Italiens "Entwurf einer Erklärung der Rechte im Internet"

Foto: Anna Dziubinska CC0 1.0Foto: Anna Dziubinska (CC0 1.0)

Hinweis: Dieser Text wurde von dem bei der italienischen Abgeordnetenkammer eingerichteten Ausschuss über Rechte und Pflichten im Internet erarbeitet. Alle von euch bis zum 31. März 2015 eingebrachten Kommentare werden übersetzt und direkt an die italienische Abgeordnetenkammer übersandt. Somit werden die Publixphere-Kommentare in den nächsten Entwurf der Erklärung einfließen. Wir danken allen für die Beteiligung!


Vorbemerkung

Das Internet hat entscheidend dazu beigetragen, den öffentlichen und privaten Raum neu zu definieren und die Beziehungen der Menschen untereinander sowie zu den Institutionen neu zu gestalten. Es hat Grenzen beseitigt und neue Formen der Produktion und Nutzung von Wissen entstehen lassen. Es hat die Möglichkeiten der direkten Teilhabe der Menschen am öffentlichen Leben erweitert und die Organisation der Arbeit verändert. Es hat die Entwicklung einer offeneren und freieren Gesellschaft ermöglicht. Das Internet muss als eine globale Ressource betrachtet werden, die dem Grundsatz der Universalität entspricht.

Die Europäische Union ist derzeit die Region der Welt, in der der verfassungsrechtliche Schutz der personenbezogenen Daten am stärksten ausgeprägt ist. Artikel 8 der Charta der Grundrechte erkennt diesen Schutz ausdrücklich an und gilt als notwendiger Bezugspunkt für die Formulierung der den Betrieb des Internet auch global betreffenden Prinzipien.

Die vorliegende Erklärung der Rechte im Internet gründet sich auf die volle Anerkennung der Freiheit, Gleichheit, Würde und Einzigartigkeit jedes Individuums. Die Garantie dieser Rechte ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass eine demokratische Funktionsweise der Institutionen gesichert ist und ein Überhandnehmen öffentlicher oder privater Gewalten verhindert wird, das zu einer Gesellschaft der Überwachung, der Kontrolle und der sozialen Auslese führen könnte.

Das Internet gestaltet sich als ein immer wichtigerer Raum für die Selbstorganisation von Personen und Gruppen sowie als wesentliches Instrument zur Förderung der individuellen und kollektiven Partizipation an den demokratischen Prozessen sowie der substantiellen Gleichheit.

Die das Internet betreffenden Prinzipien sollen auch der Tatsache Rechnung tragen, dass es sich als ein Wirtschaftsraum gestaltet, der Innovation, lauteren Wettbewerb und Wachstum in einem demokratischen Umfeld möglich macht.

Eine Erklärung der Rechte im Internet ist ein unverzichtbares Instrument, um den einschlägigen Prinzipien und Rechten ein staatenübergreifendes verfassungsrechtliches Fundament zu geben.

1. Anerkennung und Garantie der Rechte

Die Grundrechte jedes Einzelnen, wie in den internationalen Dokumenten, in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in den Verfassungen und Gesetzen verankert, werden im Internet gewährleistet.

Diese Rechte sind so auszulegen, dass ihre Wirksamkeit in der Dimension des Netzes gesichert ist.

Die Anerkennung der Rechte im Internet muss auf der vollen Achtung der Würde, Freiheit, Gleichheit und Einzigartigkeit jedes Individuums beruhen, auf deren Grundlage die Abwägung zwischen diesen und anderen Rechten erfolgt.

2. Recht auf Zugang

Jeder Mensch hat dasselbe Recht auf Zugang zum Internet in einer gleichberechtigten und dem aktuellen Stand der Technik angemessenen Weise, die wirtschaftliche und soziale Hindernisse aus dem Weg räumt.

Das Grundrecht auf Zugang zum Internet ist in seinen substanziellen Voraussetzungen sicherzustellen, nicht nur als Möglichkeit einer Netzverbindung.

Der Zugang umfasst die Wahlfreiheit hinsichtlich der Betriebssysteme, der Software und der Anwendungen.

