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Wie diskutieren wir online?


Foto: Ruy Sánchez CC BY-NC-SA 2.0Foto: Ruy Sánchez (CC BY-NC-SA 2.0)


Ein Beitrag von Julian

Zum #pxp_thema "Aggressionen im Netz" haben sich ja bereits im vergangenen Monat einige von Euch in Berlin getroffen und sich in einer - wirklich netten und spannenden - Runde ausgetauscht. Am 18.02. geht das #pxp_thema mit der Frage "Gewalt im Netz - Brauchen wir neue Gesetze?" in die zweite Runde.

In der Tat ist es so, dass ich im Anschluss an den Community-Abend noch eine ganze Weile über die dort geschilderten Erlebnisse nachgedacht habe. Und gerade weil mich die Frage danach, wie wir eigentlich im Netz kommunizieren und diskutieren, schon seit längerem beschäftigt, möchte ich diese Frage einfach mal zurück in die Community geben.

Ich persönlich glaube, dass sich die Art in der wir online und offline miteinander umgehen, mittlerweile stark unterscheiden. Ich denke auch, dass es vor allem daran liegt, dass wir online (wenn wir mögen) größtenteils anonym agieren können. Das führt sicher auch dazu, dass wir unsere Debatten und Diskussionen anders führen - vielleicht unbedachter, vielleicht aggressiver, ganz bestimmt aber schneller.

Was meint ihr: Gibt es einen Unterschied? Wie diskutiert ihr online? Und vor allem auch: Wann würdet ihr aus einer Diskussion "aussteigen"?


Kommentare

  • Kommt auf das „Wo“ an
    Irgendwo hatte ich angesprochen, dass es doch sehr darauf ankommt wo man sich unterhält. Hier in einem Debattenportal erwarte ich zum Beispiel eine sachliche, argumentative Auseinandersetzung und durchaus das werben z.B. für eine Überzeugung oder eine Ansicht.

    Wenn ich zum Beispiel die Bankenkrise und die Eurokrise beschreibe, würde ich mir schon erhoffen, dass eine sachliche Diskussion zustande kommt, in der mir dann z.B. jemand der den Austeritätskurs gut findet seinen Standpunkt erläutert und warum ich falsch liege. Ich nehme also eine Konfrontation bewusst in Kauf, wobei ich mich über Zustimmung natürlich auch freue. Wenn ich aber in einem Facebook-Profil schreibe, wie genial ich das Livekonzert von Künstler xyz fand, erwarte ich nun nicht unbedingt, dass mir Leute drunter schreiben, wie schlecht der Künstler doch sei.

    „vielleicht unbedachter, vielleicht aggressiver, ganz bestimmt aber schneller.“
    Ich würde mal behaupten, das gilt für mich nicht, aber vielleicht liegt das daran, dass ich zwar unter Pseudonym, aber ja nicht wirklich anonym schreibe.

    „Wann würdet ihr aus einer Diskussion "aussteigen"?“
    Ich denke in den beschriebenen Fällen (Maildrohungen, Netz-Stalking, Verleumdungstexte) geht das eh nicht mit dem Aussteigen, da hilft nur Polizei einschalten. Und in anderen Fällen würde ich doch einfach aussteigen, wenn ich keine Lust mehr habe.

    Konkrete Beispiele:
    Wir reden immer so abstrakt. Vielleicht würden ein paar konkrete Beispiele helfen.

    • Hallo MisterEde,

      lieben Dank für Deine ausführliche und facettenreiche Antwort.

      Das "Wo" Tatsächlich glaube ich auch, dass der Diskussionsort sehr entscheidend ist. Auf Facebook beispielsweise, kenne ich natürlich die Menschen mit denen ich (unter meinen Beiträgen) diskutiere. Anders sieht das natürlich in Facebook-Gruppen aus. Da kenne ich teils nur einen geringen Teil oder sogar niemanden persönlich. Entsprechend fällt sicher auch meine Ansprechhaltung aus und ganz bestimmt führe ich Debatten dort anders. Gleiches gilt für Foren und Boards.

      Andererseits findet dort (gerade bei regelmäßiger Nutzung) oftmals auch eine Art Sozialisation der User statt. Ich habe über mehrere Jahre ein Forum mit etwa 5.000 Usern erst als Moderator und später als Administrator betreut. Dort konnte ich erleben, dass zum einen eine Selbstregulierung durch die Community stattfinden und diese zum anderen auch langfristig einen erzieherischen Effekt haben kann. Kurz: Einige "Poltergeister" unter den Mitgliedern haben sich tatsächlich dem guten und respektvollen Umgangston in der Community angeschlossen.

