Renata Kaminska (Razem Berlin): "Viele Nicht-Wähler sind in Panik geraten." - Historie

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  • Renata Kaminska (Razem Berlin): "Viele Nicht-Wähler sind in Panik geraten." geraten"

    von Redaktion, angelegt

    fronx (CC BY 2.0)Im "Club der polnischen Versager" in Berlin erlebte Renata Kaminska den Ausgang der jüngsten Parlamentswahlen in Polen. Foto: fronx (CC BY 2.0)

    Von Berlin aus setzt sich die Künstlerin Renata Kaminska für die neue Razem-Partei in Polen ein. Im Interview spricht sie über ihr europäisches Leben zwischen den Welten und erklärt, warum sie sich Sorgen um Polen macht.


    Ein Interview von Charlotte v. KnoblochPolicy Lab

    Renata Kaminska

    Zur Person:

    Renata Kaminska (Bild) lebt als Künstlerin in Berlin und engagiert sich aus dem Ausland in der polnischen Opposition. Seit Mai 2015 ist sie Mitglied der neugegründeten Partei „Razem“ (zu Deutsch „Gemeinsam“ oder „Zusammen“). Razem orientiert sich an Ideen der Sozialdemokratie und des demokratischen Sozialismus. Außerdem ist Kaminska Mitentwicklerin der „Razem“-Zentrale in Berlin.

    Charlotte v. Knobloch: Im Oktober 2015 erhielt die neue Partei „Razem“ bei den Parlamentswahlen in Polen auf Anhieb 3,8 Prozent. Frau Kaminska, wie erlebten sie den den Augenblick, als die Wahlergebnisse bekannt wurden?

    Renata Kaminska: Das war ein sehr europäischer Moment. Wir hatten uns im „Club der polnischen Versager“ in Berlin Mitte getroffen. Es waren mindestens 40 Leute dort, die unserer Partei angehörten oder Sympathisanten der Partei waren und mindestens noch einmal doppelt so viele von unseren deutschen Freunden. Sie sind zwar keine Partei-Angehörigen, aber aus Begeisterung für unsere Partei zu uns gestoßen.

    Wir haben die Live-Übertragung auf einem großen Screen angeschaut. In einem kurzen Moment trauten wir unseren Augen nicht. Da gab es eine Prognose von 5,1 Prozent für Razem und wir waren begeistert. Danach sank die Zahl wieder. Aber 3,8 Prozent sind trotzdem ein tolles Ergebnis, wenn man bedenkt, dass die Partei zu diesem Zeitpunkt erst etwa sechs Monate existierte. Das war schon sehr überraschend. Niemand von uns hatte Parteierfahrung. Das waren aufregende Momente an dem Abend.

    Menschen, die sich nirgends zu Hause fühlten

    Charlotte v. Knobloch: Razem siedelt sich im linken politischen Spektrum an. In Europa gibt es ja nicht viele junge Parteien, die das tun. Mir kommt aber die spanische Partei „Podemos“ in den Sinn, die sich Anfang 2014 gegründet hat. Haben Sie sich von Podemos inspirieren lassen?

    Renata Kaminska: Jein. Podemos ist in meiner Generation eigentlich jedem bekannt. Wir haben in unserer Partei jedoch nie davon gesprochen, dass Razem von Podemos inspiriert wurde. Razem entstand eher intuitiv. Die Partei steht in einer uralten polnischen Tradition, zu der sozialistisches Denken gehört. Eigentlich hat niemand aus meiner Generation persönlich schlechte Erfahrungen mit der sozialistischen Zeit gemacht. Wir kennen das nur aus Erzählungen. Die Partei ist entstanden, weil Menschen, die links und sozial denken, sich nirgends zu Hause fühlten. Wir haben einfach Handlungsbedarf gesehen.

    Charlotte v. Knobloch: Sie haben Polen 1995 verlassen und lebten seither in der Schweiz, in Frankreich und in den USA. Würden Sie sagen, Sie importieren Ihre Weltoffenheit jetzt in die polnische Debatte?

    Renata Kaminska: Ich schätze, mindestens ein Viertel der polnischen Bevölkerung lebt durchgehend oder vorübergehend im Ausland. Mit dem EU-Beitritt Polens 2004 ist das alles einfacher geworden. Ich selbst lebe parallel in Polen und Deutschland. Wir alle, die so leben, werden zu Brücken zwischen den Ländern, zu Botschaftern in beide Richtungen. Für meine deutschen Freunde und Bekannte bin ich eine Art Anlaufstelle für Fragen zu Polen. Meinen Freunden in Polen gebe ich Auskunft, wenn es um die deutsche Debatte geht.

    Aber dieses „gelebte Europa“ ist nicht für alle ein reiner Segen. Es gibt zwei Gruppen von "Exil-Polen". Die eine Gruppe nenne ich einmal die Intellektuellen. Sie hatten so wie ich das Glück, im Ausland zu studieren, ganz oder zeitweise. Sie haben einen besonderen Zugang zur anderen Gesellschaft bekommen. Sie fühlen sich zum Beispiel auch zur deutschen Gesellschaft zugehörig, haben sich hier eine zweite Heimat aufgebaut. Die andere Gruppe sieht das Arbeiten im Ausland nur als Episode, um Geld zu verdienen. Sie geht nicht unbedingt aus Neugier ins Ausland, sondern weil es zu Hause keine Arbeit gibt. Das ist auch nicht immer eine schöne Erfahrung.

    Doch egal welche Gruppe von Exil-Polen man betrachtet, beide haben Einfluss auf die polnische Debatte, auf ihr Umfeld zu Hause. Wir bringen neue Ideen und Erfahrungen mit. Das trägt auch dazu bei, dass sich bei den „Daheimgebliebenen“ die Ablehnung des Fremden verringert. Denn Fremdenfeindlichkeit fußt ja meistens auf Unkenntnis.

    19 Prozent reichen, um den Staat "umzukrempeln"

    Charlotte v. Knobloch: 2015 hat die national-konsverative PiS-Partei die absolute Mehrheit im polnischen Parlament errungen. Sie sagten einmal, hinter der PiS-Partei würden vor allem Menschen stehen, die ihr Leben lang in Polen geblieben sind. Lässt sich so die euroskeptische Haltung der PiS-Partei erklären?

