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Die offene Gesellschaft und ihre falschen Freunde


Die offene Gesellschaft und ihre falschen Freunde

Die Initiative „Die offene Gesellschaft“ verfolgt Ziele, die ich unterstütze. Zudem setzt sie auf Formen, bei denen die zugrundeliegenden Werte gelebt werden. Es gibt Straßentanz um sich im Wohnquartier zu begegnen, gemeinsame Essen, Vorträge, Podiumsdiskussionen, Kneipengespräche, Diskussionsrunden zu denen offen eingeladen wird und viele weitere kreative Events. Das sind alles Aktionen, die Demokratie und konstruktive Streitkultur fördern, das Verbindende suchen, die Empathie erzeugen, die Aufmerksamkeit auf Möglichkeiten richtet und die auch über das emotionale Erleben zu einer lebenswerten Gesellschaft beitragen. Das ist mir sehr sympathisch und entspricht meiner ressourcen- und lösungsorientierten Ausrichtung. Darum wurde ich gerne zum Freund der offenen Gesellschaft.

Was mich stutzig macht, ist die Beteiligung von Diakonie und Caritas als Partner. Die Diakonie wird als Förderer und unter der Rubrik Inhalte aufgeführt, die „young caritas“ unter Aktionen&Events. (Internetrecherche: https://www.die-offene-gesellschaft.de/about am 22.7.17)

Um meine Haltung von Beginn an klar zu stellen: Den verschiedenen religiösen Orientierungen von Bürgern muss eine offene Gesellschaft tolerant gegenüberstehen. Religionsfreiheit gehört zu den Grundrechten die verteidigt werden müssen und die Möglichkeit zur privaten Glaubensausübung, muss gewährleistet sein. Juden, Katholiken, Protestanten, Muslime, Pastafari, Anhänger der Zahnfee und Religionsfreie müssen ertragen, erduldet, also toleriert werden – von denen die anderer Auffassung sind. Dazu muss der Staat eine strikt säkulare Haltung einnehmen, damit die Gleichbehandlung aller Bürger in unserer pluralen Gesellschaft garantiert wird. Und der Staat muss Aufklärung und Rechtsstaatlichkeit gegen alle Feinde der offenen Gesellschaft verteidigen. Karl Popper, der mit seinem Hauptwerk Namensgeber der Initiative ist, hat das klar heraus gearbeitet.

Wie wir (spätestens seit „Kirchenrepublik Deutschland“ von Carsten Frerk) wissen, ist die Bundesrepublik eher ein Kirchenstaat, als dem Christentum gegenüber neutral. Gefördert durch gezielten Lobbyismus auf allen politischen Ebenen, Staatsverträge, ein kirchliches Tarifsystem, Fortschreibung historischer (höchst zweifelhafter) Privilegien, Immobilienbesitz und unterstützt durch den staatlichen Kirchensteuereinzug, sicherten sich die beiden christlichen Konfessionen Hand in Hand Sonderrechte und Marktvorteile. Deutlich wird dies am speziellen kirchlichen Arbeitsrecht und der übermäßigen christlichen Präsenz in allen politischen Diskursen, unabhängig vom schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung. Ein Rückbau der Sonderstellung wird von kirchlicher Seite vehement verhindert. Eher wird momentan versucht die religiösen Privilegien, durch Einbezug der Muslime in bestehende Systeme, langfristig zu sichern. Die Bestrebungen Islamunterricht an Schulen zu etablieren, anstatt endlich den Religionsunterricht aus der staatlichen Bildung auszuschließen, zeigen den monotheistischen Schulterschluss sehr deutlich.

