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    Thorsten · angelegt
     

    Warum sollte jemand über seine vergangenen Erfahrungen nicht reden. Allein diese Frage, ob es besser sei zu schweigen und damit zu verdrängen, ist typisch für die neue deutsche Geschichte und Haltung. Ein offener Austausch kommt nach meiner Erfahrung auch im Ausland wesentlich besser an, als dort mit einem kollektiv geprägten Schamgefühl aufzutreten.

    Weil dieses Thema direkt angesprochen wird, beschränke ich mich mal auf einige Erfahrungen, die ich dazu im Ausland gemacht habe. Mir ist es im Ausland immer wieder geschehen, dass ich von Einheimischen auf unterschiedliche Weise auf den zweiten Weltkrieg angesprochen wurde.

    Beispiele:

    1. In Schottland, auf der Party eines Bekannten, stürmte vor mehr als 25 Jahren plötzlich ein älterer Familienangehöriger in den Raum und feierte mir gegenüber, in deftigstem schottischen englisch, noch einmal den Sieg über Deutschland nach. Während einige junge Schotten beschämt den Kopf einzogen oder beruhigend Einfluss zu nehmen versuchten, trat ich auf ihn zu und erklärte ihm lächelnd, dass er wohl recht habe. Sportlich wie er auftrat, wirkte es fast so, als spreche der Veteran mehr von einem Fußballspiel als von einem Krieg mit zig Millionen Toten.

    2. Während eines langjährigen Aufenthaltes in Frankreich, wo ich Lot et Garonne auf dem Lande mit mehreren jungen Leuten, Franzosen und Iren, auf einer biologisch betriebenen Ziegen- und Schafsfarm arbeitete, ritt es meine französischen Freunde mitunter mir unterzujubeln, dass sie uns ja im zweiten Weltkrieg ganz schön „gefickt“ hätten. Einem der sich bei derartigen Aussagen besonders gerne hervortat, entgegnete ich irgendwann gelangweilt, dass der Vierzigtagefeldzug der Deutschen ja auch nicht gerade ein Ruhmesblatt für Frankreich darstellen könne. Ich rechnete jetzt mit heftigem Widerspruch, erntete jedoch nur ein augenzwinkerndes Grinsen. Wir verstanden uns gut waren auf einer Wellenlänge und es gefiel meinen Freunden viel besser, dass ich so reagierte anstatt mich fortwährend für die Vergangenheit zu entschuldigen. Anders herum hatte der Altbauer einer Nachbarfarm im Krieg freiwillig auf deutscher Seite gekämpft. Ich war für ihn der Deutsche. Er lud mich ein erzählte mir von seiner Vergangenheit auch in der Fremdenlegion, erwartete stets Zustimmung und konnte kaum verstehen wenn ich seine Aussagen nicht so unterstützen konnte wie er es gerne gehört hätte. Dennoch muss ich heute sagen, dass ich mich gerne mit diesem Mann unterhalten habe, auch weil er sich meine Ansichten angehört hat.

    Einmal verbrachte ich mit mehreren meiner jungen französischen Kollegen einen Urlaub in Nordafrika. Als wir einmal gerade dabei waren, vor einem kleinen ländlichen Restaurant, ein Hirsegericht zu essen, kam ein Junge zu uns an den Tisch und fragte wo wir herkämen. Er erfuhr, dass ich aus Deutschland kam und fragte mich in gebrochenem deutsch ob ich Hitler kenne, Hitler sei ein guter Mann. Ich wusste nicht wie ich mit der Situation umgehen sollte und zog es vor zu schweigen. Meine Freunde legten mir dies als arrogant aus. Einer sah mich an und sagte, der Junge redet mit dir. Ich erklärte ihm wo das Problem liegt und alles was folgte war ein einstimmiges, „Oh“. Keiner wusste wie dieses Thema am Besten aufzunehmen wäre.

