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Das Geschäftsmodell - die fünfte Gewalt im Staate?


GeschäftsmodellFoto & Teaser: Kay Strasser


Ein Beitrag von Kay Strasser

Spätestens seit dem NSA-Skandal ist die Datendebatte in aller Munde. Erschreckende Begrifflichkeiten wie staatliche Überwachung und Cloudspionage laufen mit verführerischen Phrasen zu Onlineshopping und Sozialmedien um die Wette. Es ist eine wahre Lust zu skypen, zu tindern und zu twittern - und gleichzeitig überfällt uns plötzlich ein tiefes Misstrauen in alles Digitale. Hilflos kleben wir unsere Webcams ab und hoffen insgeheim, dass doch nicht alles ganz so schlimm ist.

Aber womöglich hinkt die aktuelle Diskussion über Datensicherheit und die Risiken und Chancen von Big Data den Gegebenheiten schon längst hinterher. Denn mittlerweile gilt es nicht nur das Gewaltmonopol des Staates im Auge zu behalten - mit seinem oft widersprüchlich wahrgenommenen Bestreben nach mehr oder minder kontrollierter Freiheit - sondern eben auch Unternehmen wie Google oder Facebook, die unter dem Radar jeder gesetzlichen Kontrolle fortwährend Mechanismen in unserer Gesellschaft installieren, welche aufgrund ihrer vordergründigen Attraktivität nur noch ansatzweise hinterfragt werden. Wem ist schon bewusst, dass der bequeme Zugang zu allseits wie allzeit verfügbaren Dokumenten in der Cloud nicht nur bequem, sondern auch weit problematischer ist, als es jede Volkszählung oder gar die jahrzehntelange Überwachung durch die Staatssicherheit in der DDR je hätten sein können? Problematisch nicht nur, weil man sich hier gegen böswillige Hacker schützen muss, die womöglich unsere selbstgefertigten Nacktbildchen aus dem grossen Teich der persönlich reproduzierten Eitelkeiten fischen könnten. Sondern eben auch, weil diese Entwicklung die grundsätzliche Frage aufwirft, wem die Daten und Informationen eigentlich gehören, rechtlich aber auch faktisch. Und wem sie nützen. Diese Entwicklung legt einen Finger in jene Wunde, die schon lange vor der Datendebatte prophylaktisch blutete: die des geistigen Eigentums.

Knapp ein Jahrhundert lang haben wir versucht, alle Schöpfungen und Entwicklungen in unser Raster des Besitzstanddenkens einzuordnen. Haben sie mit Urheberrecht, in Patentämtern und vor Gericht zu verteidigen versucht und damit grosse Apparate an Schutzmechanismen aufgebaut, die spätestens seit der digitalen Revolution immer mehr versagen. Erst traf es die gesamte Musikindustrie, die sich mit einer technischen Erfindung wie der mp3-Datei bis zur restlosen Erschöpfung verausgabte, dann stolperte die Film- und Spieleindustrie im selben Zuge über exponentiell steigende Datenübertragungsraten unserer Netze - und nun stehen womöglich selbst dem produzierenden Gewerbe wie beispielsweise der Textilindustrie mit der Etablierung von 3D-Druckern ähnliche Herausforderungen bevor. Von Kopien und Plagiaten erst gar nicht zu reden. Und es sind keinesfalls die Bastler und die Garagenvisionäre, die den Status Quo derart massiv in Frage stellen, sondern ausgerechnet gewachsene Giganten wie Apple oder Amazon, die nun mit dem Dateneigentum ihrer Kunden virtuos experimentieren. Ganz unscheinbar bauen sie sich als eine Art fünfte Gewalt in unserem Staate auf und werden so nicht nur im internationalen Steuerrecht zu einem einflussreichen Machtfaktor, der so in unserm Gewaltenteilungsmodell aus Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung eigentlich gar nicht vorgesehen war. Sondern sie rivalisieren nun auch mit jener Pressefreiheit, die sich nicht ohne Grund über die vergangenen Jahrzehnte hinweg als kontrollierende Instanz und vierte Kraft noch mit in dieses Modell hineingearbeitet hatte.

Doch was sind Firmen wie Google oder Amazon eigentlich? Sie sind in erster Linie Geschäftsmodelle: während der einstige Suchmaschinendienst bis heute behauptet, er würde nicht ausschliesslich, aber eben auch im Dienste der Weltgesellschaft stehen, macht der einstige Bücherhändler gar keinen Hehl daraus, dass er vor allem Geld verdienen möchte. Die Wertschöpfung dieser Unternehmen besteht schon lange nicht mehr nur im Sammeln von Daten, sondern viel schlauer in ihrer ergiebigen Vernetzung. Und diese Bündelung ist nicht nur dauerhaft und lukrativ, sondern damit eben auch ein erheblicher Machtfaktor, der weit über jene in der klassischen Kapitalismuskritik betrachtete Konzern- und Bankenmacht hinausgeht. Tagtäglich können wir unsere Volksvertreter dabei beobachten, wie sie sich ratlos wie wir selbst oder zuweilen auch mit kurzsichtigem Eigennutz dieser Dynamik fügen und damit vermutlich unzähligen ähnlichen Geschäftsmodellen auch künftig das Feld überlassen werden. Wollen wir das wirklich?

