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Deutschlands neue Rolle in der EU – Zwischen Hegemonie und Verantwortung


Am 16. Dezember 2013 diskutierten in Berlin Angelo Bolaffi und Claus Offe das Thema Deutschlands neue Rolle in der EU: Zwischen Hegemonie und Verantwortung. Die Diskussion war Teil der Vortragsreihe „Europa in der Krise. Problemdiagnose und Zukunftsperspektiven“ der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW).

Die Video-Aufzeichung der Diskussion ist abrufbar auf L.I.S.A., dem Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung.

Publixphere lud dazu ein, die Positionen der Diskutanten vorab online zu diskutieren:

Angelo Bolaffi (Universität La Sapienza):

"Es liegt an Deutschland, dem Hauptverantwortlichen der historischen europäischen Tragödien, großzügig weitsichtig und klug gemäßigt die schwierige und risikoreiche Aufgabe zu übernehmen, Europa zum großen Ziel der politischen, sozialen und ökonomischen Einheit zu lenken und davon zu überzeugen. Es ist heute sinnlos, polemisch das Schreckgespenst eines „germanischen Europas“ heraufzubeschwören."

Claus Offe (Hertie School of Governance):

"Mit zunehmender Dringlichkeit wird in Deutschland und in der gesamten EU die Frage nach der deutschen Rolle bei der weiteren Krisenbewältigung gestellt. Von innen wie vielfach auch von außen wird der deutschen Regierung eine Führungsrolle angesonnen, in der Berlin darüber zu entscheiden hätte, wie viel "Konsolidierung" bzw. "Reform" als Gegenleistung für wie viel "Solidarität" von den Krisenländern einzufordern ist. Vor der Annahme einer solchen Rolle kann man nur warnen: Sie wäre sowohl politisch kontraproduktiv wie ökonomisch überfordernd."

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Kommentare

  • Natürlich spielt die neue deutsche Regierung eine wichtige Rolle in der EU und vor allem beim Umgang mit der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Krise. Zumindest dürfte das der Selbstsicht der Regierung und der Kanzlerin entsprechen. Aber ist es Frau Merkel zuzutrauen, dass Sie der, wie Angelo Bolaffi es nennt, historischen Verantwortung Deutschlands gerecht werden kann? Kann sie die Impulse setzen, dass die EU eben nicht nur als Wirtschaftsunion begriffen wird, oder gar die in den letzten Jahren wieder erstarkende Renationalisierung verhindern? Somit erscheint mir die Frage, welche Rolle Deutschland zukünftig in der EU spielen soll, sehr stark an die Europa-Freundlichkeit der neuen Regierung gekoppelt zu sein. Und diese muss sie erst unter Beweis stellen. Meine Erwartungen sind gering!

    • ClaraMey ist dafür
      +1

      PierreFiliere - auf jeden Fall, diese Meinung kann ich nur teilen! Aber könntest du dir vorstellen, wie Frau Merkel - bzw. die Regierung - dies unter Beweis stellen könnte? Bei mir tut sich da zum jetzigen Zeitpunkt nur ein großes Fragezeichen auf....?!

    • Mit "Europa" lassen sich scheinbar nur schwer Wähler gewinnen. Das fundamentale Interesse, dass Deutschland an der EU hat, ist vielen einfach nicht bewusst. Offensichtlich nicht einmal der Bundeskanzlerin und ihren Beratern. Hier lässt die neue Koalition – im Gegensatz zur alten – zumindest auf positive Entwicklung hoffen.

    • Rakaba ist dafür
      +1

      Visionen waren bislang noch nicht Merkels Sache. Aber vielleicht aendert sich dass nun auf den letzten Metern. Es geht um ihr historisches Vermaechtnis, und das kann nur in Europa liegen. Deutschland hat sie ja nur einfallslos verwalten lassen.

  • Es scheint auf den ersten Blick vielleicht gerechtfertigt zu sein, Deutschland als Vorreiter in Europa sehen zu wollen, noch mehr vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Stärke des Landes als vor dem Hintergrund der Geschichte. Aber die EU ist eben mehr als ein wirtschaftlicher Zusammenschluss.

