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Community-Abend: Wann wird Religion zum Politikum?


Foto: Mirko Lux (CC BY 4.0)Foto: Mirko Lux (CC BY 4.0)

Von Londoner Bussen bis zu Mutter Teresa. Unser persönliches Gespräch über Religion und Politik war reich an Eindrücken. Der Community-Abend im Überblick.


Ein Beitrag von Redaktion

Mit anderen (teils fremden) Menschen über Religion und Politik zu sprechen, erscheint vielleicht gewagt. Wollen wir andere bekehren und entsteht unangenehmer Bekenntnisdruck? Spaltet der (Nicht-)Glaube? Bekommen wir uns in die Haare? Dass Religion vielerorts als eine recht private Sache gilt, hat bestimmt Gründe. Deswegen hatten wir als Publixphere-Team vor dem Community-Abend vielleicht noch leichten Bammel, was passieren würde, wenn Christen, Atheisten und Muslime zusammentreffen – doch muss danach festgestellt werden: Über Religion und Politik lässt sich erstaunlich rational, unaufgeregt und gelassen miteinander sprechen.

Die erste Frage des Abends lautete: Wann fühlst du dich religiös? Die Runde ergab ein großes Nebeneinander religiöser Bezüge. Ein paar Antworten im Schnelldurchlauf: “Niemals”; “in der Natur”; “beim Besuch meiner Familie”; “in Gottesdiensten”; “beim Besuch des Vatikans”, “beim Yoga”; “wenn ich nach dem roten Faden in meinem Leben suche”, “in problematischen Situationen, etwa nach Todesfällen in der Familie”, “im Fanblock”, “in der Konfrontation mit sehr religionskritischen Menschen”, “wenn ich über Gott rede”: “eigentlich immer”.

Segen und Fluch der Glaubensgemeinschaft

Auch kamen vielfältige Erfahrungen mit religiösen Gemeinschaften zusammen (Gesprächsrunde 2), meist waren sie eher biographischer Natur. Manch einer wuchs in einer Gemeinde auf, erlebte sie im Einzelfall als “solidarische Gemeinschaft”, als “sozialen und leistungslosen Raum”, als wertevermittelnd und identitätsstiftend (besonders für Menschen mit Migrationshintergrund). Von der Offenheit religiöser Gemeinschaften berichtete eine Teilnehmerin aus dem Kosovo. Obwohl sie selbst keine gläubige Katholikin ist, fühlte sie sich in einer katholischen Gruppe sehr herzlich aufgenommmen, mit der sie der “sehr bewegenden” Seligsprechung Mutter Teresas in Rom beiwohnte.

Zugleich tauschten wir auch viel Befremden aus: wenn etwa das Abendmahl Beklemmung auslöst oder man sich im Kreise tiefgläubiger Menschen ein wenig “wie ein Betrüger vorkommt”; Oder wenn in Sachsen jemand kirchlich beerdigt wird, der gar keinen Bezug zur Kirche hatte; oder wenn sich eine Mitstudierende aus ihrem bisherigen Freundeskreis verabschiedet, nach dem sie – in einer schwierigen Lebenslage – einer Freikirche beigetreten ist. Manch einer empfindet die Religiösität der Eltern auch als moralisches Korsett, aus dem es sich zu emanzipieren gilt.

Exkurs: Wie akzeptiert ist die Konfessionsfreiheit?

Der Autor und EU-Blogger Jon Worth lenkte den Blick auf eine “Gemeinschaft”, deren Stimme in der öffentlichen Debatte selten vorzukommen scheint: konfessionsfreie Menschen und Atheisten. Einer Statistik (2010) (Siehe Wikipedia) zufolge bilden sie mit ca. 34 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe in Deutschland (wenn Katholiken und Protestanten nicht zu einer Gruppe zusammengefasst werden).

Worth engagierte sich in der “Atheist Bus Campaign”, gestartet 2008 von der Journalistin Ariane Sherine. Auch als Antwort auf evangelikal-christliche Werbung im öffentlichen Nahverkehr schalteten die Aktivisten auf britischen Bussen den Slogan: “There’s probably no god. Now stop worrying and enjoy your life.”

Die Kampagne fand einerseits viel Zustimmung – die erforderlichen Spenden waren in kürzester Zeit zusammen – stieß aber andererseits auch auf scharfen Protest religiöser Gruppen und Parteien. Auf jeden Fall entfachte sie in Großbritannien und zahlreichen anderen Ländern eine öffentliche Debatte über die Position von Atheisten in der Gesellschaft. Auch in Deutschland scheint es keine Selbstverständlichkeit zu sein, atheistische Bekenntnisse im öffentlichen Raum zu akzeptieren. So hatte der deutsche Ableger Buskampagne.de große Probleme beim Versuch, sein Motto “Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott” als Werbung auf Bussen zu schalten. Die Verkehrsbetriebe in Berlin, München und Köln lehnten die Werbung ab. Dahinter stehe auch die Angst, die großen Kirchen als wichtige Werbekunden zu verlieren, meint Jon Worth. Wer atheistische und säkularistische Positionen diskutieren will, kann das auf Publixphere aktuell mit Silvia Kortmann vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) tun.

Offene Runde: Wann wird Religion zum Politikum?

Mit Jon Worths Kampagnen-Erfahrung waren wir im Grunde schon bei der offenen Frage des Abends angelangt: Wann wird Religion für uns zum Politikum? Hier folgten wir keiner strukturierten Agenda, sondern sammelten in offener Rundes sehr verschiedene Eindrücke. Eine prinzipielle Frage kristallisierte sich allerdings im Gespräch heraus: Soll der Staat bestimmte liberale Vorstellungen gegen die kulturellen Gepflogenheiten von Glaubensangehörigen durchsetzen?

So beschäftigten wir uns unter anderem damit, ob es in einem Berliner Bezirk eine Sporthalle nur für Frauen geben sollte. Ein Teilnehmer lehnte dies ab mit der Begründung, der Staat sollte eine – auch religiös begründete – Geschlechter-Trennung nicht begünstigen.

Umgekehrt fiel das Argument, wonach eine Frauensporthalle es mancher muslimischen Frau erst ermöglichen würde, Sport zu machen, was auch im Interesse des Staates sei. Auch kann argumentiert werden, dass es Privatsache einer (muslimischen) Frau ist, ob sie mit Männern Sport macht oder nicht. Hat das den Staat etwas anzugehen?

Auch an ganz anderer Stelle gerieten wir in eine Abwägung normativer gesellschaftlicher Wertvorstellungen und der Freiheit des Einzelnen. Dürfen Parteien das Recht gleichgeschlechtlicher Paare auf Ehe und Adoption einschränken und sich hierzu auf religiöse Werte berufen? Oder soll Politik sich so gut es geht an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren – etwa an Studien zur gleichgeschlechtlichen Elternschaft? Wer die Mehrheit hat, entscheidet, könnte man auch in dieser Frage simpel und demokratisch antworten. Doch wann müssen Minderheiten vor der (religiös) wertebasierten Politik der Mehrheit geschützt werden?

Natürlich konnten wir die vielen Fragen angesichts der Kürze der Zeit nur streifen. Das Ziel des Abends lag auch nicht darin, sie einvernehmlich zu beantworten, sondern einen Diskurs zu eröffnen. Wir laden alle Interessierten dazu ein, die Debatte um Politik und Religion hier auf Publixphere fortzuführen: mit einem eigenen Diskussions-Anstoß oder Kommentaren in den laufenden Foren:


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