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    Alexander Wragge · angelegt
     

    Lieber MisterEde, danke für den Anstoß! Die Lage ist sehr unübersichtlich, ich würde gerne nur ein paar Punkte machen. Was ich mir wünsche ist...

    Eine europäische Perspektive

    Sie hat sehr gelitten in den letzten Monaten. Wäre es möglich, die Politik der EU-Institutionen wieder in den Vordergrund zu rücken? Also was tut die EU-Kommission in Punkto Asylverfahren, Integration, Investitions-Offensive, soziales Europa und so weiter und so fort? Wir konzentrieren uns gerade so sehr auf die Mitgliedsstaaten (was macht Deutschland? was macht Ungarn? Was macht Großbritannien?), dabei haben wir ja längst gesamteuropäische Aktuere und Mechanismen etabliert. Neulich lobte eine österreichischer Politiker die Arbeit der Kommission, und es fiel mir extrem auf, weil so etwas so ungeheuer selten vorkommt. Unsere EU-Institutionen haben normalerweise keine "Hausmacht", kein Backing in der nationalen Öffentichkeit. Sie wirken etwas wie "vaterlandslose Gesellen", die da recht unnahbar und europäisch in Brüssel rumturnen, heimatlos quasi. Und sie können eigentlich machen was sie wollen, am Ende machen sie es falsch, so mein Eindruck.

    Ich will auch gar kein unkritisches Verhältnis zur Arbeit des Europaparlaments und der EU-Kommission, im Gegenteil. aber was ich mir wünschen würde, ist ihre viel tiefere Verwurzelung in unserem politischen Denken. Sie sind unsere Institutionen, unsere politischen Dienstleister im Sinne des europäischen Gemeinwohls. Wir könnten uns viel mehr mit ihnen identifizieren (um ihre Arbeit dann kritisch zu bewerten, unsere Ansprüche an sie geltend zu machen). Die ganze Debatte hat sich meines Erachtens in letzter Zeit stark re-nationalisiert, was sehr schade ist.

    Der Umbau der Euro-Zone

    Es gibt natürlich schöne Träume von großen Integrationsschritten (europäische Republik, transnationale Wahlen, europäische Arbeitslosenversicherung usw...). Die Europa-Bubble träumt sie vor sich hin, aber ansonsten interessiert das niemanden, so mein Eindruck. ABER, glaubt man Henrik Enderlein so geht es bei der Reform der Eurozone nicht um Europa-Romantik, sondern um puren Pragmatismus, um's Überleben. Man konnte glauben, die Eurokrise habe sich irgendwie still und leise selbst gelöst, aber dem ist offenbar nicht so. Die EZB hat uns einfach immer wieder Zeit erkauft und so langsam ihr ganzes Pulver verballert (obwohl manche noch von Negativ-Zinsen und helicopter money fabulieren).

    Ich frage mich wirklich, wann hier eine ehrliche und sachliche Euro-Integrations-Debatte mit den BürgerInnen geführt werden soll. Hat sich das Zeitfenster nicht schon wieder geschlossen, weil die Union, speziell die CSU, zur AfD schielend bis zur letzten Patrone gegen jeden notwendigen Integrations-Schritt schießen wird bzw. muss? Das Timing ist schon wieder miserabel. Jetzt stehen schon wieder die Bundestagswahl und die Präsdentschaftswahlen in Frankreich 2017 vor der Tür. Wann bitte kann sachlich über die Zukunft der Eurozone diskutiert werden? Erst nach den Wahlen? Und was wenn dann AfD und Front National die Spielräume europäisch progressiver Politik extrem verengt haben? Es ist auch riskant, immer länger zu warten und zu warten und zu warten.

    Retten, was zu retten ist?"

    Deine Frage nach dem Europa der zwei Geschwindigkeiten würde ich erst nach der Brexit-Entscheidung beantworten. Es gibt ja die Hoffnung, dass ohne Großbritannien als Klotz am Bein, als fünftes Rad am Wagen, mehr europäische Integration möglich wäre. So schreibt Jon Worth:

    Why not (...) let the UK leave, go through the pain of negotiating a trade deal to give them the trade they say they want with the EU, but then with the UK outside restart the advancement of a more political union?

    Ich halte das für reichlich optimistisch. Ein Brexit kann auch das Gegenteil eines Neustarts für die "Politische Union" bewirken. Konservative und rechte Kräfte könnten argumentieren: 'seht her, schon diese EU ist so schlimm, dass die Briten ausgetreten sind, lasst sie uns zurückbauen zum losen Staatenbund!'.

    Auf diese Debatte müssen die EuropäerInnen vorbereitet sein. Ein "Jetzt erst recht" wird nicht einfach zu vermitteln sein. Da braucht es eine starke, überzeugende, europäische Erzählung, die ich bislang nirgendwo erkennen kann. Es müsste eine echte "Gründerstimmung" ausbrechen, die Lust, Europa neuzubauen. Doch wenn ich mir das verantwortliche Personal so anschaue (Merkel, Hollande etc.), wäre ich froh, wenn sie im Fall eines Brexits wenigstens die bisherige EU vor einem Rückbau retten - unter dem massiven Druck der reaktionären, nationalistischen Kräfte. retten.

    Wenn die Briten drin bleiben - da gebe ich Jon Worth Recht - wird die Sache auch nicht einfacher.

    Also generell frage ich mich, ob wir zu Beginn dieses 21. Jahrhundert echte Gestaltungskraft für die EU und die Eurozone entwickeln können, ob das in diesem System überhaupt möglich ist. Oder ob immer nur gefrickelt und repariert werden kann.

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    Alexander Wragge · angelegt
     

    Lieber MisterEde, danke für den Anstoß! Die Lage ist sehr unübersichtlich, ich würde gerne nur ein paar Punkte machen. Was ich mir wünsche ist...

