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Merkt ihr was von der rot-rot-grünen Mehrheit in Deutschland?


picture alliance/dpaIm aktuellen Bundestag besitzen CDU/CSU 311, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen hingegen 320 Sitze. Foto: picture alliance/dpa

Ob Vorratsdatenspeicherung oder TTIP – der Einfluss von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei bundes- und europapolitischen Fragen scheint gering, meint 'MisterEde'. Woran könnte das liegen?


Ein Beitrag von MisterEde

Die SPD regiert in 14 von 16 Bundesländern und im Bund. Im Bundestag sitzt eine Mehrheit von rot-rot-grünen Abgeordneten und auch im Bundesrat haben die Länder, die von SPD, Linken und Grünen regiert werden, eine Mehrheit.

Doch, die Vorratsdatenspeicherung kommt und Deutschland beharrt weiter auf der einseitigen Austerität gegenüber Griechenland und den anderen Krisenländern. Die Klimaabgabe scheitert, TTIP wird vorangetrieben, die NSA-, Spionage-, BND-Affären bleiben ohne wahrnehmbare Konsequenzen wie auch das Versagen der Sicherheitsdienste und des V-Mann-Systems im NSU-/Verfassungsschutz-Skandal. Die Atomwirtschaft macht sich bei den Endlagerkosten vom Acker, die Finanzwirtschaft bekommt „Public-Private-Partnership“ geschenkt und eine Finanztransaktionssteuer (wissen Jüngere überhaupt noch was das ist?) gibt es bis heute nicht.

Wo also bleibt die rot-rot-grüne Mehrheit in der Bundespolitik und der deutschen Europapolitik?

Am Wähler liegt es ja anscheinend nicht, wenn es darum geht, eine deutlich sozial-liberalere Politik (und mit liberal meine ich bürgerliche Freiheiten und nicht ökonomischen Laissez-faire) umzusetzen. Woran aber scheitert es dann in Deutschland, dass z.B. nicht klar gegen die aktuellen TTIP-Verhandlungen Stellung bezogen wird, solange nicht grundlegende Rahmenbedingungen (Einheitliche Bemessungsgrundlagen und adäquate Besteuerung von Konzernen, Datenschutzstandards, Umweltstandards) vereinbart wurden.

Liegt das an Lobbyismus? Einem zu großen Einfluss von Wirtschaft und Industrieverbänden?

Liegt das an SPD, Linken oder Grünen?

Liegt das an der Veränderung der Medien, die mehr zu Sensationsberichterstattung tendieren, als die grundlegenden gesellschaftlichen Fragen in den Vordergrund zu rücken? Es wird z.B. die ganze Zeit über Griechenland gesprochen, aber nirgends über luxleaks.

Oder habt Ihr noch andere Ideen, woran es liegt, dass die rot-rot-grüne Mehrheit in Deutschland so wenig Einfluss bei den eher gesamtdeutschen oder auch europäischen Fragen hat?


Kommentare

  • Hallo Thorsten,

    Sorry, dass ich nicht direkt auf deinen Beitrag antworte, falschen Knopf erwischt.

    Wenn viele konservativ eingestellte Menschen bereit wären diese politischen Vorgaben in Frage zu stellen, würde wahrscheinlich ein echter Ruck mit Wandelpotenzial entstehen.

    Das würde ich natürlich begrüßen, aber von der Wahlentscheidung ausgehend denke ich, wenn jemand die angesprochenen Punkte kritisch betrachtet und dennoch eine Partei wählt, die sich für die Umsetzung dieser Punkte einsetzt, dann ist er schon selber schuld.

    Hingegen waren es eben die rot-rot-grünen Parteien, die sich vor der Bundestagswahl dezidiert gegen die intransparenten TTIP-Verhandlungen oder die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen haben oder auch für eine echte Aufklärung der Geheimdienstaffären warben. Und da stellt sich dann eben die Frage, was man von der heutigen Mehrheit dieser Parteien merkt.

    hätten weiterführend schön in meinen Diskussionsansatz vom 24.06.2015 gepasst.

    Bei diesem Punkt ist mir nicht klar, was z.B. die Klimaabgabe oder die Vorratsdatenspeicherung mit der Frage nach Gegenpolen in der Welt zu tun hat.

    • Hallo MisterEde, zum oberen Teil. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, wie leicht politische Lager als eine einheitliche Gruppe betrachtet werden. Dies fällt mir eben im konservativen Lager am deutlichsten auf. Bei der SPD ist dies nicht viel anders. Auch dort ist die Basis sehr breit und auch dort ist es sehr schwer traditionelle Parteimitglieder in einer Meinung zusammenzufassen. So wägt die SPD, nach einem schwierigen Wahlergebnis, ihre Orientierung in Verhandlungen neu aus. Vor der Wahl ist eben nicht nach der Wahl und der Wähler bleibt gerne trotzdem auch weiterhin seiner Tradition treu. Ich sehe Parteien als in ihrer Basis durchaus lebendig an, in der Führung jedoch als erstart. Eigentlich sehe ich hier ein Versagen der Basis, lebendiger für Reformen einzutreten.

