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    Felix Thoma · angelegt
     

    Nutzen in der Asylfrage moralische Appelle an die europäische Solidarität?

    Eher nicht. Die osteuropäischen Länder sehen sich in ihrer Bevölkerungszusammensetzung langfristig bedroht - da helfen wohl keine moralischen Appelle. Die westeuropäischen Länder haben gerade mit erheblichen innenpolitischen Problemen zu kämpfen (Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien, Terrorismus, Brexit-Referendum, Überforderung der Kommunen bei der Flüchtlingsaufnahme). Langfristig dürfte es sich aber auszahlen, wenn unabhängig von der aktuellen Tagespolitik immer wieder auf die moralische Verpflichtung Europas verwiesen wird, da die Menschenrechte gerade in Westeuropa schon seit vielen Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten ein zentraler Bestandteil der nationalen Identität sind - vor allem in Frankreich!

    Oder ist schlicht zu akzeptieren, wenn manche Länder keine europäisch geregelte Flüchtlingsaufnahme wollen?

    Nein, das auch wieder nicht. Damit riskieren wir nämlich eine endgültige gesellschaftspolitische Spaltung der Europäischen Union in multikulturelle Mitgliedsländer und klassische Nationalstaaten, die sich auch in ferner Zukunft noch gegen die Flüchlingsaufnahme und die Zuwanderung wehren.

    Der Fairness-Mechanismus – eine gute Idee?

    Wie oben kurz erklärt, ist es gesellschaftspolitisch kontraproduktiv, wenn sich Länder von der Flüchtlingsaufnahme freikaufen können.

    Ich sehe aber auch die Beibehaltung des in der Praxis gescheiterten Dublin-Systems sehr kritisch. Im Falle Griechenlands funktioniert das Dublin-Prinzip, dass ein Flüchtling entweder einen Asylantrag im Ankunftsland stellen oder die EU wieder verlassen muss, nur aus dem Grund, dass eine Weiterreise der Flüchtlinge nach Mitteleuropa mittlerweile verhindert werden kann (wegen der Bootsfahrt aufs Festland, dem Zaun an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien und einer weiteren Schengen-Außengrenze) und eine Rückführung in die Türkei zumindest theoretisch möglich ist. Wie MisterEde erläutert hat, sinkt durch den Fairness-Mechanismus der Anreiz Griechenlands zum Schutz der eigenen Grenzen. Im Gegensatz zu Griechenland bzw. der Türkei hat Italien mehrere Schengen-Innengrenzen und Libyen ist kein sicheres Aufnahmeland. Italien kann also ankommende Flüchtlinge ohne Registrierung nach Deutschland durchleiten und hat auch weiterhin einen Anreiz zu diesem europarechtswidrigen Verhalten, da nur wenige Asylbewerber ihren Asylantrag in Italien stellen wollen und der Fairness-Mechanismus erst ab einer gewissen Grenze greift.

    Gut ist, dass die Aufnahmefähigkeit nach der Größe und Wirtschaftskraft und Zeit festgelegt werden soll. Das halte ich auch für die drei entscheidenden Kriterien, wobei die Betrachtung der Wirtschaftskraft durch die Arbeitslosenquote und die Struktur der Wirtschaftssektoren verfeinert werden kann.

    Wie nachhaltig wäre eine Reform, bei der einige EU-Länder überstimmt werden?

    In der derzeitigen Lage der EU wenig nachhaltig, weil die Mitglieder die Reform ausführen müssen.

    Wäre es zum Beispiel gerechtfertigt, künftige EU-Zahlungen von der Aufnahmebereitschaft bestimmter Länder abhängig zu machen?

    Ja. Schließlich profitieren ausgerechnet die osteuropäischen Staaten sehr stark von den Zahlungen der EU. Einen Wegfall der Förderung müssten die Regierungen ihrer Bevölkerung erklären. Allerdings erschweren angedrohte Kürzungen natürlich erstmal die Mehrheitsbildung unter den Regierungen der Mitgliedsstaaten.

