Beck (Bündnis 90/Die Grünen): Zum Verhältnis von Staat und Kirche
Streikrecht für alle? Aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechts dürfen Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen, wie u.a. Erzieher in katholischen Kitas, nicht streiken. Foto: picture alliance / dpa
Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck fordert in seiner Rolle als Sprecher für Religionspolitik seiner Fraktion gleiche Rechte für christliche Kirchen und andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Streikrecht auch für Mitarbeiter kirchlicher Träger und einen Spendenfreibetrag für Steuerzahler, die keiner bzw. einer nicht Religionssteuer erhebenden Religion angehören.
Ein Beitrag von Volker Beck (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)
Der Sinn von Religionspolitik ist Religionsfreiheit. Alle Gläubigen und Religionsfreien müssen in einer demokratischen Gesellschaft die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten haben. Niemand darf aufgrund seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung benachteiligt werden. In einer sich zugleich pluralisierenden und säkularisierenden Gesellschaft kommen daher manche Traditionsbestände des Religionsverfassungsrechtes unter Legitimationsdruck. Das ist eigentlich auch gut so, zeigt dies doch, dass Manches einfach unhinterfragte Besitzstände waren, die nicht ihre Begründung in der Verwirklichung der kollektiven Glaubensfreiheit hatten.
In allererster Linie geht es um Gleichheitsfragen
Die gesellschaftspolitisch herausragende Rolle der christlichen Großkirchen ist nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit eine gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeit gewesen. Seinen Grund hatte dies sicher vor allem darin, dass eine übergroße Mehrheit, man kann sagen: fast alle, damaligen Bürger*innen der Bundesrepublik Mitglied in einer dieser Religionsgemeinschaften waren. Infolge der Veränderung dieser Situation geht es heute in allererster Linie um Gleichheitsfragen: Wo genießen die christlichen Kirchen Rechte, die andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter gleichen Voraussetzungen nicht haben?
Bei der Beantwortung dieser Frage spielt neben den Glaubensfreien vor allem „der Islam“ eine Rolle. Mittlerweile stammen mit ca. vier Millionen Menschen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus mehrheitlich muslimischen Ländern, auch wenn diese nicht alle Muslime sind. Aus politischer Bequemlichkeit oder mangelndem Realitätssinn ist die „religiöse Versorgung“ dieser Bevölkerungsgruppe erst in Ansätzen verwirklicht. Das liegt vor allem an strukturellen Problemen: Den existierenden muslimischen Vereinen gelingt es überwiegend nicht, sich bekenntnisförmig als Religionsgemeinschaften zu organisieren, was im Kern bedeutet, in der Lage zu sein, über Fragen der Lehre verbindlich Auskunft geben und verbindlich angeben zu können, wer Mitglied der eigenen Gemeinschaft ist oder sein kann. Hier sind zwar Übergangslösungen erforderlich, um den Herausbildungsprozess zu beschleunigen. Dies haben wir Grüne schon 2012 mit unserer „Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“ gefordert. Aber die Einzelfragen der Organisierung müssen die Gemeinschaften dennoch selbst beantworten.
Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland – eine besondere verfassungsrechtliche Situation
In kaum einem Land gibt es wie in Deutschland die Freiheit für Religionsgemeinschaften, die Dinge durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Dies führt gesellschaftlich inzwischen zu immer mehr Spannungen: Zum einen weil die katholische Kirche bei den sogenannten persönlichen Loyalitätspflichten ihre Rechtsposition in unverhältnismäßiger Weise ausgereizt hatte, zum anderen weil der Anteil kirchlicher Träger in der Wohlfahrtspflege heute in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Anteil ihrer Anhänger in der Bevölkerung steht.