      Zur Rolle der Anonymität Meine Erfahrung aus verschiedenen Communities und auch den sozialen Netzwerken ist: Wenn die es möglich ist, anonym zu agieren, dann sind es in der Regel auch diese "Unbekannten" die in Debatten negativ auffallen. Diese Möglichkeit wird dann vergleichsweise häufig genutzt um die Diskussion - mit unterschiedlicher Motivation - aufzumischen.

      Ausstieg aus der Debatte Ich habe selbst erlebt wie es ist, wenn Debatten aus dem Ruder laufen und es nicht mehr um die Sache, sondern gegen User geht. Das habe ich als Moderator erlebt und auch als Betroffener. Als "Mod" habe ich bei Beleidigungen und anderen Anfeindungen schnell gehandelt. Auf zwei Wegen: Einmal öffentlich im Forum und zum anderen via Direktnachricht an den Verursacher selbst. Das hat oft geholfen - manchmal blieb aber keine andere Wahl, als denjenigen aus dem Forum auszuschließen. Das kann - gerade um auch noch einmal den Bogen zur politischen Online-Debatte zu schlagen - immer nur die letzte Option sein.

      In dem Fall in dem es mich persönlich betroffen hat, habe ich die Debatte (in einer Facebook-Gruppe) noch eine Weile weitergeführt. Als ich jedoch immer häufiger direkten Anfeindungen ausgesetzt war, habe ich mich dazu entschlossen, die Debatte zu verlassen. Nicht jedoch, ohne darauf hinzuweisen, dass die Art und Weise der Kommunikation in der Gruppe nur schwer erträglich.

      • Hallo Julian,

        Ihre Einschätzung zu Anonymität teile ich und Ihren Umgang mit Anfeindungen sehe ich auch als richtigen Ansatz, wobei ich es bei persönlichen Beleidigungen durchaus für angebracht halte, zumindest den Plattformbetreiber zu informieren.

        Zum „Wo“: Vielleicht ist mein Ansatz oder meine Erwartung an einen Dialog oder an eine Debatte eine andere. Ich schreibe lieber einen ordentlich argumentierten Text als 10-mal in einem Kommentarbereich irgendwelche Schlagworte hineinzusetzen ohne das näher oder ordentlich zu begründen. Zusätzlich mit der verbundenen Reduktion der Anonymität, wenn ich auf meinen Blog verlinke, ist vielleicht einfach damit mein Ansatz ein anderer als bei Personen die sich als „Phantasia“ anmelden und eben nur irgendwas Oberflächliches einwerfen. Direkt der erste Kommentar zu dem Artikel

        Das sind ja erkennbar unterschiedliche Ansätze. Vielleicht gerate ich deshalb aber auch nicht so mit anderen Schreibern aneinander, weil diese durch meine Kommentarform eher gezwungen sind auch ernsthaft zu argumentieren. Dafür stoße ich mit meinem Ansatz an anderer Stelle auf Widerstand, z.B. bei Medienangeboten, die dann z.B. Facebook erfordern oder Regeln haben, wie z.B. die Klarnamenregel beim Cicero, oder eben auch Kommentare löschen oder nicht freischalten, explizit bei den öffentlich-Rechtlichen.

    • Hallo Julian und MisterEde , ich möchte einfach auf ein paar Besonderheiten der Online-Kommunikation aufmerksam machen:

      • wir kennen uns nicht, können viel schwerer beurteilen, wie etwas gemeint es, aus welcher 'Ecke' es kommt. Es hängt ein wenig vom eigenen Gemüt ab, ob man eher mit freundlichen oder eher mit bedrohlichen Mitmenschen im Netz rechnet

      • oft fehlt die Möglichkeit / die Bereitschaft zum Nachfragen oder dazu, sich in der Sache weiter zu erklären (stattdessen wechseln viele gleich in den Angriffs- und Selbtverteidigungsmodus)

      • es geht oft rasend schnell (wie hier bereits angemerkt), speziell auf Twitter und öffentlichen Facebook-Seiten)

      • oft ist mit einer Antwort nicht zu rechnen. Es gibt oft keine verbindliche Gesprächssituation, was dazu führen kann, sich zu benehmen, als würde sowieso niemand zuhören, als wäre es ja eh egal (zum Beispiel wie überzogen, unbelegt und undifferenziert der eigene Kommentar ist)

      Ansonsten glaube ich, will Kritik einfach gelernt sein. Viele Figuren gilt es in der Schule mal auseinander zu nehmen:

      • die Pauschalisierung ("der" Islam etc.)

      • die Unterstellung

      • Auslassungen und Erfindungen beim Aufgreifen der Gegenargumente (bei Journalisten überigens ein wahnsinnig beliebtes Schema, oft möchte ich ihnen sagen 'Was kritisiert ihr eigentlich, das hat doch niemand behauptet!')

