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We don't need another hero?


Foto: Sven Simon / picture allianceKann es getrost bis 2021 so weitergehen? Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD). Foto: picture alliance / Sven Simon.

Angela Merkel ist eine gute Kanzlerin - sagt der SPD-Politiker Torsten Albig. Seht ihr das auch so? Oder braucht Deutschland einen Politikwechsel? Die Gedanken sind frei...


Ein Beitrag von Redaktion

Der politische Wettbewerb scheint aktuell wie eingefroren. Und das liegt offenbar nicht nur am Sommerloch. Seit fast schon 2 Jahren stagnieren die Umfragewerte der Parteien. Die Union kommt auf rund 40 Prozent, die SPD auf etwa 25. Grüne und Linke pendeln sich bei 10 Prozent ein. "Deutschland steht still - und fühlt sich pudelwohl" überschreibt Spiegel Online einen Gastbeitrag des Politikwissenschaftlers Ulrich von Alemann (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf).

Schleswig-Holsteins SPD-Ministerpräsident Torsten Albig stellt sogar schon infrage, ob seine Partei vor der kommenden Bundstagswahl 2017 einen eigenen Kanzlerkandidaten (oder eine Kandidatin) ins Rennen schicken soll. Merkel mache das "ganz ausgezeichnet", so Albig im NDR-Interview. "Sie ist eine Kanzlerin, wie sie die Deutschen offensichtlich mögen. Ich glaube, es ist schwer, gegen diese Kanzlerin eine Wahl zu gewinnen."

Ist Kanzlerin Merkel alternativlos?

Dieses Stimmungsbild mag manche überraschen. An Streitpunkten für den politischen Wettbewerb scheint kein Mangel. Allein auf Publixphere ringen Politik-Interessierte beispielsweise um die deutsche Euro- und Griechenlandpolitik, Europas Umgang mit Flüchtlingen, christliche Werte in der Familienpolitik und den Überwachungskomplex.

Auch um als Redaktion euren Fragen nachzugehen und andere Politik-Interessierte in unsere gemeinsame Debatte zu holen, möchten wir an dieser Stelle wissen:

  • Wie zufrieden seid ihr mit der Politik der Bundesregierung (Große Koalition mit Angela Merkel an der Spitze)?

  • Welche Fragen wären für euch echte Streitpunkte für den Bundestagswahlkampf ? Welche Positionen und Profile wünscht ihr euch von den Parteien?

  • Sollte die SPD auf eine Kanzlerkandidatin / einen Kanzlerkandidaten verzichten? Ist Angela Merkel als Kanzlerin alternativlos? Oder kann ihr jemand das Wasser reichen?

P.S: Publixphere ist überparteilich. Alle eure verschiedenen Sichtweisen sind im Sinne des gemeinsamen, offenen Austauschs willkommen (Grundlage ist natürlich die Netiquette).


Kommentare

  • DIE BLEIERNE ZEIT

    „Trüb ists heut, es schlummern die Gäng und die Gassen und fast will Mir es scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit.“ Friedrich Hölderlin: Der Gang aufs Land

    Danke Redaktion für die Anregung zu dieser Diskussion. Im Jahr 2021 wird Angela Merkel mit hoher Wahrscheinlichkeit ununterbrochen vier Legislaturperioden – davon die letzte mit absoluter Mehrheit - hindurch im Amt gewesen sein, um sich dann vielleicht nach 16 Jahren (wenn ihre Partei sie denn lässt) aus der aktiven Politik zu verabschieden. Es könnte aber auch sein, dass sie ihren einstigen Mentor Helmut Kohl mit 17 Jahren Amtszeit zu übertrumpfen sucht.

    DAS POLITISCHE ERBE

    Beide, Kohl und Merkel, werden ein mächtiges und überragend bedeutungsvolles politisches Erbe für Deutschland und Europa hinterlassen, jeder für sich und in der längeren historischen Perspektive auch beide zusammen. Ein Fakt, der häufig übersehen wird.

    Der Name Helmut Kohls wird in den Geschichtsbüchern für immer mit der deutschen Wiedervereinigung verbunden sein, der Name Angela Merkels mit der Verankerung des Neoliberalismus als Grundlage in allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens in Deutschland und Europa, letztlich durch die Schaffung einer marktkonformen Demokratie nach US-Vorbild.

    DER CDU-STAAT

    Beide zusammen haben zudem Deutschland erfolgreich in einen CDU-Staat verwandelt. Das Parteiprogramm der CDU und die dahinter stehenden gesellschaftspolitischen Vorstellungen und die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit lassen sich schon jetzt im Deutschland des Jahres 2015 nicht mehr auseinanderhalten. Merkel hat Kohls „geistig-moralische Wende“ weiter- und zu Ende geführt.