Die persönlichen Loyalitätspflichten gehen im kirchlichen Arbeitsrecht weit über den Tendenzschutz bei Medienunternehmen, Parteien oder Gewerkschaften hinaus: Mitarbeitende auch außerhalb des Verkündigungsbereiches werden auf die Befolgung der Sittenlehre auch im außerdienstlichen Bereich verpflichtet. In katholischen Einrichtungen führte dies dazu, dass Homosexuelle, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, und zum zweiten Male nach einer Scheidung Heiratende unter Verweis auf den damit begangenen Verstoß gegen die Sittenlehre entlassen wurden. Dies wurde in seiner Uferlosigkeit gerade von der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz durch eine neue Grundordnung etwas eingeschränkt. Islamische und andere religiöse Wohlfahrtsverbände könnten sich künftig auf diesen Rechtsrahmen ebenfalls berufen und ähnlich weitgehende Loyalitätsobliegenheiten für ihre Mitarbeiter*innen schaffen. Diesen Zustand empfinden wir als unhaltbar und fordern dringend Änderungen. Ebenso ist aus unserer Sicht schwer begründbar, dass kirchliche Einrichtungen pauschal vom Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz ausgenommen sind. Dies gilt umso mehr, weil das Streikrecht als soziales Grundrecht der Beschäftigten gerade aus Sicht der beiden großen Kirchen im nichtkirchlichen Bereich immer sehr hoch gehalten wird.
Die Kirchensteuer wird immer wieder zum Politikum
Der staatliche Einzug der Kirchensteuer (oder im Judentum der Gemeindesteuer) wird immer wieder zum Politikum gemacht. Dabei handelt es sich um ein historisch überkommenes Recht, welches heute mit Sicherheit keine Chance hätte, neu erlassen zu werden. Aber dieser Befund ändert nichts daran, dass der staatliche Kirchensteuereinzug niemanden belastet, der nicht Mitglied einer kirchen-steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist. Wegen der Anknüpfung an die Einkommensteuer ist sie eine der gerechtesten Möglichkeiten, die Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung kirchlicher Arbeit heranzuziehen. Weil die kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaften darüber hinaus die staatlichen Finanzämter kostendeckend für den staatlichen Einzug bezahlen, liegt auch keine verdeckte Subventionierung vor. Eine solche könnte man allenfalls darin erblicken, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe von der Steuerschuld abzugsfähig ist. Hier könnte man eventuelle Ungleichbehandlungen von Religionsfreien oder Mitglieder nichtreligionssteuererhebenden Religionsgemeinschaften beseitigen, indem man diesen einen analogen zusätzlichen Spendenfreibetrag einräumte.
Die Zahl der Konflikte wird in einer religionspluralen Gesellschaft wahrscheinlich eher größer als kleiner – umso wichtiger scheint es mir darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften als relevante Lebensäußerung in der deutschen Öffentlichkeit einen angemessenen Platz haben sollten – als wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Eintreten für Arme und Schwache einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.
Der weltanschaulich neutrale Staat hat die Religionsfreiheit aller zu schützen und zu wahren. Die Zivilgesellschaft sollte für die verschiedenen weltanschaulichen und religiösen Sichten auf die Welt Toleranz und Respekt aufbringen. Erst wo eine Weltsicht durch die allgemeine Gesetzgebung versucht, ihre Anschauungen für alle Mitglieder in der Gesellschaft verbindlich zu machen, ist die Religionsfreiheit in Gefahr.
Volker Beck ist innen- und religionspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und seit 2014 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags.
nemo
Vielleicht nimmt irgendjemand diese Überlegungen heute Abend mit in die Diskussion zum #pxp_thema Religion und Politik. Ich bin leider nicht in Berlin, kann also auch nicht teilnehmen. Anlass zu diesen Gedanken gab der Gastbeitrag von Jens Spahn (CDU MdB und Parteifreund von Cemile Giousouf, die ja heute Abend auf dem Podium sitzt) zur „Ehe für alle / Homo Ehe“ in der ZEIT am 27.06.2015.
