#pxp_thema: Medienkritik

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Stecken etablierte Medien in der Vertrauenskrise? Was sind die Ursachen? Das diskutierten Nutzerinnen und Nutzer auf Publixphere mit Vertreter*innen aus Medien, Politik und Wissenschaft – online und offline. Eine Zusammenfassung.

Text: Alexander Wragge (Redaktion), Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung Lizenz 2.0

Foto: Offline-Diskussion zur Medienkritik. Im Bild (v.l.n.r.) Eva Breitbach (Community-Management Publixphere), Maximilian Popp (Redaktion "Der Spiegel"), Friedemann Karig (Autor und Journalist), Alexander Wragge (Redaktion Publixphere), Sabine Schiffer (Medienpädagogin IMV)
Bild: ©Tilman Vogler / www.tilmanvogler.com


Kontext: Aktuelle Medienkritik

Tendenziös, quotenfixiert, verzerrt, schlecht recherchiert – regelmäßig hadert die Öffentlichkeit mit der Medienberichterstattung. Doch 2014 erreichte die Kritik eine neue Qualität.

47 Prozent der Deutschen glauben, die Medien würden einseitig berichten und seien von der Politik gelenkt – so das Ergebnis einer YouGov-Umfrage (Dezember 2014). Vielleicht überraschend: Mit Bildung und Einkommen steigt der Untersuchung zufolge das Medienmisstrauen. In Ostdeutschland ist es deutlich höher als in Westdeutschland. In einem Glaubwürdigkeitsranking der Berufsgruppen landen Journalisten fast ganz unten. Die Vertrauenskrise wird aktuell auch bei Protesten spürbar. “Lügenpresse. Lügenpresse” skandieren etwa die Anhänger der Patriotischen Europäer Gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA).

Die neue Medienkritik artikuliert sich oft außerhalb der traditionellen Kanäle. Auf Youtube ziehen Manipulationsvorfwürfe gegen die etablierten Medien hunderttausende Zuschauer an. Von “verstörenden Exzessen” der Medienkritik und “Journalismusverachtung” spricht der Medienjournalist Stefan Niggermeier in seiner Analyse “Journalismus unter Verdacht” (November 2014).

Die Grenze zwischen fundierter Fehleranalyse, alternativen politischen Bewertungen des Geschehens und diffusen Vorstellungen über die Machenschaften ‘gelenkter’ Medien scheint fließend (Siehe hierzu auch unseren Hintergrundtext – Stand September 2014).

#pxp_thema September 2014

Auch in vielen Diskussionen auf Publixphere spielte – vergleichsweise moderate – Medienkritik eine Rolle, so dass wir uns im September 2014 schwerpunktmäßig mit dem Thema auseinandersetzten (#pxp_thema). Medienkritiker und Medienschaffende befragten wir nach einzelnen Aspekten aus den Foren – auch im Rahmen eines Offline-Panels auf der Social Media Week in Berlin (Video). Als überparteiliche Plattform fragten wir Medienpolitiker aller Bundetsagsparteien an, bisher beteiligt sich Marco Wanderwitz MdB, CDU .

Diese (kommentierbare) Zusammenfassung kann natürlich nicht alle Einzelfragen abdecken, sondern soll eine Zwischenbilanz ziehen. Die Diskussion kann jederzeit fortgeführt werden – in den laufenden Foren als auch anhand neuer Denk-Anstöße (Neuen Diskussionstext anlegen).

Inhalt

Bild: Kahina Toutaoui ... SCHAUBILD ÖFFNEN

Ein neues Unbehagen

Seine allgemeine Verunsicherung über die Glaubwürdigkeit von Medien schildert Emil in seinem Diskussions-Anstoß “Medien: Plädoyer gegen die Propaganda-Universen”. Darin beklagt er die fehlende Gewissheit über Fakten (etwa im Ukraine-Konflikt), die Konfrontation mit neuen, unglaubwürdigen Informationsquellen – auch über die sozialen Netzwerke – und tendenziöse Schlagzeilen in den etablierten Medien. Sein Fazit: “Meine aktuelle Überforderung als politisch denkender Bürger ist nicht nur dem aktuellen Weltgeschehen geschuldet, sondern großteils der medialen Weltvermittlung, die vielerorts immer schriller, unseriöser, einseitiger, unverlässlicher, intransparenter, ungenauer und immuner gegen Tatsachen wird.” Als Gegenstrategie fordert er “nach allen Seiten schonungslose Recherche”, die Einhaltung journalistischer Standards und Transparenz über Interessenkonflikte bei Verlagen, Medienhäusern und Journalisten.