Der wirksame Schutz des Zugangsrechts erfordert angemessene öffentliche Maßnahmen zur Überwindung aller Formen der digitalen Kluft – in kultureller, infrastruktureller und ökonomischer Hinsicht – unter besonderer Berücksichtigung der Zugangsmöglichkeit für Menschen mit einer Behinderung.

3. Neutralität des Netzes

Jeder Mensch hat Anspruch darauf, dass die über das Internet versendeten oder empfangenen Daten keinen Diskriminierungen, Einschränkungen oder Einmischungen hinsichtlich des Absenders, des Empfängers, der Art oder des Inhalts der Daten, des verwendeten Geräts, der Anwendungen oder ganz allgemein der legitimen Entscheidungen des Einzelnen unterliegen.

Die Neutralität des Netzes, sei es im Fest- oder im Mobilfunknetz, und das Recht auf Zugang zum Internet sind notwendige Voraussetzungen für die wirksame Ausübung der Grundrechte des Einzelnen. Sie garantieren die Aufrechterhaltung der generativen Fähigkeit des Internet auch hinsichtlich der Schaffung von Innovation. Sie gewährleisten, dass Mitteilungen und deren Anwendungen ohne diskriminierende Behandlung bezüglich ihres Inhalts und ihrer Zweckbestimmung online übermittelt werden.

4. Schutz der personenbezogenen Daten

Jeder Mensch hat Anspruch auf den Schutz der ihn betreffenden Daten, damit seine Würde, seine Identität und seine Privatheit gewahrt werden.

Personenbezogene Daten sind jene Daten, die Rückschlüsse auf die Identität eines Menschen ermöglichen. Hierzu gehören auch die Identifizierungsdaten der Geräte sowie die weitere Verarbeitung von Daten, etwa in Zusammenhang mit der Erstellung von Profilen.

Die Daten sind unter Beachtung der Prinzipien von Notwendigkeit, Zweckbestimmung, Erheblichkeit und Verhältnismäßigkeit zu verarbeiten. Das Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung hat in jedem Fall Vorrang.

Die Daten dürfen nur mit Einwilligung des Betroffenen nach vorheriger Aufklärung oder auf Basis einer gesetzlich vorgesehenen rechtmäßigen Grundlage gesammelt und verarbeitet werden. Die Einwilligung kann grundsätzlich widerrufen werden. Für die Verarbeitung sensibler Daten kann das Gesetz vorsehen, dass die Einwilligung des Betroffenen von gesonderten Genehmigungen begleitet sein muss.

Die Einwilligung kann keine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der Daten darstellen, wenn zwischen dem Betroffenen und dem die Verarbeitung ausführenden Träger ein erhebliches Ungleichgewicht an Macht besteht.

Der Zugang zu personenbezogenen Daten und deren Verarbeitung zu Zwecken, die auch nur indirekt der Diskriminierung dienen, sind untersagt.

5. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Jeder Mensch hat Anspruch auf Zugang zu den eigenen Daten, unabhängig davon, von wem und wo sie verwahrt werden, um entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ihre Ergänzung, Berichtigung oder Löschung zu verlangen. Jeder Mensch hat das Recht, zu erfahren, auf welche Weise die ihn betreffenden Daten technisch verarbeitet werden.

Sammlungen großer Mengen personenbezogener Daten dürfen nur unter Einhaltung der Grundprinzipien und der Grundrechte vorgenommen werden.

Die Verwahrung der Daten muss auf die notwendige Zeit beschränkt bleiben, wobei der Grundsatz der Zweckbindung und des Rechts auf Selbstbestimmung des Betroffenen zu berücksichtigen ist.

6. Unverletzlichkeit der Informationstechnischen Systeme und privaten Datenbereiche

Ohne die Genehmigung einer Gerichtsbehörde, wie sie nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen und Modalitäten erteilt werden kann, ist der Zugang zu personenbezogenen Daten, die sich auf persönlichen Geräten, auf Remote-Rechenanlagen, auf die man von jedem mit dem Internet verbundenen Computer aus über Zugangsberechtigungen zugreifen kann, oder zeitgleich auf persönlichen Geräten und in Kopie auf Remote-Rechenanlagen befinden, sowie das Abhören jedweder Form elektronischer Kommunikation untersagt.

