Hallo Emil,

Zum ersten Absatz:
Für mich spielt eine große Rolle, was war zuerst da, was hat den Namen geprägt. Nur weil sich der Islamische Staat im Irak und Syrien (ISIS) so nennt wie er sich nennt, erwarte ich nicht von Muslimen, dass sie dem Islam einen anderen Namen geben. Auch die Sozialdemokratie (international sind die Namen anders besetzt) distanziert sich in Deutschland schon im Namen vom Sozialismus.

Der Feminismus trägt im Namen die Ausrichtung auf das Feminine, das Weibliche, was meines Erachtens von vorneherein einseitig ist und recht unpassend, wenn es um Gleichstellung beider Geschlechter geht. Daneben ist die Bezeichnung Feminismus aus meiner Sicht aber auch bereits mit jenem Feminismus besetzt, den es eben schon vor 50 Jahren gab.

Anders ausgedrückt: Wenn ich für eine links-liberale Gesellschaft eintrete, bezeichne ich mich ja nicht als Sozialist und sage allen anderen, dass sie nun den Sozialismus so zu verstehen habe wie ich. Insofern denke ich, sollte sich auch jemand, der für Gleichstellung eintritt, nicht als Feminist(in) bezeichnen und damit dann aber was ganz anderes meinen als jene, die sich schon seit Jahrzehnten als Feministinnen bezeichnen.

Zum zweiten Absatz:
Für mich ist die Position von z.B. Schwarzer das, was ich als Feminismus ansehe. Ich werde doch jetzt aber nicht Alice Schwarzer sagen, sie sei keine Feministin, das wäre für mich dann nämlich wirklich abwegig. Anders ausgedrückt: Ich teile die Position von Schwarzer häufig nicht, aber finde es absolut verständlich, dass sie sich als Feministin bezeichnet. Umgekehrt verstehe ich aber nicht, wieso Frauen die ganz andere Positionen vertreten, sich ebenfalls als Feministinnen bezeichnen und auch auf diese Bezeichnung Wert legen.

Gender-Mainstreaming ist für mich irgendwie etwas anderes. Ich kann nicht erkennen, was z.B. die Ampelmännchen- oder Ampelfrauchen-Diskussion mit Gleichstellung zu tun hat. Auch das Gendern der Sprache halte ich nicht für den Königlichseiendenweg (Königsweg zu gendern klingt nicht gut). Mir geht es z.B. um die Benachteiligung von Jungs in der Schule, da ändert sich durch eine Gender-Sprache aber nichts.

Zum dritten Absatz:
In der Debatte hier will ich mich eigentlich schon auf die Gleichstellung im Bezug auf das Geschlecht konzentrieren. Aber dennoch ja, mir schwebt schon länger der Gedanke eines „universellen Gleichstellungsbegriffs“ vor, der auf die Gleichstellung von Menschen abzielt. Frauen wie Männer, Christen wie Hindus, Schwarze wie Weiße, Reiche wie Arme. Im Hinblick auf einen solchen universellen Gleichstellungsbegriff ist für mich dann z.B. auch Inklusion ein Teilaspekt von Gleichstellung.

Kurzer Ausflug:
Insgesamt glaube ich, dass die Kernfrage der Gleichstellung, egal ob universell gedacht oder eben nur im Bezug auf die Gleichstellung von Mann und Frau, auf folgende Abwägung hinausläuft:

Auf der einen Seite haben zwei Individuen das Recht, trotz Unterschieden gleich behandelt zu werden, auf der anderen Seite haben zwei Individuen aber auch das Recht, wegen Unterschieden unterschiedlich behandelt zu werden. Und zwischen diesen beiden Rechten muss abgewogen werden.

Zum Beispiel kann eine Leistung von zwei Individuen objektiv bewertet werden. Es wird also der gleiche Maßstab angelegt, obwohl es sich um zwei unterschiedliche Individuen handelt. Die Leistung von zwei Individuen kann aber auch subjektiv bewertet werden, also im Verhältnis zur jeweiligen Leistungsfähigkeit eines Individuums. Beides ist gerecht und doch ist beides auch immer ungerecht. Und diese Abwägungsfrage ist der Kern ganz vieler Grundausrichtungen einer Gesellschaft, z.B. im Steuerrecht. Wann sind die Bürger gleichgestellt? Wenn jeder 1.000 Euro Steuern zahlt, wenn jeder 10% seines Einkommens zahlt oder wenn es einen progressiven Steuersatz gibt, also derjenige, der wenig verdient, 10% zahlt und der, der viel verdient, 50% Steuern zahlt? Alle drei Varianten sind gerecht und zugleich ungerecht.