    Die Frage ist, ob es klug wäre, die momentane wirtschaftliche Verfasstheit Deutschlands in eine Führungsrolle umzudeuten und ob es seitens Berlin überhaupt gewollt ist. In welche Richtung soll es denn weitergehen? Da sehe ich bei Frau Merkel noch keinen überzeugenden langfristigen Plan.

    Und ich denke auch, dass es Probleme mit sich bringen könnte, wenn sich Deutschland noch aktiver als Führungskraft innerhalb der EU positioniert. Ist die Akzeptanz dafür in den 27 anderen Mitgliedsländern überhaupt vorhanden? In den Jahren der Finanzkrise und der Reformpakete in Süd- und Südosteuropa gab es doch einige Beispiele dafür, dass die Vorgehensweise der deutschen Regierung in anderen Ländern eher negativ aufgefasst wurde.

    Außerdem kann es nicht sein, dass, wie Claus Offe es beschreibt, „der deutschen Regierung eine Führungsrolle angesonnen [wird], in der Berlin darüber zu entscheiden hätte, wie viel ‚Konsolidierung‘ bzw. ‚Reform‘ als Gegenleistung für wie viel ‚Solidarität‘ von den Krisenländern einzufordern ist.“ Solch weitreichende Entscheidungen sollten nicht nur von einem der 28 Mitgliedsländer getroffen werden. Ideen zur Lösung der gegenwärtigen Probleme können in Berlin genauso wie in anderen Hauptstädten entwickelt werden, entscheiden sollte die EU aber als Ganzes.

  • Wir sollten nicht aus Angst vor einem früheren Fehler durch Untätigkeit gleich den nächsten Fehler begehen. Deutschland ist die stärkste Wirtschaftsmacht in Europa, das kann man nicht wegwischen, auch wir nicht. Daraus entspringt Verantwortung. Das bedeutet aber nichts zwingend Hegemonie oder Führungsrolle.

    Alle EU-Staaten brauchen Zeit, sich an den Gedanken der Abgabe von eigener Souveränität zu gewöhnen. Das kann man nicht gewaltsam beschleunigen. Da kann die derzeitige Eurokrise durchaus hilfreich sein, weil wir ohne europäische Lösungen ins Chaos zu gleiten drohen. Der Weg der Bundesregierung, nicht gleich mit Geld einzuspringen, sondern unauffällig am Rand der Krise gemeinsame Lösungen zu erzwingen, scheint mir nicht unvernünftig. Wenn in 5-10 Jahren die Bankenkrise europäisch gelöst ist, ist die Bewusstseinslage in Europa anders. Dann kann man auf dieser Basis weiter sehen. Jetzt große Konzepte zu entwickeln nützt nichts.

  • Folgender Kommentar erreichte die Publixphere-Redaktion per E-Mail:

    Ich empfinde es als Erpressung, wenn von Deutschland immer wieder als dem Hauptverantwortlichen der historischen europäischen Tragödien gesprochen wird, natürlich mit dem Hintergdanken, dass wir jetzt zahlen und die Schulden der Länder, die sich in ihre Lage gebracht haben, ausgleichen sollen.

    Nur wenn die verschuldeten Staaten ohne weitere finanzielle Hilfestellung, d.h. ohne Belastung der Haushalte (Steuerzahler) anderer Länder zurechtkommen, ist dies eine gute Basis für den Verbleib im Euroraum. Deutschland kann bei der Erarbeitung einer gemeinsamen Außenpolitik, Verteidigungs-, Wirtschafts- und Finanzpolitik etc. eine sehr angemessene Rolle spielen.

    In seinem sehr subtil geschriebenen Artikel „Der Euro – eine Ehe“ (FAZ vom 21.09.13) macht Holger Steltzner deutlich, dass nur ein geordneter Ausstieg einiger Länder aus der Eurozone sowohl den Euro als auch die europäische Idee und die friedvolle Einigung in Europa retten kann.

    Ich möchte seiner sehr klaren Analyse einige praktische Forderungen hinzufügen: wenn das Ziel ist, zu den Grundlagen der Währungsunion zurückzukehren, muss bald erreicht werden, dass

    1. Die Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite über das Target-2-System der Europäischen Zentralbank unterbunden wird und dass

    2. mit Otmar Issings Worten „am Ende des Krisenmanagements und Hilfen aller Art die Rückkehr zum No-bail-out Prinzip stehen muss: jedes Land ist letztlich für die Folgen seiner Politik selbst verantwortlich.“ Selbstverständlich darf es

    3. keine Eurobonds geben und es darf

    4. nicht geschehen, dass aus der Bankenunion eine Haftungsunion wird, durch die unser Erspartes zur Rettung europäischer maroder Banken eingesetzt wird. Vom Bundesverfassungsgericht wird

    5. erwartet, dass es das Verbot der monetären Staatsfinanzierung durch die EZB bekräftigt.