    2021 werden es dann 40 Jahre sein, in denen die CDU entweder selbst die gesellschaftliche Realität nach ihren Ideen in Deutschland geformt hat oder diese Arbeit sogar von anderen (Gerhard Schröder 1998-2005) erledigen lassen konnte. Es wird dann also 40zigjährige geben, die von realpolitischen Alternativen zu diesem CDU-Staat kaum je etwas gehört haben. Eine ganze Generation, die nie erfahren hat, dass z.B. der Begriff „Reform“ einmal einen völlig anderen Inhalt hatte als heute. Eine Generation die nie vom emanzipatorischen Impetus dieses Begriffes gehört und erfahren hat, dass „Reformen“ die Lebenssituation jedes Einzelnen verbessern kann. Eine Generation, die dies folgerichtig auch nie einfordern wird. Sie und wir alle leben in einer bleiernen Zeit.

    Hinzu kommt, dass insbesondere Angela Merkel es geschafft hat Parteien wie die FDP oder die SPD, deren Werte tief geprägt waren von Krieg und Nachkriegszeit, völlig obsolet erscheinen zu lassen, um dann deren Verunsicherung für ihre eigene politische Agenda zu nutzen. Das in den Ländern und Großstädten diese Parteien vorerst noch eine wichtige Rolle spielen ist letztlich für sie unerheblich, da in Deutschland traditionell „top down“ regiert wird. Wo die Musik spielt bestimmt letztlich der Bund.

    Der politische Diskurs im Deutschland Angela Merkels ist ein geschlossener, hermetischer Diskurs in den nichts mehr von außen eindringt. Angefüllt mit lauter „endgültigen Wahrheiten“ (von der Rationalität der Märkte, von deutscher Überlegenheit & deutscher Verantwortung in der ganzen Welt etc.) führt er sich als Diskurs so ad absurdum. Es ist nur noch eine Spirale der Machterhaltung, in der jedes Element nur sich selbst und alle Elemente sich gegenseitig verstärken. CDU (Merkel)-Politik wird von den Medien positiv vermittelt, dominiert die öffentliche Meinung, führt zu Wahlentscheidungen, die wiederum die CDU (Merkel)-Politik stärken.

    MACHIAVELLI

    All das wäre eines echten Machiavelli würdig („Merkiavelli“, so der im letzten Jahr verstorbene Soziologe Ulrich Beck) und ringt selbst politischen Gegnern (wir mir) ein gewisses Maß an Bewunderung ab. (Aber ich muss hier zu meiner Schande gestehen, dass ich es auch genial fand wie der damalige Deutsche Bank Chef „Joe“ Ackermann 2008 um die 50 Milliarden (!) an US-Schrottpapieren durch eine einziges Telefonat mit Angela Merkel noch kurz vor deren Zusammenbruch bei der öffentlich-rechtlichen IKB unterbrachte. Ich wünschte wir Linke würden gelegentlich so eine Chuzpe aufbringen.)

    Das alles bleibt aber natürlich politisch völlig unbefriedigend. Für Deutschland und für Europa. Die bleierne Zeit, die sich mit dem Beginn der Kanzlerschaft Merkels über dieses Land legte hat zur Folge, dass keines der Zukunftsprobleme Deutschlands oder Europas nachhaltig gelöst wurde.

    In Deutschland geht die Einkommens- und Vermögensschere immer weiter auseinander, Arbeitnehmerrechte und Sozialsysteme werden schleichend demontiert, Altersarmut für weite Teile der Bevölkerung ist vorprogrammiert und die Energiewende z,B. lässt sich Merkel von den privaten Stromkunden bezahlen.

    DIE TOTENGRÄBERIN

    Noch wichtiger aber: das große Friedensprojekt Europa (Nobelpreis) und die Wertegemeinschaft Europa sind klinisch tot und Angela Merkel hat diesen Exitus bewusst in Kauf genommen, um ihre Agenda einer neoliberalen USA 2.0 in die Realität umzusetzen. Die einmalige historische Chance eines friedlichen, vereinten gemeinsamen Europa auf einem jahrhundertelang vom Krieg zerrissenen Kontinent geopfert zu haben, wird in den Geschichtsbüchern der Zukunft untrennbar mit dem Namen Angela Merkel verbunden sein. Leider und das macht es nicht besser mit der großen Unterstützung der bundesdeutschen öffentlichen Meinung.

