Jon Worth zur Frage ob Oppositionsdefizit gleich Demokratiedefizit ist
“Was freilich als europäisches Demokratiedefizit erscheint, ist das Fehlen einer Opposition, also der politischen Organisation von nicht mehrheitsfähigen Auffassungen,” sagt Prof. Dr. Armin Nassehi (Soziologe an der LMU). Diese Lücke wird zunehmend von euroskeptischen Parteien ausgefüllt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Jon Worth: Die politische Entwicklung der Europäischen Union ist halbwegs abgeschlossen. Niemand beschwert sich über eine fehlende Opposition innerhalb der Vereinten Nationen oder der NATO. Diese Frage ist nur deshalb so wichtig für die EU, weil diese schon eine höhere Ebene von Partizipation und Debatte erreicht hat als andere internationale Organisationen. Wir müssen irgendwann den Punkt erreichen, an dem nicht jede Kritik an der Politik der EU als Kritik an der gesamten Institution gesehen wird, und an dem ein ideologischer Streit innerhalb der EU völlig normal und auch möglich ist. Aus diesen Gründen sehe ich den Prozess um die Spitzenkandidaten der Parteienfamilien als sehr vorteilhaft: eine politisierte EU und Kommission empfinde ich als etwas sehr positives. Die Tage des reinen Neofunktionalismus liegen glücklicherweise nun hinter uns.
Wir haben die Podiumsgäste des zweiten Europäischen Salons zum Thema "Vor der Wahl zum Europäischen Parlament: Europa der Bürger – Europa der Eliten?" vorab um ihre Meinung zu unterschiedlichen Fragen gebeten, um sie online zu diskutieren. Alle Online-Beiträge und Kommentare haben die Chance, am 30. April auf dem Podium direkt in die Diskussion mit den Experten einzufließen.
Untermieter
Die europäische Ebene ist etwas zu komplex, um dieser These zuzustimmen. Europäische Entscheidungen können nur getroffen werden, wenn zuvor viele Kompromisse gefunden und nationale Einzelinteressen berücksichtigt wurden.
Da eine in wechselhafter Formation auftretende Opposition eigene Forderungen in das laufende Verfahren einbringen und somit durchsetzen kann, fällt es der jeweiligen "Opposition" schwer, sich am Ende eines erfolgreich mitgestalteten Entscheidungsprozesses als "Opposition" zu profilieren.
So geht es innerhalb des Europäischen Parlaments meist nicht nur um parteipolitische sondern oft auch um nationale Interessen. Doch ein Konsens im Parlament macht nur Sinn, wenn es einen weiteren Konsens mit dem Rat, also den Mitgliedstaaten gibt. Auch die müssen sich natürlich vorab auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen.
Außerdem treten das Europïsche Parlament und die Europäische Kommission oft als natürliche Verbündete (wenn auch mit unterschiedlichen Interessen) auf, um - gegen den natürlichen Widerstand der Mitgliedstaaten - nationale Kompetenzen auf die europäische Ebene zu ziehen.