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Michal: Politico oder das Märchen von der europäischen Öffentlichkeit


Foto: Arcadiuš (CC BY 2.0)Wer bekommt bald welche Informationen aus Brüssel? Foto: Arcadiuš (CC BY 2.0)

Was wird sie oft vermisst: die Europäische Öffentlichkeit. Kann der europäische Ableger des US-Magazins Politico sie herstellen? Der Publizist Wolfgang Michal hat seine Zweifel...


Hinweis: Dieser Crosspost erschien zunächst am 22. April 2015 auf wolfgangmichal.de

Ein Beitrag von Wolfgang Michal

Medien, so Jürgen Trittin kurz nach seinem Ausscheiden aus der ersten Reihe der Politik, sind nicht die Kontrolleure der Macht, sondern Teil der Macht. Das müsse man immer im Hinterkopf behalten, wenn man aktiv Politik betreibe. Deshalb schrieb sich der Grüne seine Erkenntnis auch erst von der Seele, als er mit der aktiven Politik fertig hatte. Vorher, in seiner Zeit als Umweltminister und Sprecher der Grünen, wäre eine solche Äußerung wohl kontraproduktiv gewesen, denn Politik und Medien sind aufeinander angewiesen.

Diesen besonderen Umstand des gegenseitigen Aufeinanderangewiesenseins machte sich das Washingtoner Erfolgs-Startup Politico von Beginn an zunutze, ja es machte das Aufeinanderangewiesensein zu seinem entscheidenden Programm-Inhalt.

Denn Politico ist kein gewöhnliches Online-Medium für die breite Öffentlichkeit, es ist eine politische Pressure Group, eine Art Think Tank oder Beratungsinstitut, das sich geschickt als Medium zu verkleiden weiß. Frederick J. Ryan Jr., der in den neunziger Jahren Stabschef des Weißen Hauses unter Ronald Reagan war und seinem Chef auch danach noch politisch verbunden blieb, hat die Website Politico 2007 mitgegründet und durch einige Deals auch mit großgezogen (heute ist er Herausgeber der Washington Post). Ryan ist ein vom Politikbetrieb outgesourcter Medienmacher, der, wie man heute gern sagt, politisch „bestens vernetzt“ ist und immer die richtigen Verbindungen pflegt. Die ehrgeizige White House-Reporterin Zoe Barnes aus der US-Serie „House of Cards“ wäre in echt sicher White House-Reporterin bei Politico.

Nun also startet das politische Wundermagazin aus Washington seine lange angekündigte transatlantische Ausgabe, und dieses Ereignis wird uns – wieder einmal – als die große „Medienrevolution“ verkauft, als Geburtsstunde einer „europäischen Öffentlichkeit“, herausragend “durch eine andere Form von Journalismus“.

Preis für ein Jahresabo: 7500 Dollar

Natürlich könnte man sich als Europäer selbstkritisch fragen, warum ausgerechnet amerikanische Verleger auf die Idee verfallen mussten, eine europäische Öffentlichkeit herstellen zu wollen, aber der Streit um TTIP, Snowden und Google zeigt ja, dass in Europa etwas gewaltig schief läuft. Dass die Europäer bzw. ihre gewählten Politiker offenbar bessere und richtigere Informationen brauchen als die, die sie bislang zur Verfügung haben. Und damit kommen wir zum eigentlichen Zweck des Groß-Unternehmens politico.eu.

Wie Christoph Keese, der „Executive Vice President“ des Springer-Verlags (der 50 Prozent am europäischen Politico-Projekt hält), in einem aufschlussreichen Interview mit Vera Linß klarstellte, geht es Politico gar nicht so sehr um die Herstellung einer breiten europäischen Öffentlichkeit, sondern eher um die mediale Versorgung einer kleinen Elite von EU-Entscheidungsträgern mit Argumentationshilfen und so genanntem Hintergrundwissen. Christoph Keese:

