Community Abend: Aggressionen im Netz
Was war eigentlich das Schlimmste, was uns je an Aggression im Netz widerfahren ist? Mit dieser Frage stiegen wir beim Community-Abend ein - und es kam so einiges zusammen. Foto: Eva Breitbach
Haben wir uns schon daran gewöhnt, dass im digitalen Raum auch die Aggressionen toben? Beeinträchtigen sie uns? Müssen Online-Diskussionen eigentlich so oft in Beschimpfungen enden oder geht es auch anders? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier einige Beobachtungen und Fragen unseres Community-Abends zum #pxp_thema "Aggressionen im Netz" skizziert.
Ein Beitrag von Alexander Wragge, Redaktion
Mordphantasien, Drohungen, Hasstiraden, Hetze – kaum jemand hat sie noch nicht erlebt oder beobachtet: Aggressionen im digitalen Raum, denen wir aktuell einen eigenen Schwerpunkt widmen (#pxp_thema). Bei unserem Community-Abend wollten wir herausfinden, worüber wir eigentlich reden (wollen). Über Trolle? Über Stalking? Über ein allgemein vergiftetes Diskussionsklima? Und wie gehen wir mit Aggressionen im digitalen Raum um? Schüchtern sie uns ein? Halten sie uns davon ab, an der digitalen Öffentlichkeit teil zu haben?
Persönliche Erfahrungen
Zunächst tauschten wir unsere persönlichen Erfahrungen aus. Einige davon seien hier kurz festgehalten:
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Ein Teilnehmer schildert, wie die Diskussion in einer Facebook-Gruppe eskaliert. Er stört sich am abfälligen Gebrauch des Wortes „schwul“, was wiederum andere in Rage bringt. Am Ende wendet sich die gesamte Gruppe – bestehend aus hunderten von Teilnehmern – gegen ihn und er steigt aus. „Es hat mich gestresst.“
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Feministinnen berichten von Einschüchterungsversuchen, mit denen sie online konfrontiert sind - bis hin zur Vergewaltigungsdrohung. Eine Teilnehmerin beschreibt den Versuch, sie als Wissenschaftlerin zu diskreditieren und zum Schweigen zu bringen - „weil ich eine Frau bin“. In der Konsequenz tut sie sich mit anderen zusammen, um etwa bei sexistischen Kommentaren nicht allein dazustehen.
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ein Teilnehmer berichtet, wie er als Mitarbeiter eines Politikers eine Bürgeranfrage beantwortet. Sein Antworttext landet – samt einem Foto von ihm – auf einer rechtsextremen Seite und wird dort aggressiv kommentiert. In den Tagen danach hat er Sorge, auf der Straße von den falschen Leuten wiedererkannt zu werden. In der Konsequenz geht das Politiker-Büro auf bestimmte Anfragen nicht mehr ein. „Eine gewisse Form von Selbstzensur hat das schon bewirkt“.
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eine Teilnehmerin beschreibt die Problematik, wenn eine Person die offene Online-Kommunikation eines Projekts immer wieder dominiert und damit stört. Im konkreten Fall bringt jemand dieselbe, teilweise unsachliche Kritik immer wieder vor, ohne sich mit der Antwort in der Sache abzufinden. Auch das Angebot, den Konflikt per Mail oder telefonisch zu klären, hilft nicht weiter. Erst der persönliche Kontakt mit der Kritikerin kann die Auseinandersetzung auf zufriedenstellende Weise beenden.
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ein Teilnehmer berichtet über den Umgangston im Chatraum eines Online-Spiels. Dem anderen zu sagen: 'Ich wünsch Dir, dass Du morgen bei einem Autounfall stirbst', scheint dort ganz normal zu sein. In die Erinnerung brennt es sich trotzdem.
Je länger wir sprachen, desto mehr Aggressionen beschäftigten uns. Der Fall der 15-Jährigen Kanadierin Amanda Todd, die sich das Leben nahm, nachdem sie online massiv gestalkt und gemobbt wurde. Youtube-Kommentarspalten, die vor Hass überquellen, etwa wenn Fans (?) des Moderators Jan Böhmermann und des Modebloggers Sami Slimani eine Fehde austragen. Facebookseiten, auf denen auf widerlichste Weise gegen Roma gehetzt wird. Die Liste wird schnell erschreckend lang.
Was bringt uns ein derart ungeordnetes Sammelsurium an Aggressionen? Jeder Fall ist anders gelagert, wirft andere Fragen auf, erfordert andere Antworten. Nun, diese Sammlung macht uns schon mal gemeinsam bewusst: Wir haben sehr viele schlechte, mitunter traumatische Erfahrungen und Beobachtungen in dem digitalen Raum gemacht, in dem wir uns eigentlich ausdrücken, kommunizieren, diskutieren, frei und furchtlos bewegen wollen. Oder anders gesagt: Wir haben ein Problem.
Knackpunkte und Fragen
In unserer offenen Runde konnte es jetzt nicht darum gehen, für jede Aggression die passende Einordnung, Bewertung und Reaktion zu finden. Auch ist es unmöglich, all die Vorschläge, Ideen und Erkennnisse wiederzugeben, die der Abend hervorbrachte. Zumindest seien einige Aspekte und Fragen skizziert: zum drüber nachdenken und weiterdiskutieren (gerne auch online hier auf Publixphere).