    Eine europäische Perspektive

    Sie hat sehr gelitten in den letzten Monaten. Wäre es möglich, die Politik der EU-Institutionen wieder in den Vordergrund zu rücken? Also was tut die EU-Kommission in Punkto Asylverfahren, Integration, Investitions-Offensive, soziales Europa und so weiter und so fort? Wir konzentrieren uns gerade so sehr auf die Mitgliedsstaaten (was macht Deutschland? was macht Ungarn? Was macht Großbritannien?), dabei haben wir ja längst gesamteuropäische Aktuere und Mechanismen etabliert. Neulich lobte eine österreichischer Politiker die Arbeit der Kommission, und es fiel mir extrem auf, weil so etwas so ungeheuer selten vorkommt. Unsere EU-Institutionen haben normalerweise keine "Hausmacht", kein Backing in der nationalen Öffentichkeit. Sie wirken etwas wie "vaterlandslose Gesellen", die da recht unnahbar und europäisch in Brüssel rumturnen, heimatlos quasi. Und sie können eigentlich machen was sie wollen, am Ende machen sie es falsch, so mein Eindruck.

    Ich will auch gar kein unkritisches Verhältnis zur Arbeit des Europaparlaments und der EU-Kommission, im Gegenteil. aber was ich mir wünschen würde, ist ihre viel tiefere Verwurzelung in unserem politischen Denken. Sie sind unsere Institutionen, unsere politischen Dienstleister im Sinne des europäischen Gemeinwohls. Wir könnten uns viel mehr mit ihnen identifizieren (um ihre Arbeit dann kritisch zu bewerten, unsere Ansprüche an sie geltend zu machen). Die ganze Debatte hat sich meines Erachtens in letzter Zeit stark re-nationalisiert, was sehr schade ist.

    Der Umbau der Euro-Zone

    Es gibt natürlich schöne Träume von großen Integrationsschritten (europäische Republik, transnationale Wahlen, europäische Arbeitslosenversicherung usw...). Die Europa-Bubble träumt sie vor sich hin, aber ansonsten interessiert das niemanden, so mein Eindruck. ABER, glaubt man Henrik Enderlein so geht es bei der Reform der Eurozone nicht um Europa-Romantik, sondern um puren Pragmatismus, um's Überleben. Man konnte glauben, die Eurokrise habe sich irgendwie still und leise selbst gelöst, aber dem ist offenbar nicht so. Die EZB hat uns einfach immer wieder Zeit erkauft und so langsam ihr ganzes Pulver verballert (obwohl manche noch von Negativ-Zinsen und helicopter money fabulieren).

    Ich frage mich wirklich, wann hier eine ehrliche und sachliche Euro-Integrations-Debatte mit den BürgerInnen geführt werden soll. Hat sich das Zeitfenster nicht schon wieder geschlossen, weil die Union, speziell die CSU, zur AfD schielend bis zur letzten Patrone gegen jeden notwendigen Integrations-Schritt schießen wird bzw. muss? Das Timing ist schon wieder miserabel. Jetzt stehen schon wieder die Bundestagswahl und die Präsdentschaftswahlen in Frankreich 2017 vor der Tür. Wann bitte kann sachlich über die Zukunft der Eurozone diskutiert werden? Erst nach den Wahlen? Und was wenn dann AfD und Front National die Spielräume europäisch progressiver Politik extrem verengt haben? Es ist auch riskant, immer länger zu warten und zu warten und zu warten.

    Retten, **Retten, was zu retten ist?"

    Deine Frage nach dem Europa der zwei Geschwindigkeiten würde ich erst nach der Brexit-Entscheidung beantworten. Es gibt ja die Hoffnung, dass ohne Großbritannien als Klotz am Bein, als fünftes Rad am Wagen, mehr europäische Integration möglich wäre. So schreibt Jon Worth:

    Why not (...) let the UK leave, go through the pain of negotiating a trade deal to give them the trade they say they want with the EU, but then with the UK outside restart the advancement of a more political union?

    Ich halte das für reichlich optimistisch. Ein Brexit kann auch das Gegenteil eines Neustarts für die "Politische Union" bewirken. Konservative und rechte Kräfte könnten argumentieren: 'seht her, schon diese EU ist so schlimm, dass die Briten ausgetreten sind, lasst sie uns zurückbauen zum losen Staatenbund!'.

    Auf diese Debatte müssen die EuropäerInnen vorbereitet sein. Ein "Jetzt "jetzt erst recht" wird nicht einfach zu vermitteln sein. Da braucht es eine starke, überzeugende, europäische Erzählung, die ich bislang nirgendwo erkennen kann. Es müsste eine echte "Gründerstimmung" ausbrechen, die Lust, Europa neuzubauen. Doch wenn ich mir das verantwortliche Personal so anschaue (Merkel, Hollande etc.), wäre ich froh, wenn sie im Fall eines Brexits wenigstens die bisherige EU vor einem Rückbau retten.

    Wenn die Briten drin bleiben - bleiben, da gebe ich Jon Worth Recht - recht, wird die Sache auch nicht einfacher.

    Also generell zusammen gefasst frage ich mich, ob wir zu Beginn dieses 21. Jahrhundert echte Gestaltungskraft für die EU und die Eurozone überhaupt noch mal echte Gestaltungskraft entwickeln können, ob das in diesem System überhaupt möglich ist. Oder ob immer nur gefrickelt und repariert werden kann. kann, dass es gerade so läuft.

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    Eine europäische Perspektive

    Sie hat sehr gelitten in den letzten Monaten. Wäre es möglich, die Politik der EU-Institutionen wieder in den Vordergrund zu rücken? Also was tut die EU-Kommission in Punkto Asylverfahren, Integration, Investitions-Offensive, soziales Europa und so weiter und so fort? Wir konzentrieren uns gerade so sehr auf die Mitgliedsstaaten (was macht Deutschland? was macht Ungarn? Was macht Großbritannien?), dabei haben wir ja längst gesamteuropäische Aktuere und Mechanismen etabliert. Neulich lobte eine österreichischer Politiker die Arbeit der Kommission, und es fiel mir extrem auf, weil so etwas so ungeheuer selten vorkommt. Unsere EU-Institutionen haben normalerweise keine "Hausmacht", kein Backing in der nationalen Öffentichkeit. Sie wirken etwas wie "vaterlandslose Gesellen", die da recht unnahbar und europäisch in Brüssel rumturnen, heimatlos quasi. Und sie können eigentlich machen was sie wollen, am Ende machen sie es falsch, so mein Eindruck.

