Schwarz-Friesel: Antisemitismus im Netz
Das Netz zeigt uns potenziell alles - auch enthemmten Judenhass. Foto: dpa
Was ist zu tun, damit antisemitische Hetze im Netz nicht zur Normalität wird? Das beleuchtet die Antisemitismus-Forscherin Monika Schwarz-Friesel im Rahmen des #pxp_themas Aggressionen im Netz.
Ein Beitrag von Monika Schwarz-Friesel (TU Berlin)
Das Internet mit seinen vielfältigen Kommunikationsräumen ist seit Jahren der Hauptverbreitungsort für Verbal-Antisemitismus, also Äußerungen, die judenfeindliches Gedankengut artikulieren. Das Internet ruft Judenfeindschaft zwar nicht hervor, denn diese existiert auch ohne das Netz in den Köpfen, aber die spezifische Kommunikationssituation am heimischen PC begünstigt und verstärkt verbale Gewaltanwendung. Die mühelose Zugänglichkeit antisemitischer Texte für User, die Schnelligkeit ihrer Zirkulation und die zum Teil enorme Quantität solcher Informationen machen die Netzkommunikation zum wichtigsten Umschlagplatz für Judenhass und Judenfeindschaft.
Die wesentlichen Charakteristika des Netzes fördern also maßgeblich die weltweite Verbreitung antisemitischer Inhalte bei gleichzeitiger Reduktion der Tabuisierung und einer Ausweitung des Sagbarkeitsfeldes - auch durch die Anonymität. Diese führt dazu, dass extreme Gewaltandrohungen und Mordphantasien kommuniziert werden: „Juden ins Gas“, „Die Scheiß-Juden in Israel sollen krepieren“, „Hitler hatte Recht“, „Iran soll die Bombe auf Israel werfen“ sind nur einige wenige von solch drastischen Verbal-Antisemitismen aus dem Sommer 2014.
Da das Internet ein weitgehend kontrollresistenter Kommunikationsraum ohne ernsthafte Sanktionen ist, haben volksverhetzende Äußerungen einen immensen Verbreitungsraum erhalten. Und je mehr judenfeindliche Kommentare kommen, desto größer die Bereitschaft, sich auch an dieser Kommunikation zu beteiligen. Man kann das in Kommentarbereichen beobachten: Dieses sich von Text zu Text intensiver werdende Aufschaukeln von Hasstiraden.
Judenfeindliches Gedankengut in Sekunden verfügbar
Keineswegs jedoch findet sich antisemitische Hassrede nur auf extremistischen oder fundamentalistischen Webseiten oder Tweets, sondern auch auf harmlos anmutende Publikationsorganen, Foren und Homepages, die auf den ersten Blick weder politisch noch ideologisch ausgerichtet sind (z.B. stand über ein Jahr lang trotz wiederholter Proteste auf GuteFrage.net „Warum sind Juden eigentlich so böse?“). Bei Amazon werden Bücher mit judeophoben Verschwörungstheorien angeboten. Auch in den sozialen Netzwerken wie Facebook und YouTube sind zunehmend radikale Verbal-Antisemitismen zu verzeichnen. Ein harmloser Suchbefehl z.B. über Google zu „Juden“ oder „Judentum“ kann in wenigen Sekunden zahlreiche Homepages etc. aktivieren, die judenfeindliches und verschwörungstheoretisches Gedankengut präsentieren. Gerade für Kinder und Jugendliche, die nach Informationen suchen, ist hierbei kaum ohne entsprechendes Hintergrundwissen zu unterscheiden, welche Texte seriös und welche verschwörungstheoretisch und Ressentiment geleitet sind.
Auffällig ist seit Jahren, wie vor allem klassische judeophobe Stereotype auf Israel projiziert werden, also keineswegs seriöse politische Kritik geübt wird, sondern vielmehr Verbal-Antisemitismus indirekter Art als „Kritik an Israel“ auf Umwegen kommuniziert wird. Diese Umwegkommunikation ist besonders gefährlich, da viele Menschen das antisemitische Gedankengut darin oft gar nicht erkennen und solche Äußerungen als normal und gesellschaftlich akzeptabel ansehen. Normalisierungs- und Habitualisierungseffekte von verbal-antisemitischen Äußerungen können die Folge sein.
Problematische Gleichgültigkeit
Wichtiger als alle Verbote und Maßnahmen wie Klarnamenpflicht sowie eine resolutere, verantwortungsbewusstere Löschpolitik der Plattform-Betreiber (die auch betrieben werden sollte) wäre eine grundlegende Einstellungs- und Verhaltensänderung der User: Zu viel Verbal-Antisemitismus expliziter wie impliziter Art stößt derzeit im Netz auf zu wenig energischen Widerspruch.
Juden fühlen sich von Nicht-Juden daher oft im Stich gelassen. Eine Verrohung der Kommunikationspraxis entsteht, ohne Rücksichtnahme, ohne Gefühl für Grenzüberschreitungen, ohne Reflexion der Brisanz von Sprachgebrauchsmustern, die in der NS-Zeit benutzt wurden, um Juden zu stigmatisieren. Ostentative Gleichgültigkeit und Desinteresse angesichts des offen zu Tage tretenden Antisemitismus verstärken diesen Effekt noch. So können womöglich immer häufiger drastische Verbalstrukturen aus der virtuellen Welt auch in der realen Welt benutzt werden.
Verbale Gewalt ist geistige Gewalt
Statt auf Verbote zu setzen, die ohnehin die Server z.B. in den USA gar nicht tangieren, sollte die Netz-Community selbstkritisch reflektieren, was sie da in ihrer Mitte zulässt, wie sie wegschaut, wie sie es sich einfach macht. Gerade im deutschen Kommunikationsraum sollten – ohne dass es zu irgendeiner Sprachgebrauchszensur kommen muss oder soll – die User mit Rückblick auf die deutsche Geschichte überlegen, was ein so ungezügelter Verbal-Antisemitismus für Gedanken, Gefühle und evtl. Handlungsimpulse auslösen kann. Benötigt wird also eine erhöhte Sensibilisierung für die Gefahren eines feindbildkonstruierenden und stereotypvermittelnden Sprachgebrauchs. Denn Sprache hat ein immenses Beeinflussungspotenzial, verbale Gewalt ist geistige Gewalt: Sie verletzt, sie beleidigt, sie diffamiert, sie grenzt aus und löst Angst aus - und sie kann nonverbale Gewalt als Potenzial vorstellbar machen.
Weiterführende Literatur:
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Schwarz-Friesel, M., 2013. „Juden sind zum Töten da“ (studivz.net, 2008). Hass via Internet – Zugänglichkeit und Verbreitung von Antisemitismen im World Wide Web. In: Marx, K./M. Schwarz-Friesel (Hrsg.), 2013, Sprache und Kommunikation im technischen Zeitalter. Wieviel Internet (v)erträgt unsere Gesellschaft? Berlin [u. a.]: de Gruyter, 213–236.
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Schwarz-Friesel, M./Reinharz, J., 2013. Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin, New York: de Gruyter (= Europäisch-jüdische Studien – Beiträge 7).
MisterEde
Ein Gedanke: Man könnte ja auch Seiten, die auf antisemitistisches oder generell menschen- oder demokratieverachtendes Gedankengut verzichten hervorheben oder fördern.