    Werden diese Forderungen erfüllt, wird der „Markt“ dafür sorgen, dass sich einige Schuldenländer dazu durchringen, dringend erforderliche Reformen durchzuführen, andere werden sich darauf besinnen, um wie viel besser sie dastehen könnten, wenn sie zu ihrer eigenen Währung mit anpassungsfähigem Wechselkurs zurückkehren würden. In letzterem Fall wäre Hilfestellung notwendig, denn ein geordneter Prozess muss gewährleistet sein. Holger Steltzner weist mit Recht darauf hin, dass Deutschland diesen Prozess der Konsolidierung der Eurozone nicht anstoßen oder treiben darf, dies sollten kleinere Länder übernehmen. Deutschland kann dann ordnend und mildernd eine angemessenere Rolle spielen.

  • Ich mach' hier mal den Anfang: Wodurch sollte ein deutsches Mandat bei der Einigung Europas denn legitimiert sein? Durch seine relative Größe? Durch die geographische Lage? Durch den derzeitigen Boom?

    Die Forderung nach einer aktiven Rolle Berlins bei der Gestaltung eines demokratisch geeinten Europas aus historischer Verantwortung abzuleiten erscheint mir zwar plausibel, aber auch sehr optimistisch: In der Vergangenheit waren es eher andere Länder und nicht Deutschland, die Bedenken gegen eine weitergehende Integration vorgebracht haben. Und es würde problematisch: Die Angst vor deutscher Dominanz ist in den vergangenen Jahren bereits deutlich geworden – und wurde mitunter von sehr belesenen Menschen geäußert.

    Was die wirtschaftliche Potenz betrifft, bin ich voll und ganz bei Offe. Deutschland hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwei Billionen Euro ausgegeben, um Ostdeutschland zu entwickeln – einen überschaubaren Landstrich mit kleiner Bevölkerung. Alle Ansprüche an das Land, die Strukturkrise des gesamten Kontinents durch finanzielle Hilfestellung zu lösen, sind illusionär.

    Mit Blick auf die Politik kann Berlin allerdings durchaus mehr leisten: Für meine Begriffe muss es europäischer denken, muss moderieren, muss Teil einer neuen euroäischen Einigungsbewegung werden. Das Potenzial wäre vorhanden.

  • Berlin kann mit dem Hebel "Geld gegen Reformen" in Europa hoechstens uebergangsweise 'durchregieren' und sollte diese Rolle auch nicht dauerhaft wollen. Da finde ich mich eher bei Claus Offe wieder.

    Eine Hegemonie, die auf einem Glaeubiger-Schuldner-Verhaeltnis beruht, ist doch von Anfang an verhasst und undemokratisch.

    Schon jetzt zeigt sich das inhaerente Demokratieproblem: Frau Merkel muss sich in Portugal nicht fuer einen harten Reform- und Sparkurs (ab-)waehlen lassen, obwohl sie ihn entscheidend mitzuverantworten hat.

    Da kann man nur hoffen, dass die (implizite) Transfer-und Haftungsunion nur voruebergehend notwendig bleibt. Wenn sie sich verstetigt, muesste sie ganz neu organisiert und legitimiert werden.

    Dann muesste es etwa eine europaeische Regierung geben, die das 'europaeische' Geld verteilt und dabei vom europaeischen Parlament kontrolliert wird. Nur so gaebe es den geeigneten politischen Rahmen, um gemeinsam ueber den richtigen Reform-Kurs zu streiten (Links vs. Konsverativ, Gruen vs. Neoliberal etc....).

    Letzteres scheint mir wiederum als Ziel bei Angelo Bolaffi durchzuklingen, wenn er von der politischen, sozialen und ökonomischen Einheit Europas spricht. Ich kann aber nicht erkennen, dass Deutschland in diese Richtung 'fuehren' will, man hofft doch eher ohne grosse Integration aus der Krise zu kommen.