Ich denke auch, dass eine Annäherung zwischen den BürgerInnen und der Europäischen Union nur durch einen Vorstoß der Eliten erreichbar ist - der nationalen Eliten. Denn sie sind es, denen im Endeffekt das 'housekeeping' in der EU obliegt.

Meiner Meinung bedarf es in gewisser Art und Weise einer Bewusstseinsschaffung zur Staatenwerdung der EU im innenpolitischen, nicht völkerrechtlichen Sinne: Der Bevölkerung muss nahe gebracht werden, dass die EU keine abstrakte und ferne Organisation ist, sondern de facto eine Ebene der staatlichen Autorität im Gefüge des nationalen politischen Systems darstellt, auf deren Willensbildung sie Einfluss nehmen darf und soll.

Aufgrund meines Wohnsitzes in Österreich verfolge ich hauptsächlich den österreichischen Wahlkampf; und hier bin ich der Auffassung, dass zumindest die österreichischen Eliten kläglich daran scheitern, den Bürgerinnen und Bürgern deutlich zu machen, was ihre Stimmabgabe am 25. Mai bedeutet: Obwohl nicht ganz untypisch für Österreich sind die aktuellen Wahlkampagnen der österreichischen Parteien auffällig inhaltsleer; mit Ausnahme von den Grünen, die in ihrer Wahlwerbung einen klaren Standpunkt zu Datenschutz und Gentechnik einnehmen, nimmt keine Partei weitläufigen Bezug auf die Politiken der EU. Selbst die besonders europafreundlichen Liberalen (NEOS) haben es in ihren Inseraten noch nicht über 'Wir lieben Europa' und 'Greif nach den Sternen' hinaus geschafft. Das führt dazu, dass auch die Medien von diesem Wahlkampf einigermaßen unbeeindruckt bleiben: Obwohl der öffentlich-rechtliche Rundfunk allen SpitzenkandidatInnen eine Interview-Sendung mit jeweils 45 Minuten Sendezeit einräumt ('Wahlfahrt Europa' mit Hanno Settelle) bleiben große Diskussionsrunden aus. Auch die anstehenden Debatten der pan-europäischen SpitzenkandidatInnen findet in den österreichischen Medien keine Erwähnung. Dabei gäbe es mit den diesjährigen SpitzenkandidatInnen die einmalige Möglichkeit eine Diskussionsrunde in deutscher Sprache im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auszustrahlen - gerade im europaskeptischen Österreich ist das eine vertane Chance.

Der Grund dafür liegt meiner Meinung nach im mangelnden Interesse der österreichischen Parteien (=Eliten) wirkliche Europapolitik für die ÖsterreicherInnen und Österreicher zu machen. Anstatt sich auf Inhalte zu konzentrieren, deren Behandlung in den nächsten fünf Jahren maßgeblichen Einfluss auf das Leben der ÖsterreicherInnen und Österreicher haben werden, steigen alle Parteien in den vom Versagen der großen Koalition und des Populismus der FPÖ initiierten Machtkampf um die Werteorientierung der österreichischen Bundesregierung ein.

Eine nur alle fünf Jahre wiederkehrende Chance, den BürgerInnen und Bürgern die Politiken der EU und deren einscheidenden Einfluss auf die nationale Politik näher zu bringen wurde somit vertan. Mit der Beteiligung aller nationalen Eliten.