Herausforderungen durch Flucht und Vertreibung gesamteuropäisch angehen
Wie könnte ein gesamteuropäisches Konzept der Flüchtlingspolitik aussehen? Im Bild: Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze warten auf den Weitertransport an die mazedonisch-serbische Grenze. Foto: picture alliance / NurPhoto
Ein Beitrag von MisterEde
Gestern habe ich in meinem Blog nachfolgenden Text mit Gedanken zu einer Neuordnung von Asylverfahren, Asylgewährung, Balkan-Politik und Grenzsicherung in der EU veröffentlicht, den ich auch hier zur Diskussion stellen möchte:
Nachdem es inhuman, aber auch irrational ist, Syrer erst zu Schleppern zu zwingen, dann raus aufs Mittelmeer, um sie dort zu retten, in Italien zu registrieren, nach Deutschland ziehen zu lassen und sie dort nur zu dulden, weil sie ja eigentlich wieder zurück nach Italien müssten, wo man sie aber zurzeit nicht hin überführen darf – folgen ein paar Gedanken zu einer Neuordnung von Asylverfahren, Asylgewährung, Balkan-Politik und Grenzsicherung in der EU.
Grenzpakt:
Die Schengen-Länder sowie Bulgarien und Rumänien könnten einen Grenzpakt schließen, der vorsieht, dass, außer in Island und Norwegen, die Grenzsicherung eine gemeinsame Aufgabe der nationalen Behörden und der EU-Behörden wird. Die Außengrenzen werden dabei in „echte“ und „unechte“ Außengrenzen eingeteilt. Echte Außengrenzen sind Flughäfen und Häfen bei Verbindungen in und aus diesem Binnenraum, die offenen Seegrenzen sowie die Grenzen zu Russland, Weißrussland, Ukraine, Moldawien, Türkei und Marokko (z.B. Melilla). Unechte Außengrenzen sind die Grenzen zur russischen Exklave Kaliningrad und zu den Nicht-EU-Ländern des Balkans.
Die EU-Behörden legen dann eine Strategie zur Sicherung der echten und unechten Außengrenzen fest, die von den Außengrenzen-Ländern mit eigenem Personal und Material umgesetzt wird. Der hierfür kalkulierte Finanzbedarf wird zu 100% durch die Grenzpakt-Länder gemeinsam getragen genauso wie Investitionen in Grenzsicherungsanlagen bei „echten“ Außengrenzen. Zusätzlich kann Frontex ausgebaut werden, um die Sicherung der Seegrenzen zu verbessern und langsam bis zu 25% der Sicherung der „echten“ Land-Außengrenzen in Zusammenarbeit mit den nationalen Grenzschutzbehörden zu übernehmen.
Gedanke:
Zum einen könnte so Schengen vorangebracht werden, weil Rumänien und Bulgarien langsam auch hineinkommen. Zum anderen würde sich ein geschlossenes Gebilde ergeben, das Kapazitäten freisetzt. Außerdem führt eine solche gemeinsame Lösung zu einer fairen Lastenverteilung und die Außengrenzen-Länder würden finanziell deutlich entlastet, so dass der Grenzschutz der EU nicht mehr von den Haushalten der einzelnen EU-Länder abhängt.
Hierdurch würde die Sicherheit der Außengrenzen einheitlicher und wahrscheinlich insgesamt auch besser z.B. in Bezug auf Schmuggel (Waren, Waffen, Geld, Kunst, Drogen). Durch den Ausbau eines europäischen Grenzschutzes würden dann auch z.B. deutsche oder französische Polizeibeamte eingebunden, so dass die Verantwortung für die Außengrenzen nicht einfach nur „abgedrückt“ wird. Durch den Aufbau eines europäischen Grenzschutzes würde zudem ein gemeinsames Projekt zum Zusammenwachsen entstehen, das zusätzlich ermöglicht, schnell und flexibel auf veränderte Anforderung an die Sicherheit der Außengrenzen einer bestimmten Region zu reagieren.
Balkan-Plan:
Die „unechten“ Außengrenzen sollten in diesem Fall vor allem durch gute Partnerschaft gesichert werden, was insbesondere für die an die EU grenzenden Balkanländer gilt. Ziel muss es sein, den Ländern eine Perspektive zu geben, so dass die Menschen nicht mehr von dort fliehen. Wenn in Deutschland 100.000 Asylprüfungen mit jeweils 3 Monaten Aufenthalt und einer Abschiebung weniger bezahlt werden müssen, sind das schnell mal ein paar hundert Millionen Euro, die z.B. in Schulen im Kosovo investiert werden können.
Gedanke:
Ziel muss es sein, die Fluchtursachen auf dem Balkan zu beseitigen und diese Länder langfristig zu stärken. Das würde dem Selbstverständnis der EU entsprechen und wäre dann auch tatsächlich nachhaltig.
Zentrale EU-Auffanglager, gemeinsames EU-Asylverfahren:
In EU-Ländern könnten Auffanglager eingerichtet werden, die vollständig von der EU verantwortet und finanziert werden. Wer ohne Aufenthaltsberechtigung aufgegriffen wird, wird in ein solches Auffanglager gebracht, bei Bedarf medizinisch untersucht und erfasst. Personen die kein Asylgesuch stellen, werden abgeschoben. Wird ein Asylgesuch gestellt, so wird zügig ein EU-weit einheitliches Asylverfahren durchgeführt. Bei Ablehnung wird ebenfalls abgeschoben und bei einer Asylgewährung wird der Flüchtling aus dem Auffanglager nach einem zu bestimmenden Modell auf die EU-Länder sowie die Schweiz, Norwegen und Island verteilt.
