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Weist London den Weg zu sinnvollen EU-Reformen?


Foto: Rat der Europäischen UnionNach seiner Wiederwahl will der britische Premier David Cameron liefern. Kann er eine EU-Reformdebatte in Gang setzen? Foto: Rat der EU

Großbritannien soll in den kommenden Jahren über seinen Verbleib in der EU abstimmen. Zuvor will Premier David Cameron die Bedingungen für die britische Mitgliedschaft neu aushandeln. Ziel sei "ein besserer Deal" für Großbritannien. Gefahr oder Chance?

Ein Beitrag von Redaktion

Nach dem Wahlsieg der Tories in Großbritannien steht der EU eine Reformdebatte bevor. Premier David Cameron hält an seinem Wahlversprechen fest. Nach bisheriger Planung soll es spätestens 2017 ein Referendum über Großbritanniens EU-Mitgliedschaft geben. Einer regelmäßigen Umfrage (YouGov, Februar 2015) zufolge wollen aktuell 35 Prozent der Briten den Austritt, 45 Prozent den Verbleib.

Um die Mitgliedschaft vor dem Referendum attraktiver zu machen, drängt Cameron auf EU-Reformen. Finanzminister George Osborne soll demnächst in Brüssel und Berlin Verhandlungsspielräume ausloten.

Europe à la carte? Neustart?

Offen bleibt, wie tiefgreifend die Reformwünsche aus London ausfallen. Geht es um Änderungen und Ausnahmen bei konkreten Gesetzgebungen - etwa in Punkto Bürokratie? Oder verlangt London institutionelle Änderungen - etwa eine "Rote Karte", mit der eine Gruppe nationaler Parlamente eine Gesetzesinitiative der EU-Kommission stoppen könnte?

"Auch gegenüber den EU-Chefs wäre eine zu genaue Festlegung vor Beginn der Verhandlungen kein Vorteil", kommentiert Tessa Szyszkowitz auf Cicero Online. Bislang stand immer wieder Camerons Anliegen zur Debatte, die Arbeitnehmerfreizügigkeit - also den Zuzug von EU-Bürgern - zu beschränken.

Manche der diskutierten Vorschläge setzen eine Änderung der EU-Verträge voraus, manche nicht. Einer Vertragsänderung müssten alle 28 EU-Staaten zustimmen - unter Umständen per Referendum. Ob hierfür die Zeit reicht, ist fraglich.

Die Reaktionen auf Camerons Strategie fallen unterschiedlich aus. Manche Beobachter warnen vor einem Europe à la carte, in der sich die EU-Staaten aussuchen, bei welchen Gesetzgebungen sie mitziehen. Andere erhoffen sich eine Richtungsdebatte und einen "new deal" für die ganze EU.

"Großbritannien ist nicht in einer Situation, seine exklusive Agenda allen anderen Mitgliedstaaten in Europa aufzuzwingen", sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kurz vor den britischen Wahlen. Nach der Wahl ließ Juncker erklären, Ziel sei ein "fairer Deal" für Großbritannien in der EU. Die vier Grundfreiheiten - der freie Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital - seien aber "nicht verhandelbar".

Welche Chancen und Risiken seht ihr in der EU-Reformdebatte, die nun von London ausgeht? Welche Reformideen würdet ihr unterstützen, welche nicht?

Links zur Debatte


Kommentare

  • Ich stelle mir grade vor, wie Paris sagt: Wir wollen einen besseren Deal für Frankreich. Und Warschau sagt: Wir wollen einen besseren Deal für Polen. Und Rom sagt: Wir wollen einen besseren Deal für Italien. Und Lissabon sagt: Wir wollen einen besseren Deal für Portugal.....den Rest bitte in Gedanken ergänzen (Kleine Vervollständigungsaufgabe).

  • Ich würde Camerons Strategie als Spiel mit dem Feuer bezeichnen - das sich bis jetzt ausgezahlt hat. Nicht nur konnte er mit seinem taktischen Manöver - dem Referendums-Versprechen - die Unterstützung in Großbritannien gewinnen. Der Premierminister besetzt mit Beginn seiner zweiten Amtszeit gleichzeitig eine starke Verhandlungsposition innerhalb der Europäischen Union.

    Die kommenden Monate werden zeigen, wie Cameron dieses Mandat zu nutzen weiß. Er kann als Vorantreiber des Brexits in die Geschichtsbücher eingehen oder aber eine europäische Zukunft seines Landes gestalten. Von einer "ever closer union" wird man sich wohl jedenfalls endgültig verabschieden müssen.

    Interessante Perspektiven aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien dazu gibt es bei treffpunkteuropa.de:

    Die europäische Perspektive - Stimmen zur Wahl in Großbritannien

    • Einverstanden, bis auf den Punkt starke Verhandlungsposition. Ich glaube Cameron wird mit seinen Forderungen bei der Rest-EU auf Granit beißen und weitgehend scheitern.