7. Automatische Datenverarbeitung

Keine Akte, gerichtliche oder verwaltungstechnische Maßnahme oder Entscheidung, die irgendwie dazu bestimmt ist, in erheblicher Weise auf die persönliche Sphäre einzuwirken, darf einzig und allein auf einer automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beruhen, die darauf abzielt, das Profil oder die Persönlichkeit des Betroffenen zu bestimmen.

8. Recht auf Identität

Jeder Mensch hat Anspruch auf eine vollständige und aktualisierte Darstellung der eigenen Identität.

Sie definiert sich durch die freie Gestaltung der Persönlichkeit und darf dem Eingriff und der Kenntnis des Betroffenen nicht entzogen werden.

Die Nutzung von Algorithmen und Wahrscheinlichkeitsrechnungen ist den Betroffenen zur Kenntnis zu bringen, die sich in jedem Fall der Erstellung und Verbreitung von Profilen, die sie betreffen, widersetzen können.

Jeder Mensch hat das Recht, nur die Daten preiszugeben, die für die Erfüllung gesetzlicher Pflichten, die Lieferung von Gütern und Dienstleistungen sowie den Zugang zu im Internet tätigen Plattformen unbedingt erforderlich sind.

Die Schaffung einer digitalen Identität im Internet seitens der öffentlichen Verwaltung muss von angemessenen Garantien begleitet sein.

9. Anonymität

Jeder Mensch darf elektronisch in anonymisierter Form kommunizieren, um die bürgerlichen und politischen Freiheitsrechte auszuüben, ohne Diskriminierungen oder einer Zensur zu unterliegen.

Einschränkungen dürfen nur dann vorgesehen werden, wenn sie durch die Erfordernis gerechtfertigt sind, ein öffentliches Interesse zu schützen, und wenn sie notwendig und verhältnismäßig sind, auf dem Gesetz beruhen und unter Achtung der Wesensmerkmale einer demokratischen Gesellschaft erfolgen.

In den gesetzlich vorgesehenen Fällen und durch eine begründete Maßnahme der Gerichtsbehörden darf der Verfasser einer Mitteilung identifiziert werden, wenn dies notwendig ist, um die Würde und die Rechte anderer Menschen zu gewährleisten.

10. Recht auf Vergessenwerden

Jeder Mensch hat das Recht, die Löschung derjenigen Daten aus den Verzeichnissen der Suchmaschinen zu erlangen, die wegen ihres Inhalts oder der seit ihrer Erfassung verstrichenen Zeit bedeutungslos geworden sind.

Das Recht auf Vergessenwerden darf nicht die Freiheit der Suche und das Recht der Öffentlichkeit auf Information beschränken, die unabdingbare Voraussetzungen für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft darstellen. Von bekannten Persönlichkeiten oder von solchen, die öffentliche Ämter bekleiden, kann dieses Recht nur dann ausgeübt werden, wenn die sie betreffenden Daten im Hinblick auf die von ihnen ausgeübte Tätigkeit oder das von ihnen bekleidete öffentliche Amt keinerlei Bedeutung haben.

Wenn der Antrag auf Löschung der Daten aus den Suchmaschinenverzeichnissen angenommen wurde, hat jedermann Anspruch darauf, von diesen Fällen zu erfahren und die entsprechende Entscheidung vor Gericht anzufechten, um das öffentliche Interesse auf Information sicherzustellen.

11. Rechte und Garantien auf digitalen Plattformen

Die Verantwortlichen digitaler Plattformen sind gehalten, sich Nutzern, Lieferanten und Wettbewerbern gegenüber fair und korrekt zu verhalten.

Jeder Mensch hat Anspruch auf klare und vereinfachte Informationen zur Funktionsweise der Plattform sowie darauf, dass die Vertragsbedingungen nicht willkürlich verändert werden. Außerdem steht ihm das Recht zu, keinen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, die zu Schwierigkeiten oder Diskriminierung beim Zugang führen könnten. Jeder Mensch muss auf alle Fälle über Veränderungen der Vertragsbedingungen unterrichtet werden. In diesem Fall steht ihm das Recht zu, das Verhältnis aufzukündigen, eine Kopie der ihn betreffenden Daten in interoperabler Form zu erhalten und die Löschung der ihn betreffenden Daten aus der Plattform zu bewirken.

