Russlands Außenminister Sergej Lawrow (im Bild) gibt den USA und der EU Schuld am Ukraine-Konflikt. David SchrockJEF weist das zurück. Foto: picture alliance / AP Photo
Putin hat sich verrannt und schlägt wild um sich, kommentiert David SchrockJEF die Ukraine-Krise. Der JEF-Bundesvorsitzende fordert von Europa die Bereitschaft, sich notfalls mit Waffengewalt gegen den russischen Expansionismus zu verteidigen.
Hinweis: Dieser Text erschien zunächst im JEF-Sondermagazin zur Europawerkstatt 2014 und auf treffpunkteuropa.de, dem Online-Magazin der JEF. René MarquardtJEF Schleswig-Holstein JEF wirbt in seiner Gegenposition dafür, eine Neutralität der Ukraine zu erwägen.
Ein Beitrag von David SchrockJEF
Das Prinzip der Abschreckung
Zwei Atommächte stehen sich gegenüber. Beide wissen, dass ein Einsatz nuklearer Sprengmittel für den offensiven Kriegseinsatz ausgeschlossen ist, wenn man durch den Zweitschlag des Gegners selbst nicht vernichtet werden möchte. Das ist kurzgefasst das Prinzip der Abschreckung des Kalten Krieges. Helmut Schmidt hat dieses Prinzip 1961 in seinem heute vergessenen Buch „Vergeltung oder Abschreckung“ in all seinen Facetten beschrieben. Schmidt wurde durch dieses Buch zum international anerkannten Sicherheitspolitiker und wird dafür noch heute in Publikationen über den Kalten Krieg immer wieder zitiert.
Ein vermeintliches Detailproblem der Sicherheitspolitik arbeitet Schmidt dabei besonders heraus: wenn zwei Staaten wissen (damals die USA und die UdSSR), dass sie sich niemals gegenseitig mit Atomwaffen beschießen würden, weil sie dann selber ausgelöscht würden, dann werden unterhalb dieses „atomaren Schirms“ regional begrenzte, konventionelle Kriege wieder möglich. Konkret: ob die USA vor dem Mauerbau 1961 tatsächlich mit Atomwaffen auf Moskau geschossen hätten, wären die Russen in West-Berlin einmarschiert, wird von Historikern stark bezweifelt. Das Wort „Mourir pour Danzig?“ aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs legt den Finger in die Wunde des Jahres 2014: Sind wir Europäer bereit, unsere NATO Bündnisverpflichtungen für Litauen, Estland oder Lettland zu übernehmen, wenn Wladimir Putin auf die Idee käme, dort auf ähnliche Weise einzumarschieren, um die russischen Minderheiten dort „zu schützen“, wie er das seit Februar 2014 auf der Krim getan hat? Sind wir bereit, Herrn Putin tatsächlich mit Atomwaffen abzuschrecken, um das Baltikum zu schützen? Wenn ich Litauer wäre, würde mich diese Frage sehr umtreiben.
Russlands Eingreifen in der Ukraine ist nicht zu rechtfertigen
Nur noch einmal zur Feststellung: der Einmarsch russischer Soldaten auf der Krim war nicht nur ein Völkerrechtsbruch, sondern ein kriegerischer Akt. Die Annexion war ein Völkerrechtsbruch. Die aktuelle Kriegsführung durch reguläre russische Truppen im Osten der Ukraine Truppen ist Völkerrechtsbruch und kriegerischer Akt zugleich. Nichts davon ist irgendwie zu rechtfertigen. Weder durch die NATO-Osterweiterung (die der Westen den östlichen Staaten übrigens nicht aufgezwungen hat, sondern die diese als souveräne Staaten beantragt haben) noch durch vielleicht manchmal zu geringe Rücksichtnahme auf russische Befindlichkeiten seitens der EU seit 1991.
Seit 1945 gilt in Europa der Grundsatz: Grenzen werden nicht auf kriegerischem Wege verändert. Mit dem Einmarsch auf der Krim und in die Ostukraine hat Herr Putin diesen Grundsatz aufgekündigt. Herr Putin hat Tatsachen geschaffen und ich persönlich mache mir keine Illusionen: auf Dauer wird Europa diese Tatsachen akzeptieren. Die Krim wird russisch bleiben und zumindest ein Teil der Ostukraine wird eine Art russophile Pufferzone von Putins Gnaden zum demokratischen Westen Europas werden. Wir müssen uns nun entscheiden, ob wir ein Freihandelsraum bleiben wollen oder wir bereit sind, gemeinsam unsere Werte zu verteidigen. Auf Putins Herausforderung des 20. Jahrhunderts müssen wir mit den kombinierten Mitteln des 20. und 21. Jahrhunderts begegnen.
Seit Monaten versuchen die westlichen Außenminister eine politische Lösung des Konflikts zu suchen. Die diplomatischen Kanäle müssen deshalb auch weiterhin das erste Mittel der Wahl bleiben. Ein wilder Schläger lässt sich aber allein mit warmen Worten nicht besänftigen, sondern nur mit der ernsthaften Bereitschaft, sich notfalls auch militärisch zu verteidigen. Die wirtschaftlichen Sanktionen müssen aufrechterhalten werden und zeigen bereits deutliche Wirkung. Je nach russischer Eskalationsbereitschaft muss die EU sie weiter verschärfen. Als dritten Punkt dürfen wir aber auch die militärische Komponente nicht ausschließen: wenn Polen und die baltischen Staaten das wollen, sollten wir daher ihrem Wunsch nachkommen und europäische Truppen zur Verteidigung der EU-Ostgrenze stationieren. Die EU muss Putin jetzt zeigen: wir dulden im Jahr 2014 keinen Expansionismus mit dem Schwert mehr und wir sind bereit, uns notfalls mit Waffengewalt gegen diese Bedrohung zu wehren. „Bis hierhin und nicht weiter“ ist auch eine Lehre aus der europäischen Geschichte vor dem Jahr 1939.
Härte und Gesprächsbereitschaft
Wladimir Putin und die Falken im Kreml haben eine Art der Konfliktführung ins Jahr 2014 übertragen, die er nur verlieren kann. Anders als im Kalten Krieg ist Russland dieses Mal nicht stark, sondern von Rohstoffexporten völlig abhängig und damit extrem schwach. Putin hat sich verrannt und schlägt wild um sich. Die EU muss ihm nun einerseits helfen, gesichtswahrend aus dieser selbstverursachten Misere wieder herauszukommen. Andererseits müssen wir unseren Standpunkt klar machen. Militärischer Einmarsch in souveräne Staaten ist kein akzeptiertes Mittel der Konfliktführung mehr. Europa kommt Herrn Putin weit entgegen und ist weiter gesprächsbereit. Nun ist es Zeit, dass er auf uns zukommt.
Hinweis: Zur Gegenposition von René MarquardtJEF Schleswig-Holstein JEF geht es hier: Russland-Beziehungen: Aufregungsspirale stoppen. Johannes Steen stellt folgenden Text zur Diskussion: Alternative europäische Lösungswege in der Ukrainekrise