    Mit deutschen Gräueltaten bin ich in dieser Zeit nur einmal konfrontiert worden. Der Großvater eines Freundes war Spanier und hatte im Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft, was ihn bis Kriegsende die Zwangsarbeit in Bergen Belsen eingebracht hatte. Er erzählte mir auf deutsch, dass er einen Tag vor der Befreiung noch 40 Kilo gewogen habe. Er wäre so lange dort gewesen und vielleicht liege es daran, dass man ihn nicht erschossen hätte, sondern ihn mit den Händen über dem Kopf angebunden hätte und ein Wächter erklärte, er erlebe den nächsten Tag sowieso nicht. Sein eiserner Überlebenswille habe ihn dennoch bis zur Befreiung durchhalten lassen. Er erzählte aus dieser Zeit seines Lebens ohne auch nur die Spur eines persönlichen Vorwurfes. Im Gegenteil er war voller Humor und wettete sofort nachdem er dies erzählt hatte mit mir um eine Flasche Wein, dass der Restinhalt einer auf dem Tisch stehenden Cognacflasche 16 Tropfen sei. Nachdem der Rest unter lautem Zählen der Anwesenden in ein Glas geleert war, zuletzt komödiantisch ausgewrungen, als wenn es sich um ein feuchtes Handtuch handele, ergaben sich leider nur 15 Tropfen.

    1. Zuletzt über eine langjährige Kollegen und Freundin, eine deutsche Jüdin deren Eltern das KZ überlebt haben. In ihrer Erzählung legt sie größten Wert darauf, dass ihr Vater immer Wert auf Versöhnung gelegt habe und auch ihr dies ans Herz gelegt habe. Sie lebt nach diesem Motto, besitzt jedoch null Toleranz wenn es um die Zeit und Episoden des „Dritten Reiches“ geht. Meine aktuelle Frage ob sie sich Sorgen um einen erstarkenden Antisemitismus in Europa mache, wehrt sie damit ab, dass dies aus ihrer Sicht noch nicht soweit sei. Andere aus der jüdischen Gemeinde bewerten die Situation anders, wobei die Hauptbedrohung aber nicht unbedingt von rechts gesehen wird.
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    Thorsten · angelegt
     

    Warum sollte jemand über seine vergangenen Erfahrungen nicht reden. Allein diese Frage, ob es besser sei zu schweigen und damit zu verdrängen, ist typisch für die neue deutsche Geschichte und Haltung. Ein offener Austausch kommt nach meiner Erfahrung auch im Ausland wesentlich besser an, als dort mit einem kollektiv geprägten Schamgefühl aufzutreten.

    Weil dieses Thema direkt angesprochen wird, beschränke ich mich mal auf einige Erfahrungen, die ich dazu im Ausland gemacht habe. Mir ist es im Ausland immer wieder geschehen, dass ich von Einheimischen auf unterschiedliche Weise auf den zweiten Weltkrieg angesprochen wurde.

    Beispiele:

    1. In Schottland, auf der Party eines Bekannten, stürmte vor mehr als 25 Jahren plötzlich ein älterer Familienangehöriger in den Raum und feierte mir gegenüber, in deftigstem schottischen englisch, noch einmal den Sieg über Deutschland nach. Während einige junge Schotten beschämt den Kopf einzogen oder beruhigend Einfluss zu nehmen versuchten, trat ich auf ihn zu und erklärte ihm lächelnd, dass er wohl recht habe. Sportlich wie er auftrat, wirkte es fast so, als spreche der Veteran mehr von einem Fußballspiel als von einem Krieg mit zig Millionen Toten.