    Ich will auch gar kein unkritisches Verhältnis zur Arbeit des Europaparlaments und der EU-Kommission, im Gegenteil. aber was ich mir wünschen würde, ist ihre viel tiefere Verwurzelung in unserem politischen Denken. Sie sind unsere Institutionen, unsere politischen Dienstleister im Sinne des europäischen Gemeinwohls. Wir könnten uns viel mehr mit ihnen identifizieren (um ihre Arbeit dann kritisch zu bewerten, unsere Ansprüche an sie geltend zu machen). Die ganze Debatte hat sich meines Erachtens in letzter Zeit stark re-nationalisiert, was sehr schade ist.

    Der Umbau der Euro-Zone

    Es gibt natürlich schöne Träume von großen Integrationsschritten (europäische Republik, transnationale Wahlen, europäische Arbeitslosenversicherung usw...). Die Europa-Bubble träumt sie vor sich hin, aber ansonsten interessiert das niemanden, so mein Eindruck. ABER, glaubt man Henrik Enderlein so geht es bei der Reform der Eurozone nicht um Europa-Romantik, sondern um puren Pragmatismus, um's Überleben. Man konnte glauben, die Eurokrise habe sich irgendwie still und leise selbst gelöst, aber dem ist offenbar nicht so. Die EZB hat uns einfach immer wieder Zeit erkauft und so langsam ihr ganzes Pulver verballert (obwohl manche noch von Negativ-Zinsen und helicopter money fabulieren).

    Ich frage mich wirklich, wann hier eine ehrliche und sachliche Euro-Integrations-Debatte mit den BürgerInnen geführt werden soll. Hat sich das Zeitfenster nicht schon wieder geschlossen, weil die Union, speziell die CSU, CSU zur AfD schielend bis zur letzten Patrone gegen jeden notwendigen Integrations-Schritt schießen wird bzw. muss? wird? Das Timing ist schon wieder miserabel. Jetzt stehen schon wieder die Bundestagswahl und die Präsdentschaftswahlen in Frankreich 2017 vor der Tür. Wann bitte kann sachlich über die Zukunft der Eurozone diskutiert werden? Erst nach den Wahlen? Und was wenn dann AfD und Front National die Spielräume europäisch progressiver Politik extrem verengt haben? Es ist auch riskant, immer länger zu warten und zu warten und zu warten.

    **Retten, was zu retten ist?"

    Deine Frage nach dem Europa der zwei Geschwindigkeiten würde ich erst nach der Brexit-Entscheidung beantworten. Es gibt ja die Hoffnung, dass ohne Großbritannien als Klotz am Bein, als fünftes Rad am Wagen, mehr europäische Integration möglich wäre. So schreibt Jon Worth:

    Why not (...) let the UK leave, go through the pain of negotiating a trade deal to give them the trade they say they want with the EU, but then with the UK outside restart the advancement of a more political union?

    Ich halte das für reichlich optimistisch. Ein Brexit kann auch das Gegenteil eines Neustarts für die "Politische Union" bewirken. Konservative und rechte Kräfte könnten argumentieren: 'seht her, schon diese EU ist so schlimm, dass die Briten ausgetreten sind, lasst sie uns zurückbauen zum losen Staatenbund!'.

    Auf diese Debatte müssen die EuropäerInnen vorbereitet sein. Ein "jetzt erst recht" wird nicht einfach zu vermitteln sein. Da braucht es eine starke, überzeugende, europäische Erzählung, die ich bislang nirgendwo erkennen kann. Es müsste eine echte "Gründerstimmung" ausbrechen, die Lust, Europa neuzubauen. Doch wenn ich mir das verantwortliche Personal so anschaue (Merkel, Hollande etc.), wäre ich froh, wenn sie im Fall eines Brexits wenigstens die bisherige EU vor einem Rückbau retten.

    Wenn die Briten drin bleiben, da gebe ich Jon Worth recht, wird die Sache auch nicht einfacher.

    Also zusammen gefasst frage ich mich, ob wir zu Beginn dieses 21. Jahrhundert überhaupt noch mal echte Gestaltungskraft entwickeln können, ob das in diesem System überhaupt möglich ist. Oder ob immer nur gefrickelt und repariert werden kann, dass es gerade so läuft.

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    Lieber MisterEde, danke für den Anstoß! Die Lage ist sehr unübersichtlich, ich würde gerne nur ein paar Punkte machen. Was ich mir wünsche ist...

    Eine europäische Perspektive

    Sie hat sehr gelitten in den letzten Monaten. Wäre es möglich, die Politik der EU-Institutionen wieder in den Vordergrund zu rücken? Also was tut die EU-Kommission in Punkto Asylverfahren, Integration, Investitions-Offensive, soziales Europa und so weiter und so fort? Wir konzentrieren uns gerade so sehr auf die Mitgliedsstaaten (was macht Deutschland? was macht Ungarn? Was macht Großbritannien?), dabei haben wir ja längst gesamteuropäische Aktuere und Mechanismen etabliert. Neulich lobte eine österreichischer Politiker die Arbeit der Kommission, und es fiel mir extrem auf, weil so etwas so ungeheuer selten vorkommt. Unsere EU-Institutionen haben normalerweise keine "Hausmacht", kein Backing in der nationalen Öffentichkeit. Sie wirken etwas wie "vaterlandslose Gesellen", die da recht unnahbar und europäisch in Brüssel rumturnen, heimatlos quasi. Und sie können eigentlich machen was sie wollen, am Ende machen sie es falsch, so mein Eindruck.

    Ich will auch gar kein unkritisches Verhältnis zur Arbeit des Europaparlaments und der EU-Kommission, im Gegenteil. aber was ich mir wünschen würde, ist ihre viel tiefere Verwurzelung in unserem politischen Denken. Sie sind unsere Institutionen, unsere politischen Dienstleister im Sinne des europäischen Gemeinwohls. Wir könnten uns viel mehr mit ihnen identifizieren (um ihre Arbeit dann kritisch zu bewerten, unsere Ansprüche an sie geltend zu machen). Die ganze Debatte hat sich meines Erachtens in letzter Zeit stark re-nationalisiert, was sehr schade ist.

