Kann die Generation der Kriegskinder über erlebtes Leid im Zweiten Weltkrieg und in der Zeit der Besatzung sprechen?
Februar 1945: Dresden liegt in Trümmern. Foto: dpa.
Wie erlebt ihr den Umgang mit der Vergangenheit von Kriegskindern in Deutschland? Das fragt die die Körber-Stiftung im Vorfeld eines europäischen Erinnerungstages in Berlin.
Ein Beitrag der Körber-Stiftung
Seit etwa zehn Jahren meldet sich in der Öffentlichkeit verstärkt die Generation der deutschen Kriegskinder zu Wort, die heute zwischen 65 und 85 Jahre alt sind. Diese Generation sieht sich auch als Opfer des Zweiten Weltkriegs. Das deutsche Leid zu thematisieren, ohne die deutsche Schuld zu relativieren – das ist immer wieder eine Gratwanderung. Das zeigte sich beispielsweise auch bei der Gedenkfeier an die Dresdner Bombennacht oder bei der Anerkennung des Leids der von den Alliierten vergewaltigten Frauen und ihrer Kinder.
Sollte die Generation der Kriegskinder heute ohne schlechtes Gewissen über ihre leidvollen Erlebnisse sprechen können? Das haben wir in einer Forsa-Umfrage 1.000 Personen gefragt. Die – für uns überraschende – Antwort: 89 Prozent der Befragten sind dafür, offen über das Leid der Kriegskinder zu sprechen. Nur jeder Fünfte denkt, dass es ein schlechtes Licht auf Deutschland werfen könnte. Zwei Drittel der Befragten meinen, dass das Sprechen über erlebtes Leid auf deutscher Seite heute von den europäischen Nachbarländern akzeptiert würde.
Welche Erfahrungen habt ihr im Gespräch über den Zweiten Weltkrieg mit Menschen aus anderen europäischen Ländern gesammelt? Wie erlebt ihr den Umgang mit der Vergangenheit von Kriegskindern in Deutschland?
Der Zweite Weltkrieg hat Europa in vielerlei Weise tiefgehend verändert. So hat er auch die Kindheit und Jugendzeit von Generationen geprägt, die mit Krieg, Völkermord, Besatzung, Flucht und Vertreibung aufgewachsen sind. 70 Jahre nach Kriegsende lädt die Körber-Stiftung am 4. Mai zusammen mit dem Deutschen Historischen Museum zu einem Erinnerungstag in Berlin ein. Die Veranstaltung nimmt besonders die europäische Dimension des Themas Kriegskinder in den Blick. Zu den Gesprächspartnern gehören die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, der Autor Arno Surminski und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Programm und Anmeldung, Der Eintritt ist frei.
Thorsten
Warum sollte jemand über seine vergangenen Erfahrungen nicht reden. Allein diese Frage, ob es besser sei zu schweigen und damit zu verdrängen, ist typisch für die neue deutsche Geschichte und Haltung. Ein offener Austausch kommt nach meiner Erfahrung auch im Ausland wesentlich besser an, als dort mit einem kollektiv geprägten Schamgefühl aufzutreten.
Weil dieses Thema direkt angesprochen wird, beschränke ich mich mal auf einige Erfahrungen, die ich dazu im Ausland gemacht habe. Mir ist es im Ausland immer wieder geschehen, dass ich von Einheimischen auf unterschiedliche Weise auf den zweiten Weltkrieg angesprochen wurde.
Beispiele:
In Schottland, auf der Party eines Bekannten, stürmte vor mehr als 25 Jahren plötzlich ein älterer Familienangehöriger in den Raum und feierte mir gegenüber, in deftigstem schottischen englisch, noch einmal den Sieg über Deutschland nach. Während einige junge Schotten beschämt den Kopf einzogen oder beruhigend Einfluss zu nehmen versuchten, trat ich auf ihn zu und erklärte ihm lächelnd, dass er wohl recht habe. Sportlich wie er auftrat, wirkte es fast so, als spreche der Veteran mehr von einem Fußballspiel als von einem Krieg mit zig Millionen Toten.