      • die Bereitschaft, die eigene Haltung oder eigene alternative Theorien ernsthaft zu überprüfen, gerade erst schön von Sascha Lobo dargestellt (Zweifeln ist ja so geil) usw. usw.

      tdlr: auch Online-Kommunikation braucht Zeit, Neugier und ein wenig Gutwilligkeit, Kritik sollte gelehrt und gelernt werden

      • Hallo Emil,

        gute und wichtige Punkte die Du da nennst.

        Ich musste beim Lesen Deines Posts an Quellen- und Artikel-Schlachten denken, die ich oftim Kommentar-Bereich von Nachrichtenseite sehe.

        Da geschieht es so häufig, dass User kaum mehr selbst inhaltlich diskutieren, sondern sich mit Links zu Artikeln "duellieren" - was quasi immer zum Anzweifeln der jeweils genannten Quelle oder den Medien an sich führt.

        Seine Argumentation durch einen Link zu weiterführenden Texten zu unterstützen finde ich vollkommen legitim und oftmals sinnvoll. Nur das "Outsourcen" der eigenen Meinung in dem Umfang wie ich ihn mittlerweile oft sehe, schwächt in meinen Augen die Online-Debatten-Kultur.

        • Ein Gedanke meines Blogs liegt zum Beispiel darin, dass das dort Befindliche für mich selbst sehr leicht auffindbar ist und ich dann nicht fünfmal dasselbe schreibe, sondern meine Meinung in anderen Diskussionen eben nur kurz darstelle und dann auf meinen Blog mit ausführlicherer Begründung verlinke. Das allerdings ist ein Ansatz, den Medienanbieter wohl nicht so wirklich mögen. Häufig sind deshalb für mich aber gar nicht andere Nutzer das Ärgernis(siehe oben).

        • Hallo Julian, es war doch nur der eine Link und keine Quellen-Schlacht ;)! Ich bin jetzt auch nicht mit allem d'accord, was der Lobo so schreibt. Aber einen Punkt macht er: Viele Menschen, auch Bekannte von mir, belassen es bei Pseudoskepsis. Sie sagen a) ja kann das mit dem 11. September so gewesen sein? aber das b) ich kann belegen das es anders war lassen sie einfach weg. Oder sie sind gegen den Investititionschutz in TTIP, wollen aber vom aktuellen Investitionsschutz und dem Sinn dahinter nicht mal was hören. Am Ende steht so eine Pose des Misstrauens, die niemandem wirklich weiter hilft. Der echte Aufklärer fragt weiter, ist ernshaft neugierig, in alle Richtungen (was super hart ist, ich kann das auch nicht)

      • Hallo Julian,

        danke für den Diskussionsanstoß!

        Hallo Emil,

        "Kritik will gelernt sein" - da sprichst Du etwas ungeheuer Wichtiges an. Nicht nur Online, auch Offline wird gegen die Punkte, die Du anführst, auf allen Ebenen, in den Medien und sogar auf höchster politischer Ebene vehement verstossen. Das kann verheerende Folgen haben, wenn ich mir den gegenwärtigen Schlagabtausch zwischen amerikanischen Politikern und EU-Politikern um den rechten Umgang mit der Situation in der Ukraine anschaue:

        John McCain unterstellt Frau Merkel, weil sie Waffenlieferungen an die ukrainischen Regierungstruppen ablehnt, dass sie entweder "keine Ahnung" hat oder dass es "ihr egal" ist, "dass Menschen in der Ukraine abgeschlachtet werden." 100 Jahre nach dem Beginn des 1. Weltkriegs und 75 Jahre nach dem Beginn des 2. Weltkriegs wird mit unverantwortlichen Unterstellungen eine brandgefährliche Situation hochgeschaukelt!

        • Hallo Emil,

          noch eine ergänzende Frage zu Deinen, wie ich finde, richtigen Kritik-Regeln: Wie ist es mit der Kritik an geübter Kritik? Online wie offline? Gibt es "Heilige Kühe", die nicht kritisiert werden dürfen? "Die Karikatur darf alles" - die Kritik nicht?

          Bzw. ist es richtig, dass Kritiker/innen des Islam, um Dein Beispiel aufzugreifen, nämlich was die "Stellung der Frau im Islam" angeht, mit dem Merkmal "islamophob", "ausländerfeindlich" oder sogar "rassistisch" versehen werden?

          Wie ist es mit den "Schubladen", in die Kritiker gelegt werden?

          Zum Glück darf man heute bei uns die Katholische Kirche, was ihr Frauenbild angeht, unbescholten kritisieren, ohne dass man deshalb als "katholophob" hingestellt wird.

