"Der Demokratie geht es gut in Polen", meint Premierministerin Beata Szydlo von der national-konservativen PiS-Partei. Die EU-Kommission prüft das noch. Foto: Europäisches Parlament
Ist der Rechtsstaat in Polen in Gefahr? Das untersucht nun die EU-Kommission. Christoph Reese (Policy Lab) gibt einen Überblick. Hältst Hätlst Du Europas Strategie für richtig?
Ein Beitrag von Christoph Reese, Policy Lab
Was ist die politische Ausgangssituation?
Die neue polnische Regierung hat einige Gesetze verabschiedet, die in anderen EU-Staaten auf massive Kritik gestoßen sind. Vertreter dieser Länder und der EU sehen den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung in Polen gefährdet. Zur Debatte stehen speziell die polnische Justizreform und ein neues Mediengesetz.
Wer kann da etwas machen?
Erst einmal ist die EU-Kommission am Zug. Sie ist „Hüterin der Verträge“ und soll aufpassen, dass die in den EU-Verträgen festgeschriebenen Prinzipien – und dazu zählt auch die Rechtsstaatlichkeit – in allen Mitgliedsstaaten eingehalten werden.
Welche Möglichkeiten hat die EU-Kommission?
Seit 2014 gibt es in der EU ein neues Verfahren, das Gefahren für die Rechtsstaatlichkeit abwenden soll. Die EU-Kommission macht aktuell davon Gebrauch. Es besteht aus drei Schritten.
Zunächst prüfen die EU-Beamten (und in dieser Phase sind wir nun), ob die Rechtsstaatlichkeit in Polen in Gefahr ist. Falls das so ist, übermittelt die Kommission Polen ihre Bedenken und sucht den Dialog. Polens Regierung bekommt die Möglichkeit, auf diese Warnung zu antworten und die beanstandeten Missstände zu beheben.
Wenn die Probleme jedoch über die Prüfphase fortbestehen, richtet die Kommission eine „Rechtsstaatlichkeitsempfehlung“ an Polen. Dem Land wird eine Frist gesetzt, bis wann die Probleme zu lösen sind.
Wenn das nichts fruchtet und dir Frist verstreicht, kann die Kommission Straf-Mechanismen nach Artikel 7 EUV auf den Weg bringen. Reißerisch wird er auch „Atombomben-Artikel“ genannt. In diesem Fall befinden letztlich die Regierungen der EU-Staaten, ob und wie sie Polen mit Sanktionen zum Einlenken zwingen wollen. Das wäre eine Premiere. So weit kam es noch nie.
Welche Strafen wären möglich?
Der Europäische Rat kann dem betroffenen Mitgliedsstaat „bestimmte Rechte“ aberkennen. Die wohl härteste Sanktion wäre es, Polen das Stimmrecht bei Entscheidungen im Rat zu entziehen.
Eine weitere Möglichkeit wäre es, EU-Zahlungen an Polen zu kürzen oder ganz einzustellen. Auch diese Strafe könnte Polen empfindlich treffen. Polen war 2014 größter Nettoempfänger in der EU und hat 13,75 Milliarden Euro mehr aus dem EU-Haushalt bekommen als es eingezahlt hat. Das sind knapp 3,5 Prozent des polnischen Bruttoinlandsproduktes.
Sind Strafen wahrscheinlich?
Eher nicht. Das ist zumindest die Einschätzung der ehemaligen EU-Justizkommissarin Viviane Reding, die das Verfahren mitentwickelt hat. Der Mechanismus solle eher einen Dialog zwischen Polen und der EU in Gang bringen.
Für Sanktionen nach dem "Atombomben-Artikel" müssten erst einmal alle anderen 27 EU-Staaten einstimmig der Auffassung sein, dass Polen "schwerwiegend und anhaltend" EU-Grundwerte verletzt. Ungarns nationalkonservativer Ministerpräsident Viktor Orbán hat allerdings (ohne die Prüfung abzuwarten) angekündigt, sein Land werde "jegliche Art von Sanktionen gegen Polen niemals unterstützen".
Und was ist der aktuelle Stand?
Die Kommission hat Mitte Januar 2016 damit begonnen, die Rechtsstaatlichkeit in Polen zu untersuchen. Das soll etwa ein halbes Jahr dauern.
Einbeziehen wird die Kommission eine kritische Stellungnahme von Rechtsexperten des Europarats ("Venedigkommission"). Mitte März 2016 stuften sie die polnische Reform des Verfassungsgerichts als Gefahr für Rechtsstaat und Demokratie ein. Das Dokument wurde geleakt - zum Unmut der polnischen PiS-Regierung, die selbst um die Begutachtung gebeten hatte. Der Konflikt um die Justizreform dauert an. Das polnische Verfassungsgericht hat die Reform seiner selbst für verfassungswidrig erklärt.
Auch das EU-Parlament hat sich eingemischt. Es äußerte "die ernsthafte Sorge, dass die effektive Lähmung des Verfassungsgerichtshofs in Polen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gefährdet". Parlamentspräsident Martin Schulz hatte kurz nach dem Regierungswechsel in Warschau gesagt: "Was sich da in Polen abspielt, hat Staatsstreich-Charakter und ist dramatisch."
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker versucht in der Debatte offenbar etwas zu beschwichtigen. "Von Krieg zwischen Polen und der EU kann nicht die Rede sein", soll Juncker gegenüber Polens Premierministerin Beata Szydlo gesagt haben. Es gehe der Kommission bislang nur um eine "Orientierung".
Wie reagiert die Politik in Polen?
Szydło selbst sieht die Rechtsstaatlichkeit in Polen nicht verletzt. "Die Bürger Polens haben sich für unser politisches Programm in einer demokratischen Wahl entschieden, und nun setzen wir es um, achten dabei aber unsere Verfassung sowie die EU-Verträge." Der Streit um das Verfassungsgericht sei eine interne Angelegenheit Polens. Im polnischen Parlament erklärte Szydło: "Wir werden keine Politik auf Knien führen". Polen werde von ausländischen Medien und Politikern zu Unrecht angeklagt. "Der Demokratie geht es gut in Polen".
Oppositionelle zeigen dagegen Verständnis für die Prüfung. Ex-Regierungschef und Chef der Linkspartei SLD Leszek Miller äußerte auf Twitter: "Das ist eine gute Entscheidung der EU-Kommission und ein klares Signal an die Warschauer Regierung."
Debatte: Geht die EU richtig mit der neuen Regierung in Polen um?
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