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Rente mit 63


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Der ganz große Schluck aus der Pulle

Gedanken zur Rente mit 63

von Nicolas Sölter, Mitglied im Bundesvorstand und gesellschaftspolitischer Sprecher der Jungen Union Deutschlands

Selten war ich so enttäuscht und auch wütend über eine politische Entscheidung wie über das aktuelle Rentenpaket von Andrea Nahles. Als ich vor zehn Jahren in die Union eintrat, galt Deutschland als der kranke Mann Europas. Ein wesentlicher Grund für die fehlende Wettbewerbsfähigkeit war der Frühverrentungswahn auf dem Arbeitsmarkt, der in dem Glauben, Arbeit sei ein knappes Gut, ein früher Renteneintritt könne deshalb die Arbeitslosigkeit senken, durch staatliche Anreize gefördert wurde. Dass die Deutschen nicht durch weniger, sondern nur durch mehr Arbeit aus der Krise kommen würden und daher jeder einzelne länger arbeiten muss, wurde schließlich 2005 mit der durch die Große Koalition eingeführten Rente mit 67 Konsens. Warum auch sollten in einer Gesellschaft, in der immer weniger Kinder geboren werden, die Menschen immer länger gesund und arbeitsfähig bleiben und in der sich das Verhältnis von Beitragszahlern- und Empfängern in den kommenden Jahrzehnten dramatisch zulasten der arbeitenden Bevölkerung verschieben wird, die Menschen nicht länger am Arbeitsmarkt teilnehmen?

Heute steht Deutschland gut da. In der ganzen Welt zollt man unserem Land Respekt für die großen wirtschaftlichen Leistungen, aber auch für den großen Mut zu teilweise schmerzhaften Reformen. Auch wenn die Beschäftigung älterer Menschen nach wie vor eine Baustelle ist, hat sich die Entscheidung für eine längere Lebensarbeitszeit als richtig erwiesen. In vielen anderen Ländern werden die deutschen Rentenreformen immer wieder als Vorbild genannt.

Und jetzt? Nachdem die Sinnhaftigkeit bewiesen und nach langjähriger politischer Überzeugungsarbeit von der Mehrheit der Gesellschaft akzeptiert wurde, machen wir die Rolle rückwärts? Zwar versuchen die Sozialdemokraten, den abschlagsfreien Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren als die Ausnahme zu verkaufen. Indem aber selbst Zeiten der Erwerbslosigkeit anerkannt werden, läuft die Maßnahme für einen großen Teil der Arbeitnehmer auf eine Rente mit 63, jedenfalls aber auf eine Abkehr von der Rente mit 67 hinaus. Die Argumente für die Rente mit 63 sind dabei dieselben, die schon gegen die Rente mit 67 angeführt wurden, nur wurden sie mit der Zeit nicht besser. Natürlich kann man es als ungerecht empfinden, dass jemand, der 45 Jahre lang gearbeitet hat, noch nicht abschlagsfrei in Rente gehen kann. Wo aber Zahlen im Spiel sind, lässt sich mit Gerechtigkeit schlicht kaum argumentieren, denn es wird immer Fälle geben, die einem unerträglich erscheinen.

Der berühmte Dachdecker, der 45 Jahre hart gearbeitet hat und über den ich mich als Student, der weit später als ein Handwerker ins Berufsleben einsteigen und Beiträge zahlen wird, hier keineswegs lustig machen will, ist sicher ein solcher Fall. Bei angestrengtem Nachdenken müsste doch aber selbst Frau Nahles klar werden, dass in unserer hochtechnisierten Dienstleistungsgesellschaft ein solcher Fall eher die Ausnahme denn die Regel ist. Schließlich gibt es für die vielen körperlich intensiven Berufe, sofern sie keine Umschulung zu weniger belastender Arbeit zulassen, passgenauere Instrumente wie Lebensarbeitszeitkonten oder die Erwerbsminderungsrente. Pauschal allen Arbeitnehmern einen verfrühten Renteneinstieg zu versüßen, verkennt die dramatische demographische Situation, die mit dem Renteneintritt der Babyboomer schon bald für jeden Arbeitnehmer durch deutlich höhere Beiträge spürbar sein wird.

Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden des Rentenpakets lässt sich kaum beziffern. Nach Angaben der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft dürften die tatsächlichen Kosten bis 2030 die Angaben der Bundesregierung um 73 Mrd. Euro übersteigen und somit bei geschätzten 233 Mrd. Euro liegen, wozu auch die von der Union zu verantwortende, nicht weniger fragwürdige Mütterrente beiträgt. Es werden nicht nur mehr Menschen früher Beiträge beziehen, sondern auch nicht mehr zur Wertschöpfung beitragen, sodass der volkswirtschaftliche „Kuchen“ kleiner wird. Die Zeche zahlt die junge Generation, deren Beiträge über das ohnehin demographisch vorprogrammierte Maß hinaus steigen werden. Dadurch wird der Faktor Arbeit teurer, Deutschland verliert an Wettbewerbsfähigkeit, die Arbeitslosigkeit steigt. Auch die heutigen Rentner können nicht zufrieden sein, da das Rentenniveau insgesamt sinken und sich das Problem der Altersarmut so verschärfen wird. Die Sichtbarkeit der horrenden Kosten wird zunächst durch eine Plünderung der Rentenkassen kaschiert, doch werden Steuererhöhungen für die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt mittelfristig unumgänglich sein. Die derzeit gute wirtschaftliche Lage dafür zu nutzen, unser Land durch eine bessere Finanzierung der Pflegeversicherung oder Investitionen in Bildung und Forschung demographiefest zu machen, scheint als Alternative wegen der fehlenden Lobby der jungen Generation politisch nachrangig.

