Gerät die katholische Kirche ins Wanken?
Am ersten Weihnachtstag spendete Papst Franziskus auf dem Petersplatz in Rom den traditionellen Segen "Urbi et Orbi" – greift diese Friedensbotschaft noch?. Foto & Teaser: picture alliance / ZUMA PRESS
Ein Beitrag von Doro
Kurz vor Weihnachten findet Papst Franziskus in seiner Weihnachtsansprache vor Kardinälen, Bischöfen und leitenden Mitarbeitern der Vatikanbehörden harte Worte. Er bezichtigt sie des Exhibitionismus, der Karrieremacherei, der Arroganz, der Geschwätzigkeit, des Neides und der Lüsternheit, des materiellen Gewinnstrebens, des Machtstrebens auf der einen Seite und der Untertänigkeit und des Opportunismus auf der andern Seite.
Das ist harter Tobak. Wie sollen die katholischen Gläubigen, die zu Weihnachten in die Messen strömen, damit umgehen? Zweifel und Misstrauen gegenüber den Bischöfen ihrer Bistümer und gegenüber ihren Gemeindepriestern werden an ihnen nagen. Wie sollen sie die gute Botschaft, dass Gott Mensch wurde, d.h. Einer von uns, und die nach Franzsikus` Auslegung zuerst und vor allem die Armen dieser Welt meint, und die die Katholiken bei uns als die Starken zuerst und vor allem in die Nachfolge Jesu ruft, umsetzen ohne Hirten, die über jeden Zweifel erhaben sind? Also jeder für sich, ganz individuell, ohne den ganzen Zwischenbau, ohne den Apparat Kirche, in Basisgemeinden allein unter Berufung auf Franziskus selbst? Ist eine Spaltung der katholischen Weltkirche zu befürchten?
Das kommt in einer Zeit, in der der Islam in vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens und in Afrika - und bei uns in Terroranschlägen - ein hässliches Gesicht zeigt. In einer Zeit, in der die verschiedenen Glaubensrichtungen des Islam sich bis aufs Blut bekämpfen, und Muslime bei uns, offensichtlich in Erklärungsnot, von Christen und Nichtchristen insistierend gedrängt werden, sich zu bekennen.
Die Ev. Kirche in Deutschland, zu der ich gehöre, plant für 2017 ein Jubiläumsjahr "500 Jahre Reformation". Bisher ökumenisch, mit den Katholiken zusammen, ein sog. Christus-Jahr. Der Gedanke ist, die Unterschiede, die Martin Luther und die Protestanten damals von der Kirche ihrer Zeit trennten, sind historisch. Sie gibt es heute nicht mehr, sie sind überholt. Franziskus klagt heute genau diese Missstände an, die Luther damals in seinen 95 Thesen seiner Kirche und dem Papst vorwarf.
Der Islam ist in der Krise. Das Christentum qua katholischer Kirche ist in der Krise.
Die protestantischen Denominationen in Amerika sind z.T. nicht vertrauenswürdig (Methodisten bejahen die CIA-Foltermethoden). Ev. Gemeinden und ihre Pfarrer in Deutschland und in anderen überwiegend protestantisch geprägten Ländern Europas sind bemüht, sozial engagiert (z.B. in der Flüchtlingshilfe), aber politisch und erst recht global gesehen, doch eine quantité négigeable
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Orientierung und Halt zu geben, sind wichtige Aufgaben der christlichen Kirchen. Vermögen sie es noch? Die Friedensbotschaft des Papstes (Urbi et Orbi) - greift sie noch?
nemo
(KL)EINE MITTERNACHTSMESSE
Nein, liebe Doro, die katholische Kirche wird sich nicht selbst zerlegen! Sie hat in ihrer zweitausendjährigen Geschichte dem mächtigen Imperium Romanum, allen Schismen, der Reformation und auch in weiten Teilen auch dem Faschismus widerstanden. Und mehr, auch das Christentum als Ganzes steckt in keiner Krise! Im Neusprech der Politiker unserer Zeit würde man sagen: Unser Christentum ist glänzend aufgestellt, den Herausforderungen unserer Zukunft zu trotzen.