      Beispiel: Auf Schleswig-Holstein bezogen gibt es mehrere ausgeschriebene Frackingfelder. Innerparteiliche Widersprüche werden hier besonders deutlich, wenn Lokalpolitiker hiergegen Sturm laufen und dies auch ehrlich meinen. Vor jeder Wahl sieht man jedoch die selben volksnahen Politiker treu und kompromislos für ihre Partei eintreten. Zum Ausdruck bringen wollte ich, dass hier eine anscheinend stark auf Tradition beruhende Schieflage besteht. Dies besonders stark in den zwei sogenannten Volksparteien.

      Der letzte Punkt zum Diskussionsansatz, war durchaus ehrlich und wertschätzend gemeint, auch weil ich eben viele sich mit meiner Überzeugung überschneidende Aussagen zu erkennen glaubte, die weiterreichende Informationen, und Beschreibungen enthielten. Es war aber nicht mehr als eine beim Lesen entstandene, spontan geäußerte Wahrnehmung.

      • Hallo Thorsten,

        Auch dort ist die Basis sehr breit und auch dort ist es sehr schwer traditionelle Parteimitglieder in einer Meinung zusammenzufassen

        Das bestreitet ja niemand, aber der Unterschied ist doch, dass man sich nicht wundern braucht, wenn die Partei, die man wählt, das macht, was sie vorher gesagt hat. „Dagegen“ kann man deswegen ja trotzdem noch sein und auch seine Kritik formulieren, in der Hoffnung, dass z.B. auch die Union TTIP erst mal zurückstellt.

        Mein Punkt ist aber, dass es eine rot-rot-grüne Mehrheit gibt und davon aus meiner Sicht nicht so viel zu spüren ist

        Der letzte Punkt zum Diskussionsansatz

        Ok, das hatte sich mir nur nicht erschlossen.

        • Hallo MisterEde,

          zweiter Absatz: Nein wundern, braucht man sich nicht. Gerade hier funktioniert aber die "Basisträgheit" von Parteien! Ganz ehrlich, könnte ich mich da auch einreihen, weil ich zu den Menschen gehöre, für die das Alte einem Neuen weicht, bei dem ich vielfach nicht weiß ob dieses progressive Neue unbedingt besser sein muss. Diesem Prozess noch übergeordnet sehe ich jedoch eine Entwicklung, die weitergedacht tatsächlich einen ökonomischen, ökologischen wie auch monetären Laissez-faire herbeiführt.

          Glaube bin damit erst mal wieder raus hier. ;)

          • Ich habe das Gefühl, dass eure Diskussion dazu tendiert, Parteien als logische Wesen zu betrachten. Es ist auch eine Frage der Personen und ihrer Einstellungen oder? Und da schließe ich mich MisterEde an: man merkt beispielsweise bei den Grünen eine generelle Tendenz, weniger Anti-Krieg abzustimmen wie früher. (Das sieht man übrigens ganz fantastisch auf Abgeordnetenwatch)

            Für mich ist die politische Debatte davon verletzt, dass große, verschwommene Parteien langfristig regieren und dadurch überhaupt keinen Trieb haben, schmerzhafte Änderungen zu bringen. Meine Stimme gebe ich nur denen, die gesellschaftlich und technisch innovieren wollen.

            • Schmerzhafte Änderungen für wen?

  • Hallo MisterEde, denke gerade verdammt schade, weil ich den Eindruck hatte, viele der schön beschriebenen Kritikpunkte und Erklärungen im Text hätten weiterführend schön in meinen Diskussionsansatz vom 24.06.2015 gepasst.

    Unter dem Motto rot-rot-grün fällt mir dazu jedoch nur ein: Ein politisches rot ist nicht gleich einem anderen politischen rot, viele sind sich nicht grün und schwarzrot ist sich einig an der Macht.

    Ich glaube, eine Änderung muss nicht unbedingt über das beschreibende, anscheinend einheitliche Kollektiv politischer Gruppen gehen. Ich bin überzeugt, dass sogar viele konservativ ausgerichtete Menschen, Anhänger der in allen Schichten mitgliederstarken CDU, merken, dass da was im argen liegt (ich beschränke mich hier erst mal auf die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Aussagen). Vieles ist eben zu offensichtlich. Dieses Denken wird jedoch durch bekannte Institutionen, selbstherrliche Interessengemeinschaften und Führungskader immer noch arrogant ignoriert. Wenn viele konservativ eingestellte Menschen bereit wären diese politischen Vorgaben in Frage zu stellen, würde wahrscheinlich ein echter Ruck mit Wandelpotenzial entstehen.

