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Wie überwinden wir die Blockade in der EU?


Foto: Rat der EUWie europäisch gehemmt ist dieses Trio? Im Bild: Angela Merkel, David Cameron, François Hollande in Brüssel. Foto: Rat der EU

Kann die Europäische Union in ihrem heutigen Zustand weder vor noch zurück? Wäre es an der Zeit, dass manche EU-Staaten ohne die anderen schneller zusammenwachsen? Das fragt MisterEde...


Ein Beitrag von MisterEde

Zäune an Binnengrenzen, Dublin versagt und Schengen bald tot. Orbán in Ungarn, Kaczyński in Polen, Le Pen, FPÖ und Co. erstarken und Großbritannien seilt sich womöglich bald ab. Eurokrise, Massenarbeitslosigkeit, Grexitgedanken, Austerität und Wirtschaftsschwäche. Die EU ist in keinem guten Zustand und Besserung ist in vielen Punkten auch nicht in Sicht.

Vor allem die völlig unterschiedlichen Vorstellungen davon, was die EU sein soll, machen es schwierig in dieser Situation angemessen zu reagieren. Während in zahlreichen Ländern bei der Mehrheit der Bevölkerung die Vorstellung besteht, dass die EU eine Gemeinschaft ist, die sich, wie das auch in den EU-Verträgen vorgesehen ist, immer weiter integriert und auch konsequent auf dieses Zusammenwachsen hin ausgerichtet ist, gibt es in manchen Ländern mehrheitlich den Wunsch, genau diese Integration nicht weiter voranzutreiben und teilweise sogar rückgängig zu machen. Nachdem aber eine Vor- wie eine Rückentwicklung der EU von der Zustimmung aller EU-Mitglieder abhängt, blockiert sich die auf Konsens angelegte Gemeinschaft der 28 Länder damit mittlerweile selbst. Aus meiner Sicht ist deshalb die Idee einer EU, die bewusst auf zwei Geschwindigkeiten setzt, aktueller denn je.

Ich würde mir daher wünschen, gemeinsam mit Euch in den nächsten Monaten diesen Gedanken einer EU der zwei Geschwindigkeiten aufzugreifen, zu debattieren, auszuarbeiten und soweit das geht auch in die Öffentlichkeit oder Parteien zu tragen. Habt ihr Lust, das gemeinsam anzupacken?

Ein möglicher Zeitplan:

Kurzfristig:
Sollte das Abkommen mit der Türkei erfolgreich sein, so dass in ein, zwei Monaten die Flüchtlingszahlen zurückgehen, wäre es sinnvoll, den Drive zu nutzen (einiges muss ja noch geregelt werden), um das aktuelle Asylsystem durch ein gesamteuropäisches zu ersetzen, z.B. im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit. Wie bei einer gesamteuropäischen Arbeitslosenversicherung muss so ein System dann aber auch ausreichend anpassungsfähig sein und genau das kratzt an der Frage der europäischen Integration bzw. der Integrationsfähigkeit. Vielleicht ergibt sich dadurch die Möglichkeit, den Gedanken der zwei Geschwindigkeiten in die Öffentlichkeit zu tragen.

Langfristig:
Wünschenswert fände ich daneben eine breite öffentliche und am besten europaweite Diskussion nach der Bundestagswahl 2017 mit Hinblick auf die Europawahl 2019, damit sich danach etwas in dieser Richtung bewegt.


Europa-Debatten auf Publixphere


Kommentare

  • Lieber MisterEde, danke für den Anstoß! Die Lage ist sehr unübersichtlich, ich würde gerne nur ein paar Punkte machen. Was ich mir wünsche ist...

    Eine europäische Perspektive

    Sie hat sehr gelitten in den letzten Monaten. Wäre es möglich, die Politik der EU-Institutionen wieder in den Vordergrund zu rücken? Also was tut die EU-Kommission in Punkto Asylverfahren, Integration, Investitions-Offensive, soziales Europa und so weiter und so fort? Wir konzentrieren uns gerade so sehr auf die Mitgliedsstaaten (was macht Deutschland? was macht Ungarn? Was macht Großbritannien?), dabei haben wir ja längst gesamteuropäische Aktuere und Mechanismen etabliert. Neulich lobte eine österreichischer Politiker die Arbeit der Kommission, und es fiel mir extrem auf, weil so etwas so ungeheuer selten vorkommt. Unsere EU-Institutionen haben normalerweise keine "Hausmacht", kein Backing in der nationalen Öffentichkeit. Sie wirken etwas wie "vaterlandslose Gesellen", die da recht unnahbar und europäisch in Brüssel rumturnen, heimatlos quasi. Und sie können eigentlich machen was sie wollen, am Ende machen sie es falsch, so mein Eindruck.