      Brüssel weiß, dass ein Referendum zugunsten eines EU-Verbleibs des UK ausgehen wird. Abgestimmt wird in einem Referendum nach einfacher Mehrheit. Schaut man sich das letzte britische Wahlergebnis im Verhältniswahlrecht an, wie es der Indipendent getan hat, wird klar, dass zusätzlich zu den UKIP-Wahlern 100% der Tory-Wähler plus ein paar Anhänger anderer Parteien für einen Austritt stimmen müssten. Dies ist selbst bei der Wählerschaft der Tories kaum vorstellbar, worüber auch einige lärmende Hinterbänkler in Westminster nicht hinwegtäuschen können.

      Außerdem würden die Schotten einen Austritt nicht mittragen und schwupps wäre die Frage nach der schottischen Unabhängigkeit und dem dann (vielleicht sogar einseitigen) Austritts Schottlands aus dieser Union wieder auf dem Tisch. Dies ist auch allen Briten bewusst, die 2016 gleichzeitig über den Austritt aus der EU und faktisch (mit dem Abschied Schottlands) über die Auflösung des Vereinigten Königreichs abstimmen müssten.

      Cameron wird es auch nicht wagen, selbst wenn er in Brüssel vor die Wand gelaufen ist, offen für einen Austritt zu werben. Auch die City of London wird das zu verhindern wissen.

      Ich plädiere daher für etwas mehr Unaufgeregtheit. Zudem sollten wir immer berücksichtigen, dass die EU im Vereinigten Königreich nicht so sehr als das große Friedenprojekt Europas mit immer weiter gehender Integration wahrgenommen wird, sondern als das was sie einmal war und bis heute weitgehend ist, nämlich eine Wirtschaftsgemeinschaft.

    • Tja. Auf der einen Seite haben wir jetzt die Ideen von European Republic, mit Europäischer Regierung und allem, auf der Seiten David Cameron mit was auch immer, Hauptsache irgendwie weniger EU.

      Ich schlage mal beides auf einmal vor. Euroland wird Republik, GB hängt sich mit einem Freihandelsabkommen (Transkanalische Freihandelszone) ein wenig an den Markt dran. Problem gelöst. So einfach geht das :).

  • Gérard Bökenkamp Open Europe Berlin
    +1

    EU-Reform: Cameron muss den Schritt zum europäischen Staatsmann vollziehen

    Ein Crosspost vom Open Europe Berlin Blog

    Nach dem unerwartet klaren Wahlsieg der Konservativen ist es wahrscheinlich, dass das von Premierminister David Cameron angekündigte Referendum über die EU-Mitgliedschaft auf das nächste Jahr vorgezogen wird. Großbritannien wird bis dahin versuchen, Reformen in der EU anzustoßen, die den Briten die Zustimmung zur Mitgliedschaft erleichtern. Dazu gehören die Stärkung der nationalen Parlamente und eine Regelung für den Zugang zu Sozialleistungen für Migranten aus EU-Staaten.

    Die EU befindet sich in einer Sackgasse

    Was die Britische Regierung fordert, ist nicht nur im Interesse Großbritanniens, sondern auch im Interesse Deutschlands und Europas insgesamt. Nicht nur durch das Euro-Abenteuer hat sich die Europäische Union in eine Sackgasse manövriert. Die letzten Wahlen zum Europaparlament haben gezeigt, dass die bisherige Politik der Zentralisierung über die Köpfe der Bürger hinweg und an den nationalen Parlamenten vorbei keinen Rückhalt in der Bevölkerung findet.

    Die Britischen Forderungen sind in vielen EU-Staaten mehrheitsfähig

    Die zentralen Forderungen des Britischen Premierministers David Cameron sind auch in vielen anderen Ländern der EU in der Bevölkerung mehrheitsfähig. Dazu gehören die Rückverlagerung von Kompetenzen zu den nationalen Parlamenten und die Sorge dafür, dass Einwanderung nicht in die Sozialsysteme hinein erfolgt. Cameron agiert also keineswegs nur im Interesse Großbritanniens, sondern im Sinne auch großer Teile – wahrscheinlich der Mehrheit – der Bevölkerung auf dem Kontinent.

    Das Referendum ist eine Chance die EU auf ein besseres Fundament zu stellen

    Eine Reform der Europäischen Union auf der Grundlage des Demokratie- und Subsidiaritätsprinzips, klarer Verantwortungszuweisungen der verschiedenen politischen Ebenen und ist dringend geboten. Der Vorstoß der Britischen Regierung und das Referendum in Großbritannien ist deshalb eine Chance für die gesamte Europäische Union, die Gemeinschaft auf ein neues Fundament zu stellen.