    Der Umbau der Euro-Zone

    Es gibt natürlich schöne Träume von großen Integrationsschritten (europäische Republik, transnationale Wahlen, europäische Arbeitslosenversicherung usw...). Die Europa-Bubble träumt sie vor sich hin, aber ansonsten interessiert das niemanden, so mein Eindruck. ABER, glaubt man Henrik Enderlein so geht es bei der Reform der Eurozone nicht um Europa-Romantik, sondern um puren Pragmatismus, um's Überleben. Man konnte glauben, die Eurokrise habe das Problem hat sich irgendwie still und leise selbst gelöst, aber dem ist offenbar nicht so. Die EZB hat uns einfach immer wieder Zeit erkauft und so langsam ihr ganzes Pulver verballert (obwohl manche noch von Negativ-Zinsen und helicopter money fabulieren).

    Ich frage mich wirklich, wann hier eine ehrliche und sachliche Euro-Integrations-Debatte mit den BürgerInnen geführt werden soll. Hat sich das Zeitfenster nicht schon wieder geschlossen, weil die Union, speziell die CSU zur AfD schielend bis zur letzten Patrone gegen jeden notwendigen Integrations-Schritt schießen wird? Das Timing ist schon wieder miserabel. Jetzt stehen schon wieder die Bundestagswahl und die Präsdentschaftswahlen in Frankreich 2017 vor der Tür. Wann bitte kann sachlich über die Zukunft der Eurozone diskutiert werden? Erst nach den Wahlen? Und was wenn dann AfD und Front National die Spielräume europäisch progressiver Politik extrem verengt haben? Es ist auch riskant, immer länger zu warten und zu warten und zu warten.

    **Retten, was zu retten ist?"

    Deine Frage nach dem Europa der zwei Geschwindigkeiten würde ich erst nach der Brexit-Entscheidung beantworten. Es gibt ja die Hoffnung, dass ohne Großbritannien als Klotz am Bein, als fünftes Rad am Wagen, mehr europäische Integration möglich wäre. So schreibt Jon Worth:

    Why not (...) let the UK leave, go through the pain of negotiating a trade deal to give them the trade they say they want with the EU, but then with the UK outside restart the advancement of a more political union?

    Ich halte das für reichlich optimistisch. Ein Brexit kann auch das Gegenteil eines Neustarts für die "Politische Union" bewirken. Konservative und rechte Kräfte könnten argumentieren: 'seht her, schon diese EU ist so schlimm, dass die Briten ausgetreten sind, lasst sie uns zurückbauen zum losen Staatenbund!'.

    Auf diese Debatte müssen die EuropäerInnen vorbereitet sein. Ein "jetzt erst recht" wird nicht einfach zu vermitteln sein. Da braucht es eine starke, überzeugende, europäische Erzählung, die ich bislang nirgendwo erkennen kann. Es müsste eine echte "Gründerstimmung" ausbrechen, die Lust, Europa neuzubauen. Doch wenn ich mir das verantwortliche Personal so anschaue (Merkel, Hollande etc.), wäre ich froh, wenn sie im Fall eines Brexits wenigstens die bisherige EU vor einem Rückbau retten.

    Wenn die Briten drin bleiben, da gebe ich Jon Worth recht, wird die Sache auch nicht einfacher.

    Also zusammen gefasst frage ich mich, ob wir zu Beginn dieses 21. Jahrhundert überhaupt noch mal echte Gestaltungskraft entwickeln können, ob das in diesem System überhaupt möglich ist. Oder ob immer nur gefrickelt und repariert werden kann, dass es gerade so läuft.

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    Lieber MisterEde, danke für den Anstoß! Die Lage ist sehr unübersichtlich, ich würde gerne nur ein paar Punkte machen. Was ich mir wünsche ist...

    Eine europäische Perspektive

    Sie hat sehr gelitten in den letzten Monaten. Wäre es möglich, die Politik der EU-Institutionen wieder in den Vordergrund zu rücken? Also was tut die EU-Kommission in Punkto Asylverfahren, Integration, Investitions-Offensive, soziales Europa und so weiter und so fort? Wir konzentrieren uns gerade so sehr auf die Mitgliedsstaaten (was macht Deutschland? was macht Ungarn? Was macht Großbritannien?), dabei haben wir ja längst gesamteuropäische Aktuere und Mechanismen etabliert. Neulich lobte eine österreichischer Politiker die Arbeit der Kommission, und es fiel mir extrem auf, weil so etwas so ungeheuer selten vorkommt. Unsere EU-Institutionen haben normalerweise keine "Hausmacht", kein Backing in der nationalen Öffentichkeit. Sie wirken etwas wie "vaterlandslose Gesellen", die da recht unnahbar und europäisch in Brüssel rumturnen, heimatlos quasi. Und sie können eigentlich machen was sie wollen, am Ende machen sie es falsch, so mein Eindruck.

    Ich will auch gar kein unkritisches Verhältnis zur Arbeit des Europaparlaments und der EU-Kommission, im Gegenteil. aber was ich mir wünschen würde, ist ihre viel tiefere Verwurzelung in unserem politischen Denken. Sie sind unsere Institutionen, unsere politischen Dienstleister im Sinne des europäischen Gemeinwohls. Wir könnten uns viel mehr mit ihnen identifizieren (um ihre Arbeit dann kritisch zu bewerten, unsere Ansprüche an sie geltend zu machen). Die ganze Debatte hat sich meines Erachtens in letzter Zeit stark extrem re-nationalisiert, was sehr schade ist.

    Der Umbau der Euro-Zone

    Es gibt natürlich schöne Träume von großen Integrationsschritten (europäische Republik, transnationale Wahlen, europäische Arbeitslosenversicherung usw...). Die Europa-Bubble träumt sie vor sich hin, aber ansonsten interessiert das niemanden, so mein Eindruck. ABER, glaubt man Henrik Enderlein so geht es bei der Reform der Eurozone nicht um Europa-Romantik, sondern um puren Pragmatismus, um's Überleben. Man konnte glauben, das Problem hat sich irgendwie still und leise selbst gelöst, aber dem ist offenbar nicht so. Die EZB hat uns einfach immer wieder Zeit erkauft und so langsam ihr ganzes Pulver verballert (obwohl manche noch von Negativ-Zinsen und helicopter money fabulieren).