Auch 666JohnKowalski666 schildert seinen persönlichen Vertrauensverlust – speziell bei der Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt. “In den letzten Wochen und Monaten musste ich so manchen Artikel nach kurzer Zeit weglegen, weil ich sonst die gesamte Zeitschrift hätte zerfetzen und in Brand stecken wollen.” Die Russophobie der deutschen Medien sei extrem auffällig gewesen, so 666JohnKowalski666 Mitte August 2014. Er rät dazu, sich auf die Fakten zu beschränken und bei propagandistischen Vermutungen zu reflektieren, welchen Interessen sie nutzen. CarstenWag meint: “Wenn selbst die ‘traditionellen’ Medien Falschmeldungen verbreiten bzw. Quellen nicht richtig prüfen...wem soll man da noch glauben?”.

Medien in der Vertrauenskrise?

Doch wie fundiert ist der Befund, es mit einer Vertrauenskrise des (etablierten) Journalismus zu tun zu haben? Die öffentlich-rechtlichen Medien gestehen zwar etwa in der viel kritisierten Ukraine-Berichterstattung Fehler im Einzelfall ein, wehren sich aber gegen den Verdacht, systematisch tendenziös zu berichten (Siehe hierzu den Abschnitt zur Ukraine-Krise).

Tilmann Kruse, Pressesprecher des Deutschen Presserats, der über die Einhaltung des Pressekodex im Printbereich wacht, berichtet in seinem Diskussions-Anstoß ("Mediennutzer sind mehr gefordert") nur von einem leicht zunehmenden Beschwerdeaufkommen 2014. Als Grund nennt er die Emotionalisierung der Leser angesichts zahlreicher Konflikte (Ukraine, Gaza, Islamischer Staat). Zugleich schränkt er ein: “Nicht selten zeigt eine objektive Prüfung, dass sich Leserinnen und Leser über etwas beschweren, das mit ihrem Bild der Situation nicht übereinstimmen mag, presseethisch aber in Ordnung ist.”

Der Spiegel-Redakteur Maximilian Popp sieht eine Veränderung im öffentlichen Diskurs. Im digitalen Raum sei Kritik leichter zu äußern. “Was wir verloren haben, ist das Meinungsmonopol, das wir vor einigen Jahrzehnten vielleicht noch hatten”, so Popp beim Publixphere-Panel. “Ich halte das für eine positive Entwicklung, auf die sich Journalisten einstellen müssen.” Popp plädiert für einen differenzierten Blick auf die aktuelle Medienkritik. Auf der einen Seite sei es so gut wie unmöglich, mit Menschen zu diskutieren, die glaubten, der CIA habe die Terroranschläge vom 11. September 2001 gesteuert. Zugleich bereite ihm die verbreitete Wahrnehmung Sorgen, Journalisten steckten mit den Mächtigen unter einer Decke und enthielten ihnen die Wahrheit vor. Er selbst spricht vom Trend, “dass sich Medien, die per se gegen Herrschaftsverhältnisse und das Establishment anschreiben sollten, zum Teil des Establishments geworden sind”. Oft werde die Gegenseite gar nicht mehr angehört, damit man sich nicht ‘tot’ recherchiere, was auch ökonomische Gründe habe.

Der Blogger und Journalist Friedemann Karig hält “verschwörungstheoretische Ansätze” in der Medienkritik für eine neue Qualität. Karig führt Verschwörungstheorien darauf zurück, dass Menschen sowohl nach einem eindeutigen Gegner, als auch nach einfachen Erklärungen für unverständliche Dinge suchten. Ernst zu nehmende Analysen – etwa zu den Beziehungen zwischen deutschen Top-Journalisten und transatlantischen Netzwerken – würden “gewissermaßen gekiddnappt”, um Verschwörungstheorien zu belegen, so Karig beim Publixphere-Panel. “Das ist ein wirkliches Problem”.