Religiöse Frauen und Männer sind Freunde einer offenen Gesellschaft, wenn sie ihre Auffassung von „Gott und der Welt“ als persönliche Weltanschauung vertreten, auf Dominanz und Deutungshoheit verzichten, ihre religiösen Auffassungen der Rechtsstaatlichkeit unterordnen und selbst Toleranz anderen Gruppen gegenüber zeigen. Christentum, Synagogen und Islam gehören zu Deutschland, so wie Skatrunden, Baumärkte und Swingerclubs. Jeder Mensch muss frei entscheiden können, nach welchen Ideen er/sie sein/ihr Leben ausrichtet und in welchem Milieu er/sie sich wohl fühlt. Der Staat muss sich weltanschaulich neutral verhalten und darauf achten, dass die Grenzen für alle Gruppen und Subkulturen in gleicher Weise klar gezogen und gegen Übergriffe gesichert werden.

Kirchliche Organisationen halte ich für falsche Freunde der offenen Gesellschaft. Unabhängig von den Sonntagsreden zeigt ihr institutionelles praktisches Handeln, dass sie die auf undemokratische Weise erworbenen Sonderrechte nutzen, um eigene Auffassungen durch christlichen Lobbyismus und Diskriminierung Nichtreligiöser durchzusetzen. Freunde der offenen Gesellschaft akzeptieren gleiche Regeln für alle und begegnen sich auf Augenhöhe, um im demokratischen Diskurs für ihre bevorzugte Lösung zu streiten. Genau das tun die Kirchen nicht. Sie nutzen privilegierte Zugänge zur Politik, bauen die innerkirchlichen Rechtsräume systematisch aus und beanspruchen bei einigen Themen (Sterben und Tod, Sexualität, Lebensformen, ...) Deutungshoheit auf Grund moralischer Überlegenheitsfantasien.

Ich bezweifele sogar, dass die Kirchen als Teile der Zivilgesellschaft verstanden werden können. Mit Blick auf die interne Organisation und Geschichte der Kirchen spricht mehr dafür, dass es (in differenzierbaren Formen) hierarchisch geführte, autoritäre und letztlich undemokratische Institutionen sind. Sie beziehen ihre Legitimation aus 2000 Jahre alten Schriften einer paternalistischen Hirtenkultur und nicht aus Orientierung an Rationalität, Wissenschaft und der Charta der Menschenrechte. Damit verzichten sie auf zivilisatorischen Fortschritt in gesellschaftlichen Fragen und auf wichtige Teile der Aufklärung.

Gut finde ich, dass „Die offene Gesellschaft“ eine Plattform schafft, diese Fragen zu diskutieren. Meine skeptischen Fragen lauteten:

„Ist das, aus meiner Sicht, diskriminierende und intolerante Arbeitsrecht der Kirchen mit den Maximen der "offenen Gesellschaft" vereinbar? Werden die historisch erworbenen gesellschaftlichen Sonderrechte und die daraus entstehenden Diskriminierungen für nichtreligiöse Menschen thematisiert? Gibt es innerhalb der Initiative dazu einen Diskurs mit den Kirchen? Sehen Sie auch einen Widerspruch in der einseitigen Privilegierung der christlichen Kirchen und dem Ansatz der offenen Gesellschaft und wenn ja, wie gehen Sie damit um?“ (aus Mail vom 19.6.17 „offene Gesellschaft und kirchliches Arbeitsrecht – geht das zusammen?“)

Die Antwort war:

„Generell ist unsere Initiative bewusst sehr breit angelegt - zu den Aktionspartnern zählen kirchliche Einrichtungen genauso wie der Humanisten-Verband oder die Junge Islam Konferenz. Das gemeinsame Interesse liegt darin, die Demokratie zu verteidigen und zu beleben, Menschen zu aktivieren, sich einzubringen. Unsere Debatten-Reihe "Welches Land wollen wir sein?" bietet viel Raum für die Kontroverse, auch zum Verhältnis von Staat und Religion. Als Initiative haben wir hierzu allerdings keine eigene Position. Und nur als Hinweis: Eine umfangreiche Sammlung von Bürger-Diskussionen zum Thema finden Sie hier: … publixphere … Wir melden uns, wenn wir Rückmeldung von der Diakonie haben.“ (Alexander Wragge per mail am 18.7.17)