    Renata Kaminska: Die Spitzenpositionen der PiS-Partei sind definitiv von Menschen besetzt, die tatsächlich fast gar keine Erfahrung mit dem Ausland haben. Das ist schon sehr traurig. Sie haben vielleicht drei, vier Tage im Ausland Urlaub gemacht. Aber wer von ihnen hat schon im Ausland mit anderen Europäern zusammengearbeitet oder studiert? Unkenntnis fördert Ängste und Ablehnung, und der PiS fällt es leicht, die Fremdenfeindlichkeit zu schüren. Es gibt Menschen in Polen, die persönlich nie eine positive Erfahrung mit „dem Anderen“ gemacht haben und die dann grundsätzlich erst einmal das Schlimmste vermuten. Das sind vor allem ältere Menschen, von denen die PiS vor allem gewählt wurde. Dazu kommt die Fremdherrschaft, unter der Polen Jahrhunderte lang gelitten hat. Dieses Trauma lässt sich sehr gut bei denen bedienen, die keine persönlichen Erfahrungen mit unserer europäischen Gesellschaft von heute haben.

    Aber denken Sie nicht, alle Polen wären PiS-Anhänger. Von den rund 31 Millionen Wahlberechtigten haben nur rund 5,7 Millionen die PiS gewählt. Das sind nur knapp 19 Prozent. Es ist schrecklich zu beobachten, wie diese 19 Prozent es der PiS ermöglichen, den ganzen Staat umzukrempeln.

    Das Europa-Bild der PiS stimmt einfach nicht

    Charlotte v. Knobloch: Das liegt am Wahlsystem und der geringen Wahlbeteiligung...

    Renata Kaminska: Ja. Viele Nicht-Wähler sind jetzt total in Panik geraten. Sie wissen, dass sie mit ihrem Nicht-Wählen die absolute Mehrheit der PiS mitzuverantworten haben. Sie wissen, dass sie versagt haben und sagen das auch. Viele von ihnen gehen jetzt wenigstens wöchentlich auf die Straße und protestieren gegen die PiS-Politik.

    Charlotte v. Knobloch: Am Anfang unserer Debatte „Poland on my mind“ stand auch das Gefühl, dass zwar nun in Rest-Europa viel Negatives über Polen berichtet wird, es aber am persönlichen, europäischen Austausch in der Debatte mangelt. Wie sehen Sie das?

    Renata Kaminska: Ich habe nicht das Gefühl, dass die europäische Gesellschaft und Öffentlichkeit an der Zugehörigkeit Polens zu Europa zweifelt. Mir scheint, die europäische Gemeinschaft will Polen viel weniger aufgeben als umgekehrt die PiS-Partei die EU aufgeben will. Die PiS-Partei und parteinahe Medien tun so, als würde die EU Polen feindlich gegenüber stehen und übertreiben dabei sehr. Wir sollten uns davon nicht verrückt machen lassen. Das Europa-Bild der PiS stimmt einfach nicht.

    Charlotte v. Knobloch: Was glauben Sie, wird der Widerstand gegen die PiS-Regierung wachsen?

    Renata Kaminska: Wir haben im Lande eine sehr lange Tradition des Aufstandes und der Revolution. Polen hatte auch immer Erfolg mit seinen Aufständen, sie führten meist zu Veränderungen. Der Ablauf war jedoch nie so friedlich, wie zum Beispiel jüngst in Island. Bei uns endeten Aufstände oft blutig. Und genau das bereitet mir und meinen Freunden momentan Sorgen.


    Poland on my mind

    MitPoland on my Mind startet das Publixphere-Netzwerk ein Experiment. Ist es möglich, eine grenzüberschreitende Debatte über 'Polen in Europa' zu führen? Als europäische Öffentlichkeit – mit BürgerInnen aus Polen und potenziell allen anderen EU-Ländern? Einbringen kannst Du Dich in den Foren unter den Texten und mit eigenen Artikeln. Mehr...


    Links

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    von Redaktion, angelegt

    fronx (CC BY 2.0)Im "Club der polnischen Versager" Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Club_der_polnischen_Versager in Berlin erlebte Renata Kaminska den Ausgang der jüngsten Parlamentswahlen in Polen. Foto: fronx (CC BY 2.0)

    Von Berlin aus setzt sich die Künstlerin Renata Kaminska für die neue Razem-Partei in Polen ein. Im Interview spricht sie über ihr europäisches Leben zwischen den Welten und erklärt, warum sie sich Sorgen um Polen macht.


    Ein Interview von Charlotte v. KnoblochPolicy Lab

    Renata Kaminska

    Zur Person:

    Renata Kaminska (Bild) lebt als Künstlerin in Berlin und engagiert sich aus dem Ausland in der polnischen Opposition. Seit Mai 2015 ist sie Mitglied der neugegründeten Partei „Razem“ (zu Deutsch „Gemeinsam“ oder „Zusammen“). Razem orientiert sich an Ideen der Sozialdemokratie und des demokratischen Sozialismus. Außerdem ist Kaminska Mitentwicklerin der Mitentwicklerinder „Razem“-Zentrale in Berlin.

    Charlotte v. Knobloch: Im Oktober 2015 erhielt die neue Partei „Razem“ bei den Parlamentswahlen in Polen auf Anhieb 3,8 Prozent. Frau Kaminska, wie erlebten sie den den Augenblick, als die Wahlergebnisse bekannt wurden?

    Renata Kaminska: Das war ein sehr europäischer Moment. Wir hatten uns im „Club der polnischen Polnischen Versager“ in Berlin Mitte getroffen. Es waren mindestens 40 Leute dort, die unserer Partei angehörten oder Sympathisanten der Partei waren und mindestens noch einmal doppelt so viele von unseren deutschen Freunden. Sie sind zwar keine Partei-Angehörigen, aber aus Begeisterung für unsere Partei zu uns gestoßen.

    Wir haben die Live-Übertragung auf einem großen Screen angeschaut. In einem kurzen Moment trauten wir unseren Augen nicht. Da gab es eine Prognose von 5,1 Prozent für Razem und wir waren begeistert. Danach sank die Zahl wieder. Aber 3,8 Prozent sind trotzdem ein tolles Ergebnis, wenn man bedenkt, dass die Partei zu diesem Zeitpunkt erst etwa sechs Monate existierte. Das war schon sehr überraschend. Niemand von uns hatte Parteierfahrung. Das waren aufregende Momente an dem Abend.

