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Die Gesellschaft des Teilens


picture alliance/KEYSTONEEin 3D-Drucker im FabLab Luzern – einer offenen, demokratische High-Tech-Werkstatt mit dem Ziel, Privatpersonen industrielle Produktionsverfahren für Einzelstücke zur Verfügung zu stellen. Foto: picture alliance/KEYSTONE


Kopieren. Fabrizieren. Transformieren. Teilen. Kollaborieren...ist das alles nur Buzzword-Bohei? Oder beginnt die neue Gesellschaft jetzt?

Ein Beitrag von Thorsten Wiesmann (think2share.de)

In unseren Städten findet seit Jahren ein wildes Basteln gegen die Wegwerfgesellschaft statt. An vielen Orten entstehen Gemeinschaften, die mit neuen Raumnutzungsformen experimentieren, alte Industrieareale neu beleben, ungenutzte Geschäfte und Wohnungen erobern, um neue Formen des Arbeitens und Produzierens zu erdenken. Schon hört man in Bezug auf Berlin die Bezeichnungen "Makercity" oder "Sharing City".

Eine nicht nachhaltige Gesellschaft könnte sich in eine nachhaltige und kreative Gesellschaft mit erweitertem Menschenbild verwandeln. In Zusammenhang mit dem Prinzip des Teilens steht die Peer2Peer-Bewegung (P2P). Zu übersetzen etwa als "Offener kreativer Austausch zwischen Gleichberechtigten". P2P ist eine ganzheitliche Philosophie und Lebensweise, die Politik, Wirtschaft und Spiritualität miteinander in Einklang bringt, und sich auf die Möglichkeiten stützt, über das Internet lokale und globale Gemeinschaften in kreativen Austausch zu bringen.

Wichtige Vordenker in diesem Zusammenhang sind u.a. Edgar Morin und Cornelius Castoriadis. Weiterhin sind das Cluetrain Manifesto und die Ausführungen von Bruce Sterling in seinem Buch Shaping Things als Einflüsse zu nennen. Sterling sieht den nächsten Schritt in der Entwicklung darin, dass industrielle Produkte eine eigene Art von Intelligenz entwickeln (sogenannte Spimes) und in interaktiven Austausch miteinander treten.

Wenn man sich anschaut, wie heutzutage durch Fabbing – und Rapid Prototyping-Technologien hochkomplexe Produkte zu sehr geringen Kosten in Labs und halb-öffentlichen Werkstätten hergestellt werden, wird klar, wie visionär die Beschreibungen von Sterling tatsächlich sind. Unter Fabbing versteht man in diesem Zusammenhang die Praxis, Gegenstände mit 3D-Druckern ‘auszudrucken’ – und die Baupläne der Gegenstände online mit anderen Fabbern auszutauschen. Durch das Prinzip “Rip. Mod. Make.” (Kopieren. Verändern. Fabrizieren), welches eine interessante Vorstufe des Prinzips des Teilens darstellt, entstehen so Innovationen, Skulpturen und allerlei Spielzeuge.

Im Umfeld von P2P breitet sich Personal Fabrication und das sogenannte Maker Movement aus. Dingfabriken und Open Design Cities heißen solche neuen nischen- und garagenähnlichen Labs, die zu Herstellungsorten sozialer sowie materieller Wertschöpfung werden. In diesen offenen Werkstätten oder Co-Working Spaces versammeln sich alle nur denkbaren alltagsrelevanten Kompetenzen, die Räume werden so zu: Maker Spaces, Hacker Spaces und Tech Shops. All das sind Orte in Städten wie Barcelona, Amsterdam oder Berlin, an denen Menschen zusammenkommen, die in ihrem Leben Berufstätigkeit und Alltag nicht mehr voneinander trennen.

Der Belgier Michel Bauwens hat eine Plattform gegründet, die sich der Erforschung dieser Bewegung widmet. Für Bauwens wirkt P2P in einer Zone jenseits der Vorstellungen des homo economicus, denn es erkennt die gegenseitige Verantwortung der Menschen an, sich maximal zu unterstützen und die innersten Talente zu entfalten. Bauwens schreibt: “Bei P2P geht es darum, unsere sozialen Systeme so auszurichten, dass jedes Individuum sich frei fühlt, seine eigenen Talente zum Wohle des kollektiven Nutzens zu entwickeln."