Ich bin gespannt, ob die Antwort der Diakonie eine Freundschaft begründet, oder eher zivilisierte Verachtung, Widerstand und Kritik erfordert, um die offene Gesellschaft zu verteidigen. Wegen meiner persönlichen Erfahrungen habe ich mich in meiner Anfrage explizit auf das kirchliche Arbeitsrecht der Diakonie bezogen. Der "young caritas" und der "Jungen Islam Konferenz" würde ich jedoch ebenso skeptische Fragen stellen, dann auch sie habe ich als "falsche Freunde der offenen Gesellschaft" im Verdacht. Beim Humanisten-Verband sehe ich keinen inhaltlichen Widerspruch zu den Zielen der Initiative, es sei denn, Humanisten würden aus Weltanschauungsgründen, ähnlich wie die Kirchen, Sonderrechte und Deutungshoheit anstreben.

Ich stelle meine Meinung gerne hier zur Diskussion, weil wir alle davon betroffen sind, wenn Deutschland weiterhin Kirchenrepublik bleibt, oder die Allianz der abrahamitischen Religionen den säkularen Staat noch stärker zurück drängt.

Hansjörg Albrecht 28.7.2017


Kommentare

  • Diese Reaktion wurde mir (Hansjörg Albrecht) per Mail am 10.8.2017 von der Initiative "Die offene Gesellschaft" weiter geleitet. (Besten Dank dafür!)

    Verfasst wurde sie von Dr. Christian Oelschlägel Persönlicher Referent des Präsidenten Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.

    Reaktion auf Blogbeitrag Hansjörg Albrecht: „Die offene Gesellschaft und ihre falschen Freunde“

    Es ist Selbstverständnis der Evangelischen Kirche, dass sie Teil der Gesellschaft ist. „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“, hat der Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945) gesagt. Und so haben sich die deutschen Protestanten nach dem Zweiten Weltkrieg in den Aufbau der demokratischen Bundesrepublik eingebracht – im Wissen um ihre Verfehlungen in der NS-Zeit und ihrer schwierigen Rolle vor 1918. Die Bundesrepublik hat die beste Rechtsordnung, die Deutschland je hatte. Das Grundgesetz gewährt Religionsfreiheit und behandelt alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gleich - auch die Weltanschauung des Humanismus und Atheismus. Staat und Religionsgemeinschaften sind aus gutem Grund getrennt – aber die Bundesrepublik ist kein laizistischer Staat. Wir haben in der Bundesrepublik sehr gute Erfahrungen gemacht mit diesem Neben- und Miteinander der „Weltanschauungen“ im öffentlichen Raum. Religionsfreiheit und das Prinzip der Subsidiarität sind bewährte Prinzipien dieses Miteinanders. Anerkannte Religionsgemeinschaften genießen in Deutschland dank des Religionsverfassungsrechts historisch begründete Privilegien und übernehmen zivilgesellschaftliche Verantwortung – Stichwort Subsidiarität –, die unterschiedslos allen Gesellschaftsmitgliedern zugute kommen. Dies ist ein Grundprinzip unserer Rechtsordnung. Und ein weiteres ist seit der Weimarer Reichsvefassung, dass die Religionsgemeinschaften ihre eigenen Angelegenheiten selbst regeln – und dazu zählt auch das Arbeitsrecht. Wer versucht, Religion als Privatsache abzutun, verkennt die historischen, kulturellen und sozialen Wurzeln, aus der unsere staatliche Ordnung entstanden ist. Kirchen stehen nicht am Rand – sie sind Teil des geordneten Miteinanders in diesem Land. Wer Kirchen, Diakonie und Caritas absprechen will, Teil der Zivilgesellschaft zu sein, muss sich fragen, ob er wirklich eine offene Gesellschaft will. Ein laizistischer Staat wäre nicht mehr die gewachsene Rechtsordnung der Bundesrepublik, sondern eine andere Gesellschaft. Ob sich angesichts von mehr als 40 Millionen Kirchenmitgliedern in Deutschland dafür eine politische Mehrheit finden lässt, kann man getrost bezweifeln.