Und was kann die pluralistische Gesellschaft, als die wir uns nach wie vor verstehen, dem entgegensetzen? Wollen wir unsere Daten mit den selben Mechanismen schützen, die andernorts nicht nur von der NSA längst ausgehöhlt sind? Hier lohnt es sich zu erinnern, dass Technologien niemals Einbahnstrassen waren. Jedes strategisch entwickelte Produkt liess sich mit entsprechend kreativer Kraft irgendwann auch im gegenteiligen Sinne nutzen - sofern die Gesellschaft ein Gespür dafür zu entwickeln vermochte. Das Digitale ist gut und böse zugleich. So wie sich kein System der Welt vor Missbrauch schützen kann, so ist auch keines resistent dagegen, sinnvoll auf den Kopf gestellt zu werden. Die sogenannten 'Facebookrevolutionen' im verpufften arabischen Frühling geben nur eine blasse Ahnung davon, was möglich wäre, wenn man sich systematisch damit auseinandersetzen würde. Und auch die jungen Musiker haben sich längst darauf besonnen, dass die Essenz ihres Schaffens und Einkommens nicht eine kleine silberne Scheibe ist, sondern der aktive Dienst am Publikum: auf Konzerten, in Fangruppen und nicht zuletzt gerade in dezentralen, aber ehrlichen Crowdfundingaktionen. Eventuell müssen wir uns daran gewöhnen, dass Schöpfungen wie Daten im digitalen Zeitalter nicht mehr exklusiv sein können - und würden wir sie so frei geben wie sie eigentlich schon längst sind, dann liesse sich mit ihrem Besitz auch nicht mehr so viel Geld verdienen. Im Gegenzug könnten wir innovative Mechanismen entwickeln, tatsächlich verantwortlich und gegebenenfalls auch zivilgesellschaftlich mit diesem Phänomen umzugehen - hier gäbe es genug zu forschen und zu verstehen für Universitäten und wahre Humanisten. Hier könnten wir uns schliesslich selbst trainieren, Geschäftsmodelle gemeinschaftlich und konstruktiv zu verändern, sei es als Partner, Mitwirkende oder auch als Konsumenten. Mit der gleichen Lust, mit der wir skypen, tindern und twittern, könnten wir auch diese Herausforderung betrachten: wenn wir begreifen, dass dieses Internet unser Internet ist. Denn eventuell sind solche Formen des positiven Hackings ja die einzige Chance, die wir als Menschen im digitalen Strom noch haben? (Kay Strasser / 6.11.2014)

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Kommentare

  • Hallo Kay,

    wenn ich Dich richtig verstanden habe, kann ich Deiner Idee des positiven Hackings viel abgewinnen. Das Versprechen hinter all dem Big Data ist ja am Ende doch, dass sich Staaten und Unternehmen darauf verlassen können. Das heißt, der Personalmanager glaubt, auf Grundlage der Daten die richtigen Entscheidungen zu treffen. Amazon denkt, es kennt meinen Geschmack, die Daten lügen nicht. Der staatliche Überwacher glaubt ernsthaft, die 'Bösen' und von den 'Guten' anhand der Daten unterscheiden zu können.

    Abgesehen davon, dass hier schon eine unendliche Hybris zum Ausdruck kommt - nicht umsonst verloren die USA den Vietnamkrieg obwohl sie mit der Einführung des 'Bodycounts' auf 'Big Data' setzten - in dem Moment, wo wir das System verwirren, zerstören wir es. Machen wir falsche Angaben. Ziehen wir immer wieder um, in ein neues soziales Netzwerk, zu anderen Suchmaschinen und Emaildiensten. Machen wir die Prognosen schlecht und ungenau. Überraschen wir die Maschinen, enttäuschen wir ihre Erwartungen. Bis da lauter Möchtegern-Mächtige sitzen, die plötzlich merken, dass ihre ganze Datensammlung, ihr "Gold" und "Öl" des 21.Jahrhunderts nichts als ein maßlos überschätzter, riesiger Haufen Mist ist, auf dessen "Weisheit" sich niemand bei Verstand verlassen würde.