    DER ALGORITHMUS DER MACHT

    Es wäre aber richtig jetzt trotzdem zu sagen: „Yeah man, we do need another hero!“, jemanden, der bereit wäre Pragmatismus über Ideologie zu stellen, der bereit wäre auf fachlichen Rat zu hören, jemanden der bereit wäre alle gesellschaftlichen Gruppen mit in die gesellschaftspolitische Zukunft zu nehmen, jemanden für den Empathie kein Begriff aus der klinischen Psychologie ist und der Mensch nicht nur eine statistische Größe im Algorithmus ihres Machterhalts, schließlich jemanden, der gelegentlich auch das Gespräch sucht mit relevanten Sozialwissenschaftlern oder Philosophen, wie es Willy Brandt oder Gerhard Schröder noch getan haben. Ein Herfried Münkler ist ja wahrlich nicht der Nabel der sozialwissenschaftlichen Welt.

    Wo diese Person herkommen soll, weiß ich letztlich auch nicht. Ich weiß nur: sie heißt nicht Sigmar Gabriel.

    Nachtrag heute 12:10 h

    Mea Culpa

    Der oben beschriebene Zustand unserer Republik ist natürlich auch ein eklatantes Versagen meiner Generation! Irgendwann Ende der 70er Jahre hatten wir keine Lust mehr auf die Straße zu gehen, haben uns um Familie & Beruf gekümmert ohne zu sehen, dass wir dieser Gesellschaft auch aktives politisches Engagement schulden. Stattdessen sind wir theorieverliebt in unseren privaten Bibliotheken hocken geblieben. Auch ich. Me Culpa. Macht es besser!

    • Hallo nemo, ein Nachtrag: über's Wochenende kam mir dann doch des Öfteren Dein Bild vom CDU-Staat in den Sinn. Dieser Mehltau über der Republik zeigt sich grad: wenn Herr Bundesstaatsanwalt gegen die NASA äh die NSA keine Beweise findet, wohl aber gegen netzpolitik.org. Wenn die CSU sich gegen ein Einwanderungsgesetz wehrt. Wenn brennende Asylunterkünfte nicht als Terrorismus gelten, sondern als was eigentlich? Als verständliche Streiche besorgter Bürger? Wenn alle so dankbar scheinen, wenn sie auf einen Herrn Erdogan schimpfen können, um von Terrorismus in Deutschland abzulenken...."In den Staub mit den Feinden Brandenburgs" - darauf können sich die verträumten und paralysiert denkfaulen Deutschen noch einigen.

    • Hallo nemo,

      danke für Ihren interessanten, nachdenkenswerten Rundumschlag!

      Trotzdem wehrt sich in mir etwas, unsere heutige Zeit als "bleierne Zeit" zu bezeichnen, mit einem Begriff, der das Lebensgefühl der jungen Generation in den 50er und 60er Jahren wiedergab. Wie viele Chancen haben junge Menschen heute, ihre Ausbildung, ihren Arbeitsplatz, ihren Lebensstil nach eigenem Gusto zu wählen und nutzen sie auch. Nationale Grenzen spielen immer weniger eine Rolle. Auch fehlt die Leidenschaft der jungen Leute heute, sich von den Eltern abzusetzen, wie sie die 68er Generation damals - zu Recht - bestimmte.

      Sie wünschen sich jemanden, der an der Spitze der Regierung Pragmatismus über Ideologie stellt. Aber wirft man nicht gerade Angela Merkel vor, dass sie pragmatisch denkt und handelt und keine Vision sprich: Ideologie hat?

      Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, was Sie sich als Alternative zu der von Ihnen als "neoliberale" und "nach US-Vorbild marktkonforme Demokratie " verschmähte Regierungsform und Wirtschaftsordnung vorstellen.

      Eine gerechtere Gesellschaft, sicher. Aber ist nicht eine soziale Marktwirtschaft - und ich würde das, was wir haben, nicht als "neoliberal" bezeichnen - am besten in der Lage, freies Unternehmertum und soziale Verantwortung miteinander zu vereinbaren und sich jeweils nach der einen oder andern Seite auch immer wieder zu korrigieren? Besser als ein politisch und wirtschaftlich festgeschriebenes sozialistisches System?

      Es ist m.E. auch eine Fehleinschätzung zu meinen, dass "Arme" bei uns und in jedweden Ländern der Welt Gerechtigkeit in Form von "Sozialismus" wollen. Jeder, der arm ist, möchte raus aus dieser Lage, das ist klar. Aber wirklich mithilfe eines staatlich verordneten Systems oder doch lieber mit der Möglichkeit der Eigeninitiative? Steckt nicht in jedem Menschen der Traum, selbstbestimmt, unternehmerisch, seines eigenen Glückes Schmied sein zu können? Unser Wirtschaftssystem ist nicht perfekt, aber es bietet Chancen... Und niemand bei uns kann tiefer fallen als in Hartz IV. Und er kann sich daraus auch wieder befreien. Ist das nicht gut?