    Menschen, die sich nirgends zu Hause fühlten

    Charlotte v. Knobloch: Razem siedelt sich im linken politischen Spektrum an. In Europa gibt es ja nicht viele junge Parteien, die das tun. Mir kommt aber die spanische Partei „Podemos“ in den Sinn, die sich Anfang 2014 gegründet hat. Haben Sie sich von Podemos inspirieren lassen?

    Renata Kaminska: Jein. Podemos ist in meiner Generation eigentlich jedem bekannt. Wir haben in unserer Partei jedoch nie davon gesprochen, dass Razem von Podemos inspiriert wurde. Razem entstand eher intuitiv. Die Partei steht in einer uralten polnischen Tradition, zu der sozialistisches Denken gehört. Eigentlich hat niemand aus meiner Generation persönlich schlechte Erfahrungen mit der sozialistischen Zeit gemacht. Wir kennen das nur aus Erzählungen. Die Partei ist entstanden, weil Menschen, die links und sozial denken, sich nirgends zu Hause fühlten. Wir haben einfach Handlungsbedarf gesehen.

    Charlotte v. Knobloch: Sie haben Polen 1995 verlassen und lebten seither in der Schweiz, in Frankreich und in den USA. Würden Sie sagen, Sie importieren Ihre Weltoffenheit jetzt in die polnische Debatte?

    Renata Kaminska: Ich schätze, mindestens ein Viertel der polnischen Bevölkerung lebt durchgehend oder vorübergehend im Ausland. Mit dem EU-Beitritt Polens 2004 ist das alles einfacher geworden. Ich selbst lebe parallel in Polen und Deutschland. Wir alle, die so leben, werden zu Brücken zwischen den Ländern, zu Botschaftern in beide Richtungen. Für meine deutschen Freunde und Bekannte bin ich eine Art Anlaufstelle für Fragen zu Polen. Meinen Freunden in Polen gebe ich Auskunft, wenn es um die deutsche Debatte geht.

    Aber dieses „gelebte Europa“ ist nicht für alle ein reiner Segen. Es gibt zwei Gruppen von "Exil-Polen". 'Exil-Polen'. Die eine Gruppe nenne ich einmal die Intellektuellen. „Intellektuellen“. Sie hatten so wie ich das Glück, im Ausland zu studieren, ganz oder zeitweise. Sie haben einen besonderen Zugang zur anderen Gesellschaft bekommen. Sie fühlen sich zum Beispiel auch zur deutschen Gesellschaft zugehörig, haben sich hier eine zweite Heimat aufgebaut. Die andere Gruppe sieht das Arbeiten im Ausland nur als Episode, um Geld zu verdienen. Sie geht nicht unbedingt aus Neugier ins Ausland, sondern weil es zu Hause keine Arbeit gibt. Das ist auch nicht immer eine schöne Erfahrung.

    Doch egal welche Gruppe von Exil-Polen man betrachtet, beide haben Einfluss auf die polnische Debatte, auf ihr Umfeld zu Hause. Wir bringen neue Ideen und Erfahrungen mit. Das trägt auch dazu bei, dass sich bei den „Daheimgebliebenen“ die Ablehnung des Fremden verringert. Denn Fremdenfeindlichkeit fußt ja meistens auf Unkenntnis.

    19 Prozent reichen, um den Staat "umzukrempeln"

    Charlotte v. Knobloch: 2015 hat national-konsverative PiS-Partei die absolute Mehrheit im polnischen Parlament errungen. Sie sagten einmal, hinter der PiS-Partei würden vor allem Menschen stehen, die ihr Leben lang in Polen geblieben sind. Lässt sich so die euroskeptische Haltung der PiS-Partei erklären?

    Renata Kaminska: Die Spitzenpositionen der PiS-Partei sind definitiv von Menschen besetzt, die tatsächlich fast gar keine Erfahrung mit dem Ausland haben. Das ist schon sehr traurig. Sie haben vielleicht drei, vier Tage im Ausland Urlaub gemacht. Aber wer von ihnen hat schon im Ausland mit anderen Europäern zusammengearbeitet oder studiert? Unkenntnis fördert Ängste und Ablehnung, und der PiS fällt es leicht, die Fremdenfeindlichkeit zu schüren. Es gibt Menschen in Polen, die persönlich nie eine positive Erfahrung mit „dem Anderen“ gemacht haben und die dann grundsätzlich erst einmal das Schlimmste vermuten. Das sind vor allem ältere Menschen, von denen die PiS vor allem gewählt wurde. Dazu kommt die Fremdherrschaft, unter der Polen Jahrhunderte lang gelitten hat. Dieses Trauma lässt sich sehr gut bei denen bedienen, die keine persönlichen Erfahrungen mit unserer europäischen Gesellschaft von heute haben.

    Aber denken Sie nicht, alle Polen wären PiS-Anhänger. Von den rund 31 Millionen Wahlberechtigten haben nur rund 5,7 Millionen die PiS gewählt. Das sind nur knapp 19 Prozent. Es ist schrecklich zu beobachten, wie diese 19 Prozent es der PiS ermöglichen, den ganzen Staat umzukrempeln.

    Das Europa-Bild der PiS stimmt einfach nicht

    Charlotte v. Knobloch: Das liegt am Wahlsystem und der geringen Wahlbeteiligung...

    Renata Kaminska: Ja. Viele Nicht-Wähler sind jetzt total in Panik geraten. Sie wissen, dass sie mit ihrem Nicht-Wählen die absolute Mehrheit der PiS mitzuverantworten haben. Sie wissen, dass sie versagt haben und sagen das auch. Viele von ihnen gehen jetzt wenigstens wöchentlich auf die Straße und protestieren gegen die PiS-Politik.

    Charlotte v. Knobloch: Am Anfang unserer Debatte „Poland on my mind“ stand auch das Gefühl, dass zwar nun in Rest-Europa viel Negatives über Polen berichtet wird, es aber am persönlichen, europäischen Austausch in der Debatte mangelt. Wie sehen Sie das?