    • Danke für die Antwort, meine Haltung dazu habe ich absatzweise eingefügt, sonst ist es schwer nachzuvollziehen

      Reaktion auf Blogbeitrag Hansjörg Albrecht: „Die offene Gesellschaft und ihre falschen Freunde“

      Es ist Selbstverständnis der Evangelischen Kirche, dass sie Teil der Gesellschaft ist. „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“, hat der Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945) gesagt.

      Das finde ich, so wie es hier formuliert ist, gut. Als spirituelles Angebot an Personen und in Form christlich motivierter sozialer Arbeit sehe ich in der Zuwendung zu Andern gesellschaftlich wertvolle Elemente. Dass die EKD aus der Verknüpfung von Kirche und Gesellschaft ableitet,

      • als Ausgleich zur Säkularisation von 1803 weiterhin Staatsleistungen (im Jahr2013: 264.000.000€) beziehen zu können, z.B. in Form von Gehältern für hohe evangelische Ämter,

      • dass es legitim sei die theologischen Fakultäten vom Staat finanzieren zu lassen und

      • dass christliche Kirchen ihren Einfluss durch intransparenten Lobbyismus in Gesetzgebungsverfahren geltend machen können –

      das sind Beispiele dafür, was ich als unverträglich mit der „offenen Gesellschaft“ sehe.

      Und so haben sich die deutschen Protestanten nach dem Zweiten Weltkrieg in den Aufbau der demokratischen Bundesrepublik eingebracht – im Wissen um ihre Verfehlungen in der NS-Zeit und ihrer schwierigen Rolle vor 1918.

      Was der EKD bis heute nützt, sind die Privilegien aus dem Reichskonkordat von 1933. Ursprünglich zwischen der katholischen Kirche und dem NS-Regime abgeschlossen wurden sie umgehend auf die Protestanten ausgeweitet und nach 1945 durch massive Einflussnahme von Kirchenpolitikern in die Gesetzgebung der Bundesrepublik übernommen. Was daran demokratisches Handeln von deutschen Protestanten sein soll, erschließt sich mir nicht.

      Die Bundesrepublik hat die beste Rechtsordnung, die Deutschland je hatte. Das Grundgesetz gewährt Religionsfreiheit und behandelt alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gleich - auch die Weltanschauung des Humanismus und Atheismus. Staat und Religionsgemeinschaften sind aus gutem Grund getrennt – aber die Bundesrepublik ist kein laizistischer Staat.

      Was die pauschale Aussage über die Rechtsordnung betrifft, gebe ich Ihnen mit der positiven Bewertung recht, allerdings nicht in der Frage die wir diskutieren. Das Allgemeine Gleichstellungsgesetzt (AGG) und das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) enthält jene Ausnahmeregelungen, die den Kirchen die Freiräume zum diskriminierenden Arbeitrecht geben. Das ist, in Bezug auf säkulare Menschen, eben keine Gleichheit vor dem Gesetz. Die Möglichkeit für organisierte Humanisten, Muslime, Scientologen und andere Weltanschauungsgemeinschaften in den Genuss der gleichen Privilegien zu kommen, macht die Sache nicht besser, sondern zeigt die Bedrohung der offenen Gesellschaft umso deutlicher auf. Wollen Sie wirklich Kirchenstaaten im Staat? Ich will das nicht. Die Trennung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften ist in Deutschland höchst inkonsequent verwirklicht. Wie könnte es sonst sein, dass erklärte Atheisten ungewollt über ihre Steuern die Kirchen mitfinanzieren? Wieso haben katholische und evangelische Kirche exklusiv das Recht, Gesetzgebungsentwürfe vor der Diskussion im Parlament einzusehen, wenn diese ihre Interessen tangieren? Womit kann begründet werden, dass die kirchlichen Feiertage Einschränkungen für nichtchristliche BürgerInnen zur Folge haben?