Dieser Ansatz geht weit über die gängigen Denkmuster des Wohlfahrtsstaates hinaus und sieht eine neue Zivilisation entstehen, bei der die Zusammenarbeit im Rahmen von kreativen Interessengemeinschaften zur neuen wirtschaftlichen und kulturellen Basis wird. Das Prinzip des Teilens kann über P2P hinaus in viele Richtungen neu gedacht werden - genannt seien hier nur der Ausgleich weltweiter Armut und Ungerechtigkeit und der Klimaschutz.

Welche Zukunft des Teilens erwartet ihr, welche erhofft ihr euch?


Kommentare

  • Kurz etwas zu dem, was oben in der Diskussion zweimal als Frage aufkam: Wie lässt sich das Teilen auf die gesammte Gesellschaft übertragen? Die zentrale Funktion beim sozialen Fortschritt, der Übergang von einer mechanischen zu einer organischen Solidarität, bildet die Basis des Prinzip des Teilens. Das Prinzip des Teilens könnten wir mit Kojin Karatani "Prinzip der Reziprozität" nennen, wobei dieser das Prinzip der Reziprozität zu recht scharf von den Prinzip der Interessengemeinschaft (pooling) abgrenzt, bei dem es über Kartellbildung zu gemeinsam erwirtschafteter Gewinnteilung kommt. So wie wir das Teilen denken bedarf es der Ergänzung durch den Sinn für Gerechtigkeit und Verantwortung im globalen Masstab so wie ihn Krishnarmurti betonte, wobei bei diesem die Interessengemeinschaft eben als Menschheit gedacht wird. Karatani ist einer der wesentlichen Denker unserer Zeit, eben weil er den Übergang von einem Produktionssystem zu einem Austauschsystem - Hobbes, Kant und Hegel folgend - aus dem Ablauf der Weltgeschichte versucht zu ergründen.

    Die Bewegung der Shared Economy ist was diesen Übergang angeht eben ein kleiner Anfang. Diese Bewegung folgt einem Begriff, der schon in den achtziger Jahren von dem amerikanischen Wirtschaftswissenschafter Martin Weitzman geprägt wurde. Bei ihr geht es darum das Prinzip des Teilens auf alle denkbaren Güter des Lebens auszudehnen und den Weg frei zu machen für eine Kultur der Eigenproduktion statt des Konsums und der Reparatur statt des Wegschmeißen. Im Zuge dieser Entwicklung werden Applikationen immer mehr zu Produkten, die unsere Wirklichkeit für uns strukturieren, indem sie uns Verbindungen stiften sowie Möglichkeiten aufzeigen und auf diese Art unsere soziale Realität erzeugen.

    Dabei kann es heutzutage nur darum gehen eine solche soziale Realität zu erzeugen, die die Technik loslöst von den Strukturen der Gier und der Ausbeutung, welche unsere Lebensgrundlagen rapide zerstören. Dafür braucht es entsprechende Strategien in allen Lebensbereichen. Eine in dieser Richtung zur Zeit deutende Strategie ist etwa die Common wealth dividends, die wie eine Meta-Applikation unsern Wohlstand gerecht aufteilen würde.

    • Danke für die Klarstellung. Ich muss zugeben, es ist gar nicht so einfach, nicht-kapitalistisch zu denken, also nicht mehr in Katergorien des "was habe ICH davon?". Manchmal habe ich den Eindruck, dass es ganz schön Angst macht, vom "Das ist meins" loszulassen. Besitz- und Eigentums-"Verlust" - das ist Panik pur. Aber Teilen ist kein Verlust mehr, wie bei einem Stück Brot. Es sind digital immer öfter zwei Brote, die beim Teilen rauskommen. Musss noch weiter drüber nachdenken.

  • Ich glaube im Kleinen, auf lokaler Ebene bzw. im Rahmen von lokalen Communities funktioniert diese Idee recht gut. Menschen organisieren sich in Co-Working-Spaces und es entstehen "Synergieeffekte", Nachbarn organisieren lokale Tauchbörsen für z.B. Werkzeuge und das funktioniert, Leute stellen "Tauschregale" in ihrem Kiez auf und Dinge wechseln den Besitzer. Auch manche nicht-monetären Plattformen versuchen bereits mit diesen Gedanken eine größere Reichweite bzw "Sharing Community" in verschiedenen deutschen Städten aufzubauen. So weit, so gut.

