Legale Zugangswege für Flüchtlinge und Migranten in die EU schaffen
'Illegale' Einwanderer in einem Gefangenenlager in Kyprinos (Griechenland). Foto: picture alliance / dpa
Fehlende legale Zuwanderungsmöglichkeiten tragen zum Missbrauch des Asylrechts in den EU-Staaten bei, meint Steffen Angenendt, Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Reformen könnten den Druck auf die EU-Außengrenzen senken...
Von Steffen Angenendt SWP
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (VN) befanden sich Ende 2013 weltweit 51,2 Millionen Menschen auf der Flucht. Von diesen Menschen standen 11,7 Millionen unter dem Mandat des UNHCR, 5 Millionen unter dem des VN-Palästinahilfswerks UNRWA. Hinzu kamen 33,3 Millionen Binnenvertriebene und 1,2 Millionen Asylbewerber. Im Jahr 2014 ist die Zahl der Asylbewerber in den Industriestaaten gegenüber dem Vorjahr nochmals um 45 Prozent gestiegen, die vierte jährliche Erhöhung in Folge.
Ein kleiner, aber ebenfalls zunehmender Teil der Flüchtlinge kommt auch nach Europa. 2014 registrierten die EU-Mitgliedstaaten 626.000 neue Asylanträge. Bei diesen Zuwanderungen in die EU (aber auch in anderen Weltgebieten) handelt es sich immer häufiger um „gemischte“ Wanderungen von Flüchtlingen und Migranten. Deren Ursachen lassen sich oft nicht klar voneinander unterscheiden, weil sich politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und umweltbedingte Wanderungsgründe überlagern.
Schwierige Unterscheidung zwischen Flucht und Migration
Gleichwohl muss zwischen Flüchtlingen und Migranten unterschieden werden, weil der internationale Umgang mit Migranten und Flüchtlingen im Prinzip auf der Annahme beruht, dass Migranten ihre Heimat freiwillig und aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben, Flüchtlinge aber aufgrund von politischer Verfolgung und Gewalt dazu gezwungen wurden. Wegen ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit stehen Flüchtlinge unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951. Zu ihrer Betreuung richteten die Vereinten Nationen das Amt des Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) ein. Kern des internationalen Flüchtlingsregimes ist das sogenannte Non-Refoulement-Gebot: Die Unterzeichnerstaaten der GFK sind verpflichtet, einem Flüchtling nicht in einen Staat zurückschicken, in dem ihm Verfolgung droht. Dazu müssen sie sicherstellen, dass Asylbewerber Zugang zu einem fairen Asylverfahren haben. Für Migranten hingegen existiert kein vergleichbares völkerrechtliches Regime. Wie Staaten mit ihnen umgehen, ist ihnen (im Rahmen der allgemeinen menschenrechtlichen und anderer rechtlicher Vorgaben) weitgehend selbst überlassen.
Diese Differenzierung zwischen Flüchtlingen und Migranten hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Praxis der Staaten gegenüber Zuwanderern geprägt. In den Zeiten des Kalten Kriegs ließ sich die Einteilung meist leicht treffen. Inzwischen fällt die Unterscheidung in Flüchtlinge und Migranten den Staaten aber zunehmend schwer: Migranten verlassen ihre Heimat oft nicht freiwillig, sondern sind aus wirtschaftlicher Not dazu gezwungen. Zudem beruht die GFK auf der Annahme einer individuellen Verfolgung. Diese gibt es zwar immer noch, etwa wenn Oppositionelle von ihrer Regierung bedroht werden und um ihre Sicherheit oder ihr Leben fürchten müssen. Sehr viel häufiger sind inzwischen aber Situationen, in denen Menschen nicht vor einer individuellen Verfolgung aus politischen, weltanschaulichen, religiösen Gründen oder wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe fliehen, sondern vor allgemeiner Gewalt. Oft vermischen sich Flucht- und Migrationsgründe, und zudem nehmen Flüchtlinge und Migranten in ähnlicher Weise die Hilfe von Fluchthelfern und Schleppern in Anspruch.
Legale Zugangswege fehlen
Die wichtigste Ursache hierfür wiederum ist, dass sowohl Flüchtlingen als auch Migranten in der Praxis legale Einreisemöglichkeiten fehlen. Flüchtlinge finden keinen legalen Zugang zu geordneten Asylverfahren, und Migranten sehen entweder keine oder nur begrenzte legale Zuwanderungsmöglichkeiten. Deshalb nehmen beide Gruppen gefährliche irreguläre Zuwanderungswege in Kauf. Politische Bemühungen müssen daher primär am legalen Zugang zur EU ansetzen. Dabei haben die EU-Staaten bei der Gestaltung dieses Zugangs durchaus Spielräume: Bei Flüchtlingen könnten u.a. humanitäre Visa, Botschaftsverfahren, geschützte Einreiseverfahren und Resettlement genutzt werden, bei Migranten Visaerleichterungen und Migrations- und Mobilitätsprogramme.