    • Hallo Rakaba,

      ja, auch vermute ich, dass man dies noch viel weiter denken könnte - beispielsweise unter Betrachtung unseres gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustands: trotz vielfältiger medialer (Ausdrucks)Möglichkeiten sind wir doch nicht gerade einfallsreicher, kreativer oder mutiger geworden als dies beispielsweise in Teilen der Gesellschaft der späten 1960er Jahre der Fall war. Eher im Gegenteil: verglichen dazu sind wir sehr angepasst an die Verhältnisse und Gegebenheiten, von kommerziellen Reizen motiviert, digital durchorganisiert und auf vermeintliche Effizienz getrimmt. Was wäre denn, wenn wir uns plötzlich wieder wie Menschen verhalten würden - einzig allein, weil wir das Bedürfnis danach haben?

  • Hallo kay, wenn ich dich richtig verstanden habe, plädierst du für einen offeneren Zugang zu und Umgang mit persönlichen Daten, mit dem Ziel den Marktpreis für diese Daten zu senken und somit den global players im Bereich big data die Geschäftsgrundlage zu entziehen. Würde das nicht das Gegenteil bewirken? Daten wären frei zugänglich (was zwar, mit Abstrichen, für die Branchenriesen de facto zum jetzigen Zeitpunkt der Fall ist) und könnten viel einfacher auf den Menschen "vorm Datenschatten" zurückgeführt werden. Ich kann mir schwer vorstellen, dass du soetwas im Sinn hast. Deswegen meine Frage: wie stellst du dir dieses "positive Hacking" vor?

    • Kay Strasser ist dafür
      +1

      hallo luiscarlos, in der tat plädiere ich dafür, den zustand, der bereits eingetreten ist, als solchen anzuerkennen. nur wer realistisch seine lage einschätzen kann, der hat auch die möglichkeit, daran etwas zu verändern. zudem stelle ich fest, dass wir in vielen bereichen tagtäglich unbewusst, aber viel zu oft auch freiwillig mehr preis geben, als wir gemeinhin behaupten dies zu wollen. dieses asymmetrische verhalten führt meiner beobachtung nach zu einer dramatischen machtverschiebung in bereiche, die wir noch gar nicht kennen - selbst diejenigen nicht, die anscheinend zunehmend davon profitieren.

      was würde aber beispielsweise passieren, wenn wir als individuen uns diesen mechanismen bewusster würden als bislang und das entstehende system mit dem fütterten, was nur uns in den sinn kommt? vielleicht klingt es verrückt - aber ich denke da an so etwas wie datenkunststücke, kreative verschleierungsstrategien, unsinnigen dingen in einem menschlich betrachtet eigentlich unsinnigen system, ironie wie im politischen kabarett vielleicht ... wenn technologischer wahnsinn heutzutage möglich ist, dann muss technologische ironie auch drin sein. digitale systeme haben keine emotionen. wir schon. damit bleiben wir unberechenbar, wenn wir das denn wollen. in diesem sinne könnte womöglich medienkompetenz in lehreinrichtungen vermittelt werden, mit freude und lust ... ?

      natürlich hast du recht, dass auch ich das noch zu wenig weiter gedacht habe. aber als künstler, der ich auch bin, folge ich manchmal einfach meinem bauchgefühl, um dinge zu finden, von denen ich nicht einmal ahnte, dass sie möglich sein könnten.

      • p.s.:

        https://www.indiegogo.com/projects/erster-europaischer-mauerfall

        über die art und weise lässt sich sicherlich diskutieren, aber immerhin sind die leute vom 'zentrum für politische schönheit' dort spürbar tätig, wo es wirklich weh tut. das ist selten heutzutage - früher nannte man das zivilcourage. ein erfrischender ansatz könnte auch der datendebatte unberechenbaren schwung verleihen.

        • genau daran musste ich auch denken, ich denke zwar, dass die sehr grundsätzlichen gesetzlichen verwerfungen, die spionage und datenmissbrauch so mit sich bringen politisch gelöst werden müssten - nur offensichtlich fühlt sich dazu bisher niemand in der lage. vielleicht auch, oder gerade weil die daran anhaftenden vorstellungen eines freien marktes völlig neu überdacht werden müssten. das prinzip emanzipierter selbstverwaltung halte ich in diesem sinne für unumgänglich. ich selbst bestimme, was stattfindet und was nicht, ich selbst kann täuschen und fremde waffen zu meinen machen. nur, ist das ein ansatz für breite reihen der (derzeit weitgehend inhaltsleeren) zivilgesellschaft?

          • hallo paul, emanzipierte selbstverwaltung lässt sich erprobterweise in föderalistischen und dezentralen strukturen besser umsetzen als in zentralistischen gebilden. das sehe ich online wie offline so. denn wo menschen das gefühl bekommen, dass eine mitgestaltungsmöglichkeit sie ganz persönlich betrifft, da tun sie es auch eher. ich denke, dass ein wachsendes bedürfnis danach bereits zu spüren ist - welches sich beispielsweise in der diy-kultur oder auch dem wunsch nach transparenter persönlicher teilhabe an produktionsprozessen äussert.