    Welchen Anreiz sollten etwa Ungarn oder Polen haben, sich auf den Fairness-Mechanismus einzulassen oder etwaige Solidarbeiträge in Kauf zu nehmen?

    Der Erhalt von EU-Zahlungen und der Verbleib im Schengen-Raum wäre schon ein starker Anreiz, sofern der Entzug glaubhaft angedroht wird. Allerdings würden Ungarn und Polen im Zweifel die Solidarbeiträge in Kauf nehmen, denn für die gesellschaftliche Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen reichen wirtschaftliche Gründe nicht.

    Mit welchem Argumenten lassen sich EU-Länder überzeugen, die Aufnahme europäisch zu regeln?

    Die Flüchtlingsaufnahme wird eigentlich von kaum einen Land aus wirtschaftlichen Gründen abgelehnt. Gesellschaftspolitische Bedenken können jedoch nur mit gesellschaftspolitischen Zugeständnissen entkräftet werden. Eine langfristige Strategie zur Lösung der Flüchtlingskrise erfordert ein Bündel von sinnvoll aufeinander abgestimmten Maßnahmen. Einen denkbaren Ansatz habe ich in meinem eigenen Beitrag auf Publixphere beschrieben: https://publixphere.net/i/publixphere-de/proposal/2400-Ein_Vorschlag_zur_befristeten_Verteilung

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    Felix Thoma · angelegt
     

    Nutzen in der Asylfrage moralische Appelle an die europäische Solidarität?

    Eher nicht. Die osteuropäischen Länder sehen sich in ihrer Bevölkerungszusammensetzung langfristig bedroht - da helfen wohl keine moralischen Appelle. Die westeuropäischen Länder haben gerade mit erheblichen innenpolitischen Problemen zu kämpfen (Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien, Terrorismus, Brexit-Referendum, Überforderung der Kommunen bei der Flüchtlingsaufnahme). Langfristig dürfte es sich aber auszahlen, wenn unabhängig von der aktuellen Tagespolitik immer wieder auf die moralische Verpflichtung Europas verwiesen wird, da die Menschenrechte gerade in Westeuropa schon seit vielen Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten ein zentraler Bestandteil der nationalen Identität sind - vor allem in Frankreich!

    Oder ist schlicht zu akzeptieren, wenn manche Länder keine europäisch geregelte Flüchtlingsaufnahme wollen?

    Nein, das auch wieder nicht. Damit riskieren wir nämlich eine endgültige gesellschaftspolitische Spaltung der Europäischen Union in multikulturelle Mitgliedsländer und klassische Nationalstaaten, die sich auch in ferner Zukunft noch gegen die Flüchlingsaufnahme und die Zuwanderung wehren.

    Der Fairness-Mechanismus – eine gute Idee?

    Wie oben kurz erklärt, ist es gesellschaftspolitisch kontraproduktiv, wenn sich Länder von der Flüchtlingsaufnahme freikaufen können.

    Ich sehe aber auch die Beibehaltung des in der Praxis gescheiterten Dublin-Systems sehr kritisch. Im Falle Griechenlands funktioniert das Dublin-Prinzip, dass ein Flüchtling entweder einen Asylantrag im Ankunftsland stellen oder die EU wieder verlassen muss, nur aus dem Grund, dass eine Weiterreise der Flüchtlinge nach Mitteleuropa mittlerweile verhindert werden kann (wegen der Bootsfahrt aufs Festland, dem Zaun an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien und einer weiteren Schengen-Außengrenze) und eine Rückführung in die Türkei zumindest theoretisch möglich ist. Wie MisterEde erläutert hat, sinkt durch den Fairness-Mechanismus der Anreiz Griechenlands zum Schutz der eigenen Grenzen. Im Gegensatz zu Griechenland bzw. der Türkei hat Italien mehrere Schengen-Innengrenzen und Libyen ist kein sicheres Aufnahmeland. Italien kann also ankommende Flüchtlinge ohne Registrierung nach Deutschland durchleiten und hat auch weiterhin einen Anreiz zu diesem europarechtswidrigen Verhalten, da nur wenige Asylbewerber ihren Asylantrag in Italien stellen wollen und der Fairness-Mechanismus erst ab einer gewissen Grenze greift. Gut ist, dass die Aufnahmefähigkeit nach der Größe und Wirtschaftskraft und Zeit festgelegt werden soll. Das halte ich auch für die drei entscheidenden Kriterien, wobei die Betrachtung der Wirtschaftskraft durch die Arbeitslosenquote und die Struktur der Wirtschaftssektoren verfeinert werden kann.