      Und wie sehen Sie das, dass so viele EU-Bürger und Menschen aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland wollen, um hier zu leben und zu arbeiten? Wie kommt es, dass sie ein so viel positiveres Deutschland-Bild haben als Sie?

      • Hallo Doro,

        Sie haben einige Punkte angesprochen, zu denen ich kurz etwas sagen/schreiben möchte.

        Die bleierne Zeit: Ich habe durch das Hölderlin-Zitat versucht einen anderen Zeitrahmen für dieses "Gefühl" zu finden, etwas, das Jonas Wollenhaupt auf der Online-Plattform Lebohemien die „Konservative Utopie -Traum des Stillstandes“ genannt hat wenn er schreibt:

        „Merkel verkörpert den Traum des Stillstandes, während die Welt sich rasend schnell verändert. In dieser konservativen Utopie erscheint es rational, wenn wir vom weltweiten Wirtschaftswachstum ohne weitere Umweltzerstörung ausgehen, es erscheint rational, dass wir eine fortschreitende Automatisierung ohne den Verlust von Arbeitsplätzen für machbar halten (ohne Arbeit neu zu organisieren), es erscheint auch rational, wenn wir an eine menschenwürdige Rente ohne ausreichend Einzahler oder Steuererhöhungen glauben. Jedes dritte Kind in Deutschland, eines der reichsten Länder der Welt, ist von Armut bedroht und uns erscheint das als natürlich und notwendig. Zusammengefasst: In der konservativen Utopie glauben die Menschen an die Richtigkeit und die Beständigkeit des Bestehenden.“ Der ganze Beitrag findet sich hier.

        Ideologie: Ideologisch finde ich es z.B. wenn der islamistische Terror in Deutschland mit seinen bisher 2 1) Opfern den überwiegenden Teil der Kapazität der Sicherheitsorgane beansprucht. Pragmatisch wäre es einen Teil dieser Kapazitäten für die Verhinderung rechter Gewalttaten zu nutzen, bei denen laut BKA seit 1990 insgesamt 75 Menschen ermordet wurde.

        Marktkonforme Demokratie: Diese Formulierung ist von Angela Merkel selbst. Ihr Zitat wörtlich:

        „Wir leben ja in einer Demokratie und sind auch froh darüber. Das ist eine parlamentarische Demokratie. Deshalb ist das Budgetrecht ein Kernrecht des Parlaments. Insofern werden wir Wege finden, die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist, also dass sich auf den Märkten die entsprechenden Signale ergeben.”

        Sozialismus: Ich bin weder Sozialist, noch Anhänger irgendwelcher planwirtschaftlicher Modelle, sondern ein noch antiquierteres politisches Fossil: ein Sozialdemokrat (!). Leider finde ich mich, wie andere Sozialdemokraten auch (u.a. Albrecht Müller, Willy Brandts Wahlkampfmanager, Heiner Flassbeck, Staatssekretär im Finanzministerium bei Gerhard Schröder, Herbert Ehrenberg, einst monolithischer Rechtsaußen der SPD und Arbeitsminister unter Helmut Schmid) im Jahr 2015 am politischen linken Rand wieder. Zu beurteilen, wer sich da in welche Richtung bewegt hat, überlasse ich Ihnen.

        Alle wollen nach Deutschland: Dazu hat anne-marie schon etwas Kluges geschrieben. Ich darf nur ergänzen, das der Wunsch in Deutschland dauerhaft leben und arbeiten zu wollen bei Menschen aus EU-Ländern, die weniger stark unter der deutschen Euro-Dominanz leiden wie England, Frankreich, Niederlande, Benelux und Skandinavien eher verhalten ausfällt.

        1) Streng genommen beträgt diese Zahl 0 (in Worten: null). Der Mordanschlag auf der Rhein-Main-Airbase fand auf exterritorialem Gebiet statt. Für die Sicherheit hier ist zunächst einmal die US-Airforce zuständig.

      • Ich bin davon überzeugt, Doro, dass jene MitbürgerInnen, die nach Deutschland kommen dies vor allem aufgrund der wirtschaftlichen Lage tun - für Gastfreundlichkeit und kulturelle / religiöse Offenheit sind wir nicht zwingend weltweit bekannt. Zudem kommen Interessierte selbstverständlich wegen unserer gut organisierten Bürokratie, einer verlässlichen Beamtenstruktur, wegen Gesundheitsfürsorge und sozialer Absicherungen, bestimmt. Wegen der guten Bildungschancen wird kaum jemand sich überlegen die deutsche akademische Landschaft zu bemühen, auch diese Zeiten haben sich überholt.