Menschen rennen immer wieder gegen dieselbe Wand, Gesellschaft und Politik tun es genau so. Die Hochform der deutschen Wirtschaft und mit ihr die blendende Einnahmesituation von Staat und Rentenkasse wird nicht ewig anhalten. Mir scheint, dass wir schon in wenigen Jahren wieder Debatten führen werden, die einen sehr an die Zeit der Agenda 2010 erinnern. Ich für meinen Teil schaue mir bis dahin ein paar alte Talkshows mit Friedrich Merz an. Denn die Argumente sind dieselben und die Kurzsichtigkeit vieler Politiker ist es leider auch.


Kommentare

  • Die Agenda hat ja vor kurzen selbst der Kuhle von den Julis gelobt - zu recht. Mich wundert allerdings, wie es der Juniorpartner einer 40%-Kanzler-Partei schafft ein solches Monstrum wie diese "Rentenreform" überhaupt auf den Weg zu bringen. An den Kosten werden noch meine Kinder (ja 2 Stück) und die Kinder meiner Kinder schwer dran zu beißen haben.

    • CarstenWag ist dafür
      +1

      Ja, zu Recht...die Rentenreform ist ein Monstrum...das "wir" (bzw. die Generation vor uns) selbst erschaffen hat. Leider weiß ich auch nicht, wie man solch ein Großprojekt umstrukturieren kann, damit zumindest die nachfolgenden Generationen nicht mehr dafür zahlen müssen bzw. ein funktionierendes System vorfinden. Mich würde mal interessieren, wie andere Länder das handhaben bzw. was ein gutes Vorbild wäre.

  • wobei die agenda 2010 uns überhaupt erst in die position gebracht hat in der 'glücklichen' lage zu sein solche debatten zu führen. oder nicht?

  • Liebe Foristen,

    ein Hinweis: Felix Banaszak, Bundessprecher der GRÜNEN JUGEND, hat eine Replik auf Nicolas Sölters Kritik an der Rente mit 63 verfasst und zur Diskussion gestellt

  • Die Sorge der jungen Generation ist berechtigt. Dennoch gibt es auch einen volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch relevanten Aspekt, der für die Herabsetzung des Renteneintrittsalters spricht: Rentner, die noch fit sind, werden für ehrenamtliches gesellschaftliches Engagement gebraucht, und nicht zuletzt für Großelternaufgaben, die sie in der Regel kostenlos übernehmen. Wenn der Staat oder Einrichtungen für all das, was Rentner tun können und tun, bezahlte Kräfte einstellen müssten, würde das auch viel Geld kosten. Ebenso hätten junge Familien einen Mehraufwand an Kosten für die Kinderbetreuung, wenn die Großeltern fehlen. Fitter jedoch sind Menschen mit 63, als wenn sie erst mit 67 Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden. Vielleicht sollte z.B. das Familienministerium einmal eine Studie dazu anfertigen.

    • Und noch etwas an die Redaktion von publixphere zu Eurem Bild zum Thema: Es gibt auch Fotos von gut aussehenden Senioren...

      • Hallo Doro! Danke für den Hinweis. Das Foto schlägt die dpa-Bilddatenbank zum Thema vor und ist nicht ganz ernst gemeint. Aber vielleicht spielt das "Image" der betroffenen Altersgruppe auch für die Diskussion noch eine wichtige Rolle.

        • Hallo Redaktion, natürlich ist das Bild nicht ernst gemeint. Aber es ist auch nicht zum Lachen, weil es wirklich eine dumme Karikatur ist. Zunehmend ärgern mich die Klischees, mit der die ältere Generation bedacht wird: will man von ihnen als bloßen Rentenempfängern und somit als Belastung für die Rentenkassen sprechen, dann wählt man Bilder von Alten auf einer Bank, mit dem Rücken zum Betrachter, er möglichst mit Stock, sie unförmig, beide beschäftigungslos auf den Tod wartend. Will man sie als Konsumenten gewinnen, dann bringt man im Werbefernsehen schon einmal sympathischere Gesichter wie das von Senta Berger, die ich im Übrigen sehr mag. Kann man ältere Menschen nicht ganz normal in ihrem aktiven, selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Alltag abbilden?

          • Ich finde das Bild witzig, ein humorvoller Umgang mit solcher harter inhaltlicher Kost sollte erlaubt sein - das hier ein falsches Rentnerbild gezeichnet wird, befürchte ich nicht. Die Rentner in meiner Umgebung sind aber auch die genau von dir beschriebenen Gegenbeispiele: In der Blüte des Lebens, sehr engagiert, fit usw. und die bei weitem nicht dem Klischee entsprechen, dem meine Großmutter noch entsprach (ab dem Alter von 60: Kittelschürze, weiße Dauerwelle, usw.)...aber man darf nicht vergessen: Das Rentenalter zieht sich im besten Fall über 20-30 Jahre....da gibt es eben solche und solche Beispiele.