    Renata Kaminska: Ich habe nicht das Gefühl, dass die europäische Gesellschaft und Öffentlichkeit an der Zugehörigkeit Polens zu Europa zweifelt. Mir scheint, die europäische Gemeinschaft will Polen viel weniger aufgeben als umgekehrt die PiS-Partei die EU aufgeben will. Die PiS-Partei und parteinahe Medien tun so, als würde die EU Polen feindlich gegenüber stehen und übertreiben dabei sehr. Wir sollten uns davon nicht verrückt machen lassen. Das Europa-Bild der PiS stimmt einfach nicht.

    Charlotte v. Knobloch: Was glauben Sie, wird der Widerstand gegen die PiS-Regierung wachsen?

    Renata Kaminska: Wir haben im Lande eine sehr lange Tradition des Aufstandes und der Revolution. Polen hatte auch immer Erfolg mit seinen Aufständen, sie führten meist zu Veränderungen. Der Ablauf war jedoch nie so friedlich, wie zum Beispiel jüngst in Island. Bei uns endeten Aufstände oft blutig. Und genau das bereitet mir und meinen Freunden momentan Sorgen.


    Poland on my mind

    MitPoland on my Mind startet das Publixphere-Netzwerk ein Experiment. Ist es möglich, eine grenzüberschreitende Debatte über 'Polen in Europa' zu führen? Als europäische Öffentlichkeit – mit BürgerInnen aus Polen und potenziell allen anderen EU-Ländern? Einbringen kannst Du Dich in den Foren unter den Texten und mit eigenen Artikeln. Mehr...


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  • Renata Kaminska (Razem Berlin): "Viele Nicht-Wähler sind in Panik geraten"

    von Redaktion, angelegt

    fronx (CC BY 2.0)Im "Club der polnischen Versager" in Berlin erlebte Renata Kaminska den Ausgang der jüngsten die Parlamentswahlen in Polen. Foto: fronx (CC BY 2.0)

    Von Berlin aus setzt sich die Künstlerin Renata Kaminska für die neue Razem-Partei in Polen ein. Im Interview spricht sie über ihr europäisches Leben zwischen den Welten und erklärt, warum sie sich Sorgen um Polen macht.


    Renata Kaminska


    Ein Interview von Charlotte v. KnoblochPolicy Lab

    Renata Kaminska

    Zur Person:

    Renata Kaminska lebt als Künstlerin in Berlin und engagiert sich aus dem Ausland in der polnischen Opposition. Seit Mai 2015 ist sie Mitglied der neugegründeten Partei „Razem“ (zu Deutsch „Gemeinsam“ oder „Zusammen“). Razem orientiert sich an Ideen der Sozialdemokratie und des demokratischen Sozialismus. Außerdem ist Kaminska Mitentwicklerinder „Razem“-Zentrale in Berlin.

    Charlotte v. Knobloch: Im Oktober 2015 erhielt die neue Partei „Razem“ bei den Parlamentswahlen in Polen auf Anhieb 3,8 Prozent. Frau Kaminska, wie erlebten sie den den Augenblick, als die Wahlergebnisse bekannt wurden?

    Renata Kaminska: Das war ein sehr europäischer Moment. Wir hatten uns im „Club der Polnischen Versager“ in Berlin Mitte getroffen. Es waren mindestens 40 Leute dort, die unserer Partei angehörten oder Sympathisanten der Partei waren und mindestens noch einmal doppelt so viele von unseren deutschen Freunden. Sie sind zwar keine Partei-Angehörigen, aber aus Begeisterung für unsere Partei zu uns gestoßen.

    Wir haben die Live-Übertragung auf einem großen Screen angeschaut. In einem kurzen Moment trauten wir unseren Augen nicht. Da gab es eine Prognose von 5,1 Prozent für Razem und wir waren begeistert. Danach sank die Zahl wieder. Aber 3,8 Prozent sind trotzdem ein tolles Ergebnis, wenn man bedenkt, dass die Partei zu diesem Zeitpunkt erst etwa sechs Monate existierte. Das war schon sehr überraschend. Niemand von uns hatte Parteierfahrung. Das waren aufregende Momente an dem Abend.

    Charlotte v. Knobloch: Razem siedelt sich im linken politischen Spektrum an. In Europa gibt es ja nicht viele junge Parteien, die das tun. Mir kommt aber die spanische Partei „Podemos“ in den Sinn, die sich Anfang 2014 gegründet hat. Haben Sie sich von Podemos inspirieren lassen?

    Renata Kaminska: Jein. Podemos ist in meiner Generation eigentlich jedem bekannt. Wir haben in unserer Partei jedoch nie davon gesprochen, dass Razem von Podemos inspiriert wurde. Razem entstand eher intuitiv. Die Partei steht in einer uralten polnischen Tradition, zu der sozialistisches Denken gehört. Eigentlich hat niemand aus meiner Generation persönlich schlechte Erfahrungen mit der sozialistischen Zeit gemacht. Wir kennen das nur aus Erzählungen. Die Partei ist entstanden, weil Menschen, die links und sozial denken, sich nirgends zu Hause fühlten. Wir haben einfach Handlungsbedarf gesehen.

    Charlotte v. Knobloch: Sie haben Polen 1995 verlassen und lebten seither in der Schweiz, in Frankreich und in den USA. Würden Sie sagen, Sie importieren Ihre Weltoffenheit jetzt in die polnische Debatte?

    Renata Kaminska: Ich schätze, mindestens ein Viertel der polnischen Bevölkerung lebt durchgehend oder vorübergehend im Ausland. Mit dem EU-Beitritt Polens 2004 ist das alles einfacher geworden. Ich selbst lebe parallel in Polen und Deutschland. Wir alle, die so leben, werden zu Brücken zwischen den Ländern, zu Botschaftern in beide Richtungen. Für meine deutschen Freunde und Bekannte bin ich eine Art Anlaufstelle für Fragen zu Polen. Meinen Freunden in Polen gebe ich Auskunft, wenn es um die deutsche Debatte geht.

    Aber dieses „gelebte Europa“ ist nicht für alle ein reiner Segen. Es gibt zwei Gruppen von 'Exil-Polen'. Die eine Gruppe nenne ich einmal die „Intellektuellen“. Sie hatten so wie ich das Glück, im Ausland zu studieren, ganz oder zeitweise. Sie haben einen besonderen Zugang zur anderen Gesellschaft bekommen. Sie fühlen sich zum Beispiel auch zur deutschen Gesellschaft zugehörig, haben sich hier eine zweite Heimat aufgebaut. Die andere Gruppe sieht das Arbeiten im Ausland nur als Episode, um Geld zu verdienen. Sie geht nicht unbedingt aus Neugier ins Ausland, sondern weil es zu Hause keine Arbeit gibt. Das ist auch nicht immer eine schöne Erfahrung.