Gedanke:
Durch die schnelle Abschiebung von Personen ohne Asylgrund, besteht für diese kaum ein Anreiz, überhaupt den Versuch zu unternehmen in die EU einzureisen. Wer jedoch Fluchtgründe nach der Genfer Flüchtlingskonvention geltend machen kann, erhält schnell Schutz. Außerdem macht es für Flüchtlinge keinen Unterschied mehr, ob sie in Griechenland oder Deutschland einen Asylantrag stellen, weil sie überall das gleiche Verfahren erhalten. Sie müssen also nicht quer durch Europa ziehen.
Gleichzeitig erlaubt diese Umstrukturierung weg vom Dublin-Abkommen, Modelle zu finden, welche die Lasten fair verteilen, z.B. durch einen finanziellen Ausgleich für jenes Land, das einen Asylberechtigten übernimmt.
Zwischenfazit:
Die aufgeführten Punkte zielen darauf ab, die Flucht aus den Balkan-Ländern zu verringern, nach außen die Grenzen Europas undurchlässiger zu machen und innerhalb der EU eine gerechtere Lastenverteilung bei der Asylgewährung zwischen den Mitgliedsländern zu organisieren.
Überspitzt gesagt, helfen diese Punkte damit zwar Europa, weil die gesamteuropäische Herausforderung gesamteuropäisch angegangen wird, sie helfen jedoch nicht, die Probleme der Flüchtlinge zu lösen, die so auch weiterhin z.B. aus Syrien über das Mittelmeer fliehen müssten.
Dennoch halte ich diese drei Punkte für eine Diskussion wert, weil hiermit jene Kapazitäten frei würden, mit denen dann Flüchtlingen gezielt geholfen werden kann.
Genfer Pakt:
Mit einer solchen Vereinbarung könnte gezielt die Flucht aus europanahen Krisenregionen erleichtert werden. Die Träger der Hauptlast außerhalb der EU und die UN könnten hierzu finanziell unterstützt werden. Aktuell sollte dann z.B. der Türkei, dem Libanon und dem Irak bei der Versorgung von Flüchtlingen bzw. von Binnenflüchtlingen geholfen werden.
Daneben sollten bedarfsorientiert in einzelnen Staaten außerhalb der EU Behörden eingerichtet werden, in denen Personen mit bestimmter Nationalität ein begrenztes Aufenthaltsrecht zum Stellen eines Asylantrags in der EU erhalten. Das Aufenthaltsrecht berechtigt dann zum organisierten Transfer in ein festgelegtes EU-Auffanglager, um dort einen Antrag stellen zu können.
Betrachtet man Syrien als europanahe Krisenregion, so könnten in der Türkei und im Libanon solche Behörden eingerichtet werden, die es Syrern ermöglichen, sicher in die EU zu reisen und dort Asyl zu beantragen.
Gedanke:
Ein einem Kriegsgebiet können die Fluchtursachen nur sehr schwer beseitigt werden, allerdings kann durch die finanzielle Unterstützung von Nachbarländern zumindest die Flucht aus einer Region obsolet gemacht werden. Außerdem wird durch eine Vor-Ort-Hilfe am ehesten verhindert, dass sich die Krise in einer Region ausweitet. Man stelle sich nur vor, der Libanon versinkt nun auch noch im Chaos oder der türkisch-kurdische Konflikt flammt wieder richtig auf.
Fazit:
Während bei den ersten drei Punkten die Flucht vom Balkan, der Umgang mit Flüchtlingen und der Grenzschutz in der EU im Vordergrund stehen, zielt der vierte Punkt darauf ab, die Ausbreitung humanitärer Krisen zu verhindern und den Flüchtlingsschutz für die Bewohner einer festgelegten Krisenregion zu verbessern. Dies würde helfen, um z.B. Syrer eben nicht erst zu Schleppern zu zwingen, dann raus aufs Mittelmeer, um sie dort zu retten, in Italien zu registrieren, nach Deutschland ziehen zu lassen und sie dort nur zu dulden, weil sie ja eigentlich wieder zurück nach Italien müssten, wo man sie aber zurzeit nicht hin überführen darf.
MisterEde
Betrachtet man Albanien, den Kosovo, Mazedonien und Bosnien, dann gibt es dort rund 10,5 Millionen Einwohner, von denen etwa 50% Erwerbsperson sind und von denen wiederum round about 20% arbeitslos sind. Grob geschätzt fehlen dort also 1 Mio. Jobs. Würden in diesen Ländern 500.000 Jobs vom Himmel fallen, die ein Bruttoeinkommen von 4.000 Euro im Jahr ermöglichen, gäbe es wohl deutlich geringere Migrationszahlen. 4.000 Euro * 500.000 = 2 Mrd. Euro.
Bedenkt man, dass es auch nicht kostenlos ist, wenn z.B. ein Albaner nach Deutschland kommt, hier ein Asylverfahren durchläuft, versorgt und wieder zurückgeführt wird, frage ich mich, ob man nicht einfach mal versuchen könnte, z.B. in Albanien etwas für mehr Arbeitsplätze zu unternehmen. Z.B. sind Sandstrand, Sonne, Mittelmeer und ein ganz nettes Preisgefälle ja nicht die schlechtesten Voraussetzungen für Tourismus. Dazu braucht man halt einen Flughafen, gute Verbindungen an die Küstenorte und die Infrastruktur für entsprechende Hotelanlagen. Vielleicht wäre auch ein Ausbau der digitalen Infrastruktur sinnvoll. Bei Internetdienstleistungen oder so was wie Callcentern können Preisgefälle ja auch ziemlich gut genutzt werden. Ich glaube, es wäre hilfreich, mehr in dieser Richtung zu denken als immer nur an „Taschengeldkürzung“, „Sach- statt Geldleistung“ oder „schnellere Abschiebung“.