    • Stellungnahme zur Anhörung des NSA-Untersuchungsausschusses am. 26. Juni 2014

      "Festzuhalten bleibt, dass eine durchgängige Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, selbst wenn sie nur auf einer vergleichsweise schwachen Vertrauensinfrastruktur aufbaut, einen sehr effektiven Schutz gegen Massenüberwachung darstellen würde. Der Aufwand, eine einzelne weitere Person zu überwachen würde dadurch zumindest etwas steigen. Aufgrund des Skaleneffektes würde dies genügen, die ökonomische Basis der Massenüberwachung zu zerstören."

      Wenn diese Methode der Verschlüsselung wirklich den beschriebenen Effekt hätte, wäre sie nicht das optimale Werkzeug, den von dir beschriebenen Geschäftsmodellen den Kampf anzusagen?

      • Mein Problem mit der Verschlüsselung: bei der NSA arbeiten sagenhafte 35.000 Menschen mit einem Budget von märchenhaften 11 Milliarden Dollar pro Jahr allein daran, Codes zu knacken.

        Ganz ehrlich, wer so drauf ist, der gründet oder kauft einfach mal jede Verschlüsselungstechnologie-Firma zur Not auch selber. Ich glaube also tatsächlich, nichts ist sicher.

        Ich weiß deshalb nicht, ob das Massenverschlüsseln was bringt. Wenn die NSA einen Menschen, eine Regierung, ein Unternehmen durchleuchten will, dann schafft sie das auch oder? Zur Not liest sie schon mit, bevor Du Deine Mail abschickst.

        Wenn wir jetzt als Bürger mit dieser NSA wettrüsten, dann ist das für mich auch das Eingeständnis, dass wir diese Kriegserklärung eines Geheimdienstes / Staates gegen alle Nicht-Amerikaner akzeptiert und angenommen haben. Aber diese Kriegserklärung ist eine Unverschämtheit und ich kann und will noch nicht glauben, dass die zurecht stolze Demokratie USA sie wirklich so stehen lassen will.

        Und was den Aufwand betrifft, ich wünsche der NSA von Herzen, an all den Daten zu ersticken. So wie die Stasi an all den Belanglosigkeiten über ihre Bürger erstickte, und die Wende doch nicht verhindern konnte.

        • Ja. Also wenn wir mal nicht davon ausgehen, dass am Ende rechnergesteuerte Automaten darüber entscheiden, wer gut und wer böse ist in dieser Welt, dann werden das Menschen sein. Und jene Menschen waren schon zu Zeiten der Stasi damit überfordert. Genau darauf würde ich setzen, im Sinne jeder Zivilgesellschaft.

      • hmm, das problem der verschlüsselung ist doch, dass sie ebenso von uns individuen entkoppelt ist wie der digitale raum, in dem wir uns bewegen. ganz praktisch gesehen ist die verschlüsselung auch nur ein produkt, das uns von einem unternehmen verkauft wird. sicherheit und vertrauen sollten meiner auffassung nach aber keine handelsware sein, so wie der gewaltenteilungsgedanke unserer verfassung auch nicht käuflich ist. mich würde interessieren, ob ein gesellschaftlicher open-source-lösungsansatz wirklich effektiv und komfortabel genug sein könnte, um uns unsere privatsphäre wieder zurück zu bringen?

          1. Die Ende-zu-Ende Verschlüsselung wäre meiner Ansicht nach alles andere als ent-individualisiert, da nur eine Verschlüsselungssoftware benötigt wird - installiert auf dem jeweiligen Rechner. Die Software zur Verschlüsselung wird uns verkauft, und selbstredend bin ich bereit dafür einen angemessenen Preis zu zahlen.
          2. Um auf deine These des open-source-lösungsansatz einzugehen: wie würden diese Daten sortiert? Würde das nicht zu einer Art "ranking" von persönlichen Daten führen? Ein digitales "Kastensystem" sollte doch sicherlich nicht Sinn und Zweck der Sache sein, hoffe ich!
          • zu 1. aber wie stellen wir sicher, dass diese verschlüsselung nicht doch wieder eine backdoor hat? darauf zielt mein open-source-denkansatz, der zumindest die möglichkeit offen lässt, dass die funktionsweise und vor allem die stetige weiterentwicklung einer solchen schutzsoftware transparent ist & durch die community kontrolliert werden kann. zu 2. was transparent, ohne anwendungskosten, komfortabel (also einfach zu bedienen) und vertrauenswürdig ist, steht jedem zur verfügung. auch denen, die sich zusatzfeatures nicht leisten können.