Die Medienpädagogin Sabine Schiffer (Institut für Medienverantwortung / Initiative für einen Publikumsrat) hält den Begriff Vertrauenskrise für gerechtfertigt. Sie rät dazu, Kritik an der Berichterstattung ernst zu nehmen, anstatt sie herabzuwürdigen und abzutun – etwa im Fall des Ukraine-Konflikts. Sonst werde sich die Vertrauenskrise noch verstärken, so Schiffer auf dem Publixphere-Panel.

Medienentfremdung = Systementfremdung?

Der Politologe und Sprachwissenschaftler Kyrosch Alidusti fragt in seinem Diskussions-Text nach tieferen Ursachen der aktuellen Vertrauenskrise. Seiner Argumentation zufolge zeichnet junge politische Bewegungen wie die “Mahnwachen für den Frieden” oder der Alternative für Deutschland (AfD) aus, dass sie sich eben nicht in den traditionellen politischen Erzählungen und Parteien verorten. Das Misstrauen ihrer Anhänger gegenüber dem System erstrecke sich auch auf die Medien, die sie – teilweise zu Recht – mit dem Establishment identifizieren würden.

Bachmann kritisiert zugleich den Umgang von Redaktionen mit den neuen Protestbewegungen und Kritikern. “Allein schon die Verwirrung um das Etikett ‘neurechts’ (für Akteure wie Xavier Naidoo, Christian Kracht und Ken Jebsen) zeige die Hilflosigkeit von “mit alten Schablonen hantierenden Medien”. “Da ‘rechts’ zurecht das disqualifizierende Label dieses Landes ist, sollten wir den Umgang damit genau reflektieren, genau sagen, was wir damit meinen. Sonst bleibt bei den Etikettierten nur die fundamentale System- und Medienkritik.” Zumindest im Fall der “Montagsmahmwachen für den Frieden” hält txxx666 in den Massenmedien verbreitete Einordnungen dagegen für nachvollziehbar. “Wenn die Wortführer immer wieder die Alleinschuldigen am Übel der Welt in USA und Israel verorten (und nebenbei ziemlich deutschtümeln), sind die Adjektive ‘rechts’, ‘antiamerikanisch’ und 'antizionistisch' wohl gerechtfertigt – wobei ich nicht allen Teilnehmern unterstellen möchte, selber solchen Verschwörungstheorien aufzusitzen.”

GeertV hält die neue Medienkritik zumindest im Fall der AfD für politische Taktik. “Der Angriff auf die Medien, die angeblich die arme AfD ausblenden oder runtermachen – das war doch von Anfang an eine ziemlich abgeschmackte AfD-Masche. Das gehört wohl dazu, wenn man sich als Anti-Parteien-Partei generiert, als ‘unbequem’.”

Doro sieht die neue Distanz zur Berichterstattung in der Sache begründet. So klaffe bei der Einstellung zu Kriegseinsätzen ein tiefer Graben zwischen der Bevölkerung auf der einen Seite und den etablierten Parteien sowie dem Mainstream der Medien auf der anderen.

Neue Quellen ohne Pressekodex

Ein weitere Erklärung für die Vertrauenskrise: neue Medien im digitalen Raum versprechen Wahrheiten abseits oder in klarer Abgrenzung zu den etablierten Medien. Ohne konkrete Namen zu nennen hält Tilmann Kruse vom Deutschen Presserat viele der neuen Quellen für problematisch. “In zahlreichen neu aufgekommenen Portalen im Internet, die sich selbst Nachrichtenseiten nennen, werden Informationen weitergegeben, deren Wahrheitsgehalt nicht überprüfbar ist”, so Kruse. Tatsächlich sei einiges, was dort zu lesen sei, nachweislich falsch. “So manches bewegt sich gar an der Grenze zur gezielten Desinformation. Krude Deutungen werden schnell zu Fakten, welche die ‘Mainstream-Medien’ angeblich nicht auszusprechen wagen.”