    Doch egal welche Gruppe von Exil-Polen man betrachtet, beide haben Einfluss auf die polnische Debatte, auf ihr Umfeld zu Hause. Wir bringen neue Ideen und Erfahrungen mit. Das trägt auch dazu bei, dass sich bei den „Daheimgebliebenen“ die Ablehnung des Fremden verringert. Denn Fremdenfeindlichkeit fußt ja meistens auf Unkenntnis.

    Charlotte v. Knobloch: 2015 hat national-konsverative PiS-Partei die absolute Mehrheit im polnischen Parlament errungen. Sie sagten einmal, hinter der PiS-Partei würden vor allem Menschen stehen, die ihr Leben lang in Polen geblieben sind. Lässt sich so die euroskeptische Haltung der PiS-Partei erklären?

    Renata Kaminska: Die Spitzenpositionen der PiS-Partei sind definitiv von Menschen besetzt, die tatsächlich fast gar keine Erfahrung mit dem Ausland haben. Das ist schon sehr traurig. Sie haben vielleicht drei, vier Tage im Ausland Urlaub gemacht. Aber wer von ihnen hat schon im Ausland mit anderen Europäern zusammengearbeitet oder studiert? Unkenntnis fördert Ängste und Ablehnung, und der PiS fällt es leicht, die Fremdenfeindlichkeit zu schüren. Es gibt Menschen in Polen, die persönlich nie eine positive Erfahrung mit „dem Anderen“ gemacht haben und die dann grundsätzlich erst einmal das Schlimmste vermuten. Das sind vor allem ältere Menschen, von denen die PiS vor allem gewählt wurde. Dazu kommt die Fremdherrschaft, unter der Polen Jahrhunderte lang gelitten hat. Dieses Trauma lässt sich sehr gut bei denen bedienen, die keine persönlichen Erfahrungen mit unserer europäischen Gesellschaft von heute haben.

    Aber denken Sie nicht, alle Polen wären PiS-Anhänger. Von den rund 31 Millionen Wahlberechtigten haben nur rund 5,7 Millionen die PiS gewählt. Das sind nur knapp 19 Prozent. Es ist schrecklich zu beobachten, wie diese 19 Prozent es der PiS ermöglichen, den ganzen Staat umzukrempeln.

    Charlotte v. Knobloch: Das liegt am Wahlsystem und der geringen Wahlbeteiligung...

    Renata Kaminska: Ja. Viele Nicht-Wähler sind jetzt total in Panik geraten. Sie wissen, dass sie mit ihrem Nicht-Wählen die absolute Mehrheit der PiS mitzuverantworten haben. Sie wissen, dass sie versagt haben und sagen das auch. Viele von ihnen gehen jetzt wenigstens wöchentlich auf die Straße und protestieren gegen die PiS-Politik.

    Charlotte v. Knobloch: Am Anfang unserer Debatte „Poland on my mind“ stand auch das Gefühl, dass zwar nun in Rest-Europa viel Negatives über Polen berichtet wird, es aber am persönlichen, europäischen Austausch in der Debatte mangelt. Wie sehen Sie das?

    Renata Kaminska: Ich habe nicht das Gefühl, dass die europäische Gesellschaft und Öffentlichkeit an der Zugehörigkeit Polens zu Europa zweifelt. Mir scheint, die europäische Gemeinschaft will Polen viel weniger aufgeben als umgekehrt die PiS-Partei die EU aufgeben will. Die PiS-Partei und parteinahe Medien tun so, als würde die EU Polen feindlich gegenüber stehen und übertreiben dabei sehr. Wir sollten uns davon nicht verrückt machen lassen. Das Europa-Bild der PiS stimmt einfach nicht.

    Charlotte v. Knobloch: Was glauben Sie, wird der Widerstand gegen die PiS-Regierung wachsen?

    Renata Kaminska: Wir haben im Lande eine sehr lange Tradition des Aufstandes und der Revolution. Polen hatte auch immer Erfolg mit seinen Aufständen, sie führten meist zu Veränderungen. Der Ablauf war jedoch nie so friedlich, wie zum Beispiel jüngst in Island. Bei uns endeten Aufstände oft blutig. Und genau das bereitet mir und meinen Freunden momentan Sorgen.

    Poland on my mind

    MitPoland on my Mind startet das Publixphere-Netzwerk ein Experiment. Ist es möglich, eine grenzüberschreitende Debatte über 'Polen in Europa' zu führen? Als europäische Öffentlichkeit – mit BürgerInnen aus Polen und potenziell allen anderen EU-Ländern? Einbringen kannst Du Dich in den Foren unter den Texten und mit eigenen Artikeln. Mehr...


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  • Renata Kaminska (Razem Berlin): "Viele Nicht-Wähler sind in Panik geraten"

    von Redaktion, angelegt

    fronx (CC BY 2.0) Im "Club der polnischen Versager" in Berlin erlebte Renata Kaminska die Parlamentswahlen in Polen. Foto: fronx Link: https://www.flickr.com/photos/fronx/6156187273/in/photolist-ao14ZT-vocyhv-rijEui-ur26aX-riqBUF-r22UBA-rj5D9P-rggeEb-riviEm-rggs4u-r29Mue-r29chB-qZeTev-qmAi2u-qZfRuB-rggDrE-riySte-qmNi8B-rggRx3-riyVix-ritq6k-rivWom-r29f2e-r29Btn-rivAMs-r2c5L5-vebzf1-rgquGN-89vwLV-vTzFWj-yKQzAH-ytdJ4C-ytfpX1-yLAR5X-xNXBVr-xNPhKj-yHw6e1-yKQyTa-ytf9Co-yHwmhs-xNX7pn-ytjTy6-xNP1J1-vocyue-vkxVvW-v6pFtv-uqRc91-w8ToEw-v6gYz1-vnk3Rh (CC BY 2.0 Link: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/ )

    Von Berlin aus setzt sich die Künstlerin Renata Kaminska für die neue Razem-Partei in Polen ein. Im Interview spricht sie über ihr europäisches Leben zwischen den Welten und erklärt, warum sie sich Sorgen um Polen macht.