Zur Verhinderung weiterer Tragödien an den EU-Außengrenzen wäre daher primär eine Ausweitung von legalen Möglichkeiten zur Schutzsuche für Flüchtlinge, zum Familiennachzug und zur Arbeitsmigration notwendig. Zur Arbeitsmigration sollen in enger Absprache mit den Herkunftsländern weitere Programme eingerichtet und in die EU-Mobilitätspartnerschaften eingebracht werden. Diese Mobilitätspartnerschaften – Pilotprojekte könnten zum zentralen Instrument der EU-Migrationspolitik werden. Die bisherigen Partnerschaften – mit Kapverden, Georgien, Armenien, Moldau, Tunesien, Marokko und Aserbaidschan – sind aber nicht kohärent. Sie werden hauptsächlich zur Migrationsvermeidung eingesetzt; Angebote für legale Migration fehlen hingegen weiterhin.
Es steht außer Frage, dass die fragmentierte und konzeptlose Migrationspolitik der EU-Mitgliedstaaten und die fehlenden legalen Zuwanderungsmöglichkeiten zum Missbrauch des Asylrechts zu Migrationszwecken und zur irregulären Zuwanderung beitragen. Je schneller eine Reform dieses wichtigen Politikbereiches durchgesetzt werden kann, desto größer sind die Chancen, dass der Druck auf die EU-Außengrenzen abnimmt und die Gefahr sinkt, dass Menschen ihr Leben riskieren oder gar verlieren, um in Europa Schutz oder Arbeit zu suchen.
Barbara Lochbihler MdEP, Grüne
Dr. Steffen Angenendt hat natürlich Recht: Das grundlegende Problem sowohl der Flüchtlings- als auch der Migrationspolitik der EU besteht darin, dass es für die Betroffenen praktisch keine legalen Wege gibt, um in die Staaten der Europäische Union einzureisen. Dies zwingt die Menschen unabhängig davon, warum sie ihre Heimat verlassen und hierher kommen, risikoreiche Bootsfahrten auf dem Mittelmeer oder andere lebensgefährliche Reisen auf sich zu nehmen. Das muss sich grundlegend ändern.
Zur Flüchtlingspolitik
Schauen wir zunächst auf die Flüchtlingspolitik: Bislang tun die EU und ihre Mitgliedstaaten alles, um Asylsuchende von europäischem Boden fernzuhalten. Die Ersetzung des erfolgreichen italienischen Mare-Nostrum-Projekts zur Seenotrettung durch das Abschottungsprojekt „Triton“ sowie das Grenzüberwachungsprogramm Eurosur und die Pläne des deutschen Innenministers Thomas De Maizière, Auffanglager in nordafrikanischen Staaten zu schaffen, sprechen hier Bände. Es gibt jedoch auch nicht das eine Allheilmittel, um eine Einreise im Interesse der Flüchtlinge zu garantieren. Flüchtlingen aus dem syrischen Bürgerkrieg würde beispielsweise eine Erhöhung der Resettlement-Quoten (Neuansiedlung) helfen, anderen eine Erleichterung des Familiennachzugs. Resettlement-Programme auszuweiten und den Familiennachzug erleichtern wären also wichtige Ansatzpunkte. Überlegenswert ist auch die Schaffung eines „humanitären Visums“. Diese Visa könnten Schutzsuchende in einer EU-Botschaft oder der eines EU-Staates in ihrer Heimat oder in einem Transitland beantragen und damit dann in die EU einreisen, um dann dort Asyl zu beantragen. Ganz wichtig ist aber, dass dadurch keine Auslagerung der Asylpolitik stattfindet. Über den Asylantrag selbst darf nur innerhalb der EU oder eines Mitgliedsstaates entschieden werden. Sonst laufen wir Gefahr, dass humanitäre Visa wie de Maizières geplante Lager zu einem Baustein der Abschottung werden.
Die Migrationspolitik braucht grundlegende Reformen
Den meisten potentiellen Einwanderinnen und Einwanderern bleibt der Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt verwehrt. Fast nur Hochqualifizierte und Saisonarbeiter haben eine Chance. Da die EU und ihre Mitgliedstaaten kaum legale Arbeitsmigration erlauben, stellen viele einen Asylantrag – und landen damit in einem System, das für sie nicht vorgesehen ist. Von „Armutsflüchtlingen“ ist dann die Rede, die es „allein auf das europäische Sozialsystem“ abgesehen hätten und abgeschoben gehören. Dabei handelt es sich nicht selten um motivierte Menschen, die ihr Auskommen in Europa suchen wollen. Zugleich bestreitet praktisch niemand mehr, dass der demografische Wandel mehr Einwanderung nötig macht, da unsere Gesellschaften altern. Es gibt also keinen vernünftigen Grund für die Ignoranz, die weiterhin in einigen politischen Kreisen besteht. Dabei mangelt es nicht an Vorschlägen für eine gesteuerte Einwanderungspolitik. Ein paar Beispiele: Reformen im Aufenthaltsrecht mit Blick auf die zirkuläre Migration, ein vereinfachter Wechsel zwischen Asyl und Migration, ein Punktesystem, das Arbeitssuchende nach Ausbildung, Alter, Berufserfahrung etc. einstuft und die Ausstellung einer zeitlich festgelegten Aufenthaltserlaubnis erlaubt. Bislang hakt es noch immer am politischen Gestaltungswillen und nicht an den sich bietenden Möglichkeiten.