Modern Talking?
Talkshows gelten als höchst einflußreiches "Neben-Parlament". Im Bild: ARD-Talker Günther Jauch. Ende 2015 gibt er seine Sendung auf. Foto: picture alliance / Eventpress
Günther Jauchs Rückzug als ARD-Talker bietet Gelegenheit, neu über die öffentlich-rechtliche Talk-Republik nachzudenken. Sind die aktuellen Talk-Runden noch zeitgemäß?
Ein Beitrag von Redaktion
Mit Günther Jauch hat Deutschlands erfolgreichster Polit-Talkmaster seinen Abschied angekündigt. "Zutiefst unjournalistisch”, "ohne Biss", "desinteressiert", "ungeeignet"... die Kritik war von Jauch oft nicht sehr begeistert. Bei der ARD klingt das Urteil natürlich anders. Jauch habe die politische Agenda geprägt, sein Talkformat sei “pointiert, hintergründig, emotional und auch mal unterhaltsam aufbereitet” gewesen – so der ARD-Vorsitzende Lutz Marmor. Und Spiegel Online-Kolumnist Jan Fleischhauer meint, die Zuschauer hätten nichts gegen Jauch. Die Kritik am Moderator offenbare eine in "gewissen Kreisen" verbreitete "Verachtung der Normalität".
Über die Gründe des Rückzugs wird aktuell spekuliert. Anne Will soll Jauchs Sendeplatz am Sonntagabend (nach dem Tatort) übernehmen.
Diskussion: Welchen Talk wollt ihr?
Auch weil sich Publixphere (neuen Wegen) der politischen Diskussions-Kultur verschrieben hat, möchten wir Jauchs Abschied zum Anlass nehmen, euch generell zu fragen:
Wie bewertet ihr die Polit-Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen? Wo liegen ihre Stärken und Schwächen? Was sollten die Redaktionen ändern? Ist das Format noch zeitgemäß? Fördern die Talks Information und Meinungsbildung oder wiederholen sie nur die immer gleichen Klischees? Wie zufrieden seid ihr mit der Einbindung der ZuschauerInnen?...
Hintergrund: Viel Erfolg, viel Kritik
Die Talkshows von ARD und ZDF erreichen regelmäßig ein Millionenpublikum. Bei Jauch schalteten im Schnitt 4,62 Millionen Menschen ein (Marktanteil: 16,2 Prozent). Zugleich stehen die Talks fast schon traditionell in der Kritik. So spricht der Publizist Wolfgang Michal von “Gesprächssimulationen”, die einem “autoritären Konzept” folgen. Die TAZ schrieb bereits vom "Talk-Show-Unwesen, das der Quote wegen auf Krawall oder die Selbstentblößung seiner Protagonisten zielt".
Für Unmut sorgte ARD-intern, dass “Dauergäste” wie Wolfgang Bosbach (CDU) zu oft zu Wort kämen. Frauen und junge Menschen seien dagegen unterrepräsentiert.
Manch Kritiker attestiert den Talkern mangelnden Sachverstand. Mancher sieht einen Trend zur Entpolitisierung. Zur Diskussion steht auch, ob ARD und ZDF eine EU-politische Meinungsbildung ermöglichen oder eher nicht.
Die Talkrunde als "Neben-Parlament"
Als scharfer Talkshow-Kritiker tat sich Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hervor. "Die wichtigste Aufgabe des Moderators scheint darin zu bestehen, spätestens dann einzugreifen, wenn sich zu einem ernsthaften Thema eine ernsthafte Debatte entwickelt", so Lammert 2012 in einem Interview.
Der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth würdigt die Bedeutung der Polit-Runden im Fernsehen: "Talkshows wurden zu einer Art Neben-Parlament und haben in der politischen Meinungsbildung inzwischen dem Bundestag den Rang abgelaufen."
Sascha Michel Universität Koblenz-Landau
Politische Diskussionssendungen, allen voran Polit-Talkshows, stellen beliebte wissenschaftliche Untersuchungsobjekte in ganz unterschiedlichen Disziplinen dar, die seit jeher auch mit einem medienkritischen Duktus begleitet werden. Grundsätzlich wird dabei stets die Inszenierung von Diskussion als politische Propaganda ins Feld geführt. Diese besagt, dass Polit-Talkshows etwa in hohem Maße "choreographiert", also geplant und vorbestimmt sind, was Themen (auch Fragemuster der Moderatoren), Rollen der Diskussionssteilnehmer, Ablauf und Struktur anbelangt. Die Diskussion um diesen Zustand führt m.E. ins Leere und zwar aus folgendem Grund: Polit-Talkshows sind als Formate und Sendungen in eine "Figuration Fernsehen" eingebunden, was nichts anderes heißt, als dass sie den Gesetzen und der Logik des Fernsehens zu gehorchen haben. Zur Logik des Fernsehens gehört z.B. dass ihre Währung in Einschaltquoten angegeben wird: Je höher die Quote, umso - vermeintlich - besser und erfolgreicher. Um die Quote zu halten bzw. nicht zu gefährden, setzt man also auf Planbarkeit und ziemlich eingängige Stereotypen: Bekannte Gesichter, provokante Fragemuster, relevante Themen, "Showkämpfe" zwischen Antagonisten etc. Mein Argument ist: Man wird an dieser Logik des Fernsehens nichts ändern können, solange Quote die Währung bleibt und es ist aussichtslos, an dieser Choreographie drehen zu wollen. Der Fokus muss sich deshalb verlagern: Von den Produzenten sowie dem Produkt weg und hin zum Zuschauer. Betrachtet man den gegenwärtigen Polit-Talk, fällt auf, dass das Format die Entwicklung des Social TV verschläft, also die Diskussionen, die sich von Zuschauern in den sozialen Medien und Netzwerken über Sendungsinhalte entspinnen, nicht oder allenfalls stark selektiv und temporär (z. B. hartaberfair) aufgegriffen werden. Genau hier liegt m. E. jedoch die Innovation des Polittalks, die die Choreographie zwar nicht gefährdet, aber wesentlich zur Demokratisierung der Diskussion beitragen kann: Das simultane Einblenden von Tweets und Posts, etwa als "Wall" im Hintergrund oder als Laufschrift, und die sinnvolle Integration in die Diskussion können ein relativ unverfälschtes Stimmungsbild abgeben und (neue) Argumente beisteuern. Fazit: Der Polit-Talk sollte in Zukunft zu einem authentischen und unverkrampften Umgang mit den parallel laufenden Diskussionen in der digitalen Welt gelangen, wenn er seine Legitimation in einer zunehmend demokratisierten und meinungspluralistischen Medienöffentlichkeit behalten will.