POLITICO besteht aus mehreren Produkten. Das eine ist eine parlamentstäglich erscheinende Zeitung. Die gibt es dort kostenlos. Die wird finanziert durch Anzeigen, also ein relativ traditionelles Modell, das aber nicht den wichtigsten Teil des Umsatzes darstellt. Der wichtige Teil des Umsatzes ist die Webseite. Und die Website besteht aus zwei Teilen, einem offenen Teil, werbefinanziert, auf den jeder drauf gehen kann, wo aber nur ein Bruchteil dessen steht, was die journalistisch produzieren. Der wichtige Teil (!), und hier liegt die Innovation, ist die Berichterstattung über bestimmte Themengebiete, die so genannten Verticals, zum Beispiel zu den Themen Energiewirtschaft, Gesundheitswirtschaft, IT-Technologie oder Kartellrecht. Zu diesen Themengebieten beschäftigt POLITICO dramatisch mehr Journalisten als die Konkurrenz. Um ein Beispiel zu nennen: Obamacare, die große Gesundheitsreform der USA, wird von den traditionellen Medien „Washington Post“ oder „New York Times“ mit ungefähr ein bis zwei Redakteuren begleitet. POLITICO deckt dieses Themengebiet mit 12 oder 13 Leuten ab, es ist also ein enormer Aufwand, der da getrieben wird. Dafür erfahren die Profis, die es benötigen, alles, was sie für ihre Arbeit brauchen und bezahlen dafür einen exorbitant hohen Abopreis, 7500 Dollar pro Jahr. Dieser Preis wirkt auf den ersten Blick absurd hoch, ist aber aus Sicht derjenigen, die ihn zahlen, eigentlich niedrig, weil sie dadurch in den Genuss von Informationen kommen, die sie ganz dringend brauchen, aber sich auf anderem Wege nicht zusammenstellen könnten.“

Im Stammland von Politico, in den USA, bestehe die ideale Zielgruppe für diese Superinformationen aus zwei Personen: dem Stabschef des Weißen Hauses und dem Mehrheitsführer des Kongresses. Für diese beiden schreibe Politico oder besser gesagt: diese beiden sollte jeder Politico-Mitarbeiter als potentielle und ideelle Adressaten immer vor Augen haben.

Auf europäische Verhältnisse übertragen wären das laut Keese nicht zwei, sondern vier Personen: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der Präsident des Europäischen Rats, Donald Tusk, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande. Diese vier, plus Mitarbeiter, Zuträger, Einflüsterer und Kritiker (und nicht etwa die normalen EU-Bürger) sind die Zielgruppe, die das europäische Politico mit seinen „Vertical“-Dossiers erreichen möchte. Zu diesem Zweck sollen die vielen Brüsseler Redakteure bei den EU-Hinterbänklern, EU-Bürokraten, Ausschuss-Mitgliedern und Fachleuten vorstellig werden und das dort gesammelte Wissen zu gewaltigen, aber leicht lesbaren Dossiers verarbeiten, die für politische Richtungs-Entscheidungen (etwa in den Themenfeldern Gesundheitswirtschaft, Energiewirtschaft oder Informationstechnologie) wichtig sein könnten.

Kritik und Pflege der politischen Landschaft

Die teure Variante von Politico wäre mithin eine Art Nachrichten-Special für die EU-Elite und für amerikanische Firmen, ein stratfor-Newsletter, ein wissenschaftlicher Dienst oder eine kuratierte Pressemappe im Sinne der Pflege und Durchdringung der politischen Landschaft. Damit die Parlamentarier und ihre Mitarbeiter, die EU-Bürokraten in Brüssel und die Entscheidungsträger in den nationalen Parlamenten die richtigen „Echtzeit-Informationen“ in ihren Postfächern finden. Das mag strategisch und ökonomisch durchaus vernünftig klingen, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man die politischen Service-Leistungen und den angeschlossenen Journalismus da noch sauber voneinander trennen kann.

Andererseits: 7500 Euro für ein Jahresabo!? Bezahlt aus Mitteln der EU (aus Steuergeldern)? Ein tolles Geschäftsmodell.


Links:

Zur Europäischen Öffentlichkeit auf Publixphere:


Kommentare

  • Der Vergleich mit Zoe Barnes von House of Cards ist jetzt ein bisschen zugespitzt! Das ist doch eine übertriebene Figur, die der unkonsequente Journalist verkörpert. Wie Klaus sagt, ist der Großteil der Berichterstattung von Politico nichts weltbewegendes. Für mich ist nur die Kombination aus Journalismus und politische Beratung neu, und leider ändert es nichts an der Sichtbarkeit der EU für Bürger.

    Für mich ist Politico nur ein Projekt, das den Kontext der EU-Politik benutzt um seinen wirtschaftlichen Modell festzulegen. Es wird weder die europäische Öffentlichkeit gründen, noch die Spalte zwischen Bürokraten und Bürger überbrücken.

  • Hallo Herr Michal, ob Politico jetzt wirklich den Anspruch hat, eine europäische Öffentlichkeit zu schaffen, weiß ich nicht. Mir blieb nur hängen, sie wollten EU-Geschichten spannender und anders erzählen. Ich war jetzt ein paar mal auf der Seite, hat mich nicht umgehauen, eher das Übliche.

    Aber es spricht doch Bände, dass Lobbyisten sich ihre Informationen aufwendigst gegen Bares recherchieren lassen müssen, und sei es mit einem Politico-Abbo. Was sollen denn da die Bürger sagen? Die Auftraggeber dieser Politik, die allein für sie gemacht wird?