Im Internet tätige Plattformen sollen, sofern sie sich als für das Leben und die Tätigkeiten der Menschen wesentliche Dienstleister präsentieren, Voraussetzungen für eine angemessene Interoperabilität ihrer wichtigsten Techniken, Funktionen und Daten gegenüber anderen Plattformen fördern, unter Beachtung des Wettbewerbsgrundsatzes und zu gleichen Vertragsbedingungen.

12. Sicherheit im Netz

Die Sicherheit im Netz ist durch die Integrität der Infrastrukturen und deren Schutz gegen Angriffe von außen zu gewährleisten, da dies sowohl im öffentlichen Interesse als auch im Interesse des Einzelnen liegt.

Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung sind nicht zulässig. Der Schutz der Würde des Menschen vor Missbrauch im Zuge negativer Verhaltensweisen wie der Anstiftung zum Hass, zur Diskriminierung und zur Gewalt soll gewährleistet werden.

13. Recht auf Bildung

Jeder Mensch hat das Recht, die notwendigen Fähigkeiten zu erwerben, um das Internet in kundiger und aktiver Weise zu nutzen. Die kulturelle und bildungsfördernde Dimension des Internet stellt nämlich ein wesentliches Element dar, um die Effektivität des Rechts auf Zugang und des Schutzes der Menschen zu gewährleisten. Die öffentlichen Einrichtungen fördern Bildungsaktivitäten für Menschen, das Schulsystem und Unternehmen, wobei generationenübergreifende Aspekte besonders zu berücksichtigen sind.

Das Recht auf eine kundige Nutzung des Internet ist grundlegend, um gleiche Möglichkeiten der individuellen und kollektiven Entfaltung konkret sicherzustellen; um zu gewährleisten, dass die unterschiedliche Wirkungsmacht von Wirtschaft, Institutionen und Bürgern auf das Internet einen demokratischen Ausgleich erfährt; und um Diskriminierungen, riskante Verhaltensweisen und solche, die die Freiheit Dritter verletzen, zu verhindern.

14. Kriterien für die Netz-Governance

Jeder Mensch hat Anspruch auf die Anerkennung der eigenen Rechte sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene.

Das Internet verlangt Regeln, die seiner universellen und übernationalen Dimension gerecht werden und auf die volle Umsetzung der oben genannten Prinzipien und Rechte ausgerichtet sind, um seinen offenen und demokratischen Charakter zu garantieren, jede Form von Diskriminierung zu verhindern und zu vermeiden, dass seine Regelung von der Macht abhängt, die Akteure mit größerer Wirtschaftskraft ausüben.

Beim Aufbau eines Regelwerks sollen folgende Aspekte berücksichtigt werden: die verschiedenen territorialen Ebenen (übernational, national, regional); die Möglichkeiten einer mit den dargelegten Prinzipien übereinstimmenden Selbstreglementierung; die Notwendigkeit, Innovationsfähigkeit zu gewährleisten; die Vielfalt der im Netz tätigen Akteure, wobei ihre Einbeziehung in Formen gefördert werden soll, die eine breite Beteiligung aller Betroffenen sicherstellen. Die öffentlichen Einrichtungen müssen geeignete Instrumente einsetzen, um diese Form der Partizipation sicherzustellen.

Die Neugestaltung der das Internet betreffenden Bestimmungen ist in jedem Fall einer Verträglichkeitsprüfung für das digitale Ökosystem zu unterziehen.

Die Governance des Netzes hat sicherzustellen, dass der Grundsatz der Verantwortlichkeit der Entscheidungen und der Transparenz geachtet, öffentliche Informationen zugänglich gemacht und die Betroffenen repräsentiert werden.

Der Zugang zu den von der öffentlichen Hand generierten und verwahrten Daten und ihre weitere Verwendung sind sicherzustellen und auszubauen.

Die Schaffung nationaler und supranationaler Behörden ist unabdingbar, um die Beachtung der genannten Kriterien wirksam zu gewährleisten, auch durch eine Bewertung der Konformität neuer Bestimmungen mit den Prinzipien der vorliegenden Erklärung.