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Angesichts der zahlreich dokumentierten Aggressionen gegen Menschen mit Migrationshintergrund, gegen Frauen, gegen religiöse Minderheiten und gegen Menschen, die sich im weitesten Sinne emanzipativ in der öffentlichen Debatte äußern, liegt der Schluss nahe, es auch mit einer Machtfrage zu tun zu haben. In vielen Fällen geht es eben nicht um die kritische und sachliche Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und Sichtweisen, sondern um den Versuch, bestimmte Gruppen einzuschüchtern, ihnen per se das Recht abzusprechen, am öffentlichen Diskurs teilzuhaben.
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Brauchen wir neue Gesetze, um uns gegen Aggressionen im Netz zu wehren? Oder eine bessere Rechtsdurchsetzung? Kann ich zum Beispiel zur Polizei gehen und 1.000 Teilnehmer eines Shitstorms wegen Beleidigung anzeigen? Oder lachen die Beamten mich dann aus?
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Gibt es technische Lösungen, die auf der einen Seite eine anonyme Kommunikation ermöglichen und auf der anderen Seite extreme Aggressionen wirksam unterbinden? Nebenbei: eine allgemeine Klarnamenpflicht im Netz wollte niemand von uns. Erst die Anonymität ermöglicht es vielen Menschen, sich ganz frei zu äußern.
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Sollten wir mehr über die spezielle 'Psychologie' des Digitalen Raums nachdenken – beispielsweise über den Online-Enthemmungseffekt? Wie empfinden wir Empathie und Respekt vor einer Person, mit der wir zwar kommunizieren, die wir aber weder kennen noch sehen? Lässt sich das lernen?
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Ist es andersherum überhaupt immer hilfreich, Aggressionen in Verbindung mit dem Digitalen Raum zu diskutieren, in dem sie stattfinden? Eine Vergewaltigungsdrohung ist eine Vergewaltigungsdrohung. Macht es einen entscheidenden Unterschied, ob sie online geäußert wird oder offline? Gehen Beleidigungen online einfach schneller von der Hand und sind deshalb auch weniger ernst gemeint und ernst zu nehmen?
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Ist ein aggressives Klima im Netz auch strukturell bedingt? Trägt die Konstruktion 'Leserforum' nicht schon eine Art Dauerkränkung in sich? Zwar dürfen nun die LeserInnen 'da unten' irgendwie mitreden, auch etwas sagen. Aber in vielen Fällen werden sie von den Journalisten 'da oben' weder erkennbar gehört noch ernst genommen. Müssen Kommentare prinzipiell mehr anerkannt werden - etwa durch redaktionelle Würdigungen (Zusammenfassungen, "Best of", Bezugnahmen etc.)?
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Was taugen Begriffe wie Troll, Hater oder Flamer für unsere Debatte? Verharmlosen sie manchmal, worum es geht, nämlich verbale Gewalt zwischen echten Menschen, unter denen Betroffene teilweise erheblich leiden?
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Solidarität: Soll ich Betroffenen zur Seite springen, wenn in einem Forum, auf Facebook oder Twitter gegen sie gehetzt wird? Oder ist es legitim, keine Zeit und keine Nerven dafür zu haben?
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Ist eine offene, gewaltfreie Internet-Öffentlichkeit eine Illussion? Wie kann eine konstruktive Kommunikation mit potenziell 'Allen' organisiert werden, bei der sich die Teilnehmer soweit anerkennen und wertschätzen, dass sie sich keine verbale Gewalt antun? Braucht es zwangsläufig geschützte Räume, in denen auch die Teilnehmer - nicht nur ein Community-Management - bei extremen Aggressionen eingreifen?
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Diskussions-Kultur I: Was macht für uns eigentliche eine gute Debatte im Netz aus? Ist das eine Debatte, bei der wir mit unseren Argumenten 'gewonnen' und unsere Sichtweise 'durchgesetzt' haben, bis der andere aufgegeben hat? Oder können wir auch Debatten wertschätzen, bei denen am Ende immer noch viele unterschiedliche Sichtweisen bleiben, aber bei der wir alle ein wenig etwas dazugelernt haben?
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Diskussions-Kultur II: Manche Online-Diskussionen scheinen auch deshalb zu eskalieren, weil es schwer ist, online 'Schwäche' zu zeigen, Fehler einzugestehen, sich von anderen berichtigen oder überzeugen zu lassen. Manch einer verzettelt sich lieber heillos als vor den Augen der digitalen Öffentlichkeit auch nur einen Deut nachzugeben. Hilfreich wäre vielleicht eine Kultur, die 'Zugeständnisse' als Stärke wertet und nicht als Schwäche.
Bleibt zu sagen, dass unser Austausch zu Aggressionen im Netz weitergeht. Online sind alle Interessierten eingeladen, sich hier auf Publixphere mit eigenen Fragen, Gedanken und Ideen einzubringen - eingeloggt via Kommentar oder einem eigenen Diskussions-Anstoß. Offline findet am 18. Februar in Kooperation mit dem Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung unser zweiter Termin zum Thema statt: Gewalt im Internet - Brauchen wir neue Gesetze?
Habe ich was vergessen? Vielen Dank an unsere tollen Gäste! Ihr könnt diesen Text gerne ergänzen oder wütend kommentieren!
Community Management
Liebes Forum,
wir möchten euch auf die Zusammenfassung der Podiumsdiskussion "Gewalt im Internet – brauchen wir neue Gesetze?" sowie die dazugehörige Videoaufzeichnung der Diskussion aufmerksam machen, die am 18. Februar in Zusammenarbeit mit dem Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung stattfand. Mit auf dem Podium saß u.a. auch Publixphere-Community-Mitglied Julian Jostmeier.