    Wie nachhaltig wäre eine Reform, bei der einige EU-Länder überstimmt werden?

    In der derzeitigen Lage der EU wenig nachhaltig, weil die Mitglieder die Reform ausführen müssen.

    Wäre es zum Beispiel gerechtfertigt, künftige EU-Zahlungen von der Aufnahmebereitschaft bestimmter Länder abhängig zu machen?

    Ja. Schließlich profitieren ausgerechnet die osteuropäischen Staaten sehr stark von den Zahlungen der EU. Einen Wegfall der Förderung müssten die Regierungen ihrer Bevölkerung erklären. Allerdings erschweren angedrohte Kürzungen natürlich erstmal die Mehrheitsbildung unter den Regierungen der Mitgliedsstaaten.

    Welchen Anreiz sollten etwa Ungarn oder Polen haben, sich auf den Fairness-Mechanismus einzulassen oder etwaige Solidarbeiträge in Kauf zu nehmen?

    Der Erhalt von EU-Zahlungen (siehe oben) und der Verbleib im Schengen-Raum wäre schon ein starker Anreiz, sofern der Entzug glaubhaft angedroht wird. Allerdings würden werden Ungarn und Polen im Zweifel noch eher die Solidarbeiträge in Kauf nehmen, denn für die gesellschaftliche Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen reichen wirtschaftliche Gründe Argumente nicht.

    Mit welchem Argumenten lassen sich EU-Länder überzeugen, die Aufnahme europäisch zu regeln?

    Die Flüchtlingsaufnahme wird eigentlich von kaum einen Land aus wirtschaftlichen Gründen abgelehnt. Gesellschaftspolitische Bedenken können jedoch nur mit gesellschaftspolitischen Zugeständnissen entkräftet werden. Eine langfristige Strategie zur Lösung der Flüchtlingskrise erfordert ein Bündel von sinnvoll aufeinander abgestimmten Maßnahmen. Einen denkbaren Ansatz habe ich in meinem eigenen Beitrag auf Publixphere beschrieben: https://publixphere.net/i/publixphere-de/proposal/2400-Ein_Vorschlag_zur_befristeten_Verteilung

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    Felix Thoma · angelegt
     

    Nutzen in der Asylfrage moralische Appelle an die europäische Solidarität?

    Eher nicht. Die osteuropäischen Länder sehen sich in ihrer Bevölkerungszusammensetzung langfristig bedroht - da helfen wohl keine moralischen Appelle. Die westeuropäischen Länder haben gerade mit erheblichen innenpolitischen Problemen zu kämpfen (Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien, Terrorismus, Brexit-Referendum, Überforderung der Kommunen bei der Flüchtlingsaufnahme). Langfristig dürfte es sich aber auszahlen, wenn unabhängig von der aktuellen Tagespolitik immer wieder auf die moralische Verpflichtung Europas verwiesen wird, da die Menschenrechte gerade in Westeuropa schon seit vielen Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten ein zentraler Bestandteil der nationalen Identität sind - vor allem in Frankreich!

    Oder ist schlicht zu akzeptieren, wenn manche Länder keine europäisch geregelte Flüchtlingsaufnahme wollen?

    Nein, das auch wieder nicht. Damit riskieren wir nämlich eine endgültige gesellschaftspolitische Spaltung der Europäischen Union in multikulturelle Mitgliedsländer und klassische Nationalstaaten, die sich auch in ferner Zukunft noch gegen die Flüchlingsaufnahme und die Zuwanderung wehren.