Anders als die großen Zeitungen und ihre Online-Ableger haben sich viele der neuen Internet-Portale nicht freiwillig auf den Pressekodex verpflichtet, der beispielsweise Richtigstellungen bei falschen Tatsachenbehauptungen vorsieht. Man dürfe sich durchaus fragen, warum sie diese Verpflichtung nicht eingehen, meint Kruse.

Auch der Politiloge Kyrosch Alidusti sieht die Deutungsmacht etablierter Medien schwinden. “Betrachtet man die Medien zunächst als ein System, dann ist seine Funktion die (...) des Entscheiders über Themen und Wichtigkeiten und der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Wirklichkeit”, so Alidusti. “Allerdings wird diese Funktion mit der Konkurrenz des Internets brüchig.” Das Internet erlaube es den Internetusern, Themen zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn sie es nicht in die Medien schaffen, und hätten damit eine Möglichkeit des Urteils über das Präferenzsystem der Medien.

Facebook – Gefahr oder Chance?

Ebenfalls zur Debatte steht die Rolle der sozialen Netzwerke und Online-Plattformen, über die alternative Medienanbieter große Reichweiten erzielen – auch wenn es um die Verbreitung fragwürdiger Inhalte geht. Emil meint, Verschwörungstheorien und Hetze seien in seiner Weltwahrnehmung zusehends omnipräsent - und zwar "weil der verfassungsrechtlich und moralisch gnadenlos unbedarfte, rein ökonomisch tickende Facebook-Algorithmus mir damit meine Timeline vollknallt". Offen bleibt in der Diskussion die Frage, ob personalisierte Inhalte im Netz, sogenannte Informations- oder Filterblasen, den Konsens in der Gesellschaft gefährden.

Klaus sieht Facebook dagegen als Chance für Einzelpersonen, den Mainstream-Medien Konkurrenz zu machen. Als Beispiel nennt er den Publizisten und Aktivisten Jürgen Todenhöfer, der seine Texte rund 285.000 Followern auf Facebook präsentiert. “Todenhöfer liefert quasi im Alleingang einen anderen Blick auf den Mittleren Osten und die arabische Welt. Man kann von dem Mann halten was man will, aber er tut viele Dinge, die in den Mainstream-Medien oft schmerzlich vermisst werden: In die Geschichte blicken, mit Menschen vor Ort reden (Taliban, Al-Qaida, Hamas), offizielle Einschätzungen und regierungsnahe Argumente (Propaganda?) hinterfragen. Ich würde die neue Medienwelt also auch als Chance für eine tiefere Auseinandersetzung mit den Dingen sehen.” Emil kontert: “(...) ich möchte nicht, dass Privatpersonen den Journalismus ersetzen, weil Redaktionen Recherche nicht hinbekommen.”

Zahlreiche Kommentare verweisen auf die Verantwortung des Einzelnen, sich vertrauenswürdige und vielfältige Quellen an Facebook und Google vorbei zu suchen – auch um nicht in einer einseitig verzerrten Informationsblase zu versinken (beispielsweise listet nemo seine diversen Informationsquellen auf).

Qualitätsjournalismus im Netz?

Isarmatrose beschäftigt sich in seinem Diskussions-Text mit der Zukunft des Qualitäsjournalismus im digitalen Raum. So hält er es für problematisch, wenn Redaktionen ihre Inhalte an die Kriterien anpassen, nach denen Google und Facebook sie dem Einzelnen anzeigen. Es liege an den klassischen Medien, sich selber aus der Abhängigkeit von den neuen Gatekeepern zu befreien und mit Qualitätsjournalismus Vertrauen zurückzugewinnen. “Nicht die kuratierte Darstellung durch private Unternehmen darf unseren Blick auf die Welt bestimmen, wir müssen direkt zu den Websites gehen, die einem der Allgemeinheit dienenden Anspruch haben, z.B. Zeitungen.”

MisterEde fragt, ob sowohl Aktiengesellschaften wie Google oder Facebook als auch Zeitungsunternehmen in ihrer Funktion als Gatekeeper überhaupt in die Pflicht zu nehmen sind, der Allgemeinheit zu dienen. “Mein Ansatz ist daher, eine öffentlich-rechtliche Internetanstalt einzuführen, die nicht nach Gewinn sondern gesellschaftlichem Nutzen strebt’”.