          M.E. erschweren zeitbedingte sensible Themen, für die es zeitbedingte Schubladen gibt, ganz entscheidend die Lust, am "öffentlichen Diskurs" teilzunehmen.

          • Ich denke nicht, dass es ein Recht der Kritik oder der Kritiker gibt, unwidersprochen stehen zu bleiben und gerade bei Debatten geht es ja darum aus These bzw. Meinung oder Position und Gegenthese, Gegenmeinung oder Gegenposition einen Mehrwert (Meinungsbildung, Kompromissfindung) zu schaffen. Hierbei helfen wahrscheinlich gute Argumente und eine logische Argumentation, um auf einer sachlichen Ebene zu bleiben.

            • Hallo MisterEde,

              ich verstehe Ihre Antwort nicht. Geben sie mir recht, dass meine Kritik an der Stellung der Frau im Islam nicht als Islamophobie verstanden werden sollte, oder empfinden Sie meine Kritik an der Stellung der Frau im Islam schon als unsachlich?

              In Ihrem ersten Beitrag zum Denkanstoß "Wie diskutieren wir online?" fordern Sie konkrete Beispiele. Bei meinem Beispiel "Islamkritik" (Stellung der Frau) jedoch gehen Sie auf eine Meta-Ebene und wollen im Abstrakt-Intellektuellen bleiben mit Argumenten und Gegenargumenten.

              Entschuldigen Sie: Ist das nicht typisch Mann, wenn es konkret und "zu heiß" wird, flüchtet er sich in die Theorie?

              • Ihre Frage war doch, „wie ist es mit der Kritik an geübter Kritik?“ Und meine antwortet ist doch recht passgenau: Wenn Sie (oder wer auch immer) Kritik üben (an was auch immer), dann darf auch diese Kritik kritisiert werden.

                Daneben wollte ich darauf hinweisen, dass Argumente hilfreich sind. Wenn ich über die Fehler der Austeritätspolitik schreibe oder über eine nicht ausreichende Finanzmarktregulierung, dann lege ich in längeren Texten dar, wie ich zu meiner Überzeugung gelange. Das verhindert natürlich, dass mir jemand entgegenhalten kann, meine Kritik sei haltlos. Wie wäre also der Vorschlag, dass Sie auch etwas ausführlicher begründen, z.B. wieso die Stellung der Frau etwas mit der Religion zu tun hat und nicht nur mit der jeweiligen Auslegung dieser Religion.

                P.S. Ich muss aber zugeben zurzeit habe ich auch überhaupt keine Lust auf Islam-Diskussion. Ich sag es da mal in den Worten von Abdelkarim, „die Sorgen hätte ich auch gerne!“ Claus von Wagner wäre im Sorgencheck so meine Rolle ;D

                • Hallo MisterEde,

                  danke für Ihre Antwort. Es hat mir nachträglich leid getan, dass ich Sie persönlich angegriffen habe. Ein gutes Beispiel vielleicht für die Schwierigkeit der Online-Verständigung. Besonders vielleicht zwischen Männern und Frauen. Evt ein Unterthema für unser Thema? Wie diskutieren Frauen online, wie Männer?

                  Okay, ehrlich gesagt, habe ich auch keine Lust mehr auf die Islam-Debatte, obwohl ich im Alltag ein wenig damit zu tun habe...

                  • Hallo Doro,

                    ich würde das wahrscheinlich nicht schreiben, weil ich den oder die Gegenüber ja nicht kenne, aber ich persönlich fühle mich durch so einen Spruch nun wirklich nicht angegriffen. Da kann ich allerdings eben auch nur für mich sprechen und jetzt nicht für Männer oder sonst eine Gruppe im Allgemeinen.

  • Liebes Forum,

    wir möchten euch auf die Zusammenfassung der Podiumsdiskussion "Gewalt im Internet – brauchen wir neue Gesetze?" sowie die dazugehörige Videoaufzeichnung der Diskussion aufmerksam machen, die am 18. Februar in Zusammenarbeit mit dem Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung stattfand.

  • Hallo zusammen,

    im Vorfeld der morgigen Veranstaltung "Gewalt im Internet – Brauchen wir neue Gesetze?" (#pxp_termin) in Berlin wollte ich Euch auf dieses Video vom Ted Talk in Linz aufmerksam machen.

    Darin spricht die österreichische Journalistin und Kommunikationswissenschaftlerin Ingrid Brodnig zum Thema "Online-Hass und der Umgang damit". Ein Kurzvortrag den ich Euch sehr empfehle.

    Außerdem dem noch der PULS-Beitrag des BR zum Thema "Hating im Netz", der auch noch einmal die Gedanken und Argumente des letzten Community-Abend sehr eindrucksvoll aufgreift.