    Ich frage mich wirklich, wann hier eine ehrliche und sachliche Euro-Integrations-Debatte mit den BürgerInnen geführt werden soll. Hat sich das Zeitfenster nicht schon wieder geschlossen, weil die Union, speziell die CSU zur AfD schielend bis zur letzten Patrone gegen jeden notwendigen Integrations-Schritt schießen wird? Das Timing ist schon wieder miserabel. Jetzt stehen schon wieder die Bundestagswahl und die Präsdentschaftswahlen in Frankreich 2017 vor der Tür. Wann bitte kann sachlich über die Zukunft der Eurozone diskutiert werden? Erst nach den Wahlen? Und was wenn dann AfD und Front National die Spielräume europäisch progressiver Politik extrem verengt haben? Es ist auch riskant, immer länger zu warten und zu warten und zu warten.

    **Retten, was zu retten ist?"

    Deine Frage nach dem Europa der zwei Geschwindigkeiten würde ich erst nach der Brexit-Entscheidung beantworten. Es gibt ja die Hoffnung, dass ohne Großbritannien als Klotz am Bein, als fünftes Rad am Wagen, mehr europäische Integration möglich wäre. So schreibt Jon Worth:

    Why not (...) let the UK leave, go through the pain of negotiating a trade deal to give them the trade they say they want with the EU, but then with the UK outside restart the advancement of a more political union?

    Ich halte das für reichlich optimistisch. Ein Brexit kann auch das Gegenteil eines Neustarts für die "Politische Union" bewirken. Konservative und rechte Kräfte könnten argumentieren: 'seht her, schon diese EU ist so schlimm, dass die Briten ausgetreten sind, lasst sie uns zurückbauen zum losen Staatenbund!'.

    Auf diese Debatte müssen die EuropäerInnen vorbereitet sein. Ein "jetzt erst recht" wird nicht einfach zu vermitteln sein. Da braucht es eine starke, überzeugende, europäische Erzählung, die ich bislang nirgendwo erkennen kann. Es müsste eine echte "Gründerstimmung" ausbrechen, die Lust, Europa neuzubauen. Doch wenn ich mir das verantwortliche Personal so anschaue (Merkel, Hollande etc.), wäre ich froh, wenn sie im Fall eines Brexits wenigstens die bisherige EU vor einem Rückbau retten.

    Wenn die Briten drin bleiben, da gebe ich Jon Worth recht, wird die Sache auch nicht einfacher.

    Also zusammen gefasst frage ich mich, ob wir zu Beginn dieses 21. Jahrhundert überhaupt noch mal echte Gestaltungskraft entwickeln können, ob das in diesem System überhaupt möglich ist. Oder ob immer nur gefrickelt und repariert werden kann, dass es gerade so läuft.

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    Lieber MisterEde, danke für den Anstoß! Die Lage ist sehr unübersichtlich, ich würde gerne nur ein paar Punkte machen. Was ich mir wünsche ist...

    Eine europäische Perspektive

    Sie hat sehr gelitten in den letzten Monaten. Wäre es möglich, die Politik der EU-Institutionen wieder in den Vordergrund zu rücken? Also was tut die EU-Kommission in Punkto Asylverfahren, Integration, Investitions-Offensive, soziales Europa und so weiter und so fort? Wir konzentrieren uns gerade so sehr auf die Mitgliedsstaaten (was macht Deutschland? was macht Ungarn? Was macht Großbritannien?), dabei haben wir ja längst gesamteuropäische Aktuere und Mechanismen etabliert. Neulich lobte eine österreichischer Politiker die Arbeit der Kommission, und es fiel mir extrem auf, weil so etwas so ungeheuer selten vorkommt. Unsere EU-Institutionen haben normalerweise keine "Hausmacht", kein Backing in der nationalen Öffentichkeit. Sie wirken etwas wie "vaterlandslose Gesellen", die da recht unnahbar und europäisch in Brüssel rumturnen, heimatlos quasi. Und sie können eigentlich machen was sie wollen, am Ende machen sie es falsch, so mein Eindruck.

    Ich will auch gar kein unkritisches Verhältnis zur Arbeit des Europaparlaments und der EU-Kommission, im Gegenteil. aber was ich mir wünschen würde, ist ihre viel tiefere Verwurzelung in unserem politischen Denken. Sie sind unsere Institutionen, unsere politischen Dienstleister Diensleister für uns EuropäerInnen, unterwegs im Sinne des europäischen Gemeinwohls. Wir könnten uns viel mehr mit ihnen identifizieren (um ihre Arbeit dann kritisch zu bewerten, unsere Ansprüche an sie geltend zu machen). Die ganze Debatte hat sich meines Erachtens in letzter Zeit extrem re-nationalisiert, was sehr schade ist.

    Der Umbau der Euro-Zone

    Es gibt natürlich schöne Träume von großen Integrationsschritten (europäische Republik, transnationale Wahlen, europäische Arbeitslosenversicherung usw...). Die Europa-Bubble träumt sie vor sich hin, aber ansonsten interessiert das niemanden, so mein Eindruck. ABER, glaubt man Henrik Enderlein so geht es bei der Reform der Eurozone nicht um Europa-Romantik, sondern um puren Pragmatismus, um's Überleben. Man konnte glauben, das Problem hat sich irgendwie still und leise selbst gelöst, aber dem ist offenbar nicht so. Die EZB hat uns einfach immer wieder Zeit erkauft und so langsam ihr ganzes Pulver verballert (obwohl manche noch von Negativ-Zinsen und helicopter money fabulieren).

    Ich frage mich wirklich, wann hier eine ehrliche und sachliche Euro-Integrations-Debatte mit den BürgerInnen geführt werden soll. Hat sich das Zeitfenster nicht schon wieder geschlossen, weil die Union, speziell die CSU zur AfD schielend bis zur letzten Patrone gegen jeden notwendigen Integrations-Schritt schießen wird? Das Timing ist schon wieder miserabel. Jetzt stehen schon wieder die Bundestagswahl und die Präsdentschaftswahlen in Frankreich 2017 vor der Tür. Wann bitte kann sachlich über die Zukunft der Eurozone diskutiert werden? Erst nach den Wahlen? Und was wenn dann AfD und Front National die Spielräume europäisch progressiver Politik extrem verengt haben? Es ist auch riskant, immer länger zu warten und zu warten und zu warten.