STÄRKE IN DER VIELFALT
Stellen wir uns einmal eine Linie vor, die ohne Bewertung, ohne Zahlen & mathematische Werte, ohne Plus/Minus - jenen Lieblingstechniken der Vermesser & Beherrscher unserer Welt - versucht die Möglichkeiten christlichen Glaubens nach den einfachen Kriterien viel Form (Kirche, Struktur, Gottesdienst, im öffentlichen Raum sichtbare Präsenz etc.) und viel Inhalt (Glaube als ein Versuch in der Nachfolge Jesu Christi zu leben) nebeneinanderzustellen. Nehmen wir dann als ungefähre Mitte dieser Linie die lutherischen und calvinistischen Protestanten, dann haben wir zusätzlich mit den verschiedenen orthodoxen Kirchen(syrisch, griechisich, russisch etc. ), den Katholiken und den Alt-Katholiken auf der einen Seite dieser fiktiven Mitte und den Pfingstlern, Adventisten, Mennoniten, den Baptisten, den Amischen, den Hutterern mit ihren Bruderhöfen und den Quäkern, die alles Leben als ein Sakrament betrachten, auf der anderen Seite eine Vielzahl von Möglichkeiten ein christliches Leben zu führen. So gesehen brauchen wir auch eher weniger als mehr Ökumene im Interesse der Lebendigkeit und der Kraft unseres christlichen Glaubens
Ich selbst bin römisch-katholisch getauft, war (natürlich) begeisterter Messdiener, bin dankbar für eine religiöse Erziehung, die dafür gesorgt hat, dass Gott in meinem Leben – mal mehr, mal weniger – aber immer präsent war und bin formell immer noch Mitglied dieser Kirche. Gleichwohl lebe ich seit meiner Heirat und der Geburt meiner Tochter mein religiöses Leben in einer evangelisch-lutherischen Gemeinde, nehme hier auch am Abendmahl teil, was mich eigentlich für eine sofortige Exkommunikation auf Seiten meiner Heimatkirche qualifiziert. Ich glaube aber, dass es unserem HERRN völlig Wurscht ist, auf welchem Konto das Finanzamt meine Kirchensteuer verbucht! Außerdem ist mein großes Vorbild im Glauben und im politischen Widerstand im Faschismus mit Dietrich Bonhoeffer ein Protestant. Und natürlich ist da mit George Fox, jener charismatischen Prediger, Dissenter, Aufrührer gegen die Obrigkeit, unbeugsam im Glauben, der die Quäker gründete. Auch ihm fühle ich mich in vielen Glaubensfragen verbunden.
Das verstehe ich übrigens auch unter Ökumene, nicht das Angleichen von Normen und Formen oder das Aushandeln fauler Kompromisse bei theologischen Spitzfindigkeiten.
FRANZISKUS WIRD VIEL VERÄNDERN
Die Katholische Kirche hat einen langen Weg vor sich, um sich den Anforderungen unserer Zeit anzupassen. Ganz schwierig, weil die Kurie z.B. das genau andersherum sieht: Die Zeit hat sich den Dogmen anzupassen. Ohne hier auf Einzelheiten (Frauen, Laienmitarbeit, Zölibat, Sexualität) einzugehen glaube ich aber, dass Papst Franziskus der richtige Mann ist die Arbeit zu beginnen.
Ein weiteres großes Problem, das viele Nicht-Katholiken mit dieser Kirche haben, ist die spätfeudale Repräsentanz ihres Anspruchs über den Vatikan auch eine weltliche Macht zu sein. Kirchgeschichtlich hat ihr das zwar immer ein Maximum an Unabhängigkeit gewährleistet und verhindert politisch anderweitig vereinnahmt zu werden. Diesen Anspruch aber aufzugeben, was ich allerdings für nötig halte, wird in der Tat schwer zu vermitteln sein. Ob das auch ein Papst Franziskus schafft weiß ich nicht. Was die angeblichen sagenhaften Reichtümer der Katholischen Kirche anbetrifft – lassen wir hier einmal die kriminellen Aktivitäten eines Tebartz Van Elst oder der Vatikanbank in den 70er und 80er Jahren weg – so bestehen diese Reichtümer überwiegend auch Kunst und Immobilien, sind Teil des Weltkulturerbes, gehören also uns, der ganzen Welt. Eine Erbe, das die Katholische Kirche pflegt und unterhält. Ihr Gegenwert dieser Reichtümer in Geld ist deswegen gleich Null.
DIE DUNKLE SEITE DER REFORMATION
Eine hierarchisch organisierte Kirche ist mit allen Fehlern menschlichen Handelns behaftet und steht damit letztlich immer im Widerspruch zu den Zielen und Inhalten ihres Glaubens. So glaube ich zum Beispiel, dass GOTT die Antithese von Hierarchie ist. Inzwischen weiß ich aber wie tief diese Hierarchie auch bei den Protestanten gestaffelt ist. Und mit einen Mann wie Ex-Bischof Huber, der ja ein brillanter Theologe sein soll (was ich nicht beurteilen kann), finde ich auch keinen gemeinsamen Nenner. Ein Bischof, der seine Kirche zeitweise zusammen Price-Waterhouse-Coopers, Ernst & Young oder Roland Berger führt, passt zwar zum neoliberalen Zeitgeist, ist aber fragwürdig. Auch Martin Luther ist theologisch keine Lichtgestalt. Sein Antisemitismus ist teilweise so perfide, dass Joseph Goebbels hier abgeschrieben haben könnte. 2017 ist ja eine Riesensause zum 500jährigen Jubiläum der Reformation (Anschlag der bekannten Thesen zu Wittenberg) geplant. Ich hoffe, dass sich die evangelisch-lutherische Kirche entscheidet, bei allem Jubel auch dieses dunkle Kapitel öffentlich zu machen. Sie hat dies nämlich trotz umfangreicher Forschungsliteratur zu diesem Thema eigentlich bis heute gekonnt unter der Decke gehalten.
Auch die Bekennende Kirche mit ihrer Barmer Erklärung von 1934 schweigt übrigens dazu.
Also liebe Mitchristen, freut euch über die Vielfalt, mit der wir unseren Glauben leben (!) können, jener Vielfalt, aus der wir Kraft schöpfen können auch für unser politisches Engagement. Wie bei mir und vielen anderen Linken zum Beispiel.