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Die Schlechtigkeit der Welt trifft auf das moralische Gewissen der Europäer - eine Überforderung?


Foto: picture alliance / dpaEine geflüchtete Familie kommt in Dortmund an. Foto: picture alliance / dpa.

Was kann und soll Europa für Flüchtlinge tun? Wie ist den Fluchtgründen zu begegnen? Das fragt Doro...


Ein Beitrag von Doro

Das Foto des syrischen Kleinkindes, das tot am Strand der türkischen Stadt Bodrum geborgen wurde, geht um die Welt. Es ist furchtbar, und es gibt sicher Niemanden, den es nicht aufwühlt. Viele insbesondere Alleinstehende, viele Kinderlose werden sich sagen, wären wir doch nur zur Stelle gewesen, wir hätten es gerettet, wir hätten es bei uns aufgezogen, wir hätten es lieb gehabt.

Die Konsequenz, die medial aus diesem Foto gezogen wird, ist eindeutig. Die Schuld wird bei uns gesucht. Ich zitiere nur Bild.de: „Europa, dieser unermesslich reiche Kontinent, macht sich schuldig, wenn wir weiter zulassen, dass Kinder an unseren Küsten ertrinken.“

Wer ist Europa?

Europa hat keinen Personenkern. Es ist der einzelne Europäer. Und ich beginne, mich schuldig zu fühlen. Dass ich in Deutschland geboren wurde und ich Nutznießerin einer guten Politik wurde, die die EU geschaffen hat, in der zwischen den Mitgliedsländern keine Kriege mehr herrschen, wovon ich profitiere, und dass ich es mit ansehe, wie die Welt außen vor, wie vor einer „Festung“ , sich in Krieg und Zerstörung und mit Grausamkeit und schlimmen Diktatoren weiter selbst zerfleischt.

Auch ich bin geneigt zu denken: die Staaten dieser Welt sind souverän, wir können da nicht eingreifen, wir können Diktaturen nicht beseitigen, ihre Kriege mit wechselnden Fronten sind undurchschaubar, wir können uns mit keiner Seite solidarisieren. Also müssen die Notleidenden aus aller Welt zu uns kommen, nach Europa, und bei uns Schutz und neue Lebensperspektiven finden. Es gibt keinen andern Weg.

Aber es sind zu Viele. Im Focus stehen z.Zt. nur einige Länder wie Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea. Doch sind nicht die meisten z.B. der schwarzafrikanischen Länder mit wenigen Ausnahmen nicht in Ordnung? Heute las ich eine Nachricht aus Swasiland, wo der despotische König Mswati III. barbusige Frauen vor sich tanzen lässt, um dann eine von ihnen auszusuchen und seinen 14 Frauen, die er schon hat, hinzuzufügen. Auf dem Wege dorthin kamen 9 Frauen bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Die Veranstaltung wurde nicht abgeblasen. Haben nicht alle Einwohner Swasilands, insbesondere die Frauen, einen guten Grund, einem solchen Land den Rücken zu kehren? Das nur als Beispiel.

Die Welt war schon immer ungerecht, woran auch die unterschiedlichen Kulturen einen erheblichen Anteil haben. Doch heute nehmen wir durch die globale Kommunikation teil an aller Ungerechtigkeit, die auch noch im letzten Winkel der Zivilisation und außerhalb der Zivilisation herrscht.

Meine Frage: "Europa, dieser unermesslich reiche Kontinent, macht sich schuldig..." Erfordert es das moralische Gewissen der Europäer, in Europa zusammenzurücken, und somit die außereuropäische Welt Diktatoren, sich bekämpfenden Clans und menschenverachtenden Regimen zu überlassen? Oder gibt es einen Ausweg aus der Aporie?


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Kommentare

  • Hallo Doro,

    Du und ich, wir sind nicht schuldig weil wir in der friedlichsten und wohlhabendsten Periode Europäischer Geschichte geboren sind. Wir haben einfach Glück gehabt. Wir sind zur rechten Zeit am rechten Ort: Hundert Jahre früher geboren und der erste Weltkrieg würde toben. 3000 km weiter südlich geboren, und wir wären inmitten des libyschen Bürgerkriegs. Wir haben verdammtes Glück gehabt. Schuldig machen wir uns nur wenn wir sagen, dass das Leid von Menschen, die weniger Glück hatten, uns nichts angeht.

    Das heißt nicht das es immer einfache Lösungen gibt. Aber Menschen fliehen vor Kriegen und Verfolgung, ihre Flucht führt sie nach Europa. Hier können wir ihnen helfen. Internationales Recht verpflichtet uns sogar zu helfen. Es gibt soviele Probleme, deren Lösung nicht in unserer unmittelbaren Macht stehen (unter anderem, den syrischen Bürgerkrieg zum Ende zu bringen). Doch Flüchtlingen können wir ganz direkt helfen, ihnen eine Lebensperspektive ohne Todesangst bieten. Es erfordert “nur” unseren Willen und unserer Anstrengung.

    Darüber hinaus schließt das Eine (Flüchtlinge aufnehmen) das Andere (stärkeres Engagement in fragilen Staaten) nicht aus. Beides ist geboten. Stärkeres Engagement in fragilen Staaten kann unterschiedlichste Form annehmen, von Entwicklungszusammenarbeit, diplomatischem Druck, bis hin zu militärischem Eingreifen. Das ist immer vom individuellen Fall abhängig. In Fall des syrischen Bürgerkriegs sollten neben der Flüchtlingsaufnahme in Europa, syrische Anrainerstaaten (Türkei, Jordanien, Libanon) die eine viel größere Zahl an Flüchtlingen aufgenommen haben, massiv unterstützt werden.