    **Retten, was zu retten ist?"

    Deine Frage nach dem Europa der zwei Geschwindigkeiten würde ich erst nach der Brexit-Entscheidung beantworten. Es gibt ja die Hoffnung, dass ohne Großbritannien als Klotz am Bein, als fünftes Rad am Wagen, mehr europäische Integration möglich wäre. So schreibt Jon Worth:

    Why not (...) let the UK leave, go through the pain of negotiating a trade deal to give them the trade they say they want with the EU, but then with the UK outside restart the advancement of a more political union?

    Ich halte das für reichlich optimistisch. Ein Brexit kann auch das Gegenteil eines Neustarts für die "Politische Union" bewirken. Konservative und rechte Kräfte könnten argumentieren: 'seht her, schon diese EU ist so schlimm, dass die Briten ausgetreten sind, lasst sie uns zurückbauen zum losen Staatenbund!'.

    Auf diese Debatte müssen die EuropäerInnen vorbereitet sein. Ein "jetzt erst recht" wird nicht einfach zu vermitteln sein. Da braucht es eine starke, überzeugende, europäische Erzählung, die ich bislang nirgendwo erkennen kann. Es müsste eine echte "Gründerstimmung" ausbrechen, die Lust, Europa neuzubauen. Doch wenn ich mir das verantwortliche Personal so anschaue (Merkel, Hollande etc.), wäre ich froh, wenn sie im Fall eines Brexits wenigstens die bisherige EU vor einem Rückbau retten.

    Wenn die Briten drin bleiben, da gebe ich Jon Worth recht, wird die Sache auch nicht einfacher.

    Also zusammen gefasst frage ich mich, ob wir zu Beginn dieses 21. Jahrhundert überhaupt noch mal echte Gestaltungskraft entwickeln können, ob das in diesem System überhaupt möglich ist. Oder ob immer nur gefrickelt und repariert werden kann, dass es gerade so läuft.

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    Lieber MisterEde, danke für den Anstoß! Die Lage ist sehr unübersichtlich, ich würde gerne nur ein paar Punkte machen. Was ich mir wünsche ist...

    Eine europäische Perspektive

    Sie hat sehr gelitten in den letzten Monaten. Wäre es möglich, die Politik der EU-Institutionen wieder in den Vordergrund zu rücken? Also was tut die EU-Kommission in Punkto Asylverfahren, Integration, Investitions-Offensive, soziales Europa und so weiter und so fort? Wir konzentrieren uns gerade so sehr auf die Mitgliedsstaaten (was macht Deutschland? was macht Ungarn? Was macht Großbritannien?), dabei haben wir ja längst gesamteuropäische Aktuere und Mechanismen etabliert. Neulich lobte eine österreichischer Politiker die Arbeit der Kommission, und es fiel mir extrem auf, weil so etwas so ungeheuer selten vorkommt. Unsere EU-Institutionen haben normalerweise keine "Hausmacht", kein Backing in der nationalen Öffentichkeit. Sie wirken etwas wie "vaterlandslose Gesellen", die da recht unnahbar und europäisch in Brüssel rumturnen, heimatlos quasi. Und sie können eigentlich machen was sie wollen, am Ende machen sie es falsch, so mein Eindruck.

    Ich will auch gar kein unkritisches Verhältnis zur Arbeit des Europaparlaments und der EU-Kommission, im Gegenteil. aber was ich mir wünschen würde, würde ist ihre viel tiefere Verwurzelung in unserem politischen Denken. Sie sind unsere Institutionen, unsere Diensleister für uns EuropäerInnen, unterwegs im Sinne des europäischen Gemeinwohls. Wir könnten uns viel mehr mit ihnen identifizieren (um ihre Arbeit dann kritisch zu bewerten, unsere Ansprüche an sie geltend zu machen). Die ganze Debatte hat sich meines Erachtens in letzter Zeit extrem re-nationalisiert, was sehr schade ist.

    Der Umbau der Euro-Zone

    Es gibt natürlich schöne Träume von großen Integrationsschritten (europäische Republik, transnationale Wahlen, europäische Arbeitslosenversicherung usw...). Die Europa-Bubble träumt sie vor sich hin, aber ansonsten interessiert das niemanden, so mein Eindruck. ABER, glaubt man Henrik Enderlein so geht es bei der Reform der Eurozone nicht um Europa-Romantik, sondern um puren Pragmatismus, um's Überleben. Man konnte glauben, das Problem hat sich irgendwie still und leise selbst gelöst, aber dem ist offenbar nicht so. Die EZB hat uns einfach immer wieder Zeit erkauft und so langsam ihr ganzes Pulver verballert (obwohl manche noch von Negativ-Zinsen und helicopter money fabulieren).

    Ich frage mich wirklich, wann hier eine ehrliche und sachliche Euro-Integrations-Debatte mit den BürgerInnen geführt werden soll. Hat sich das Zeitfenster nicht schon wieder geschlossen, weil die Union, speziell die CSU zur AfD schielend bis zur letzten Patrone gegen jeden notwendigen Integrations-Schritt schießen wird? Das Timing ist schon wieder miserabel. Jetzt stehen schon wieder die Bundestagswahl und die Präsdentschaftswahlen in Frankreich 2017 vor der Tür. Wann bitte kann sachlich über die Zukunft der Eurozone diskutiert werden? Erst nach den Wahlen? Und was wenn dann AfD und Front National die Spielräume europäisch progressiver Politik extrem verengt haben? Es ist auch riskant, immer länger zu warten und zu warten und zu warten.

    **Retten, was zu retten ist?"

    Deine Frage nach dem Europa der zwei Geschwindigkeiten würde ich erst nach der Brexit-Entscheidung beantworten. Es gibt ja die Hoffnung, dass ohne Großbritannien als Klotz am Bein, als fünftes Rad am Wagen, mehr europäische Integration möglich wäre. So schreibt Jon Worth:

    Why not (...) let the UK leave, go through the pain of negotiating a trade deal to give them the trade they say they want with the EU, but then with the UK outside restart the advancement of a more political union?