    Ich will auch gar kein unkritisches Verhältnis zur Arbeit des Europaparlaments und der EU-Kommission, im Gegenteil. aber was ich mir wünschen würde, ist ihre viel tiefere Verwurzelung in unserem politischen Denken. Sie sind unsere Institutionen, unsere politischen Dienstleister im Sinne des europäischen Gemeinwohls. Wir könnten uns viel mehr mit ihnen identifizieren (um ihre Arbeit dann kritisch zu bewerten, unsere Ansprüche an sie geltend zu machen). Die ganze Debatte hat sich meines Erachtens in letzter Zeit stark re-nationalisiert, was sehr schade ist.

    Der Umbau der Euro-Zone

    Es gibt natürlich schöne Träume von großen Integrationsschritten (europäische Republik, transnationale Wahlen, europäische Arbeitslosenversicherung usw...). Die Europa-Bubble träumt sie vor sich hin, aber ansonsten interessiert das niemanden, so mein Eindruck. ABER, glaubt man Henrik Enderlein so geht es bei der Reform der Eurozone nicht um Europa-Romantik, sondern um puren Pragmatismus, um's Überleben. Man konnte glauben, die Eurokrise habe sich irgendwie still und leise selbst gelöst, aber dem ist offenbar nicht so. Die EZB hat uns einfach immer wieder Zeit erkauft und so langsam ihr ganzes Pulver verballert (obwohl manche noch von Negativ-Zinsen und helicopter money fabulieren).

    Ich frage mich wirklich, wann hier eine ehrliche und sachliche Euro-Integrations-Debatte mit den BürgerInnen geführt werden soll. Hat sich das Zeitfenster nicht schon wieder geschlossen, weil die Union, speziell die CSU, zur AfD schielend bis zur letzten Patrone gegen jeden notwendigen Integrations-Schritt schießen wird bzw. muss? Das Timing ist schon wieder miserabel. Jetzt stehen schon wieder die Bundestagswahl und die Präsdentschaftswahlen in Frankreich 2017 vor der Tür. Wann bitte kann sachlich über die Zukunft der Eurozone diskutiert werden? Erst nach den Wahlen? Und was wenn dann AfD und Front National die Spielräume europäisch progressiver Politik extrem verengt haben? Es ist auch riskant, immer länger zu warten und zu warten und zu warten.

    Retten, was zu retten ist?"

    Deine Frage nach dem Europa der zwei Geschwindigkeiten würde ich erst nach der Brexit-Entscheidung beantworten. Es gibt ja die Hoffnung, dass ohne Großbritannien als Klotz am Bein, als fünftes Rad am Wagen, mehr europäische Integration möglich wäre. So schreibt Jon Worth:

    Why not (...) let the UK leave, go through the pain of negotiating a trade deal to give them the trade they say they want with the EU, but then with the UK outside restart the advancement of a more political union?

    Ich halte das für reichlich optimistisch. Ein Brexit kann auch das Gegenteil eines Neustarts für die "Politische Union" bewirken. Konservative und rechte Kräfte könnten argumentieren: 'seht her, schon diese EU ist so schlimm, dass die Briten ausgetreten sind, lasst sie uns zurückbauen zum losen Staatenbund!'.

    Auf diese Debatte müssen die EuropäerInnen vorbereitet sein. Ein "Jetzt erst recht" wird nicht einfach zu vermitteln sein. Da braucht es eine starke, überzeugende, europäische Erzählung, die ich bislang nirgendwo erkennen kann. Es müsste eine echte "Gründerstimmung" ausbrechen, die Lust, Europa neuzubauen. Doch wenn ich mir das verantwortliche Personal so anschaue (Merkel, Hollande etc.), wäre ich froh, wenn sie im Fall eines Brexits wenigstens die bisherige EU vor einem Rückbau retten - unter dem massiven Druck der reaktionären, nationalistischen Kräfte.

    Wenn die Briten drin bleiben - da gebe ich Jon Worth Recht - wird die Sache auch nicht einfacher.

    Also generell frage ich mich, ob wir zu Beginn dieses 21. Jahrhundert echte Gestaltungskraft für die EU und die Eurozone entwickeln können, ob das in diesem System überhaupt möglich ist. Oder ob immer nur gefrickelt und repariert werden kann.