    Cameron muss deutlich machen, dass er im Interesse aller Europäer handelt

    Die Erfolgsaussichten dieses Projektes werden aber wesentlich davon abhängen, ob es der Regierung Cameron gelingt, diesen Vorstoß nicht nur als einen Vorstoß zur Durchsetzung Britischer Sonderinteressen darzustellen, sondern als einen gesamteuropäischen Ansatz. Es geht um das Modell eines starken Binnenmarktes, eines solide arbeitenden Staatenbundes mit klaren Kompetenzen, aber auch klaren Grenzen der Verantwortlichkeit. Das ist der Gegenentwurf zu einer rastlosen EU, die niemals zur Ruhe kommt, sondern in einem Prozess nie endender Vertiefung immer mehr Kompetenzen an sich zieht, ohne dafür eigentlich vom Wähler legitimiert zu sein.

    Nicht nur Britischer Premierminister, sondern auch europäischer Staatsmann

    Premierminister Cameron tut gut daran, sich zum Sprecher der Forderungen nach mehr Demokratie und Subsidiarität auf dem ganzen Kontinent zu machen und damit zum Hoffnungsträger für alle in der EU zu werden, die die Europäische Union erhalten, aber reformieren wollen. Will Cameron mit diesem Kurs erfolgreich sein, muss er über sich hinaus wachsen. In der Situation darf er eben nicht nur ein Britischer Premierminister sein, sondern zu einem europäischen Staatsmann werden. Eine erfolgreiche Reform der EU für mehr Demokratie und Subsidiarität ist im Interesse des gesamten Kontinents.

    Link:

    Open Europe Berlin: EU-Reform: Cameron muss den Schritt zum europäischen Staatsmann vollziehen, 12. Mai 2015

    • SaschaS ist dagegen
      +4

      Ja, die Position Camerons ist auch in anderen EU Mitgliedsstaaten potentiell mehrheitsfähig. Schlimm genug! Denn die Position entsteht aus einer Debatte, die sich nicht nur in GB seit Jahren aus Ressentiments gegenüber "Ausländern" und populistischer Panikmache speist. Da war es doch gewinnbringend dass die Zahlen in Deutschland nach der CSU-Kampagne von Anfang des Jahres einmal gerade gezogen wurden. Seit dem hört man von der CSU jedenfalls weniger zum Thema.

      Migazin.de: Faktencheck Gewinner und Verlierer der Einwanderung von Bulgaren und Rumänen

      Ähnliches würde GB sicher auch gut tun. Denn eine wachsende Prekarisierung der Gesellschaft hat wenig mit der Freizügigkeit der Europäischen Union zu tun, als viel mehr mit einer für GB seit Thatcher traditionell neoliberalen Politik, welche bei fortschreitender Wettbewerbsausweitung die Sozialleistungen des Staates genau wie die öffentlichen Dienstleistungen massiv zurückdrängt.

      Auch diese Position ist in anderen MS leider potentiell mehrheitsfähig.

      Noch schlimmer, denn eigentlich sollten wir doch spätestens seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 gelernt haben, dass Markt ohne Kontrolle und direkte gesellschaftspolitische Eingriffe nicht funktioniert. Aber es sind nicht nur die Briten, welche sich an ihren Landsmann Keynes scheinbar nicht mehr so genau erinnern können...

      Den gemeinsamen Markt haben wir; die gemeinsame Sozialpolitik, Steuerpolitik, etc. haben wir nicht. Denn aus neoliberaler Perspektive brauchen wir das ja auch nicht. Da können wir uns schön in unsere nationalen Parlament zurück ziehen und uns über den Mindestlohn auf die Schultern klopfen während der Rest schon von der unsichtbaren Hand des Marktes ins Reine gebracht werden wird.

      Ich darf erinnern warum die Menschen in Spanien, Griechenland und so weiter auf die Straße gehen. Nicht weil sie sich gegen die europäische Idee von Frieden und Solidarität aussprechen! Den Rechtsruck der letzten EP- Wahlen der Komplexität des mit dem Lissabon-Vertrag demokratischer gewordenen EU-Systems in die Schuhe zu schieben, ist eine dreiste Verklärung der Realität!

      Es bleibt nur zu hoffen, dass bei den mehrheitlich konservativen Regierungschefs im Europäischen Rat, genug von der Ursprungsidee der Europäischen Union übrig geblieben ist um Cameron auf den Platz zu verweisen.

    • Hallo Herr Bökenkamp,

      der "Sozialtourismus" ist nicht zu belegen. Die EU Staaten müssen schon heute nicht einfach allen Sozialhilfe-Leistungen zahlen. Wer gearbeitet hat, hat sie sich verdient. Streitpunkte muss der Europäische Gerichtshof klären. Das ist Populismus des Herrn Cameron.

      Das britische Europaverständnis hat sicher seine Berechtigung. Andererseits ist das wahnsinnig frustrierend für alle anderen, wenn ein Clubmitglied einen anderen Club will. Dann vielleicht lieber doch austreten?

      Vom europäischen Staatsmann ist Herr Cameron so weit entfernt wie Bernd Lucke. Hat er sich denn jemals schon mal an die Europäer gewandt, JA zu Europa gesagt? Das ist doch bisher alles eher nervig als visionär, was da aus London kommt.