Der Gottesbezug im Grundgesetz - unzeitgemäß oder heute noch sinnvoll?
Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, an einer Wand eines Justizgebäudes in Frankfurt. Foto: picture alliance
Ist ein Gottesbezug, wie er in der Präambel des Grundgesetzes formuliert wird, in der heutigen Gesellschaft noch sinnvoll? Sind die Grundrechte auch ohne Bezug auf christliche Werte denkbar?
Ein Beitrag von Doro
Warum muss sich im Grundgesetz auf Gott bezogen werden? Gleich in Art. 1 des GG steht der Kernsatz, aus dem die weiteren Grundrechte folgen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
In der Präambel unseres Grundgesetzes heißt es: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen (...) hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
Hintergrund
Zum Verständnis ist der Wille und die Ausgangslage der Verfassungsväter heranzuziehen. 1948/49 stand der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee noch unter dem Schock des Versagens der Weimarer Republik, die ein totalitäres „gottloses“ System legal an die Macht zu gelangen, ermöglicht hatte. „Man hatte erlebt, wie in kürzester Zeit will-kürliche Machthaber ohne Rückbindung an eine höhere sittliche Instanz ein ganzes Staatswesen auf menschenverachtende Weise in den Ruin getrieben hatten...dieses sollte sich nicht noch einmal wiederholen.“
Es bedurfte noch eine kurze Zeit der Diskussionen, bis sich der Parlamentarische Rat mit den Stimmen der CDU, und mehrheitlich auch der FDP und SPD auf die o.g. Gottesformel im GG verständigten.
Fragen:
- Ist die Würde des Menschen nur aus der geglaubten Existenz eines höheren Wesens (Gott) begründbar?
- Ist die Würde des Menschen aus dem Naturrecht begründbar?
- Ist die Würde des Menschen aus der reinen Vernunft (I.Kant) be- gründbar?
- Sind die 10 Gebote des Alten Testaments, ablösbar von der jüdisch-christlichen Tradition, allen Menschen universal innewohnende Gewissensaxiome, auch ohne Gott?
- Dass der Mensch ohne alle Vorleistungen, Stand, Rang, Namen, Geschlecht, Hautfarbe, körperlicher Verfassung usw. ein von Gott geliebter und gewollter Mensch ist, ist im Sinne der Jesus-Tradition christliches Axiom geworden. Sind die Grundrechte auch ohne das christliche Menschenbild im Sinne eines allgemeinen Weltethos denkbar?
- Wie geht es deutschen Muslimen mit der christlich-jüdisch geprägten Gottesformel im Grundgesetz?
BastianB
Hallo Doro,
ich habe jetzt zum ersten Mal diesen Satz in der Präambel bewusst wahrgenommen.
"Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ... hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
Die Frage ist natürlich, wie einschließend / ausschließend ist das? Ich bin da hin und her gerissen. Ich selbst habe damit gar kein Problem und denke, es darf auch im Fundament des Staates eine leichte, kluge Verbindung zur (religiös-kulturellen) Geschichte des Landes geben. Aber fühlt sich der Atheist dadurch falsch repräsentiert? Das müsste man Atheisten fragen.
Einen Ausschluss der Muslime (Deine Frage 6) sehe ich dagegen nicht. Es ist nur von Gott die Rede, nicht vom christlich-jüdischen Gott, so klug ist die Formulierung.
Deine Fragen 1-5 würde ich allesamt mit Ja beantworten. Den Streit, 'was ist christlich geprägt ?' finde ich auch nicht besonders ergiebig. Menscheitsgeschichte ist immer ein Mix, eine einzige gegenseitige Beeinflussung, was soll da noch auseinanderdividiert werden - und vor allem, mit welchem Zweck? Wenn die christlich-jüdische Kultur und Tradition in Deutschland stark ist, wird sie stark bleiben, sie muss sich nicht gegen andere Religionen und Sichtweisen durchboxen und einen nationalen "Identitäts-Rang" für sich beanspruchen.