    Doch wenn ich mir diese Modelle etwas größer denke und auf "Die Gesellschaft" übertrage, dann frage ich mich, wie ein solcher Wandel realisierbar ist. Große Plattformen, die sich als Vorreiter der Sharing-Economy sehen, wie z.B. AirBnB oder Uber sind im Grunde ganz normale Unternehmen, die die Vermittlung von Ferienwohnungen oder einen Taxiservice anbieten. Sharing scheint mehr Label bzw. Marketingargument als Realität. Auch wenn ich die Bewegung charmant finde, frage ich mich regelmäßig, ob das nicht ein Widerspruch in sich ist? Müssten im ersten Schritt nicht alle Anbieter genossenschaftlich oder gemeinnützig organisiert sein? Können z.B. Hackerspaces wirklich so enorm wachsen, dass sie einen gesamtgesellschaftliche Bewegung werden? Sind es nicht doch einfach nur Nischenprojekte? Oder anders gefragt: Ist die Gesellschaft des Teilens im Kapitalismus überhaupt möglich?

    • AirBnB, Uber oder die aktuellen Carsharing-Angebote haben meines Erachtens nichts mit einer neuen Kultur des Teilens zu tun. Das sind zutiefst kapitalistische Geschäftsmodelle, digital ermöglicht. Ich find daran nichts groß Schlechtes (von der Selbstausbeutung der Uberfahrer mal abgesehen) aber auch nichts 'spirituell' oder sonst wie mit Idealen aufgeladenes Gutes.

      Und sonst: Ich würde auch gerne mit 3D-Druck experimentieren (hatte noch keine Zeit, nicht die Technik), aber ist das nicht einfach Basteln 2.0? Also ich bin skeptisch, wenn alles an die maximum große Glocke gehängt wird. Aber klar. Eine Sehnsucht nach Utopie, Spirituailität, neuer Gesellschaft besteht.

      P.S: Ich werde mal einen Workspace aufsuchen und komme dann vielleicht mit einer um 180 Grad gedrehten Meinung zurück :)

      • Genau, das meinte ich ja auch. Die besagten Plattformen sollten in dieser Diskussion eigentlich keine Rolle spielen.

        Nochmal zurück zur Diskussion um eine gesellschaftliche Vision: Vor einigen Jahren habe ich das Buch "Neue Arbeit, neue Kultur" des Philosophen Frithjof Bergmann gelesen. Er beschäftigt sich mit dem Ende einer "Ära der Vollbeschäftigung", was uns in unserem technologisierten Zeitalter bevorstehen wird. Er denkt damit einhergehend über ein neues Modell von Arbeit, jenseits der Lohnarbeit, nach. Er erforschte, was passieren würde, wenn Menschen nur noch die Arbeit tun, die sie "wirklich wirklich tun wollen" und macht sich Gedanken über ein anderes, neues Arbeits- und Wirtschaftssystem, das eher den Fähigkeiten und intrinsischen Motivationen der Menschen entspricht. Dabei spricht er auch einen Systemwandel an und bezieht den 3D-Drucker (bei ihm "Fabrikatoren" genannt) und die dezentrale Herstellung von kleinen Produkten als elementares Moment mit ein. Was ja auch inetwa die Gedanken des Artikels hier aufgreift. Durch das sogenannte "High-Tech-Self-Providing" ermöglichten diese neuen Technologien es uns, unabhängig zu leben und uns zu organisieren...und eine neue Kultur und ein humaneres Leben zu etablieren.

        Sehr interessante Theorie. Aber auch hier wieder zu meinen ursprünglichen Gedanken zurück: Wäre eine solche Gesellschaft überhaupt möglich? Eine Gesellschaft ohne klassisches Lohnarbeitssystem, die eher auf Selbstversorgung beruht? Was würde das für unser Sozialsystem bedeuten? Und auch in Kontext einer globalisierten Welt: Kann man sich aus dem System überhaupt einfach ausklinken?