    • Hallo Alex,

      erst mal vielen Dank für Ihren Beitrag. Die Frage, ob wir uns gegenseitig blockieren, würde ich ganz klar mit Ja beantworten, weshalb es mir weniger um eine Zustandsbeschreibung oder ein Rückblick geht als um die Frage, wie wir damit künftig umgehen und wie es mit der EU weiter gehen soll.

      Um auf Ihren Beitrag einzugehen, fächer ich das mal in eine Antwort je Abschnitt auf. Außerdem habe ich zur Frage nach dem richtigen Zeitpunkt jetzt noch etwas in der Diskussionsbeschreibung ergänzt.

      Beste Grüße, Mister Ede

    • Deine Frage nach dem Europa der zwei Geschwindigkeiten würde ich erst nach der Brexit-Entscheidung beantworten.

      Gut. Der Zeitpunkt ist ja jetzt da.

    • Hallo Alex,

      die erste Frage, die es wohl zu beantworten gilt, ist: Wie erreichen wir mehr Leute? Eine Diskussion alleine unter uns beiden ist zwar schön, aber irgendwie ja nicht zielführend. Haben Sie Ideen dazu?

      Beste Grüße, Mister Ede

    • Retten, was zu retten ist?"

      Ich stelle einfach mal eine These in den Raum: Eine EU der zwei Geschwindigkeiten müsste heute gar nicht gerettet werden, weil die EU auf einem für Großbritannien verträglichen Integrationsniveau stabilisiert werden könnte, während gleichzeitig z.B. die Euro-Länder bei der Integration deutlicher vorangehen könnten.

      Insofern wäre eine Diskussion vielleicht gerade in Großbritannien und genau jetzt vor dem Referendum durchaus sinnvoll, weil somit auch den EU-Kritikern bzw. Befürwortern von mehr nationaler Souveränität eine versöhnliche und gleichwohl gemeinschaftliche Option geboten würde. Es bliebe dann ja den Briten überlassen, welche Geschwindigkeit sie für sich wählen.

      Je größer die Notwendigkeit der Integration für die einen ist und je lauter die anderen ihren Wunsch nach mehr nationaler Souveränität äußern desto stärker sind meines Erachtens die Argumente für eine EU der zwei Geschwindigkeiten, wie auch immer sie dann ausgestaltet wird.

    • Der Umbau der Euro-Zone

      Die Notwendigkeit zum Umbau ist deutlich und Enderlein hat völlig recht, wenn er dafür auch ökonomische Gründe ins Feld führt. Allerdings glaube ich, dass ein Umbau der Euro-Zone nur bedingt möglich ist, ohne die politische Struktur entsprechend anzupassen. So etwas wie eine europäische Arbeitslosenversicherung muss immer wieder verändert werden und dafür braucht es erstens eine demokratische Legitimation und zweitens eben auch die Anpassungsfähigkeit. Sicherlich führt eine einstimmige Entscheidung durch die Regierungen der Euro-Länder auch zu einer demokratischen Legitimation, allerdings fehlt durch die Einstimmigkeit die notwendige Anpassungsfähigkeit. Außerdem würde das die Gewaltenteilung weiter aushebeln. Man braucht daher vermutlich schon so etwas wie ein Euro-Parlament und gleichzeitig die Abtretung von Souveränität durch die Euro-Länder. Nur, was ist das anderes als zwei Geschwindigkeiten für Euro-Länder und Nicht-Euro-Länder?

      Die Diskussion über den Umbau der Euro-Zone ist für mich daher die Diskussion über eine mögliche Ausgestaltung einer EU der zwei Geschwindigkeiten. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten der Gestaltung, z.B. ausgehend von einem deutsch-französischen Motor oder von anderen Varianten ohne genaue Festlegung der teilnehmenden Länder. Und genau diese Diskussion über verschiedene Gestaltungen sollte geführt werden, aber nicht um der Diskussion willen, sondern um diese Frage einer politischen Antwort zuzuführen.

    • Eine europäische Perspektive

      Ich würde dazu ein Gedankenexperiment vorschlagen: Man stelle sich vor, der Bundesrat wäre auf Einstimmigkeit angewiesen. Wie sehr würde die Asylpolitik dann wohl durch Horst Seehofer bestimmt? De facto haben EU-Kommission und EU-Parlament auf diesem Gebiet kaum Handlungsspielraum, weil sie das Asylsystem nicht eigenständig gestalten können. Insofern kommt es eben, wie bei der Euro-Rettung, wesentlich auf die Regierungen der EU-Länder und manchmal sogar auf die dortigen Parlamente an.