Wir sollten uns bewusst sein, dass für viele Menschen ihr Glaube mehr ist, als ein reiner christlicher,islamischer oder jüdischer Wertekanon. Sowenig wie die Existenz Gottes beweisbar ist, sowenig sind bestimmte Glaubensinhalte, sind aus dem Buch Leviticus des alten Testaments abgeleitete Speise- und Verhaltensvorschriften, sind Spiritualität & Mystik (alles vordergründig völlig irrationale Annahmen und Regeln) in allen diesen drei Religionen für viele Gläubige verhandelbar! Damit ergibt sich ein fundamentaler Widerspruch zum gesellschaftlichen Anspruch dass Religion sich dem „kritischen Diskurs in einer aufgeklärten Gesellschaft“ (Spahn) stellen muss. Ein Dialog Religion und Gesellschaft wird sich immer in diesem Spannungsfeld bewegen. Ich möchte zudem zu bedenken geben, dass alle drei hier genannten Religionen sehr viel älter sind, als das gesellschaftliche, ökonomische und politische Modell in dem wir derzeit leben und von dem keiner weiß wie lange es in der Geschichte der Menschheit Bestand haben wird. Jede Religion, die sich ernst nimmt ist also verpflichtet zu gesellschaftlichen Veränderungen und eine kritische Distanz zu bewahren. Es sein denn, man glaubt jeder Schritt, den diese Gesellschaft macht, sei ein Fortschritt, eine Verbesserung und das Erreichen einer Entwicklungsstufe, die alle vorausgegangenen hinfällig werden lässt. Dann in der Tat hätte sich Religion hier einzureihen und mitzugehen. Nur dann ist Religion eben auch obsolet!
Alle, die diesem positivistischen Geschichtsbild ganz besonders in Deutschland folgen, sollten zudem aufpassen, dass sie bei der Durchsetzung ihrer gesellschaftspolitischen Interessen hinter dem vordergründigen Motiv ihrer Islamkritik nicht in einen unsäglichen, plumpen Antisemitismus verfallen. Jens Spahn Beitrag in der ZEIT ist ein Musterbeispiel wie man sich da verirren kann. Nachdem er sich wortreich über den Antisemitismus der Muslime in Deutschland beschwert hat - und den gibt es in der Tat! – bekennt er, er könne „mit ultraorthodoxen Juden nichts anfangen“, die Frauen prinzipiell nicht die Hand gäben und riskiert die Gegenfrage: Was mache ich mit Menschen, mit denen ich nichts „anfangen“ kann? Im besten Fall ignorieren, ruft der Volksmund zurück, oder vielleicht doch gleich „entsorgen“. In Deutschland hatten wir das schon mal. Zudem leben in Deutschland keine „ultraorthodoxen“ Juden wie sie durch Jens Spahns Vorstellungswelt geistern. Es gibt aber sehr wohl eine wachsende Anzahl orthodoxer Jüdischer Gemeinde (z.B. Chabad Israel in Berlin), deren männliche Mitglieder prinzipiell keine fremde Frau berühren dürfen. Mit den Worten „fremd“ und „berühren“ wird dann auch klar was diese Verhaltensvorschrift meint. Also keinesfalls wie Spahn unterstellt eine Herabsetzung der Frau. In die gleiche Falle ist übrigens auch Alice Schwarzer im Rahmen der „Kopftuchdebatte“ geraten. Ich empfehle Jans Spahn einmal sich von einer orthodoxen Familie in Berlin oder Frankfurt für einen Tag einladen zu lassen, um das warme von gegenseitiger Achtung und Liebe geprägte Leben dieser etwas anderen Deutschen kennenzulernen statt sich dem Vorwurf des klammheimlichen Antisemitismus auszusetzen.
Daraus ergibt sich m.E. dass das Zusammenleben mit Religionen oder besser religiösen Menschen in einer offenen liberalen Gesellschaft heißt, auch Abweichung, Dissens und dem Mainstream völlig entgegengesetzte Meinungen, Verhaltens- und Lebensweisen zu akzeptieren. Oder im Extremfall sogar nur auszuhalten. Daran und nur daran misst sich der Grad an Freiheit und Liberalität in einer Gesellschaft!