Ich denke, es ist normal, dass es verschiedene Sichtweisen gibt und man durch die unterschiedlichen Positionen – ob nun bei Zeitungen oder im persönlichen Gespräch – den Eindruck gewinnt, der Gegenüber blicke einseitig auf die Dinge. Gerade deshalb werbe ich für Medienvielfalt, um diesen vielen Perspektiven einen Platz zu bieten. Ich glaube aber auch, dass es in Deutschland schon eine große Medienvielfalt gibt, von sehr linken Zeitungen bis sehr rechten Blättern.

Einseitigkeit ist dann auch etwas Relatives. Im September 2015 fand z.B. zeitnah zu Merkels „Wir schaffen das“ die Balkankonferenz statt. Wissen Sie noch, wie groß früher das Geschrei in Deutschland über Asylbewerber vom Balkan war? Heute gibt es erheblich weniger Asylbewerber von dort, aber das findet kaum Erwähnung in den Medien. Oder der EU-Türkei-Deal, zu dem immer nur „Erdogan ist kein Demokrat“ kommt (Schlagzeile nächste Woche: Wasser ist flüssig!). Man könnte ja auch mal berichten, dass durch das Abkommen mittlerweile alle Ankommenden direkt in Griechenland registriert werden – ein riesen Fortschritt. Ich empfinde die Berichterstattung insofern auch als einseitig, auch wenn das am Ende natürlich viel mit meiner eigenen Perspektive zu tun hat.

Wo ich Ihnen völlig zustimme, und das ist ja auch so der Ausgangspunkt dieser Diskussion, ist dieses Schwarmverhalten, was vor allem in den ersten Tagen und Wochen nach Ereignissen zu beobachten ist. Ich würde das zu Beginn der Flüchtlingskrise genauso sehen wie zu Beginn der Ukrainekrise oder auch bei anderen komplexeren Ereignissen. Meine Vermutung ist, dass da einfach ganz viel abgekupfert wird, weil eigenständige gute Analysen Fachwissen benötigen, das haben je nach Thema nur einige wenige Journalisten, und Zeit, die hat heute eigentlich niemand mehr.

Bei den Flüchtlingsbildern war man schätzungsweise einfach auf der Jagd nach den möglichst emotionalsten Szenen. Nicht ganz unverständlich, verzerrt aber die Realität, was Sie zurecht anmerken.