      Genau deshalb gibt es ja zahlreiche Plädoyers für eine tiefere Integration, so dass alleine das EU-Parlament z.B. über die Ausgestaltung des Asylsystems entscheidet. Die Frage ist nur, wie gelingt diese Integration, wenn doch einige Länder genau das nicht wollen. Und gerade deshalb fände ich es wichtig, die Idee einer EU der zwei Geschwindigkeiten aufzugreifen und zwar nicht nur als Gedankenspiel, sondern mit dem Ziel, etwas zu bewegen.

      • Lieber MisterEde, hier noch ein Hinweis. Zum Thema Kerneuropa wirklich sehr zu empfehlen ist diese aktuelle Analyse von Manuel Müller Der (europäische) Föderalist .

        Darin geht er folgenden Fragen nach:

        • Mit welchen Staaten soll Kern-Europa klappen?
        • Mit welchen Institutionen?
        • Mit welchem Zweck?

        Müller Fazit:

        "Also, liebe Kerneuropa-Vordenker: Arbeitet euch nicht an Großbritannien ab, sondern formuliert lieber eure eigene Vision für Europa – und erklärt uns, mit welchen Staaten, welchen Institutionen und welchem Zweck ihr sie verwirklichen wollt. Wenn diese Vision dann wirklich zu mehr Freiheit und Demokratie beitragen kann, so sei sie willkommen. Aber die konstitutionelle Zukunft des Kontinents ist zu wichtig für ein Kerneuropa, das nur aus Frustration geboren ist."

        • Komisch, dass Müller Kerneuropa jetzt auf einmal doch als Chance sieht. Aber das neoliberale Ding, das Verhofstadt da vorschlägt, ist tatsächlich für die Tonne.

        • Mit welchen Staaten soll Kern-Europa klappen?

          In einer Diktatur würde das natürlich einfach von oben bestimmt.

          Die Europäische Föderation ist allerdings demokratisch, weshalb die Bürger entscheiden.

        • Nachdem ich mich sehr für die Frage der europäischen Integration interessiere, bin ich bereits auf den Beitrag gestoßen und habe ihn dort auch direkt kommentiert.

          Vielleicht wäre es hilfreich, wenn Manuel Müller Der (europäische) Föderalist die von ihm aufgeworfenen Fragen anhand des Vorschlags einer europäischen Arbeitslosenversicherung mal grob selbst beantworten würde. Sollen also z.B. alle 28 EU-Länder beteiligt sein oder soll es eben doch unterschiedliche Geschwindigkeiten geben, wie bei Schengen oder dem Euro? Wer käme dann als Teilnehmer an diesem Programm in Frage? Soll wie bei Schengen etwas gemeinsam gemacht werden, ohne die Struktur anzupassen, also z.B. Souveränität zu übertragen? Der Schutz der EU-Außengrenze ist ja z.B., trotz Schengen, die Aufgabe des jeweiligen EU-Landes und nicht der EU.

          Ich denke, viele Fragen, die sich im Speziellen bei der europäischen Arbeitslosenversicherung stellen, stellen sich im Allgemeinen bei der Diskussion um eine EU der zwei (oder mehr) Geschwindigkeiten. Aus meiner Sicht wäre das daher eine gute Basis für eine gemeinsame Beantwortung der zu Recht aufgeworfenen Fragen.

  • Eigentlich hätte ich die Europäische Föderation gerne im Dialog ausgearbeitet. Allerdings bin ich doch froh, dass es nun zumindest soweit ist und die Europäische Föderation geboren wurde:

    Flagge der Europäischen Föderation

    The European Federation

    Die Europäische Föderation

    La Fédération européenne

    La Federazione Europea

    La Federación Europea

    De Europese Federatie

    A Federação europea

    Die Europäische Föderation: Plädoyer für unterschiedliche Integrationsstufen in Europa

    Die Europäische Föderation: Grundgerüst einer Verfassung

    Die Europäische Föderation: Skizze eines Kooperationsvertrages mit der EU

  • So könnte ich mir z.B. eine in die Integrationsdebatte eingebettete Diskussion um ein europäisches Asylsystem vorstellen:

    Creating our Europe:

    Gegen einen Abschiebekommissar!

    Für ein gesamteuropäisch demokratisch legitimiertes und parlamentarisch kontrolliertes Asylsystem!