Der Klickzahlen-Fixierung des Online-Journalismus widmet der Medienexperte Stephan Dörner einen eigenen Text. Seine Ergebnis: “Der für mich wichtigste Schritt, Qualitätsjournalismus ins digitale Zeitalter zu holen, ist, ihn endlich auch im Onlinejournalismus stattfinden zu lassen. Sobald das passiert ist, können alle Medienhäuser auch über eine Monetarisierung beispielsweise über Paywalls nachdenken. Vorher nicht.”

Rakaba hinterfragt, ob Journalismus auch nur annährend eine Chance habe, sich im Netz mit Werbung zu finanzieren. MisterEde stellt derweil in einem eigenen Text die Frage, ob guter Journalismus ökonomisch tatsächlich so stark gefährdet ist wie weithin angenommen.

Prinzipiell verweist die Debatte immer wieder auf die Ökonomie. Haben private Medienhäuser noch genug Ressourcen, anspruchsvollen Recherche-Journalismus zu finanzieren?

Informationskrieg – Wie korrumpiert ist der öffentliche Diskurs?

In zahlreichen Diskussionen ist die Rede von einem Informationskrieg, speziell im Ukraine-Konflikt. Auch die aktuelle Debatte um die Unterwanderung von Leserforen spielt eine Rolle.

hinterwald liefert eine Linkliste zu entsprechenden Presseartikeln, wonach in Leserforen – teilweise automatisiert – kremlfreundliche Kommentare gepostet (“Putin-Trolle”) werden. Länder wie Finnland könnten ein Lied von dieser Art Cyberkrieg singen. “Dass sich der Gedanke, dass gegebenenfalls unser öffentliches Gespräch seit Jahren manipuliert wird und wir zum Teil mit computergenerierten Bots geredet haben, noch nicht in seiner ganzen schockierenden breite durchgesetzt hat, finde ich bizarr (...)”, so hinterwald. MisterEde definiert die (staatlich) gelenkte Beeinflussung von Leserforen als Bloggyismus.

Auch der CDU-Medienpolitiker Marco Wanderwitz MdB, CDU meint in seinem Diskussions-Anstoß, die “verdeckte Manipulation der öffentlichen Meinungsbildung” über Leserkommentare sei gefährlich. “Offenkundig haben russische Interessenvertreter eine vermeintliche Schwäche westlicher, plural verfasster Demokratien entdeckt. Durch das Dominieren der öffentlichen Meinung im Internet sollen Mehrheiten in der Bevölkerung erzeugt und damit Druck auf europäische Politik ausgeübt werden.”

Prinzipiell sieht Wanderwitz Nachrichten als "Mittel der Kriegsführung" in bewaffneten Konflikten. Wanderwitz verweist hier auf eine Propaganda-Offensive des Kreml in Deutschland – etwa die Gründung eines deutschssprachigen Ablegers von Russia Today, aber auch auf einen Artikel der “Welt”, der auch der Ukraine bescheinigt, bewusst Desinformationen und Halbwahrheiten zu streuen.

Schwerpunkt: Berichterstattung im Ukraine-Konflikt

Auch auf Publixphere dominiert die Kritik an der Ukraine-Berichterstattung die Diskussion, weshalb ihr ein eigener Abschnitt gewidmet sei.

Speziell ARD und ZDF sehen sich mit teils harschen Vorwürfen konfrontiert. Grob lassen sie sich auf die These zuspitzen, die Öffentlich-Rechtlichen würden in der Tendenz pro-westlich und anti-russisch berichten – etwa indem sie Gräueltaten durch die Ukraine und die wirtschaftlichen, militärischen und geostrategischen Interessen des Westens und der NATO ausblenden. Die Kritik kommt nicht nur von privaten Zuschauern und Initiativen, sondern beispielsweise auch vom Programmbeirat der ARD, dessen vertrauliches Sitzungsprotokoll Aufsehen erregte.