      Wir haben in der Bundesrepublik sehr gute Erfahrungen gemacht mit diesem Neben- und Miteinander der „Weltanschauungen“ im öffentlichen Raum. Religionsfreiheit und das Prinzip der Subsidiarität sind bewährte Prinzipien dieses Miteinanders.

      Ja und nein. Ja, Religionsfreiheit und Subsidiarität sind bewährte Prinzipien und ermöglichen ein gutes Neben- und Miteinander, wenn es keine Bevorzugungen bestimmter Weltanschauungen durch den Staat gibt. Schon alleine an der Diskussion um Kreuze in Gerichtssälen und anderen öffentlichen Gebäuden kann man erkennen, das es bis dahin noch ein gutes Stück Weg ist. Nein, „wir“ haben nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Die Mitarbeitenden in Diakonie und Caritas erleben über das kirchliche Arbeitsrecht, was es bedeutet wenn Religionsgemeinschaften ihre Ideen von Dienstgemeinschaft und Loyalität in konkretes Führungshandeln umsetzen. Weiter gedacht müssen wir uns auch überlegen, ob wir als Gesellschaft zum Beispiel einen muslimischen Sozialverband wollen, der sich in seinem Arbeitsrecht an Koran und Scharia orientiert. Das klingt vielleicht übertrieben, aber nur weil uns die christlichen Ansprüche mit Orientierung an der Bibel vertraut und die muslimischen Glaubensinhalte fremd sind. Das Prinzip wäre das gleiche.

      Anerkannte Religionsgemeinschaften genießen in Deutschland dank des Religionsverfassungsrechts historisch begründete Privilegien und übernehmen zivilgesellschaftliche Verantwortung – Stichwort Subsidiarität –, die unterschiedslos allen Gesellschaftsmitgliedern zugute kommen.

      Weil sie die Privilegien als historisch begründet bezeichnen, sehe ich eine gute Basis für eine konstruktive Diskussion. Ähnlich wie für andere historischen Rechte (z.B. dass Frauen ihre Männer um Zustimmung bei Verträgen bitten mussten; jahrtausendalte Tradition und Recht zur Sklavenhaltung; das Recht zur Züchtigung von Kindern; ...) gilt auch für die Privilegien der Religionsgemeinschaften: Sie haben ihre nachvollziehbare Entstehungsgeschichte und galten einmal als logisch und gerechtfertigt. Aber: Nichts spricht dagegen sie (regelmäßig) auf den Prüfstand zu stellen und mit dem heutigen Stand des Wissens im offenen Diskurs zu hinterfragen und zu verändern. Zivilgesellschaftliche Verantwortung übernehmen auch das Rote Kreuz, Der Paritätische und die AWO und das ganz ohne besondere Unterstützung vom Staat. Was den Sozialstaat betrifft, haben wir momentan einen unfairen Wettbewerb zu Gunsten von Diakonie und Caritas. So verhalten sich Freunde meiner Meinung nach nicht.

      Dies ist ein Grundprinzip unserer Rechtsordnung. Und ein weiteres ist seit der Weimarer Reichsvefassung, dass die Religionsgemeinschaften ihre eigenen Angelegenheiten selbst regeln – und dazu zählt auch das Arbeitsrecht.

      Meines Wissens ist das unter Verfassungsrechtlern höchst umstritten, hat doch die Weimarer Reichsverfassung den Religionsgemeinschaften lediglich ein Recht zur „Selbstordnung und -verwaltung“ zugestanden. Daraus das sogenannte „Selbstbestimmungrecht“ zu formen ist ein Erfolg des jahrzehntelangen kirchlichen Lobbyismus, zu dem man vielleicht zähneknirschend gratulieren muss. Allerdings sehe ich darin keine legitime und aufrecht zu haltenden Position, wenn man sich zu den Prinzipien einer offenen Gesellschaft bekennt. Das meine ich mit der Falschheit der Freundschaft.