    Ok, Ok gebe es zu, mag ein wenig idealistisch klingen.

  • Hallo MisterEde und allen anderen. Linke hatten und haben ja ein durchaus problematisches Verhältnis zu parlamentarischen Demokratien. Was nicht zuletzt im leninschen Verdikt von der idealen Rolle der Demokratie als Herrschaftsform des entwickelten Kapitalismus gipfelte.

    Ich teile diese Einschätzung und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen ausdrücklich nicht, muss aber trotzdem konzedieren, dass da ein bisschen was dran ist. Anders lässt sich zum Beispiel der unaufhaltsame Siegeszug des Neoliberalismus und seiner Paradigmen bei SPD und GÜNEN nicht erklären.

    Ganz grundsätzlich gesagt, wird sich das aber nur ändern, wenn die Parteien links von der Union bereit sind den Primat der Politik zurück zu erobern (was eigentlich die ureigenste Aufgabe aller Parteien ist) und ihr politisches Handeln im Land, in Europa und einer globalisierten Welt daran auszurichten. Was sich hier so banal liest käme aber einer Revolution gleich.

    Ein Beispiel von vielen anderen: Um mit Europa ein Politikfeld herauszugreifen, würde das zunächst bedeuten die EU so umzugestalten, dass für ihre Mitgliedländer zumindest die theoretische Möglichkeit besteht ihre Gesellschaften stärker sozial auszurichten ohne an wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.

    Für mich bedeutet dies (auch im Licht der Griechenlandkrise) ganz konkret vor allem Aufgabe des Wahnsinnsprojekts EURO, der z. Zt. von allen Faktoren am meisten die wirtschafts- und sozialpolitische Handlungsfähigkeit der Mitgliedsstaaten einschränkt. Darüber hinaus für das Projekt Europa den Resetknopf drücken, auch wenn dies zunächst bedeutet mit einer wesentlich kleineren EU leben zu müssen. Eine EU, wie sie jetzt besteht, die vorgibt eine politische Union zu sein, aber nichts anderes ist als ein riesiger neoliberal organisierter gemeinsamer Binnenmarkt, in dem sich die Mitglieder im Rattenrennen um die günstigste Wettbewerbsposition gegenseitig ökonomisch bis auf das Messer bekämpfen, hat ebenso wie der EURO keine(!) Zukunft.

    Und sie erodiert die demokratische parlamentarische Basis unserer Gesellschaften in Europa. Also weg mit der Macht der von Dritten geschaffenen realwirtschaftlichen Fakten.

    Ergänzung / Nachtrag:

    „Gleichwohl ist die demokratische Verfassung der Europastaaten ( i.e. der einzelnen Mitgliedsstaaten/ n.m.) erst einmal das einzige, was akut gegen die ökonomische Verfassung Europas in Gang gebracht werden kann; und auch energisch in Gang gebracht werden muss, um eben diese demokratische Verfassung zu schützen. Allerdings ist diese Demokratie keine reale Gegenmacht zur Ökonomie, sondern entspringt dieser: Demokratie im Spätkapitalismus ist weitgehend nivelliert als Dispositiv verschiedener Verfahren. Sie ist eingefügt in die Sachzwangslogik der "verwalteten Welt", womit Max Horkheimer oder Theodor W. Adorno einmal politische Verhältnisse fassten, aus denen – paradox – das Politische abgezogen wurde.“

    Dies schrieb Roger Behrens am Samstag in der ZEIT. Er skizziert die Debatte, die wir jetzt führen müssen.

    15/07/11. 17:15 GMT+1

    • Hallo nemo,

      ich muss zugeben, dass ich mehr zu Reformen als zu Revolutionen tendiere und dem Text, bei allem Verständnis für die Wut auf das was falsch läuft, so nicht folge, sondern dafür werbe die EU mit kleineren und größeren Reformen Schritt für Schritt zu verändern, anstatt sie zu verkleinern oder den Euro aufzugeben.

      Lauter kleine Schritte:

      1. Euroweite Finanztransaktionssteuer
      2. Vereinheitlichungen bei der Unternehmensbesteuerung
      3. CO2-Zertifikate-Handel stabilisieren

      Und so könnte ich mit noch zig einzelnen Sachen weitermachen von der Anbindung der EU-Kommission an das EU-Parlament über ein eigenes Budget und eigene Steuereinahmen bis hin zu einem Presserecht und einer Medienaufsicht-Aufsicht auf europäischer Ebene, um so was wie in Ungarn zu verhindern.

      Den Euro aufzulösen hielte ich für ökonomisch verkehrt und entspricht auch nicht meiner politischen Vorstellung eines integrierten Europa.

      • Hallo MisterEDE, ich bin auch kein Freund von Revolutionen, Das war hier nur symbolisch gemeint. Ausführliche Antwort folgt, wenn ich etwas mehr Zeit habe.