Alexis Tsipras und François Hollande haben eigene Ideen für die künftige Eurozone. Sollte die deutsche Linkspartei daran anknüpfen, statt Fundamental-Kritik zu üben?
Natürlich sind die Fehler in der Konstruktion des Euro und in der Krisenpolitik zu bearbeiten - meint der ehemalige EU-Parlamentarier Jürgen KluteDie LINKE . Ein Euro-Ausstieg schade jedoch europäischen Integration. Seiner Partei rät er, die aktuellen Euro-Reformvorschläge aus Frankreich und Griechenland zu prüfen...
Eine Antwort von Jürgen KluteDie LINKE zur Debatte um linke Euro-Kritik
Ist der Euro aus linker Perspektive infrage zu stellen?
Diese Frage beantworte ich mit einem klaren Nein.
Es geht beim Euro nicht nur um eine ökonomische Frage. Die Frage nach dem Euro ist vor allem eine politische Frage. Der Euro steht für die Integration der in der EU zusammengeschlossenen Mitgliedsländer. Diese Integration basiert auf einer ökonomischen Integration, da die Ökonomie die Grundstruktur jeder Gesellschaft prägt – auch wenn eine Integration der EU mehr umfassen muss als die Ökonomie. Die gemeinsame Währung stellt die weitreichendste Form der ökonomischen Integration dar. Eine Infragestellung des Euros bedeutet deshalb nicht einfach nur ein Drehen an einer ökonomischen Stellschraube der Integration der EU, sondern er bedeutet einen Rückschritt der ökonomischen Integration. Folglich impliziert eine Infragestellung des Euro eine Infragestellung der Grundlage der Europäischen Union. Und das ist eben keine primär ökonomische, sondern eine zutiefst politische Frage.
Dessen ungeachtet ist Kritik an der Konstruktion des Euro richtig und nötig. Wenn der Euro aber vorrangig eine politische Angelegenheit ist, dann muss die Antwort auf die Fehlkonstruktion des Euros eine politische sein. Und die kann nur heißen: Korrektur der Konstruktionsfehler des Euro, um ihn zu erhalten. Genau dazu muss die Ökonomie ihren fachlichen Beitrag leisten.
Davon abgesehen bedeutet eine Rückkehr zu nationalen Währungen keinen automatischen Ausstieg aus der von der Linken zurecht kritisierten neoliberalen Wirtschaftspolitik – Wirtschaftspolitik und Währung sind eben nicht ein und das selbe.
Das Ende des Euro würde die Institutionen schwächen
Ein Ausstieg aus dem Euro bedeutete aber das Einreißen von EU-Institutionen. Politische Institutionen sind aber immer von politischen Machtgruppen umkämpft. Das ist der Kern von Politik. Das Einreißen politischer Institutionen würde diesen Kampf also nicht beenden, sondern ihn nur auf andere Ebenen verlagern, ihn vermutlich ent-zivilisieren.
Damit kommen wir zum politischen Kern der EU. Die EU-Institutionen bilden einen politischen Rahmen, in dem die Aushandlung von Interessengegensätzen zwischen den EU-Mitgliedsländern nicht mehr militärisch erfolgt, sondern mit politisch-parlamentarischen Mitteln. Und im Blick auf die Globalisierung schafft die EU den politischen Rahmen, in dem überhaupt nur noch wirksame Regulierungen durchsetzbar ist. In diesem Sinne sind die EU-Institutionen ein enormer zivilisatorischer Fortschritt und deshalb zu verteidigen.
In ihrem Programm fordert Die Linke zurecht, dass Kriege als Mittel zur Interessendurchsetzung verbannt werden. An ihre Stelle sollen zivile und diplomatische bzw. politische Lösungen treten. Dazu sind aber politische Institutionen erforderlich, die das leisten können.
Die EU stellt – bei aller Unzulänglichkeit – einen politisch-institutionellen Rahmen zur Verfügung, der das auf die EU bezogen leistet, was Die Linke programmatisch fordert: Zivile Konfliktlösung statt militärischer. Dieser Rahmen ist, wie gesagt, zwar begrenzt auf die EU, das ist aber kein Grund, ihn zur Disposition zu stellen.
Wenn die ökonomische Integration das Fundament der Integration der EU-Mitgliedsstaaten darstellt, dann bedeutet eine Aufgabe des Euro einen folgenschweren Des-Integrationsschritt, der zwangsläufig eine Schwächung des politisch-institutionellen Rahmens nach sich zieht, der an die Stelle innereuropäischer militärischer Interessendurchsetzung getreten ist.
Die EU ist gegenwärtig das weltweit am weitesten entwickelte System zu einer nicht-militärischen, diplomatisch-politischen Konfliktlösung. Eine solche politische Struktur schwächen zu wollen wäre für eine Friedenspartei, die Die Linke zu sein beansprucht, absurd. Was sollte denn dann an diese Stelle treten?
Die Vorschläge von Tsipras, Macron, Hollande und Cœuré prüfen...
Natürlich gibt es gegenwärtig massive Kritik an der EU zu üben. Was mit Griechenland und den anderen Ländern unter dem Troika-Regime passiert ist, ist nicht akzeptabel.
Aber die EU bietet trotz allem den politischen Rahmen, in dem die mit dieser unsäglichen Krisenpolitik verbundenen Konflikte ohne Kriege ausgetragen werden.
Deshalb kann es nur den Weg geben, die Fehler in der Konstruktion des Euro und der Krisenpolitik zu bearbeiten.
Alexis Tsipras hat kürzlich gefordert, dass Europäische Parlament stärker in die Krisenpolitik einzubeziehen.
Der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron hat Ende August vorgeschlagen, einen Euro-Kommissar zu berufen, der einen Haushalt bekommt, mit dem er schwächelnde Euro-Länder investiv unter die Arme greifen und auch Transferzahlungen leisten kann, der auf den Ausgleich wirtschaftlicher Ungleichgewichte achtet, und der einer vollständigen Kontrolle durch das Europäische Parlament unterliegt. Ein solcher Euro-Kommissar wäre kein Sparkommissar, der die Einhaltung der Austeritäts-Regeln überwacht, sondern ein wirtschaftspolitischer Akteur. Macron greift damit Forderungen des französischen Präsidenten François Hollande auf. Ebenso unterstützt das französische EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Cœuré diesen Vorschlag.
Die Linke sollte die Vorschläge von Tsipras, Macron, Hollande und Cœuré aufnehmen, kritisch prüfen, sie gegebenenfalls verbessern und sie dann massiv unterstützten. Denn eine Stärkung und Weiterentwicklung der EU-Institutionen entspräche ihren guten friedenspolitischen Forderungen. Eine Aufgabe des Euros nähme jedoch deren Schwächung und Rückbau in Kauf. Deshalb kann die Antwort auf die Eingangsfrage nur ein Nein sein.
Links zur Debatte:
Frankfurter Rundschau: "Eurozone - Wir brauchen einen Plan B", Gastbeitrag von Sahra Wagenknecht, 29. August 2015 Link: http://www.fr-online.de/gastwirtschaft/eurozone-wir-brauchen-einen-plan-b,29552916,31622664.html
Redaktion: Wie berechtigt ist linke Kritik am Euro?
Sören Brandes: Der Feind, liebe Linke, steht rechts