Der Verein „Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien“ (Webseite) sammelte zahlreiche Beschwerden gegen die Ukraine-Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen und fasst seine Ergebnisse in einem Diskussions-Anstoß auf Publixphere zusammen (Oktober 2014). Beispielsweise hätten ARD und ZDF wertneutrale Podien für rechtsradikale und kriminelle Banden in der Ukraine geboten. Auch seien Reden und Interviews manipuliert oder falsch übersetzt worden. Der Verein spricht von “gezielter Desinformation”.

MisterEde ist mit dieser Deutung nicht einverstanden. Dass auch bei der ARD Fehler gemacht würden, bestreite ja niemand, so MisterEde. Die Unterstellung der Mutwilligkeit durch den Verein finde er aber ziemlich bedenklich. hinterwaldWelt macht auf die Meinungsvielfalt im Öffentlich-Rechtlichen Programm aufmerksam. “Es wäre schön, wenn alle (...) akzeptieren, das man mehrere ‘Lesarten’ nebeneinander ertragen können muss – auch die, die einem persönlich nicht schmecken”.

Vertreter von ARD und ZDF haben sich mittlerweile vielfach gegen die massive Kritik zur Wehr gesetzt, auch auf Publixphere (Zusammenfassung). „Wir glauben, dass das Freund-Feind-Schema keine Kategorie ist mit der unsere Berichterstattung adäquat beschrieben werden kann“, erklärt Tibet Sinha, stellvertretender Auslandschef des WDR-Fernsehens, das innerhalb der ARD für die Ukraine zuständig ist. ZDF-Sprecher Thomas Hagedorn meint (Vollständige Stellungnahme): „In der Berichterstattung des ZDF kommen sowohl Vertreter der pro-ukrainischen als auch der pro-russischen Seite zu Wort.“ Zugleich seien Im Internet eine Vielzahl an Informationen, Gerüchten und Halbwahrheiten im Umlauf, was neue Standards der Quellenprüfung bedinge. Kriegszeiten seien „bekanntlich Phasen mit widersprüchlichen Informationen und Propaganda“. Nur im Einzelfall räumen die Sender Fehler ein.

Unterstützung kommt aus dem Publixphere-Forum. hinterwald meint, ARD und ZDF sollten genauso weiter berichten wie bisher, auch wenn “der eine oder andere gerne in Putin einen Friedensengel sehen möchte (...)". Emil kritisiert dagegen, ARD und ZDF machten es sich zu einfach und formuliert Fragen zum Ukraine-Konflikt, die er von den Öffentlich-Rechtlichen nur unzureichend beantwortet sieht.

Im Forum wird auch darum gestritten, wie die Arbeit des Vereins "Ständige Publikumskonferenz" zu bewerten ist.

Was ist zu tun?

In den unterschiedlichen Diskussionen auf Publixphere finden sich eine Reihe von Vorschlägen, wie der (gefühlten) Vertrauenskrise von Medien zu begegnen wäre.

Journalistische Tugenden und Standards

Zahlreiche Kommentare fordern die Einhaltung klassischer journalistische Standards ein, etwa eine ergebnisoffene und nach allen Seiten kritische Recherche. Beispielsweise fordert Emil mit Blick auf die neuen Montagsmahnwachen: “Ich finde, wenn es bei den Protesten auch um die Medien geht, dann sollten die sich mal anstrengen, einmal nicht zu vereinfachen, zu etikettieren, vorzuverurteilen, zuzuspitzen, sondern ganz genau hinzusehen, was das für Menschen sind, die da auf die Straße gehen.”

Klaus schlägt mit Blick auf unseriöse Medienanbieter vor, die freiwillige Selbstverpflichtung zum Pressekodex online zu einem Qualitätssiegel zu machen. “So könnten die Leserinnen und Leser gleich an einem Logo oder dergleichen erkennen, ob sich ein Angebot danach richtet. Andersherum könnte man Anbieter fragen, warum sie sich dagegen entschieden haben.”

Medienkompetenz

Immer wieder rückt auch der Medienkonsument selbst ins Zentrum der Diskussion. paul meint: “Kritischer Medienkonsum muss gelehrt werden, ebenso wie die ureigene Funktion jedes Bürgers / jeder Bürgerin Sender und mithin Öffentlichkeit zu sein.”

