+4

Ben Wagner: Das Internet als Menschenrecht


Foto: Samuel ZellerWer hat teil an der digitalen Gesellschaft – und wer nicht? Foto: Samuel Zeller (CC0 1.0)

Ohne digitale Kommunikation kann heute Gesellschaft nicht mehr entstehen – meint Ben Wagner vom Centre for the Internet and Human Rights. So bräuchten etwa Flüchtlinge in Deutschland einen Internetzugang. Wagners Forderung: Das Internet muss ein Menschenrecht werden.


Ein Beitrag von Ben Wagner, Direktor des Centre for the Internet and Human Rights (CIHR) und Vereinsmitglied des Publixphere e.V.

Eigentlich ist es ganz einfach: In Syrien wird das Internet als Kriegswaffe eingesetzt. Das Abschalten des Netzes ist ein zentraler Bestandteil des Konfliktes, sagt zum Beispiel die Wissenschaftlerin Anita Gohdes, die in Harvard forscht. Im Kongo wurden Internet und Telekommunikation ausgeschaltet und bis heute nicht vollständig wiederhergestellt, offenbar eine Antwort der Regierung auf Massendemonstrationen. Und in Indien unterbindet der Bundesstaat Gujarat ebenfalls als Reaktion auf Massendemonstrationen für sechs Tage alle Internet und Telefonverbindungen für 63 Millionen Menschen – nicht einmal der Notruf ist erreichbar.

In Anbetracht dieser Situation sollte die alte Debatte, ob das Internet nun ein Menschenrecht ist, oder nicht, längst beendet sein. Das Für und Wider wurde im Detail diskutiert, nicht zuletzt vom “Vater des Internets”, Vint Cerf, der die Forderung immer wieder strikt ablehnt.

Man muss gar nicht auf ärmere Länder gucken, um die Debatte zu beenden. Auch in Deutschland, den USA und Österreich wird die Abschaltung von Kommunikation in Notfällen diskutiert – je nachdem, was die Regierung unter “Notfall” versteht. So enthält zum Beispiel das Polizei- und Ordnungsbehördengesetz in Rheinland-Pfalz den Paragrafen 31d, der die Abschaltung von Kommunikation als Notfallmaßnahme erlaubt. In Großbritannien hat die britische Regierung ausführlich während der Ausschreitungen im Jahr 2011 über die Abschaltung von verschiedenen Kommunikationskanälen diskutiert. Von beteiligten Experten hört man, die Regierung hätte sich weniger aus Überzeugung zurückgehalten denn aus Imagegründen, man habe nicht “wie China” wirken wollen.

Die eigentliche Frage, die ein Land beim Abschalten beantwortet, ist: Wer gehört nicht zur Gesellschaft?

Die traurige Spitzenposition in der langen, globalen Liste der Kommunikationsabschaltung hält Pakistan inne, ein Land, das wie kaum ein anderes vom globalen Anti-Terror-Kampf geprägt ist. Hier klagen selbst höchste Regierungsbeamte über das übermächtige Militär, dementsprechend spielen Fragen der nationalen Sicherheit eine herausragende Rolle. Seit 2012 sind in Pakistan mindestens 24 großflächige Abschaltungen von Internet und Mobilfunk dokumentiert, die aus “Sicherheitsgründen” absichtlich von der pakistanischen Regierung herbeigeführt wurden. In kaum einem anderen Land lässt sich so gut beobachten, welche Konsequenzen die regelmäßige Abschaltung von Kommunikation auf die Gesellschaft hat.

Mehr als 80 Prozent der Menschen in Pakistan haben Zugang zu einem Mobiltelefon, davon benutzen fast ein Drittel Smartphones. Weite Teile der Gesellschaft sind von digitaler Kommunikation durchdrungen, was bei der Abschaltung von Kommunikation zu einem weitgehenden Stillstand führt. Die Wirtschaft verliert dann täglich riesige Summen, die Menschen leiden unter eingeschränkter Mobilität und geringeren Sozialkontakten. Da der Notruf oft nicht erreichbar ist, können weder Krankenwagen noch Feuerwehr in Notfällen helfen. Trotz der beeindruckenden Resilienz der pakistanischen Bevölkerung gegenüber diesem Phänomen sind die gesellschaftlichen Folgen nicht zu übersehen.