    2. Während eines langjährigen Aufenthaltes in Frankreich, wo ich Lot et Garonne auf dem Lande mit mehreren jungen Leuten, Franzosen und Iren, auf einer biologisch betriebenen Ziegen- und Schafsfarm arbeitete, ritt es meine französischen Freunde mitunter mir unterzujubeln, dass sie uns ja im zweiten Weltkrieg ganz schön „gefickt“ hätten. Einem der sich bei derartigen Aussagen besonders gerne hervortat, entgegnete ich irgendwann gelangweilt, dass der Vierzigtagefeldzug der Deutschen ja auch nicht gerade ein Ruhmesblatt für Frankreich darstellen könne. Ich rechnete jetzt mit heftigem Widerspruch, erntete jedoch nur ein augenzwinkerndes Grinsen. Wir verstanden uns gut waren auf einer Wellenlänge und es gefiel meinen Freunden viel besser, dass ich so reagierte anstatt mich fortwährend für die Vergangenheit zu entschuldigen. Anders herum hatte der Altbauer einer Nachbarfarm im Krieg freiwillig auf deutscher Seite gekämpft. Ich war für ihn der Deutsche. Er lud mich ein erzählte mir von seiner Vergangenheit auch in der Fremdenlegion, erwartete stets Zustimmung und konnte kaum verstehen wenn ich seine Aussagen nicht so unterstützen konnte wie er es gerne gehört hätte. Dennoch muss ich heute sagen, dass ich mich gerne mit diesem Mann unterhalten habe, auch weil er sich meine Ansichten angehört hat.

    Einmal verbrachte ich mit mehreren meiner jungen französischen Kollegen einen Urlaub in Nordafrika. Als wir einmal gerade dabei waren, vor einem kleinen ländlichen Restaurant, ein Hirsegericht zu essen, kam ein Junge zu uns an den Tisch und fragte wo wir herkämen. Er erfuhr, dass ich aus Deutschland kam und fragte mich in gebrochenem deutsch ob ich Hitler kenne, Hitler sei ein guter Mann. Ich wusste nicht wie ich mit der Situation umgehen sollte und zog es vor zu schweigen. Meine Freunde legten mir dies als arrogant aus. Einer sah mich an und sagte, der Junge redet mit dir. Ich erklärte ihm wo das Problem liegt und alles was folgte war ein einstimmiges, „Oh“. Keiner wusste wie dieses Thema am Besten aufzunehmen wäre. Mit deutschen Gräueltaten bin ich in dieser Zeit nur einmal konfrontiert worden. Der Großvater eines Freundes war Spanier und hatte im Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft, was ihn bis Kriegsende die Zwangsarbeit in Bergen Belsen eingebracht hatte. Er erzählte mir auf deutsch, dass er einen Tag vor der Befreiung noch 40 Kilo gewogen habe. Er wäre so lange dort gewesen und vielleicht liege es daran, dass man ihn nicht erschossen hätte, sondern ihn mit den Händen über dem Kopf angebunden hätte und ein Wächter erklärte, er erlebe den nächsten Tag sowieso nicht. Sein eiserner Überlebenswille habe ihn dennoch bis zur Befreiung durchhalten lassen. Er erzählte aus dieser Zeit seines Lebens ohne auch nur die Spur eines persönlichen Vorwurfes. Im Gegenteil er war voller Humor und wettete sofort nachdem er dies erzählt hatte mit mir um eine Flasche Wein, dass der Restinhalt einer auf dem Tisch stehenden Cognacflasche 16 Tropfen sei. Nachdem der Rest unter lautem Zählen der Anwesenden in ein Glas geleert war, zuletzt komödiantisch ausgewrungen, als wenn es sich um ein feuchtes Handtuch handele, ergaben sich leider nur 15 Tropfen.

    1. Zuletzt über eine langjährige Kollegen und Freundin, eine deutsche Jüdin deren Eltern das KZ überlebt haben. In ihrer Erzählung legt sie größten Wert darauf, dass ihr Vater immer Wert auf Versöhnung gelegt habe und auch ihr dies ans Herz gelegt habe. Sie lebt nach diesem Motto, besitzt jedoch null Toleranz wenn es um die Zeit und Episoden des „Dritten Reiches“ geht. Meine aktuelle Frage ob sie sich Sorgen um einen erstarkenden Antisemitismus in Europa mache, wehrt sie damit ab, dass dies aus ihrer Sicht noch nicht soweit sei. Andere aus der jüdischen Gemeinde bewerten die Situation anders, wobei die Hauptbedrohung aber nicht unbedingt von rechts gesehen wird.