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Die Regierung darf sich den Staat nicht zur Beute machen


Foto: Jaap Arriens (CC BY 2.0)Ende Februar 2016: In Warschau protestieren Tausende gegen Demokratieabbau durch die nationalkonservative Regierung. Foto: Jaap Arriens (CC BY 2.0)

Der Journalist Peter Pragal beobachtet Versuche der regierenden PiS-Partei, Polen zu einer autoritär geführten Republik umzubauen. Mit harschen Urteilen würden deutsche EU-Politiker allerdings nur anti-deutsche Ressentiments verstärken. Pragals Hoffnung: die tradionell starke polnische Zivilgesellschaft.


Ein Beitrag von Peter Pragal (English version)

Als am 25. Oktober 2015 bei den polnischen Parlamentswahlen die von Jaroslaw Kaczynski geführte Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) die absolute Mehrheit im Sejm erzielte, wähnten Kritiker im In- und Ausland Polen auf einem fatalen Weg. Der Rechtsruck, so meinten sie, werde das Land nachhaltig verändern.

Andere Stimmen – aus Polen ebenso wie aus Nachbarländern – rieten zur Gelassenheit. Der Regierungswechsel, verbunden mit personellen Umbesetzungen, sei in Demokratien nicht nur normal, sondern auch zu erklären. Die bisher regierende Bürgerplattform (PO) habe zwar ökonomisch erfolgreich agiert, aber die Sozialpolitik vernachlässigt. Die PiS dagegen habe soziale Vergünstigungen versprochen und damit viele Stimmen von Bürgern gewonnen, die sich vernachlässigt fühlen. Im Übrigen, so die Argumentation, habe sich die PiS seit der ersten Regierungszeit gewandelt. Viele ihrer Funktionäre und Mandatsträger seien politisch moderater als der Parteichef.

Demokratie und Gewaltenteilung werden in Frage gestellt

Ich teile diese Sicht nicht. Als jemand, der die Situation im Nachbarland stets aufmerksam verfolgt, kann ich mich noch gut an die Politik Warschaus in den Jahren 2005 bis 2007 erinnern. Wie der europa-kritische Jaroslaw Kaczynski als Ministerpräsident im Schulterschluss mit seinem Zwillingsbruder Lech, dem damaligen Präsidenten, schon einmal versuchte, Polen zu einer autoritär geführten Republik umzubauen. Ein Vorhaben, das scheiterte, weil seine Koalitions-Regierung zerbrach und die Wähler ihm die rote Karte zeigten.

Meine Besorgnis, Kaczynski werde in einem zweiten Anlauf alles daran setzen, die staatlichen Institutionen seinem Machtanspruch zu unterwerfen, hat sich leider bestätigt. Kaum im Amt, verabschiedete die vom PiS-Chef gesteuerte nationalkonservative Parlamentsmehrheit geschlossen und im Eiltempo eine Reihe von Gesetzen, die die Grundlage der Demokratie, die Gewaltenteilung, infrage stellen. Das Verfassungsgericht wurde entmachtet, die Unabhängigkeit der Staatsanwälte aufgehoben, das staatliche Fernsehen auf Linie gebracht.

Kaczynski, der kein Regierungsamt besitzt, beruft sich dabei auf den Volkswillen. Der steht angeblich über dem Recht. Was für ein fundamentaler Irrtum. Eine unbegrenzte Herrschaft der Mehrheit, die nicht mehr durch eine unabhängige Judikative kontrolliert wird, zerstört die Basis der Demokratie. Auch noch so hohe Wahlsiege berechtigen die Gewinner nicht, einen freiheitlichen Staat zu ihrer Beute zu machen.

Berechtigte Kritik, kontraproduktive Urteile

Deshalb schon jetzt von einem „Staatsstreich“ zu sprechen halte ich allerdings für falsch. Die parlamentarische Opposition, zu der auch eine neue liberale Partei gehört, ist zwar macht- aber nicht einflusslos. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist nach wie vor gewährleistet. Renommierte Zeitungen kritisieren die Regierenden scharf. Woche für Woche protestieren Tausende Bürger auf Straßen und Plätzen gegen die Beschlüsse der Regierenden. Und ob das von der Europäischen Union eingeleitete Überwachungsverfahren die Warschauer Regierung auf Dauer unbeeindruckt lässt ist auch noch nicht ausgemacht.

Für gerechtfertigt halte ich die massive Kritik nicht-polnischer Medien – in Deutschland und anderen EU-Staaten. Dabei von Hysterie zu sprechen, wie es aus Warschau zu hören ist, finde ich abwegig. Die Analysen und Kommentare, die ich gelesen habe, erscheinen mir treffend und sachlich richtig. Die harschen Urteile von deutschen EU-Politikern waren dagegen eher kontraproduktiv. Sie verstärken bei Kaczynski und seinem Anhang nur die anti-deutschen Ressentiments. Die Bundesregierung die bisher auf öffentliche Zensuren verzichtet, verhält sich klüger.

Meine Hoffnung, dass Polen eine intakte Demokratie bleibt und Europa nicht den Rücken kehrt, gründet sich vor allem auf die Zivilgesellschaft. Unser Nachbarland hat eine große Tradition im Widerstand gegen autoritäre Herrschaftsformen. Das war in der Zeit des Kommunismus so. Und das wird, sollte sie ihren Kurs rigoroser Herrschaftssicherung fortsetzen, auch die jetzige Regierungspartei erfahren.


Zum Autor

Peter Pragal, geboren 1939 in Breslau, hat Publizistik und Politologie studiert und die Deutsche Journalistenschule absolviert. In den Siebziger- und Achtzigerjahren arbeitete er insgesamt zwölf Jahre lang als DDR-Korrespondent für die Süddeutschen Zeitung und den Stern in Ost-Berlin. Seit 2004 arbeitet er als freier Journalist und Buchautor in Berlin.


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