Bezeichnenderweise stößt man bei Feldforschung in Pakistan immer wieder auf die gleichen Exklusionsmuster, die sich in der Auswahl der abzuschaltenden Gruppen und Regionen deutlich machen. Mit der Abschaltung von Kommunikation wird nicht nur determiniert, wer Kommunikation nutzen kann, sondern auch wer Teil der Gesellschaft ist. So ist es nur konsequent, dass Regionen, die als “Taliban-nah” gesehen werden, aber auch große politische Kundgebungen besonders häufig von Abschaltungen betroffen sind. Da sich Gesellschaften durch Kommunikation konstituieren, kommt die Verhinderung von Kommunikation heute einem Ausschluss aus der Gesellschaft gleich.

Diese Logik lässt sich auch auf Deutschland übertragen. Daraus folgt die simple Forderung, dass Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, Zugang zum Internet erhalten müssen. In der Debatte um Internetzugang in Flüchtlingsunterkünften wird immer wieder von verschiedenen Autoren das Argument hervorgebracht, Flüchtlinge würden das Internet brauchen um “nach Hause zu telefonieren”. Dabei wird verkannt, dass Zugang zum Internet ein zentraler Weg ist, um Teil der deutschen Gesellschaft zu werden. Das Internet bedeutet Zugang zu Bildung, zu Unterhaltung und Kultur, es ist Grundlage für soziale Teilhabe. Zurzeit wird die oft vorhandene räumliche Trennung von Flüchtlingen zur Gesellschaft durch eine weitere digitale Abschottung verstärkt. So kann Integration nicht funktionieren.

Jede Krise wird benutzt – als Vorwand, um Kommunikation weiter einzuschränken

In der modernen, globalisierten Welt kann man sich eine Gesellschaft ohne digitale Kommunikationsformen gar nicht mehr vorstellen. Wir sind umgeben von vielen Dingen, Objekten, Alltagsgegenständen, die überhaupt nur in Verbindung mit Kommunikation noch sinnvoll genutzt werden können, sogenannte coded objects. Ein Geldautomat, ein Handy, selbst ein modernes Auto etwa ergibt nur Sinn, wenn der Gegenstand kommunizieren kann, ebenso der öffentliche Nahverkehr, Bibliotheken, Warenlager und Supermärkte. Und das sind nur einzelne, wenige Beispiele. In fast allen Gesellschaften der Erde sind diese coded objects eng in alle gesellschaftlichen Bereiche eingewoben. Jede moderne Gesellschaft ist von ständiger Kommunikation durchdrungen.

Die Enthüllungen über die Totalüberwachung, mit denen die Welt seit 2013 konfrontiert ist, sind zwar eine wichtige und auch notwendige Zäsur in der Debatte über die Digitalisierung, sie werden aber kaum die Digitalisierung aufhalten. Selbst wenn zur Debatte steht, einige höchst sensible Bereiche der Gesellschaft nicht zu digitalisieren, zum Beispiel aus Datenschutz- oder Sicherheitsgründen, werden diese Bereiche eine klitzekleine Ausnahme darstellen. Deshalb ist es wichtig, dass die Digitalisierung anstelle des Fokus auf ihre Probleme eine konstruktive Behandlung erfährt: Es wird Zeit, sie so menschlich wie möglich zu gestalten.

“All the Internet. All the people. All the time.” Diese eindeutige Forderung stammt von Nnenna Nwakanma, einer Aktivistin für Freie Software aus Nigeria, die regelmäßig auf internationalen Podien anzutreffen ist. Das ist ein komplizierter Job. Denn jede Krise bietet Regierungen und auch Netzkonzernen einen neuen Vorwand für Einschränkungen im Netz und in der Kommunikation, und jedes angebliche “Entwicklungsproblem” kann postwendend mit einem postkolonialen Reflex gelöst werden. Nur ein Beispiel: Facebook und seine Partnerunternehmen rühmen sich derzeit mit ihrem Projekt “Internet.org”. Doch anders als der Name suggeriert, bietet der neue Dienst für arme Länder eben nicht “Zugang zum Internet”, sondern allenfalls zu Facebook. Nicht mehr als eine geschickte Werbekampagne für die eigenen Dienste in den Märkten der Zukunft? Sicherlich. Aber ist das ein ernsthafter Beitrag, Menschen ans Internet anzuschließen?

