Lieber nemo,

Ihre kenntnisreichen Ausführungen hinsichtlich der Situation in Griechenland im Besonderen, aber auch hinsichtlich volkswirtschaftlicher Grundsätze im Allgemeinen und geistesgeschichtlicher Traditionen der Antike erfüllen mich mit Respekt. Trotzdem möchte ich als Laie mein Unbehagen an einem, wie ich denke, wesentlichen Punkt Ihres Beitrags äußern:

An Ihrem unhinterfragt negativem Gebrauch des Begriffs "neoliberal". Als sei damit alles gesagt. "Löhne senken und die Sozialstandards auf Drittweltniveau herunterfahren. So will es der neobliberal organisierte Markt."

Ist nicht der Neoliberalismus eher die theoretische Grundlage der sozialen Marktwirtschaft? Und ich kann in einer sozialen Marktwirtschaft weniger Schlechtes sehen als z.B. in einer komplett staatlich gelenkten Wirtschaft.

Konkret: Bedeutet nicht der europäische Rettungsschirm für Griechenland Fördern und Fordern? Jeder Kreditgeber fördert einen Kreditnehmer, aber fordert auch von ihm. Es geht gar nicht anders.

Wenn Griechenland die Forderungen, die es erfüllen muss, den Schwächsten auferlegt und seine Sozialstandards unerträglich absenkt, dann ist das doch nicht die Schuld des EU -"Rettungsschirms", sondern eine verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik Griechenlands selbst, das sich nicht traut, Struktur- und Steuerreformen durchzuführen und die unsäglich Reichen, die es auch gibt, für die zu erfüllenden Forderungen heranzuziehen.

Aber ich glaube, das ist auch schon unzählige Male gesagt worden, und man dreht sich argumentativ im Kreis.

Eine perfekte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gibt es m.E. nicht. Die soziale Marktwirtschaft ist m.E. die relativ beste, die Freiheit und soziale Verantwortung miteinander verwirklicht. Sie muss allerdings immer wieder nach der einen oder anderen Seite austariert werden. Auch gerade in Griechenland unter den gegenwärtigen Bedingungen. Sozialismus gegen Kapitalismus bringt m. E. nichts, wie es das Beispiel vieler ehemals sozialistischer Staaten zeigt.