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Europäische Werte - nur noch reine Zierde?


Foto: Rat der Europäischen UnionUngarns Premier Viktor Orbán (im Bild) träumt schon einmal von einem "illiberalen Staat". Doch passen die aktuellen Entwicklungen in Ungarn und anderen EU-Staaten noch zur europäischen Wertegemeinschaft? Foto: Der Rat der Europäischen Union.


Ein Diskussionsanstoß von Linn Selle, Junge Europäische Föderalisten (JEF)

Immer wieder gerne berufen sich europäische Politiker/innen auf die Wichtigkeit der "europäischen Wertegemeinschaft" - gerade auch gegenüber Nicht-EU Staaten, um die Relevanz von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten hervorzuheben.

Gleichzeitig häuften sich in den letzten Jahren jedoch gerade im Hinblick auf diese Werte, mit denen wir im Ausland hausieren gehen, teils starke Rückschritte, sodass die Frage gestellt werden kann, inwieweit die europäische Wertegemeinschaft auch praktisch noch als Fundament unserer Gemeinschaft angesehen werden kann.

Beispiele aus Mittel- und Osteuropa zeigen, dass demokratische und rechtstaatliche Grundwerte alles andere als gesichert sind. Sei es die grassierende Korruption in Bulgarien, oder die rechtstaatlich mehr als zweifelhaften Reformen und Einschüchterung der Zivilgesellschaft in Ungarn. Doch europäische Werte werden auch in den "alten" Mitgliedsstaaten vernachlässigt, wie die Abschiebung von Sinti und Roma in Frankreich verdeutlicht.

Sobald ein europäischer Staat Mitglied der Europäischen Union geworden ist, fehlen der Union die Mittel die Nichteinhaltung europäischer Werte zu sanktionieren. Denn diese Sanktionen müssten die Staats- und Regierungschefs aussprechen, die sich aber oftmals selbst die nächsten sind. Die "Grundrechts-Initiative", die unter anderem von Deutschland mit initiiert wurde, hat bislang kaum Ergebnisse gezeigt.

Deswegen möchte ich in meiner Europawerkstatt-Session diskutieren, wie ihr die Bedeutung der EU als Wertegemeinschaft einschätzt, welche Möglichkeiten es gibt, die europäischen Werte zu stärken und wie wir als demokratische Zivilgesellschaft mit diesen Entwicklungen in unserer direkten Nachbarschaft umgehen wollen – oder ob wir gerade im Hinblick auf unsere östlichen Nachbarn – Stichwort „westlicher Werteimperialismus“ – es überhaupt können und sollten.


Kommentare

  • Hallo Linn,

    ich finde das eine recht interessante Frage und gleichzeitig ist sie verdammt schwer.

    Eine wichtige Anschlussfrage ist: "Kann man Werte definieren?" bzw. "Was sind Werte?"

    Auf europäischer Ebene haben wir die Charta der Grundrechte in der EU, welche aber nur für EU-Recht gilt. Für nationalinterne Angelegenheiten gibt es auch keine Regelungen. Inwieweit wäre eine Ausdehnung auf die nationale Ebene der Grundrechtecharta überhaupt sinnvoll oder wünschenswert?

    Ich glaube bei so einem Punkt, wie universelle Werte und Rechte kommen wir in Europa nicht wirklich um eine Verfassung herum, welche definiert was "europäische Werte" sind. Aber vor allem in diesem Punkt gibt es dann wieder Reibpunkte mit den einzelnen Regierungen. Bei den Regierungen lässt sich so schnell nichts machen. Im Parlament könnte es helfen den europäischen Wahlkampf zu stärken. So könnte beispielsweise das Verhalten der Fidesz auf die gesamte EVP zurückfallen, was Wähler entmotivieren könnte die eigene EVP-Partei zu wählen.

    Viele Grüße Paul

  • Hallo linn selle, sehr schwierige Frage, die ich nicht beantworten kann. Verstößt Ungarn gegen EU-Recht? Welche Sanktionen gibt es oder sollte es geben? Das viele Leviten-Lesen hat noch nichts gebracht oder?

    Etwas peinlich finde ich es, wenn die US-Regierung einspringen muss, um die Politik in Ungarn zu kritisieren und zu sanktionieren. Das sollten die EU-Staats- und Regierungschefs schon selber können. Oder sie müssen sich - theoretisch - fragen lassen, warum sie ihren EU-Partner Ungarn nicht gegen die USA in Schutz nehmen.

    • hallo! ja das ist gerade das problem bzw. das spannende an dieser werte-frage, denn werte sind naturgemäß sehr schwammig. wann wird gegen werte verstoßen und wann nicht?

      das beispiel ungarn zeigt das recht gut (obwohl das phänomen nicht nur auf ungarn beschränkt werden sollte!), denn es gibt wenige direkte verstöße gegen EU-recht sondern vor allem eine gesamtschau an reformen, die dann wiederum sehr fragwürdig wirken und die frage gestellt werden muss inwiefern das noch mit unserer vorstellung europäischer werte übereinstimmt.

      was kann also getan werden? das problem ist - neben der schwammigkeit - das es eigentlich nur die mitgliedsstaaten (im europäischen rat) sind, die einem land einen verstoß gegen die europäischen werte bescheinigung (und dann auch sanktionieren) können. das wird aber aus nachvollzihebaren gründen nicht gemacht, denn kein land will ein anderes verurteilen und muss dann ja ebenfalls angst haben an den pranger gestellt zu werden. außerdem kommt da noch der parteipolitische moment mit rein, denn schließlich sind die jeweiligen regierungsparteien (in ungarns fall die fidsez) mitglied in europäischen parteifamilien und da haben die (in ungarn) konservativen politiker/innen auch kein interesse ungarn zu sehr zu kritisieren weil es dann ja auf sie zurückfallen würde.

      kurzum: eine objektive wertvorstellung gibt es nicht, weswegen ich es spannend finde zu diskutieren was das für uns bedeutet. es gibt seit einiger zeit eine sogenannte rechtsstaats-initiative, von deutschland mit-initiiert (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-14-237_de.htm), aber die ist bislang eher ein papiertiger...

      • Was haltet Ihr in diesem Zusammenhang von Klaus Johannis Wahl zum neuen rumänischen Präsidenten?