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Podiumsdiskussion: Gewalt im Internet – Brauchen wir neue Gesetze?


Foto: Heinrich-Böll-Stiftung / Stephan RoehlPodium v.l.n.r.: Charlott Schönwetter, Katja Keul, Gitti Hentschel (Moderation), Dagmar Freudenberg, Julian Jostmeier. Foto & Teaser: Heinrich-Böll-Stiftung / Stephan Roehl (CC BY-SA 2.0)

Helfen neue Gesetze gegen eine gewaltvolle Kommunikation im Internet? Wäre eine Klarnamenpflicht eine Option? Welche Rolle spielen Machtstrukturen? Unser zweiter #pxp_termin zu Aggressionen im Netz im Überblick.


Ein Beitrag von Redaktion

Beleidigungen, Drohungen, Shitstorms gegen Einzelpersonen – orientiert an den Interessen der NutzerInnen beschäftigt sich Publixphere mit Aggressionen im Netz. Unser zweites Offline-Treffen (18. Februar 2015) fand in Zusammenarbeit mit dem Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie statt. Warum? Das Institut der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung problematisiert ebenfalls die gewaltvolle Online-Kommunikation („harassment“). Schwerpunkt ist hier eine genderbasierte Gewalt, die sich beispielsweise gegen queer-feministische AktivistInnen richtet. Das gemeinsame Interesse: wie ist mit Aggressionen im Netz umzugehen?

Die zentralen Diskussionsstränge des Abends (siehe Video) seien hier skizziert. Wer will, kann auf Publixphere mit Kommentaren und eigenen Texten daran anknüpfen.

Die Gesetzgebung

Änderungen der Gesetze fordert Dagmar Freudenberg, Vorsitzende der Kommission Strafrecht des Deutschen Juristinnenbundes. Sie beobachtet Gewalt gegen Frauen im Internet – in Form von Beleidigungen, Bedrohungen, Stalking und Sexismus. Allerdings sind online verübte Straftaten im Netz, wie etwa Beleidigung und Nötigung, Freudenberg zufolge kaum zu ahnden. Zugleich sei der Schaden durch Beleidigungen online oft größer als offline. ”Im Internet bleibt das, was einmal gesagt wurde, kein flüchtiges Wort, es wird von anderen aufgegriffen, verstärkt, noch schlimmer gemacht.”

Freudenberg schlägt vor, einen eigenen Straftatbestand 'Cyber-Beleidigung' zu definieren – auch wenn sie hierzu noch keinen konkreten Vorschlag habe. Der aktuelle Paragraph zur Beleidigung im Strafgesetzbuch (§ 185) reiche nicht aus. “Das ist das niedrigste, was wir an Kriminalität haben, und wird auch kaum verfolgt, wenn ich das mal so sagen darf.” Zudem müssten Betroffene gegenüber den Diensteanbietern Löschungen von Beleidigungen, Verleumdungen u.ä. erwirken können.

Skeptisch gegenüber Änderungen des Strafrechts zeigt sich Katja Keul, Sprecherin für Rechtspolitik der Grünen im Bundestag. Im Prinzip reichten die bisherigen Strafstandbestände aus. Gesetzesänderungen und speziell Änderungen im Strafrecht seien immer das allerletzte Mittel. Keul warnt vor gutgemeinten aber "missglückten" Gesetzen. Schon aktuell könne die Schwere der Tat bei der Verfolgung von Beleidigungen berücksichtigt werden – zur Schwere gehöre auch, ob eine Beleidigung dauerhaft im Netz steht.

Charlott Schönwetter, feministische Aktivistin und Bloggerin der Mädchenmannschaft, begrüßt eine Gesetzgebungsdebatte insofern, als sie bei der gesellschaftlichen Verständigung helfe: Was verstehen wir als Gewalt? Wer ist besonders betroffen? Katja Keul warnt indes davor, Gesetze auf den Weg zu bringen, nur um eine gesellschaftliche Debatte zu starten. "So entstehen die schlechtesten Gesetze".

Die Rechtsdurchsetzung

Die Frage nach der Strafverfolgung von Online-Delikten führt schnell zum Knackpunkt ‘Anonymität im Netz’. Wie können Beschuldigte auch noch Monate nach einer Tat zweifelsfrei identifiziert werden? Auf eine Debatte zur umstrittenen, verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung wollten sich die PodiumsteilnehmerInnen nicht einlassen.