      Wer versucht, Religion als Privatsache abzutun, verkennt die historischen, kulturellen und sozialen Wurzeln, aus der unsere staatliche Ordnung entstanden ist. Kirchen stehen nicht am Rand – sie sind Teil des geordneten Miteinanders in diesem Land. Wer Kirchen, Diakonie und Caritas absprechen will, Teil der Zivilgesellschaft zu sein, muss sich fragen, ob er wirklich eine offene Gesellschaft will.

      Das Entstehen unserer staatlichen Ordnung (die ich ebenso also große und schützenswerte Errungenschaft sehe) hat meiner Meinung nach bedeutsame Wurzeln in der Aufklärung, Demokratie und Entwicklung der Menschenrechte. Gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen wurden die Grundlagen moderner und humaner Staaten geschaffen. Heute so zu tun, als seien die Religionen und Kirchen der Motor für Demokratie und Menschenrechte gewesen, verdreht die historischen Befunde. Das Sie (und viele andere Kirchenleute) sich auf solche Diskussionen einlassen und über diese Fragen gestritten werden kann, sehe ich durchaus als Offenheit und demokratische Grundhaltung. Mir erscheint dies jedoch eine Folge der allgemeinen Demokratisierung und nicht die Folge einer Umorientierung der Kirche zu sein. Innerkirchlich sind paternalistische und autoritäre Haltungen nach wie vor weit verbreitet, wie man bei Dienstverhältnissen von Pfarrerinnen, DiakonInnen und ReligionspädagogInnen klar beobachten kann. Ich sehe keine bessere Lösung, als religiöse und andere Weltanschauungen als Privatsache zu behandeln. Jede staatliche Bevorzugung einer Gruppe von Gläubigen kränkt die anderen Glaubensgemeinschaften. Vernünftigerweise sollte sich der Staat eine weltanschaulich neutrale Haltung erarbeiten, was den Rahmen für gegenseitige Tolerierung aller Glaubensgruppierungen bilden kann. Sind Kirchen, Diakonie und Caritas in diesem Sinn gesellschaftliche Mitspieler – eben ohne Dominanz und Sonderrechte – sehe ich sie als höchst begrüßenswerten Teil der Zivilgesellschaft und als echte Freunde einer offenen Gesellschaft.

      Ein laizistischer Staat wäre nicht mehr die gewachsene Rechtsordnung der Bundesrepublik, sondern eine andere Gesellschaft. Ob sich angesichts von mehr als 40 Millionen Kirchenmitgliedern in Deutschland dafür eine politische Mehrheit finden lässt, kann man getrost bezweifeln.

      Selbstverständlich wären wir dann eine andere, bzw. veränderte Gesellschaft. Das Wachsen unserer jetzigen Rechtsordnung setzte allerdings auch schon die Möglichkeit zur Veränderung voraus. Darum bezweifele ich, dass es sinnvoll ist ungeprüft am heutigen status quo fest zu halten. Nur aus innerkirchlicher Sicht hätte das Vorteile. Gesellschaften die sich nicht (mehr) verändern sind am ehesten gefährdet autoritär, inhuman und instabil zu werden. Ihr Hinweis auf politische Mehrheiten freut mich, denn mir geht es auch um einen demokratischen Prozess in dem in guter Streitkultur um Ergebnisse gerungen wird. Wenn der derzeitige Trend der Kirchenaustritte anhält, sind in 2-3 Jahren über die Hälfte aller Deutschen keine Kirchenmitglieder. Ich plädiere für eine Trennung zwischen Staat und Kirche, bei der Christen auch in der Minderheitenposition das Recht auf Religionsfreiheit wahrnehmen können und als Freunde der offenen Gesellschaft, ohne Privilegien, gleichberechtigt zu anderen Gruppen, ihre Sichtweisen einbringen.

      Zitate und Quellen für meine Behauptungen habe ich wegen der besseren Lesbarkeit weg gelassen, kann sie bei Interesse aber jederzeit nachliefern.