    Renata Kaminska

    Ein Interview von Charlotte v. KnoblochPolicy Lab

    Zur Person:

    Renata Kaminska lebt als Künstlerin in Berlin und engagiert sich aus dem Ausland in der polnischen Opposition. Seit Mai 2015 ist sie Mitglied der neugegründeten Partei „Razem“ (zu Deutsch „Gemeinsam“ oder „Zusammen“). Razem orientiert sich an Ideen der Sozialdemokratie und des demokratischen Sozialismus. Außerdem ist Kaminska Mitentwicklerinder „Razem“-Zentrale in Berlin.

    Charlotte v. Knobloch: Im Oktober 2015 erhielt die neue Partei „Razem“ bei den Parlamentswahlen in Polen auf Anhieb 3,8 Prozent. Frau Kaminska, wie erlebten sie den den Augenblick, als die Wahlergebnisse bekannt wurden?

    Renata Kaminska: Das war ein sehr europäischer Moment. Wir hatten uns im „Club der Polnischen Versager“ in Berlin Mitte getroffen. Es waren mindestens 40 Leute dort, die unserer Partei angehörten oder Sympathisanten der Partei waren und mindestens noch einmal doppelt so viele von unseren deutschen Freunden. Sie sind zwar keine Partei-Angehörigen, aber aus Begeisterung für unsere Partei zu uns gestoßen.

    Wir haben die Live-Übertragung auf einem großen Screen angeschaut. In einem kurzen Moment trauten wir unseren Augen nicht. Da gab es eine Prognose von 5,1 Prozent für Razem und wir waren begeistert. Danach sank die Zahl wieder. Aber 3,8 Prozent sind trotzdem ein tolles Ergebnis, wenn man bedenkt, dass die Partei zu diesem Zeitpunkt erst etwa sechs Monate existierte. Das war schon sehr überraschend. Niemand von uns hatte Parteierfahrung. Das waren aufregende Momente an dem Abend.

    Charlotte v. Knobloch: Razem siedelt sich im linken politischen Spektrum an. In Europa gibt es ja nicht viele junge Parteien, die das tun. Mir kommt aber die spanische Partei „Podemos“ in den Sinn, die sich Anfang 2014 gegründet hat. Haben Sie sich von Podemos inspirieren lassen?

    Renata Kaminska: Jein. Podemos ist in meiner Generation eigentlich jedem bekannt. Wir haben in unserer Partei jedoch nie davon gesprochen, dass Razem von Podemos inspiriert wurde. Razem entstand eher intuitiv. Die Partei steht in einer uralten polnischen Tradition, zu der sozialistisches Denken gehört. Eigentlich hat niemand aus meiner Generation persönlich schlechte Erfahrungen mit der sozialistischen Zeit gemacht. Wir kennen das nur aus Erzählungen. Die Partei ist entstanden, weil Menschen, die links und sozial denken, sich nirgends zu Hause fühlten. Wir haben einfach Handlungsbedarf gesehen.

    Charlotte v. Knobloch: Sie haben Polen 1995 verlassen und lebten seither in der Schweiz, in Frankreich und in den USA. Würden Sie sagen, Sie importieren Ihre Weltoffenheit jetzt in die polnische Debatte?

    Renata Kaminska: Ich schätze, mindestens ein Viertel der polnischen Bevölkerung lebt durchgehend oder vorübergehend im Ausland. Mit dem EU-Beitritt Polens 2004 ist das alles einfacher geworden. Ich selbst lebe parallel in Polen und Deutschland. Wir alle, die so leben, werden zu Brücken zwischen den Ländern, zu Botschaftern in beide Richtungen. Für meine deutschen Freunde und Bekannte bin ich eine Art Anlaufstelle für Fragen zu Polen. Meinen Freunden in Polen gebe ich Auskunft, wenn es um die deutsche Debatte geht.

    Aber dieses „gelebte Europa“ ist nicht für alle ein reiner Segen. Es gibt zwei Gruppen von 'Exil-Polen'. Die eine Gruppe nenne ich einmal die „Intellektuellen“. Sie hatten so wie ich das Glück, im Ausland zu studieren, ganz oder zeitweise. Sie haben einen besonderen Zugang zur anderen Gesellschaft bekommen. Sie fühlen sich zum Beispiel auch zur deutschen Gesellschaft zugehörig, haben sich hier eine zweite Heimat aufgebaut. Die andere Gruppe sieht das Arbeiten im Ausland nur als Episode, um Geld zu verdienen. Sie geht nicht unbedingt aus Neugier ins Ausland, sondern weil es zu Hause keine Arbeit gibt. Das ist auch nicht immer eine schöne Erfahrung.

    Doch egal welche Gruppe von Exil-Polen man betrachtet, beide haben Einfluss auf die polnische Debatte, auf ihr Umfeld zu Hause. Wir bringen neue Ideen und Erfahrungen mit. Das trägt auch dazu bei, dass sich bei den „Daheimgebliebenen“ die Ablehnung des Fremden verringert. Denn Fremdenfeindlichkeit fußt ja meistens auf Unkenntnis.

    Charlotte v. Knobloch: 2015 hat national-konsverative PiS-Partei die absolute Mehrheit im polnischen Parlament errungen. Sie sagten einmal, hinter der PiS-Partei würden vor allem Menschen stehen, die ihr Leben lang in Polen geblieben sind. Lässt sich so die euroskeptische Haltung der PiS-Partei erklären?

    Renata Kaminska: Die Spitzenpositionen der PiS-Partei sind definitiv von Menschen besetzt, die tatsächlich fast gar keine Erfahrung mit dem Ausland haben. Das ist schon sehr traurig. Sie haben vielleicht drei, vier Tage im Ausland Urlaub gemacht. Aber wer von ihnen hat schon im Ausland mit anderen Europäern zusammengearbeitet oder studiert? Unkenntnis fördert Ängste und Ablehnung, und der PiS fällt es leicht, die Fremdenfeindlichkeit zu schüren. Es gibt Menschen in Polen, die persönlich nie eine positive Erfahrung mit „dem Anderen“ gemacht haben und die dann grundsätzlich erst einmal das Schlimmste vermuten. Das sind vor allem ältere Menschen, von denen die PiS vor allem gewählt wurde. Dazu kommt die Fremdherrschaft, unter der Polen Jahrhunderte lang gelitten hat. Dieses Trauma lässt sich sehr gut bei denen bedienen, die keine persönlichen Erfahrungen mit unserer europäischen Gesellschaft von heute haben.