    Der Fairness-Mechanismus – eine gute Idee?

    Wie oben kurz erklärt, ist es gesellschaftspolitisch kontraproduktiv, wenn sich Länder von der Flüchtlingsaufnahme freikaufen können.

    Ich sehe aber auch die Beibehaltung des in der Praxis gescheiterten Dublin-Systems sehr kritisch. Im Falle Griechenlands funktioniert das Dublin-Prinzip, dass ein Flüchtling entweder einen Asylantrag im Ankunftsland stellen oder die EU wieder verlassen muss, nur aus dem Grund, dass eine Weiterreise der Flüchtlinge nach Mitteleuropa mittlerweile verhindert werden kann (wegen der Bootsfahrt aufs Festland, dem Zaun an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien und einer weiteren Schengen-Außengrenze) und eine Rückführung in die Türkei zumindest theoretisch möglich ist. Wie MisterEde erläutert hat, sinkt durch den Fairness-Mechanismus der Anreiz Griechenlands zum Schutz der eigenen Grenzen. Im Gegensatz zu Griechenland bzw. der Türkei hat Italien mehrere Schengen-Innengrenzen und Libyen ist kein sicheres Aufnahmeland. Italien kann also ankommende Flüchtlinge ohne Registrierung nach Deutschland durchleiten und hat auch weiterhin einen Anreiz zu diesem europarechtswidrigen Verhalten, da nur wenige Asylbewerber ihren Asylantrag in Italien stellen wollen und der Fairness-Mechanismus erst ab einer gewissen Grenze greift. Gut ist, dass die Aufnahmefähigkeit nach der Größe und Wirtschaftskraft und Zeit festgelegt werden soll. Das halte ich auch für die drei entscheidenden Kriterien, wobei die Betrachtung der Wirtschaftskraft durch die Arbeitslosenquote und die Struktur der Wirtschaftssektoren verfeinert werden kann.

    Wie nachhaltig wäre eine Reform, bei der einige EU-Länder überstimmt werden?

    In der derzeitigen Lage der EU wenig nachhaltig, weil die Mitglieder die Reform ausführen müssen.

    Wäre es zum Beispiel gerechtfertigt, künftige EU-Zahlungen von der Aufnahmebereitschaft bestimmter Länder abhängig zu machen?

    Ja. Schließlich profitieren ausgerechnet die osteuropäischen Staaten sehr stark von den Zahlungen der EU. Einen Wegfall der Förderung müssten die Regierungen ihrer Bevölkerung erklären. Allerdings erschweren angedrohte Kürzungen natürlich erstmal die Mehrheitsbildung unter den Regierungen der Mitgliedsstaaten.

    Welchen Anreiz sollten etwa Ungarn oder Polen haben, sich auf den Fairness-Mechanismus einzulassen oder etwaige Solidarbeiträge in Kauf zu nehmen?

    Der Erhalt von EU-Zahlungen (siehe oben) und der Verbleib im Schengen-Raum wäre schon ein starker Anreiz, sofern der Entzug glaubhaft angedroht wird. Allerdings werden Ungarn und Polen noch eher die Solidarbeiträge in Kauf nehmen, denn für die gesellschaftliche Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen reichen wirtschaftliche Argumente nicht.

    Mit welchem Argumenten lassen sich EU-Länder überzeugen, die Aufnahme europäisch zu regeln?

    Die Flüchtlingsaufnahme wird eigentlich von kaum einen Land aus wirtschaftlichen Gründen abgelehnt. Gesellschaftspolitische Bedenken können jedoch nur mit gesellschaftspolitischen Zugeständnissen entkräftet werden. Eine langfristige Strategie zur Lösung der Flüchtlingskrise erfordert ein Bündel von sinnvoll aufeinander abgestimmten Maßnahmen. Einen denkbaren Ansatz habe ich in meinem eigenen Beitrag auf Publixphere beschrieben: https://publixphere.net/i/publixphere-de/proposal/2400-Ein_Vorschlag_zur_befristeten_Verteilung