Kaum verwunderlich also, wenn die indische Regierung zwar vor hohen verfassungsrechtlichen Schranken für die Abschaltung von Strom oder Wasser zurückschreckt, aber einen ähnlichen Grundversorgungsauftrag für Kommunikation nicht anerkennt. Diese Gegenwart zeigt, dass es dringend an der Zeit ist, die Debatte, ob der Zugang zum Internet ein Menschenrecht sein sollte, zu beenden. Denn im Grunde ist sie längst entschieden, wenn man nur die sehr viel simplere Wahrheit anerkennt, dass Menschen kommunikative Wesen sind. Ohne digitale Kommunikation kann heute Gesellschaft nicht mehr entstehen.

Hinweis: Dieser Text erschiend zunächst in der Süddeutschen Zeitung (15.09.2015) und der Webseite des CIHR.

Links rund um's Thema

Publixphere: Diskussionen zur Überwachten Welt

Redaktion: Community-Abend zur Flüchtlingspolitik


Kommentare

  • Auf jeden Fall! Ich möchte in der aktuellen Lage auch anregen, dass Flüchtlinge online alle wichtigen Informationen vorfinden, die sie für die Bewältigung der Flucht und der Integration brauchen, in Englisch, Arabisch und so weiter. Vielleicht auch mit ein wenig Liebe und in Bildern erzählt? Weniger grauslich als der übliche deutsche Behördensprech? Wir müssen da Deutschland mit den Augen der Flüchtlinge betrachten. Wo sind ihre Informationsbedürfnisse?

    • Stimmt, mit Zugang zur Kommunikation ist es nicht getan, man muss auch die entsprechenden Auftritte nutzen können. Es kann nicht sein dass vielfach nur Volljuristen deutsche Behördenseiten verstehen.

  • Hallo Herr Wagner,

    alles richtig irgendwie. Doch ich hab Nachfragen.

    • Meinen Sie das Menschenrecht auf eine digitale Basiskommunikation oder auf ein komplett freies Internet? Letzteres gibt es ja in sehr vielen Staaten nicht, bzw. wo gibts das eigentlich?

    • Ihre Kritik an internet.org mag ja in der Tendenz stimmen, meines Wissens nach ermöglichen die Facebook-Projekte aber mehr als nur Facebook zu benutzen

    • ich möchte Katta insofern zustimmen, als das es wichtig ist, wenn Flüchtlinge digital mit der deutschen Lebenswelt verbunden sind. Gegen das Skype-Gespräch mit den Angehörigen kann sicher niemand was haben. Als problematisch empfinde ich aber - und das wurde mir schon berichtet - wenn man in Deutschland lebt, aber in einer ausländischen Öffentlichkeit 'hängen' bleibt, zum Beispiel nur iranisches Fernsehen guckt, das teils widerlich gegen Juden hetzt.

    • benwagner ist dafür
      +3

      Hallo jkippenberg,

      1) Sie haben recht, es geht um ein offenes und freies Netz auf dass man Zugang haben sollte, nicht nur irgendein Netz. Sie z.B.:

      Slate.com: Merely Connecting the Developing World to the Internet Isn’t Enough

      2) Internet.org ermöglicht ein extrem limitierten und kuratierten Zugang zu nur wenigen Internet-Inhalten bei denen Facebook die volle redaktionelle Kontrolle hat. Das kann man nicht das Internet nennen, daher hat die Firma auch ihr Angebot umbenannt in 'FreeBasics.'

      3) stimmt, da muss mehr passieren :)

      Danke & beste Grüße, Ben

  • Aus meiner Sicht gehören die digitalen Netze zur Daseinsvorsorge. Aus diesem Grund habe ich vor einigen Jahren mal angeregt, ähnlich den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten eine öffentlich-rechtliche Internetanstalt aufzubauen, um ein Gegengewicht zu den privaten Anbietern zu schaffen, deren Handeln aufgrund der Privatautonomie (bzw. Sitz im Ausland) ja nicht direkt an das Grundgesetz gebunden ist.

    Brauchen wir eine öffentlich-rechtliche Internetanstalt?

    • benwagner ist dafür
      +1

      Könnte sinnvoll sein, auf jeden Fall brauchen wir eine stärkere öffentliche Daseinsvorsorge im Netz