    Aber denken Sie nicht, alle Polen wären PiS-Anhänger. Von den rund 31 Millionen Wahlberechtigten haben nur rund 5,7 Millionen die PiS gewählt. Das sind nur knapp 19 Prozent. Es ist schrecklich zu beobachten, wie diese 19 Prozent es der PiS ermöglichen, den ganzen Staat umzukrempeln.

    Charlotte v. Knobloch: Das liegt am Wahlsystem und der geringen Wahlbeteiligung...

    Renata Kaminska: Ja. Viele Nicht-Wähler sind jetzt total in Panik geraten. Sie wissen, dass sie mit ihrem Nicht-Wählen die absolute Mehrheit der PiS mitzuverantworten haben. Sie wissen, dass sie versagt haben und sagen das auch. Viele von ihnen gehen jetzt wenigstens wöchentlich auf die Straße und protestieren gegen die PiS-Politik.

    Charlotte v. Knobloch: Am Anfang unserer Debatte „Poland on my mind“ stand auch das Gefühl, dass zwar nun in Rest-Europa viel Negatives über Polen berichtet wird, es aber am persönlichen, europäischen Austausch in der Debatte mangelt. Wie sehen Sie das?

    Renata Kaminska: Ich habe nicht das Gefühl, dass die europäische Gesellschaft und Öffentlichkeit an der Zugehörigkeit Polens zu Europa zweifelt. Mir scheint, die europäische Gemeinschaft will Polen viel weniger aufgeben als umgekehrt die PiS-Partei die EU aufgeben will. Die PiS-Partei und parteinahe Medien tun so, als würde die EU Polen feindlich gegenüber stehen und übertreiben dabei sehr. Wir sollten uns davon nicht verrückt machen lassen. Das Europa-Bild der PiS stimmt einfach nicht.

    Charlotte v. Knobloch: Was glauben Sie, wird der Widerstand gegen die PiS-Regierung wachsen?

    Renata Kaminska: Wir haben im Lande eine sehr lange Tradition des Aufstandes und der Revolution. Polen hatte auch immer Erfolg mit seinen Aufständen, sie führten meist zu Veränderungen. Der Ablauf war jedoch nie so friedlich, wie zum Beispiel jüngst in Island. Bei uns endeten Aufstände oft blutig. Und genau das bereitet mir und meinen Freunden momentan Sorgen.

    Poland on my mind

    MitPoland on my Mind startet das Publixphere-Netzwerk ein Experiment. Ist es möglich, eine grenzüberschreitende Debatte über 'Polen in Europa' zu führen? Als europäische Öffentlichkeit – mit BürgerInnen aus Polen und potenziell allen anderen EU-Ländern? Einbringen kannst Du Dich in den Foren unter den Texten und mit eigenen Artikeln. Mehr...


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  • Renata Kaminska (Razem Berlin): "Viele Nicht-Wähler sind in Panik geraten"

    von Redaktion, angelegt

    Ein Interview von Charlotte v. Knobloch Policy Lab

    Zur Person:

    Renata Kaminska lebt als Künstlerin in Berlin und engagiert sich aus dem Ausland in der polnischen Opposition. Seit Mai 2015 ist sie Mitglied der neugegründeten Partei „Razem“ (zu Deutsch „Gemeinsam“ oder „Zusammen“). Razem orientiert sich an Ideen der Sozialdemokratie und des demokratischen Sozialismus. Außerdem ist Kaminska Mitentwicklerinder „Razem“-Zentrale in Berlin.

    Charlotte v. Knobloch: Im Oktober 2015 erhielt die neue Partei „Razem“ bei den Parlamentswahlen in Polen auf Anhieb 3,8 Prozent. Frau Kaminska, wie erlebten sie den den Augenblick, als die Wahlergebnisse bekannt wurden?

    Renata Kaminska: Das war ein sehr europäischer Moment. Wir hatten uns im „Club der Polnischen Versager“ in Berlin Mitte getroffen. Es waren mindestens 40 Leute dort, die unserer Partei angehörten oder Sympathisanten der Partei waren und mindestens noch einmal doppelt so viele von unseren deutschen Freunden. Sie sind zwar keine Partei-Angehörigen, aber aus Begeisterung für unsere Partei zu uns gestoßen.

    Wir haben die Live-Übertragung auf einem großen Screen angeschaut. In einem kurzen Moment trauten wir unseren Augen nicht. Da gab es eine Prognose von 5,1 Prozent für Razem und wir waren begeistert. Danach sank die Zahl wieder. Aber 3,8 Prozent sind trotzdem ein tolles Ergebnis, wenn man bedenkt, dass die Partei zu diesem Zeitpunkt erst etwa sechs Monate existierte. Das war schon sehr überraschend. Niemand von uns hatte Parteierfahrung. Das waren aufregende Momente an dem Abend.

    Charlotte v. Knobloch: Razem siedelt sich im linken politischen Spektrum an. In Europa gibt es ja nicht viele junge Parteien, die das tun. Mir kommt aber die spanische Partei „Podemos“ in den Sinn, die sich Anfang 2014 gegründet hat. Haben Sie sich von Podemos inspirieren lassen?

    Renata Kaminska: Jein. Podemos ist in meiner Generation eigentlich jedem bekannt. Wir haben in unserer Partei jedoch nie davon gesprochen, dass Razem von Podemos inspiriert wurde. Razem entstand eher intuitiv. Die Partei steht in einer uralten polnischen Tradition, zu der sozialistisches Denken gehört. Eigentlich hat niemand aus meiner Generation persönlich schlechte Erfahrungen mit der sozialistischen Zeit gemacht. Wir kennen das nur aus Erzählungen. Die Partei ist entstanden, weil Menschen, die links und sozial denken, sich nirgends zu Hause fühlten. Wir haben einfach Handlungsbedarf gesehen.