    Ich halte das für reichlich optimistisch. Ein Brexit kann auch das Gegenteil eines Neustarts für die "Politische Union" bewirken. Konservative und rechte Kräfte könnten argumentieren: 'seht her, schon diese EU ist so schlimm, dass die Briten ausgetreten sind, lasst sie uns zurückbauen zum losen Staatenbund!'.

    Auf diese Debatte müssen die EuropäerInnen vorbereitet sein. Ein "jetzt erst recht" wird nicht einfach zu vermitteln sein. Da braucht es eine starke, überzeugende, europäische Erzählung, die ich bislang nirgendwo erkennen kann. Es müsste eine echte "Gründerstimmung" ausbrechen, die Lust, Europa neuzubauen. Doch wenn ich mir das verantwortliche Personal so anschaue (Merkel, Hollande etc.), wäre ich froh, wenn sie im Fall eines Brexits wenigstens die bisherige EU vor einem Rückbau retten.

    Wenn die Briten drin bleiben, da gebe ich Jon Worth recht, wird die Sache auch nicht einfacher.

    Also zusammen gefasst frage ich mich, ob wir zu Beginn dieses 21. Jahrhundert überhaupt noch mal echte Gestaltungskraft entwickeln können, ob das in diesem System überhaupt möglich ist. Oder ob immer nur gefrickelt und repariert werden kann, dass es gerade so läuft.

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    Alexander Wragge · angelegt
     

    Lieber MisterEde, danke für den Anstoß! Die Lage ist sehr unübersichtlich, ich würde gerne nur ein paar Punkte machen. Was ich mir wünsche ist...

    Eine europäische Perspektive

    Sie hat sehr gelitten in den letzten Monaten. Wäre es möglich, die Politik der EU-Institutionen wieder in den Vordergrund zu rücken? Also was tut die EU-Kommission in Punkto Asylverfahren, Integration, Investitions-Offensive, soziales Europa und so weiter und so fort? Wir konzentrieren uns gerade so sehr auf die Mitgliedsstaaten (was macht Deutschland? was macht Ungarn? Was macht Großbritannien?), dabei haben wir ja längst gesamteuropäische Aktuere und Mechanismen etabliert. Neulich lobte eine österreichischer Politiker die Arbeit der Kommission, und es fiel mir extrem auf, weil so etwas so ungeheuer selten vorkommt. denn etwas passiert was nie. Unsere EU-Institutionen haben normalerweise keine "Hausmacht", kein Backing in der nationalen Öffentichkeit. Sie wirken etwas wie "vaterlandslose Gesellen", die da recht unnahbar und europäisch in Brüssel rumturnen, heimatlos quasi. Und sie können eigentlich machen was sie wollen, am Ende machen sie es falsch, so mein Eindruck.

    Ich will auch gar kein unkritisches Verhältnis zur Arbeit des Europaparlaments und der EU-Kommission, im Gegenteil. aber was ich mir wünschen würde ist ihre viel tiefere Verwurzelung in unserem politischen Denken. Sie sind unsere Institutionen, unsere Diensleister für uns EuropäerInnen, unterwegs im Sinne des europäischen Gemeinwohls. Die ganze Debatte hat sich meines Erachtens in letzter Zeit extrem re-nationalisiert, was sehr schade ist.

    Der Umbau der Euro-Zone

    Es gibt natürlich schöne Träume von großen Integrationsschritten (europäische Republik, transnationale Wahlen, europäische Arbeitslosenversicherung usw...). Die Europa-Bubble träumt sie vor sich hin, aber ansonsten interessiert das niemanden, so mein Eindruck. ABER, glaubt man Henrik Enderlein so geht es bei der Reform der Eurozone nicht um Europa-Romantik, sondern um puren Pragmatismus, um's Überleben. Man konnte glauben, das Problem hat sich irgendwie still und leise selbst gelöst, aber dem ist offenbar nicht so. Die EZB hat uns einfach immer wieder Zeit erkauft und so langsam ihr ganzes Pulver verballert (obwohl manche noch von Negativ-Zinsen und helicopter money fabulieren).

    Ich frage mich wirklich, wann hier eine ehrliche und sachliche Euro-Integrations-Debatte mit den BürgerInnen geführt werden soll. Hat sich das Zeitfenster nicht schon wieder geschlossen, weil die Union, speziell die CSU zur AfD schielend bis zur letzten Patrone gegen jeden notwendigen Integrations-Schritt schießen wird? Das Timing ist schon wieder miserabel. Jetzt stehen schon wieder die Bundestagswahl und die Präsdentschaftswahlen in Frankreich 2017 vor der Tür. Wann bitte kann sachlich über die Zukunft der Eurozone diskutiert werden? Erst nach den Wahlen? Und was wenn dann AfD und Front National die Spielräume europäisch progressiver Politik extrem verengt haben? Es ist auch riskant, immer länger zu warten und zu warten und zu warten.

    **Retten, was zu retten ist?"

    Deine Frage nach dem Europa der zwei Geschwindigkeiten würde ich erst nach der Brexit-Entscheidung beantworten. Es gibt ja die Hoffnung, dass ohne Großbritannien als Klotz am Bein, als fünftes Rad am Wagen, mehr europäische Integration möglich wäre. So schreibt Jon Worth:

    Why not (...) let the UK leave, go through the pain of negotiating a trade deal to give them the trade they say they want with the EU, but then with the UK outside restart the advancement of a more political union?

    Ich halte das für reichlich optimistisch. Ein Brexit kann auch das Gegenteil eines Neustarts für die "Politische Union" bewirken. Konservative und rechte Kräfte könnten argumentieren: 'seht her, schon diese EU ist so schlimm, dass die Briten ausgetreten sind, lasst sie uns zurückbauen zum losen Staatenbund!'.