Einen anderen Weg stellt Julian Jostmeier (Community-Vertreter Publixphere) zur Diskussion – ohne hierzu selbst eine Bewertung vorzunehmen. NutzerInnen von Online-Kommunikationsräumen könnten verpflichtet werden, bei der Einrichtung eines Profils eine Identifikationsnummer anzugeben – auch wenn sie unter Pseudonym unterwegs sind. Sollten die Behörden ermitteln, könnten sie so per Gerichtsbeschluss auf die Klarnamen von Beschuldigten zugreifen. Südkorea hat dieses Modell ausprobiert, allerdings kippte der Verfassungsgerichtshof das entsprechende Gesetz. Umsetzbarkeit und Effekte einer Klarnamenpflicht sind umstritten. Katja Keul zeigt sich zumindest gespannt, wie eine politische Debatte über entsprechende Modelle verlaufen würde.

Ebenfalls in die Rechtsdurchsetzungsdebatte gehört die Arbeit der Behörden. Sie ist nicht einfach zu bewerten. Die Polizei führt keine eigene Statistik zur Strafverfolgung von Delikten wie Beleidigung und Nötigung im Netz (siehe hierzu die Stellungnahme der Polizei Berlin). Charlott Schönwetter meint, dass auch die Strafverfolgung nicht frei von sexistischen und rassistischen Strukturen sei. Eine Anzeige scheitere oft schon an dem Punkt, ob man ernst genommen werde. Nicht für alle Betroffenen sei der Gang zur Polizei eine Option, da sie unter Umständen schon schlechte Erfahrungen gemacht hätten.

Dagmar Freudenberg plädiert dafür, die Behörden für Gewalt im Netz zu sensibilisieren und entsprechend zu schulen. Einen ähnlichen Sensibiliserungs-Prozess habe man bei häuslicher Gewalt erlebt. Katja Keul fordert, der Staat dürfe auf keinen Fall von vorne herein auf seine Strafverfolgsansprüche verzichten und die Opfer mit dem Hinweis alleine lassen, dass die Strafverfolgung im Netz schwierig sei.

In der offenen Runde wurde außerdem der Wunsch geäußert, Fälle öffentlich zu dokumentieren, bei denen Anzeigen erfolgreich waren – auch um Betroffene zu ermutigen, diesen Weg zu gehen. Wolf Ortiz-Müller, Psychologe und Experte der Beratungsstelle Stop-Stalking Berlin, merkte aus dem Publikum an, er habe es in seiner Arbeit auch mit sehr gut geschulten Beamten zu tun, und erlebe eine "punktuell sehr scharf greifende Strafverfolgung bei Internetkriminalität".

Machtstruktur und Medienkompetenz

Charlott Schönwetter regt an, über die gesellschaftlichen Ursachen gewaltvoller Kommunikation im Netz zu diskutieren. Das Internet sei kein machtfreier Raum. Nicht alle seien in gleicher Weise von Gewalt betroffen. Sie richte sich häufig gegen Personen, “die als Frauen sichtbar sind und eine Meinung vertreten – denn das ist ja oft schon das Verbrechen schlechthin – oder gegen Personen, die emanzipatorische Meinungen vertreten, wie z.B. explizit feministische oder anti-rasissistische Positionen”. Aggressoren würden gezielt versuchen, diese Menschen zu verängstigen, einzuschüchtern und “stumm zu machen”. Julian Jostmeier verweist auf entsprechende Erfahrungsberichte beim Publixphere-Community-Abend. Die gesellschaftliche Debatte um genderbasierte Gewalt im Netz sei noch nicht so breit wie sie sein müsste.

Jostmeier wirbt zugleich dafür, mehr Medienkompetenz zu vermitteln, etwa an den Schulen. Es müsse begreifbar gemacht werden, dass auf der anderen Seite ein echter Mensch sitze, der sich unter Umständen beleidigt oder verängstigt fühle – etwa am Ende eines Shitstorms. Das Bewusstsein, es auch in der Online-Kommunikation mit echten Menschen zu tun zu haben, gehe schnell verloren.

Links:


Kommentare

  • Hallo allerseits,

    ich möchte euch nicht vorenthalten, dass nun in einem Nachbarforum darum gerungen wird, ob und wie Gewalt gegen Frauen im Netz thematisiert werden soll. Aus unserer gemeinsamen Debatte zu (genderbasierter) Aggression im Netz entspinnt sich hier Feminismus-Kritik:

    MisterEde: "Dem (echten) Feminismus geht es nicht um Gleichstellung"

    Im Sinne des Ansatzes von Publixphere, einen gemeinnützigen Raum für den fairen öffentlichen Austausch über (auch maximal unterschiedliche) politische Ideen und Meinungen zu bieten, seien alle Interessierten eingeladen, sich mit dieser Kritik auseinander zu setzen.

    Einen weiteren Bericht zum Abend findet hier nun hier:

    Gunda-Werner-Institut: Sexistische Gewalt: kein Neuland. Von Francesca Schmidt (4. März 2015)

    Liebe Grüße, Alex