Runde, unter dem Titel: "ZDF Heute Journal verstrickt sich in Propaganda-Lügen". Foto & Teaser: Screenshot, Mediathek ZDF Heute vom 15.04.2014
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