Lieber Emil,

das EU-Parlament hat in der Tat diesen Bericht angenommen, der von der britischen Parlamentarierin Mary Honeyball und unter starken Beteiligung der Europäischen Frauenlobby eingeführt wurde. Der Bericht ist jedoch in vieler Hinsicht problematisch, genauso wie das (eigentlich gar nicht existente) "Nordische Modell". Siehe z.B. diesen Artikel:

Der Bericht ist jedoch ein Schlag ins Gesicht für Sexarbeiter*innen, die seit Jahrzehnten für mehr Rechte, Anerkennung, ein Ende der Stigmatisierung und Teilhabe an politischen Prozessen kämpfen.

Der Bericht ist aus folgenden Gründen sehr kritisch zu sehen:

  • Keine Sexarbeiter*innen (die direkt Betroffenen) wurden eingeladen und gehört
  • keine Wissenschaftlerinnen, die nicht auch gegen Prostitution sind, wurden gehört. Diese haben den bericht in der Tat aufgrund seiner fehlenden Wissenschaftlichkeit abgelehnt und ihn auch auseinandergenommen. Anerkannte Forscherinnen, die hauptsächlich auch zu Prostitution und Sexarbeit geforscht haben, lehnen diesen Bericht als unwissenschaftlich und ideologisch ab. Quelle

  • Es ist nicht das Ziel des Berichtes Prostituierte zu schützen, indem ihr rechtlicher Status gestärkt wird. Ziel des Berichtes ist es Prostitution abzuschaffen. Die Abschaffung der Prostitution ist aber erst dann erfolgreich, wenn es keine Prostituierten gibt. Die Logik ist also: "Wenn wir es den Prostituierten schwer machen, anstatt ihnen Rechte zu geben, hören sie vielleicht auch mal auf. Aber wenn wir denen die Arbeitsbedingungen verbessern, werden wir Prostitution nie abschaffen."

  • Honeyball und die Europäische Frauenlobby (und auch die EMMA oder Alice Schwarzer) verfolgen nicht das Ziel die Arbeitsbedingungen der Prostituierten zu verbessern, indem z.B. klare Kriterien für gute Arbeitsbedingungen aufgestellt werden. Für sie ist - und das steht auch im Bericht - Prostitution Sklaverei und sie darf nicht durch Arbeitsrechte gebilligt werden. Das führt aber dazu, dass letzendlich eine Verschlechterung der rechtlichen Position von Sexarbeiter*innen, die nicht ihren Job verlassen wollen, in kauf genommen wird, ja gar gefordert wird, denn das würde ja den "Prostitutionsmarkt" fördern.

  • Hunderte von Organisationen weltweit, darunter Sexworker-Organisationen, wie ICRSE oder NSWP, aber auch Anti-Menschenhandels-Organisationen, wie La Strada International und GAATW, Frauenorganisationen, wie z.B. der Deutsche Frauenrat und AWID sowie AIDS-Hilfen und UNAIDS, haben für eine Ablehnung dieses Berichtes plädiert. Dass die Abgeordneten dennoch dafür gestimmt haben, werte ich nicht als Zeichen für das Engagement für das Wohlbefinden von Prostituierten sondern als Zeichen für Ihre Indifferenz gegenüber Sexarbeitern, die nicht gehört wurden, und als Zeichen von der anhaltenden Stigmatisierung dieser Menschen, die in den meisten EU-Ländern rechtlos. Organisationen

  • Zuletzt zeigt das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten, dass die meisten unter ihnen eigentlich nicht vorhaben, Prostituierte zu "entkriminalisieren" oder "repressive Gesetze" aufzuheben. De facto werden die meisten Länder den Bericht nutzen, um nicht nur Prostituierte repressiven und diskriminierenden Gesetzen auszusetzen, sondern auch ihre Kunden zu kriminalisieren. Das "Gewerbe" (Was es de jure ja nur in wenigen Ländern ist) wird in den Untergrund abtauchen, da wo wirklich nur die organisierte Kriminalität die Kontrolle hat. Dieser Bericht wird genutzt werden, um Prostitution komplett zu kriminalisieren und zwar nicht, weil dadurch Prostituierte geschützt werden, sondern weil vielen Politikern die moralische Ablehnung der Prostitution wichtiger ist als ein pragmatischer Ansatz, der das Leben und die Arbeitsbedingungen der Prostituierten verbessern soll. Kommentar