Es scheint auf den ersten Blick vielleicht gerechtfertigt zu sein, Deutschland als Vorreiter in Europa sehen zu wollen, noch mehr vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Stärke des Landes als vor dem Hintergrund der Geschichte. Aber die EU ist eben mehr als ein wirtschaftlicher Zusammenschluss.
Die Frage ist, ob es klug wäre, die momentane wirtschaftliche Verfasstheit Deutschlands in eine Führungsrolle umzudeuten und ob es seitens Berlin überhaupt gewollt ist. In welche Richtung soll es denn weitergehen? Da sehe ich bei Frau Merkel noch keinen überzeugenden langfristigen Plan.
Und ich denke auch, dass es Probleme mit sich bringen könnte, wenn sich Deutschland noch aktiver als Führungskraft innerhalb der EU positioniert. Ist die Akzeptanz dafür in den 27 anderen Mitgliedsländern überhaupt vorhanden? In den Jahren der Finanzkrise und der Reformpakete in Süd- und Südosteuropa gab es doch einige Beispiele dafür, dass die Vorgehensweise der deutschen Regierung in anderen Ländern eher negativ aufgefasst wurde.
Außerdem kann es nicht sein, dass, wie Claus Offe es beschreibt, „der deutschen Regierung eine Führungsrolle angesonnen [wird], in der Berlin darüber zu entscheiden hätte, wie viel ‚Konsolidierung‘ bzw. ‚Reform‘ als Gegenleistung für wie viel ‚Solidarität‘ von den Krisenländern einzufordern ist.“ Solch weitreichende Entscheidungen sollten nicht nur von einem der 28 Mitgliedsländer getroffen werden. Ideen zur Lösung der gegenwärtigen Probleme können in Berlin genauso wie in anderen Hauptstädten entwickelt werden, entscheiden sollte die EU aber als Ganzes.