Marco Wanderwitz MdB, CDU fordert mehr inhaltliche Medienkompetenz. “Die Einordnung von Quellen, die Fähigkeit zur Unterscheidung von seriöser Information und Propaganda stellen eine sehr große Herausforderung dar, nicht nur für junge Menschen.” Dafür sei auch Fortbildung der Lehrer notwendig, z.B. durch die Bundeszentrale (bzw. Landeszentralen) für politische Bildung.

Tilmann Kruse vom Presserat meint: “Der Mediennutzer ist heute mehr gefordert als früher. Die Menge der Informationen ist deutlich gestiegen, die Quellen mitunter undurchsichtig. Dies erfordert eine hohe Medienkompetenz, die schon in jungem Alter gefördert werden sollte.”

Reformbedarf bei den Öffentlich-Rechtlichen?

Speziell mit Blick auf die Öffentlich-Rechtlichen ist die Wunschliste lang. Sie reicht von der Idee, Talksshows durch aufwendigen Recherchen zu ersetzen bis zu Reformen des Systems.

Die Initiative für einen Publikumsrat – nicht zu verwechseln mit dem Verein "Ständige Publikumskonferenz" – setzt sich dafür ein, dass Zuschauer und Hörer stärker als bisher in Programm- und Haushaltsfragen der öffentlich-rechtlichen Medien einbezogen werden – und stellt ihr Reformkonzept zu Diskussion.

Den Initiatorinnen Christine Horz und Sabine Schiffer schwebt vor, eine unabhängige Anlaufstelle (“Publikumsrat”) zu schaffen, die Kritik und Anregungen zum Programm in der Funktion eines Medien-Watchdogs kompetent bündelt, auswertet, und diese als “Mittlerin zwischen Zuschauern und Rundfunkanstalt” transparent macht. Zu gründende Publikumsräte sollten das Programm in regelmäßigen Abständen systematisch beobachten.

Die Initiative begründet: “Die Rundfunkanstalten könnten von einer nachhaltigen Nähe zum Publikum profitieren und sich neue zukunftsfähige Legitimationsgrundlagen und Funktionen erarbeiten. Verlorengegangenes Vertrauen kann wettgemacht und die Leistungen der öffentlich-rechtlichen Medien in der Demokratie verständlich gemacht werden.” Auf Publixphere werden verschiedene Aspekte des Konzepts diskutiert – etwa die Zusammensetzung neu zu schaffender Publikumsräte.

Der Verein "Ständige Publikumskonferenz" kritisiert die bisherigen Kontrollgremien der Öffentlich-Rechtlichen scharf und spricht von einem “undurchdringlichen Filz von Freundeskreisen, Interessenlagen und Verflechtungen”. “Wir wollen, dass die Gremien künftig frei von politischen (und) Partikularinteressen ihren Aufgaben nachgehen können und somit der Einfluss aller gesellschaftlich relevanter Meinungen und Interessen sicher gestellt wird”, so der Verein.

Ausblick

Es gibt viele Anzeichen, dass die Medienkritik-Debatte auch 2015 weitergeht. Ob das Vertrauen in Medien wieder zunimmt, hängt wohl auch davon ab, inwieweit diese auf konstruktive Kritik eingehen. Lassen sich Medienkritiker und Medienschaffende auf ein gemeinsames Gespräch ein oder bleibt bei Vielen tiefes Misstrauen gegenüber dem Mediensystem an sich zurück?

Der Politologe Kyrosch Alidusti meint, schon ein nur gefühlter Glaubwürdigkeitsverlust der Medien kann für die Demokratie zum Problem werden. “(...) Medien haben nicht nur die Funktion der vierten Gewalt, sondern auch eine Mittlerfunktion zwischen dem Ereignis und den Medienrezipienten. Für beide Funktionen benötigen sie jedoch Vertrauen, deshalb ist bereits das Bröckeln desselben alarmierend.”

Neue Kommentare und Diskussions-Anstöße zur Medienkritik sind jederzeit willkommen.


Veröffentlicht am 06.01.2015

Foto & Teaser: Linnea Riensberg / Publixphere | CC BY-NC 3.0