Die Schiefheiten in dieser neuesten Debatte regen mich wirklich auf, und zwar aus folgenden Gründen:

  1. Was will die Kommission? Laut eigenen Angaben meint sie auf Grundlage der bisherigen Rechtssprechung des EuGH, die Einzelfallprüfung von Hartz IV-Anträgen mobiler EU-Bürger sei notwendig, auch wenn die noch nie in Deutschland gearbeitet haben. Na und? Der EuGH muss das entscheiden, es ist nur eine juristische Einschätzung der Kommission.

  2. Selbst wenn der EuGH sagt, Einzelfallprüfungen sind notwendig. Dann gibts mehr Verwaltungsaufwand - wie die Prüfungen ausfallen ist damit noch überhaupt nicht gesagt. Und: Dann kann Deutschland den Betreffenden immer noch den weiteren Aufenthalt verweigern, eben weil sie dem Sozialstaat zur Last fallen (Freizügigkeitsrichtlinie). Das heißt, die Betroffenen bekommen im "schlimmsten" Fall einen Hartz IV-Anspruch zugesprochen und müssen deshalb gehen.

  3. Was macht die Presse (von der SZ bis zur FAZ bis SPON) daraus? Sie titelt "Brüssel fordert Hartz IV auch für arbeitslose Ausländer". Das ist einfach falsch. Es basiert auf einer irreführenden Zuspitzung der Süddeutschen Zeitung, die von den Agenturen und vielen anderen ungeprüft übernommen wurde.

  4. Und jetzt kommt die CSU. Ihre ganze Debatte ist von Zahlen, Daten Fakten nicht gedeckt, die deutsche Anti-Zuwanderer/Roma-Stimmmung hat sie völlig überschätzt. Sie fühlt sich düpiert, man wollte es doch der AFD und der SPD auf einmal zeigen. Also drischt sie ausser Rand und Band auf die EU-Kommission ein. Zitate Andreas Scheuer (Generalsekretär): "Die nationalen sozialen Sicherungssysteme sind kein Selbstbedienungsladen für alle Europäer, die zu uns kommen" / "Es ist für mich schockierend, wie die EU-Kommission leichtfertig die nationalen Sicherungssysteme damit torpediert." / Die Stellungnahme der Kommission sei "fatal" und "eurokratischer Wahnsinn" / "Wenn Beamte in der EU-Kommission in Brüssel in ihren De-Luxe-Büros auf unsere nationalen sozialen Sicherungssysteme eingreifen wollen, dann wird es den erbitterten Widerstand der CSU geben" /

Erbitterter Widerstand? Tut mir leid, aber ist das angesichts der Fakten nicht ein wenig, ganz leicht, slightly übertrieben?

Man darf und muss die Kommission oft kritisieren. Aber sie ist nun mal Hüterin der Verträge und macht in diesem Fall nur ihre Arbeit. Entscheidend bleiben der EuGH und der deutsche Gesetzgeber.

Und ich will nicht, dass eine derart wahlkampftaktische Anti-"Brüssel"-Kampagne wider besseren Wissens in Deutschland hoffähig wird. Sonst haben wir bald britische Verhältnisse, und verdrehen uns unser gehasstes Europa zurecht. Und schließlich, man muss das bei Politikern wie Herrn Scheuer ja noch mal eigens schreiben, Deutschland, auch Bayern, hat dieser ganzen EU-Gesetzgebung zugestimmt, in der es jetzt lösbare Unsicherheiten gibt.