Russland-Beziehungen: Aufregungsspirale stoppen
Das Verhältnis zwischen der EU und Russland scheint an einem Tiefpunkt angelangt. Im Bild: Russlands Präsident Wladimir Putin beim EU-Russland-Gipfel im Januar 2014. Foto: EU-Kommission.
Gute Beziehungen zu Russland liegen im europäischen Interesse - meint René Marquardt JEF JEF Schleswig-Holstein . Wäre eine neutrale Ukraine der Ausweg aus der aktuellen Eskalationsspirale?
Hinweis: Dieser Text erschien zunächst im JEF-Sondermagazin zur Europawerkstatt 2014 und auf treffpunkteuropa.de, dem Online-Magazin der JEF. David Schrock JEF wirbt in seiner Gegenposition dafür, europäische Grundwerte notfalls auch mit Waffengewalt gegen einen russischen Expansionsdrang zu verteidigen. Johannes Steen stellt folgenden Text zur Diskussion: Alternative europäische Lösungswege in der Ukrainekrise
Ein Beitrag von René Marquardt JEF JEF Schleswig-Holstein
Die Ukraine-Krise ist gefährlich, weil sich viele im Westen furchtbar aufregen, was ebenfalls zu großer Aufregung in der russischen öffentlichen Meinung und Politik führt. Die Aufregungsspirale gilt es zu durchbrechen. Beschlüsse westlicher Staaten, wie der Ausschluss Russlands aus den G8, sind für mich keine klugen, deeskalierenden Maßnahmen. Der entscheidende Punkt in der aktuellen Debatte ist die Grundeinsicht, dass Russland auch weiterhin unser Nachbar sein wird. Insofern ist es unser fundamentales Interesse, die Beziehungen zu Russland vernünftig zu regeln.
Wer eine stabile Friedensordnung in Europa will, muss die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands berücksichtigen, während Russland natürlich ebenfalls die legitimen Interessen seiner kleineren Nachbarn respektieren muss. Wie können viele westliche Akteure derart überrascht sein, dass Russland Geopolitik betreibt? Vermutlich wegen des Glaubens, dass liberale Werte sich schon durchsetzen würden und die Zeiten der Geopolitik vorbei sei. Schön wäre es. Leider scheint mir Machtpolitik an der Tagesordnung zu liegen, manch einer maskiert sie nur hinter moralischen Werten.
Knallharte Machtpolitik ist die außenpolitische Realität
Die traurige Wahrheit ist, dass im Kontext von Großmachtpolitik Macht häufig vor Recht geht. Putin kämpft mit harten Bandagen. Völkerrechtsbrüche verurteile ich. Aber die Logik hinter Russlands Machtpolitik müssten doch auch die USA und die EU verstehen. Man stelle sich die Empörung vor, wenn China ein mächtiges Militärbündnis schaffen würde, dem Kanada und Mexiko beitreten sollen. Alle betreiben sie Machtpolitik, indem zum Beispiel ein demokratisch gewählter pro-russischer Präsident der Ukraine unrechtmäßig gestürzt wird.
Solche Machtpolitik sehend stellt sich die Frage, wie eine Sicherheitsstruktur aufgebaut werden kann, die für Frieden sorgt. Jede eskalierende Maßnahme führt meines Erachtens nach nur zu weiterer Eskalation. Eine im Niedergang begriffene Großmacht mit einer alternden Bevölkerung und einer eindimensionalen Wirtschaft muss nicht mehr eingedämmt werden.
Wie soll es weitergehen?
Mir scheint, dass die westliche Strategie grundlegend revidiert werden muss. Der Plan der Westanbindung der Ukraine muss aufgegeben werden. Stattdessen sollte die Ukraine ein neutraler Pufferstaat zwischen NATO und Russland werden. Eine souveräne Ukraine könnte durch einen gemeinsamen wirtschaftlichen Rettungsplan, der durch die EU, Russland, den IWF und die USA finanziert wird, zu einer prosperierenden Nation werden. Eine Fortsetzung der Ukraine-Politik und Russland-Konfrontation würde die Feindseligkeiten mit Russland nur verschärfen und die Ukraine zugrunde richten. Eine wohlhabende, aber neutrale Ukraine, würde keine Bedrohung für Russland darstellen und es dem Westen erlauben, seine Beziehung zu Russland wieder in Ordnung zu bringen.
Nun gilt es, gemeinsam Lösungen zu finden statt sich gegenseitig durch militärisches Säbelrasseln zu zeigen, wie stark man doch ist. Dabei sollten vor allem die europäischen Institutionen tätig werden, nicht nur weil die osteuropäischen EU-Staaten einbezogen werden müssen, sondern auch weil die aktuelle Krise eine Chance für die Fortentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU ist.
Liam Fitzgerald Project for Democratic Union
In erster Linie sollte es uns darum gehen, der Ukraine zu ermöglichen selbst ihren Weg zu finden. Es scheint stattdessen in der Regel in der Diskussion um den Konflikt um die Interessen Russlands, der USA und der EU Mitglieder zu gehen und darum, welcher Seite die Ukraine angehört. Ist es nicht vielmehr so, dass die Ukraine in sich geteilt ist? Es gibt pro-Europäer und pro-Russen, die aber in erster Linie Ukrainer sind. Lediglich die Konfrontationsstellung, die der "Westen" und der "Osten" konstruieren, führt dazu, dass die Ukraine auseinander gerissen wird. Es sollte daher darum gehen, die Ukraine so weit zu stabilisieren, dass sie intern ihre Verfassung klären und je nach dem Willen der ukrainischen Bevölkerung die Bindung an die EU, die USA, Russland oder aber alle drei suchen kann. Die EU kann und sollte Garantien dahingehend abgeben, dass sie die Ukrainer in einem solchen Kurs unterstützen wird. Und sie sollte Russland einladen, die europäische Sicherheitsstruktur zusammen mit den USA zu überarbeiten und die Ukraine einzubinden. Dazu wäre es aber mit Sicherheit hilfreich, wenn die EU ihre Sicherheits- und Aussenpolitik zeitgleich reformieren würde. All das wird Jahre benötigen, ein erster Schritt ist daher, den ukrainischen Regionen mehr Autonomie zu gewähren und von europäischer Seite die Annäherung an die Ukraine langsam und im Dialog mit Russland zu betreiben. Am wichtigsten bleibt aber: die Ukraine muss in die Lage versetzt werden, selbst wählen zu können und wir müssen damit aufhören, das Land als einen Zankapfel zwischen "West" und "Ost" zu betrachten.