    Charlotte v. Knobloch: Sie haben Polen 1995 verlassen und lebten seither in der Schweiz, in Frankreich und in den USA. Würden Sie sagen, Sie importieren Ihre Weltoffenheit jetzt in die polnische Debatte?

    Renata Kaminska: Ich schätze, mindestens ein Viertel der polnischen Bevölkerung lebt durchgehend oder vorübergehend im Ausland. Mit dem EU-Beitritt Polens 2004 ist das alles einfacher geworden. Ich selbst lebe parallel in Polen und Deutschland. Wir alle, die so leben, werden zu Brücken zwischen den Ländern, zu Botschaftern in beide Richtungen. Für meine deutschen Freunde und Bekannte bin ich eine Art Anlaufstelle für Fragen zu Polen. Meinen Freunden in Polen gebe ich Auskunft, wenn es um die deutsche Debatte geht.

    Aber dieses „gelebte Europa“ ist nicht für alle ein reiner Segen. Es gibt zwei Gruppen von 'Exil-Polen'. Die eine Gruppe nenne ich einmal die „Intellektuellen“. Sie hatten so wie ich das Glück, im Ausland zu studieren, ganz oder zeitweise. Sie haben einen besonderen Zugang zur anderen Gesellschaft bekommen. Sie fühlen sich zum Beispiel auch zur deutschen Gesellschaft zugehörig, haben sich hier eine zweite Heimat aufgebaut. Die andere Gruppe sieht das Arbeiten im Ausland nur als Episode, um Geld zu verdienen. Sie geht nicht unbedingt aus Neugier ins Ausland, sondern weil es zu Hause keine Arbeit gibt. Das ist auch nicht immer eine schöne Erfahrung.

    Doch egal welche Gruppe von Exil-Polen man betrachtet, beide haben Einfluss auf die polnische Debatte, auf ihr Umfeld zu Hause. Wir bringen neue Ideen und Erfahrungen mit. Das trägt auch dazu bei, dass sich bei den „Daheimgebliebenen“ die Ablehnung des Fremden verringert. Denn Fremdenfeindlichkeit fußt ja meistens auf Unkenntnis.

    Charlotte v. Knobloch: 2015 hat national-konsverative PiS-Partei die absolute Mehrheit im polnischen Parlament errungen. Sie sagten einmal, hinter der PiS-Partei würden vor allem Menschen stehen, die ihr Leben lang in Polen geblieben sind. Lässt sich so die euroskeptische Haltung der PiS-Partei erklären?

    Renata Kaminska: Die Spitzenpositionen der PiS-Partei sind definitiv von Menschen besetzt, die tatsächlich fast gar keine Erfahrung mit dem Ausland haben. Das ist schon sehr traurig. Sie haben vielleicht drei, vier Tage im Ausland Urlaub gemacht. Aber wer von ihnen hat schon im Ausland mit anderen Europäern zusammengearbeitet oder studiert? Unkenntnis fördert Ängste und Ablehnung, und der PiS fällt es leicht, die Fremdenfeindlichkeit zu schüren. Es gibt Menschen in Polen, die persönlich nie eine positive Erfahrung mit „dem Anderen“ gemacht haben und die dann grundsätzlich erst einmal das Schlimmste vermuten. Das sind vor allem ältere Menschen, von denen die PiS vor allem gewählt wurde. Dazu kommt die Fremdherrschaft, unter der Polen Jahrhunderte lang gelitten hat. Dieses Trauma lässt sich sehr gut bei denen bedienen, die keine persönlichen Erfahrungen mit unserer europäischen Gesellschaft von heute haben.

    Aber denken Sie nicht, alle Polen wären PiS-Anhänger. Von den rund 31 Millionen Wahlberechtigten haben nur rund 5,7 Millionen die PiS gewählt. Das sind nur knapp 19 Prozent. Es ist schrecklich zu beobachten, wie diese 19 Prozent es der PiS ermöglichen, den ganzen Staat umzukrempeln.

    Charlotte v. Knobloch: Das liegt am Wahlsystem und der geringen Wahlbeteiligung...

    Renata Kaminska: Ja. Viele Nicht-Wähler sind jetzt total in Panik geraten. Sie wissen, dass sie mit ihrem Nicht-Wählen die absolute Mehrheit der PiS mitzuverantworten haben. Sie wissen, dass sie versagt haben und sagen das auch. Viele von ihnen gehen jetzt wenigstens wöchentlich auf die Straße und protestieren gegen die PiS-Politik.

    Charlotte v. Knobloch: Am Anfang unserer Debatte „Poland on my mind“ stand auch das Gefühl, dass zwar nun in Rest-Europa viel Negatives über Polen berichtet wird, es aber am persönlichen, europäischen Austausch in der Debatte mangelt. Wie sehen Sie das?

    Renata Kaminska: Ich habe nicht das Gefühl, dass die europäische Gesellschaft und Öffentlichkeit an der Zugehörigkeit Polens zu Europa zweifelt. Mir scheint, die europäische Gemeinschaft will Polen viel weniger aufgeben als umgekehrt die PiS-Partei die EU aufgeben will. Die PiS-Partei und parteinahe Medien tun so, als würde die EU Polen feindlich gegenüber stehen und übertreiben dabei sehr. Wir sollten uns davon nicht verrückt machen lassen. Das Europa-Bild der PiS stimmt einfach nicht.

    Charlotte v. Knobloch: Was glauben Sie, wird der Widerstand gegen die PiS-Regierung wachsen?

    Renata Kaminska: Wir haben im Lande eine sehr lange Tradition des Aufstandes und der Revolution. Polen hatte auch immer Erfolg mit seinen Aufständen, sie führten meist zu Veränderungen. Der Ablauf war jedoch nie so friedlich, wie zum Beispiel jüngst in Island. Bei uns endeten Aufstände oft blutig. Und genau das bereitet mir und meinen Freunden momentan Sorgen.

    Poland on my mind

    Mit Poland on my Mind startet das Publixphere-Netzwerk ein Experiment. Ist es möglich, eine grenzüberschreitende Debatte über 'Polen in Europa' zu führen? Als europäische Öffentlichkeit – mit BürgerInnen aus Polen und potenziell allen anderen EU-Ländern? Einbringen kannst Du Dich in den Foren unter den Texten und mit eigenen Artikeln. Mehr...


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