    Auf diese Debatte müssen die EuropäerInnen vorbereitet sein. Ein "jetzt erst recht" wird nicht einfach zu vermitteln sein. Da braucht es eine starke, überzeugende, europäische Erzählung, die ich bislang nirgendwo erkennen kann. Es müsste eine echte "Gründerstimmung" ausbrechen, die Lust, Europa neuzubauen. Doch wenn ich mir das verantwortliche Personal so anschaue (Merkel, Hollande etc.), wäre ich froh, wenn sie im Fall eines Brexits wenigstens die bisherige EU vor einem Rückbau retten.

    Wenn die Briten drin bleiben, da gebe ich Jon Worth recht, wird die Sache auch nicht einfacher.

    Also zusammen gefasst frage ich mich, ob wir zu Beginn dieses 21. Jahrhundert überhaupt noch mal echte Gestaltungskraft entwickeln können, ob das in diesem System überhaupt möglich ist. Oder ob immer nur gefrickelt und repariert werden kann, dass es gerade so läuft.

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    Alexander Wragge · angelegt
     

    Lieber MisterEde, danke für den Anstoß! Die Lage ist sehr unübersichtlich, ich würde gerne nur ein paar Punkte machen. Was ich mir wünsche ist...

    Eine europäische Perspektive

    Sie hat sehr gelitten in den letzten Monaten. Wäre es möglich, die Politik der EU-Institutionen wieder in den Vordergrund zu rücken? Also was tut die EU-Kommission in Punkto Asylverfahren, Integration, Investitions-Offensive, soziales Europa und so weiter und so fort? Wir konzentrieren uns gerade so sehr auf die Mitgliedsstaaten (was macht Deutschland? was macht Ungarn? Was macht Großbritannien?), dabei haben wir ja längst gesamteuropäische Aktuere und Mechanismen etabliert. Neulich lobte eine österreichischer Politiker die Arbeit der Kommission, und es fiel mir extrem auf, denn etwas passiert was nie. Unsere EU-Institutionen haben normalerweise keine "Hausmacht", kein Backing in der nationalen Öffentichkeit. Sie wirken etwas wie "vaterlandslose Gesellen", die da recht unnahbar und europäisch in Brüssel rumturnen, heimatlos quasi. Und sie können eigentlich machen was sie wollen, am Ende machen sie es falsch, so mein Eindruck.

    Ich will auch gar kein unkritisches Verhältnis zur Arbeit des Europaparlaments und der EU-Kommission, im Gegenteil. aber was ich mir wünschen würde ist ihre viel tiefere Verwurzelung in unserem politischen Denken. Sie sind unsere Institutionen, unsere Diensleister für uns EuropäerInnen, unterwegs im Sinne des europäischen Gemeinwohls. Die ganze Debatte hat sich meines Erachtens in letzter Zeit extrem re-nationalisiert, was sehr schade ist.

    Der Umbau der Euro-Zone

    Es gibt natürlich schöne Träume von großen Integrationsschritten (europäische Republik, transnationale Wahlen, europäische Arbeitslosenversicherung usw...). Die Europa-Bubble träumt sie vor sich hin, aber ansonsten interessiert das niemanden, so mein Eindruck. ABER, glaubt man Henrik Enderlein so geht es bei der Reform der Eurozone nicht um Europa-Romantik, sondern um puren Pragmatismus, um's Überleben. Man konnte glauben, das Problem hat sich irgendwie still und leise selbst gelöst, aber dem ist offenbar nicht so. Die EZB hat uns einfach immer wieder Zeit erkauft und so langsam ihr ganzes Pulver verballert (obwohl manche noch von Negativ-Zinsen und helicopter money fabulieren).

    Ich frage mich wirklich, wann hier eine ehrliche und sachliche Euro-Integrations-Debatte mit den BürgerInnen geführt werden soll. Hat sich das Zeitfenster nicht schon wieder geschlossen, weil die Union, speziell die CSU zur AfD schielend bis zur letzten Patrone gegen jeden notwendigen Integrations-Schritt schießen wird? Das Timing ist schon wieder miserabel. Jetzt stehen schon wieder die Bundestagswahl und die Präsdentschaftswahlen in Frankreich 2017 vor der Tür. Wann bitte kann sachlich über die Zukunft der Eurozone diskutiert werden? Erst nach den Wahlen? Und was wenn dann AfD und Front National die Spielräume europäisch progressiver Politik extrem verengt haben? Es ist auch riskant, immer länger zu warten und zu warten und zu warten.

    **Retten, was zu retten ist?"

    Deine Frage nach dem Europa der zwei Geschwindigkeiten würde ich erst nach der Brexit-Entscheidung beantworten. Es gibt ja die Hoffnung, dass ohne Großbritannien als Klotz am Bein, als fünftes Rad am Wagen, mehr europäische Integration möglich wäre. So schreibt Jon Worth:

    Why not (...) let the UK leave, go through the pain of negotiating a trade deal to give them the trade they say they want with the EU, but then with the UK outside restart the advancement of a more political union?

    Ich halte das für reichlich optimistisch. Ein Brexit kann auch das Gegenteil eines Neustarts für die "Politische Union" bewirken. Konservative und rechte Kräfte könnten argumentieren: 'seht her, schon diese EU ist so schlimm, dass die Briten ausgetreten sind, lasst sie uns zurückbauen zum losen Staatenbund!'.

    Auf diese Debatte müssen die EuropäerInnen vorbereitet sein. Ein "jetzt erst recht" wird nicht einfach zu vermitteln sein. Da braucht es eine starke, überzeugende, europäische Erzählung, die ich bislang nirgendwo erkennen kann. Es müsste eine echte "Gründerstimmung" ausbrechen, die Lust, Europa neuzubauen. Doch wenn ich mir das verantwortliche Personal so anschaue (Merkel, Hollande etc.), wäre ich froh, wenn sie im Fall eines Brexits wenigstens die bisherige EU vor einem Rückbau retten.

    Wenn die Briten drin bleiben, da gebe ich Jon Worth recht, wird die Sache auch nicht einfacher.

    Also zusammen gefasst frage ich mich, ob wir zu Beginn dieses 21. Jahrhundert überhaupt noch mal echte Gestaltungskraft entwickeln können, ob das in diesem System überhaupt möglich ist. Oder ob immer nur gefrickelt und repariert werden kann, dass es gerade so läuft.