Während eines langjährigen Aufenthaltes in Frankreich, wo ich Lot et Garonne auf dem Lande mit mehreren jungen Leuten, Franzosen und Iren, auf einer biologisch betriebenen Ziegen- und Schafsfarm arbeitete, ritt es meine französischen Freunde mitunter mir unterzujubeln, dass sie uns ja im zweiten Weltkrieg ganz schön „gefickt“ hätten. Einem der sich bei derartigen Aussagen besonders gerne hervortat, entgegnete ich irgendwann gelangweilt, dass der Vierzigtagefeldzug der Deutschen ja auch nicht gerade ein Ruhmesblatt für Frankreich darstellen könne. Ich rechnete jetzt mit heftigem Widerspruch, erntete jedoch nur ein augenzwinkerndes Grinsen. Wir verstanden uns gut waren auf einer Wellenlänge und es gefiel meinen Freunden viel besser, dass ich so reagierte anstatt mich fortwährend für die Vergangenheit zu entschuldigen. Anders herum hatte der Altbauer einer Nachbarfarm im Krieg freiwillig auf deutscher Seite gekämpft. Ich war für ihn der Deutsche. Er lud mich ein erzählte mir von seiner Vergangenheit auch in der Fremdenlegion, erwartete stets Zustimmung und konnte kaum verstehen wenn ich seine Aussagen nicht so unterstützen konnte wie er es gerne gehört hätte. Dennoch muss ich heute sagen, dass ich mich gerne mit diesem Mann unterhalten habe, auch weil er sich meine Ansichten angehört hat.
Einmal verbrachte ich mit mehreren meiner jungen französischen Kollegen einen Urlaub in Nordafrika. Als wir einmal gerade dabei waren, vor einem kleinen ländlichen Restaurant, ein Hirsegericht zu essen, kam ein Junge zu uns an den Tisch und fragte wo wir herkämen. Er erfuhr, dass ich aus Deutschland kam und fragte mich in gebrochenem deutsch ob ich Hitler kenne, Hitler sei ein guter Mann. Ich wusste nicht wie ich mit der Situation umgehen sollte und zog es vor zu schweigen. Meine Freunde legten mir dies als arrogant aus. Einer sah mich an und sagte, der Junge redet mit dir. Ich erklärte ihm wo das Problem liegt und alles was folgte war ein einstimmiges, „Oh“. Keiner wusste wie dieses Thema am Besten aufzunehmen wäre.
Mit deutschen Gräueltaten bin ich in dieser Zeit nur einmal konfrontiert worden. Der Großvater eines Freundes war Spanier und hatte im Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft, was ihn bis Kriegsende die Zwangsarbeit in Bergen Belsen eingebracht hatte. Er erzählte mir auf deutsch, dass er einen Tag vor der Befreiung noch 40 Kilo gewogen habe. Er wäre so lange dort gewesen und vielleicht liege es daran, dass man ihn nicht erschossen hätte, sondern ihn mit den Händen über dem Kopf angebunden hätte und ein Wächter erklärte, er erlebe den nächsten Tag sowieso nicht. Sein eiserner Überlebenswille habe ihn dennoch bis zur Befreiung durchhalten lassen. Er erzählte aus dieser Zeit seines Lebens ohne auch nur die Spur eines persönlichen Vorwurfes. Im Gegenteil er war voller Humor und wettete sofort nachdem er dies erzählt hatte mit mir um eine Flasche Wein, dass der Restinhalt einer auf dem Tisch stehenden Cognacflasche 16 Tropfen sei. Nachdem der Rest unter lautem Zählen der Anwesenden in ein Glas geleert war, zuletzt komödiantisch ausgewrungen, als wenn es sich um ein feuchtes Handtuch handele, ergaben sich leider nur 15 Tropfen.