        Ich gebe zu, im Vergleich zum breiten europäischen Umfeld (Skandinaven mal ausgenommen), im Vergleich zu globalen Nachbarn lebt es sich in Deutschland ziemlich frei und selbstbestimmt - vor allem sorglos. Diese Form der Sorglosigkeit ist eines der größten Vermächtnisse der Bundeskanzlerin (und Helene Fischers). Sie suggeriert uns Ordnung im Chaos, einen klaren Kopf und einen starken Willen, sie 'macht das schon'. Sorglosigkeit ist gemütlich, aber vor allem ist sie gefährlich. Sie verhindert kritisches Denken und Progression, sie verhindert aktive Teilhabe, Reflexion und Alternativen.

        Torsten Albis sorgt sich nicht mehr – und Angela Merken ist alternativlos. Das macht diese Periode so gefährlich. Wir stagnieren.

      • Hallo nemo, ich halte diesen Rundumschlag (Zitat Doro) doch für arg übertrieben. Ich weiß leider nicht, wo ich da anfangen soll. Aber prinzipiell macht die Kanzlerin das schon sehr gut in einer Zeit der Überforderung und des Dauer-Desasters. Für die europäische Demokratie wie ich sie fordere gibt es kein Format, das ist nicht ihre Schuld, aber ihre Aufgabe. Sie ist für mich durch und durch pragmatisch. Würde man sie zur griechischen Kanzlerin wählen, oder zur europäischen, würde sie auch diesen Job gut und ausgleichend für ihre Wählerinnen erfüllen, sie ist 'national' und ideologisch ganz leidenschaftslos, glaube ich.

        Der Diskurs und das Wissen der Gesellschaft setzen dem Regierungshandeln seine Leitplanken (was ist denkbar? was ist machbar?). Dafür braucht es die Intellektuellen, da gebe ich dir ganz recht.

  • Persönlich bin ich eher unzufrieden mit der Politik der Bundesregierungen. Hauptsächlich wegen der Versäumnisse auf vielen Politikfeldern die weitreichende Konsequenzen in die Zukunft haben, z. B. Agrarwende, Energiewende (bei weitem nicht genug getan), Gesundheitsreform.

    2005 war die Reform des Gesundheitswesen ein großes Wahlkampfthema: Bürgerversicherung vs Gesundheitsprämie. Seitdem hat die SPD bei jeder Wahl versucht mit diesem Thema zu punkten, war aber nie erfolgreich. Aus zwei Gründen: Zum einen haben Merkel und die Union aus der Beinahe-Niederlage 2005 gelernt und vermeiden seitdem Rhetorik, die als allzu marktfreundlich ausgelegt werden würde. Zum anderen ist die fiskale Situation heute sehr viel entspannter. 2005 lag das das Haushaltsdefizit noch bei über 3%, die gesetzlichen Krankenkassen hatten massive Probleme. Es gab ein Gefühl, wenigstens unter den politischen Eliten, das massive Reformen nötig sind. Das ist heute nicht der Fall.

    Von allen Parteien würde ich mir klare Zukunftsvisionen für Deutschland und Europa wünschen. Aber in der gefühlt wirtschaftlich stabilen Situation in Deutschland momentan kommt Polarisierung schlecht an. Der von Alemann-Artikel trifft es gut. Erstaunlich finde ich die hohen Zustimmungswerte der Regierung unter Anhängern der Linken, Grünen, und FDP. Ein Drittel der Linken, die Hälfte der Grünen und zwei Drittel der FDP-Anhänger sind zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Das macht's schwierig als Oppositionspartei.

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    Für die SPD ist es dennoch strategisch unklug auf eine Kanzlerkandidatur zu verzichten. So trostlos ihre Siegeschancen für 2017 aus heutiger Sicht auch aussehen mögen, ein Kanzlerkandidat bringt extra mediale Aufmerksamkeit. Würde die SPD auf eine echte Kanzlerkandidatur verzichten, wäre die Story: "SPD glaubt nicht an Sieg". Das wäre schlecht für die Mobilisierung von Wählern und Wahlhelfern. Ohne Kanzlerkandidat würde das Ergebnis vermutlich schlechter sein als mit, egal wie aussichtlos die Kanzlerschaft auch sein mag.

  • Die nächste Bundestagswahl sollte eine EUROPAWAHL sein. Alles, was in Deutschland allein für Deutschland noch zu entscheiden ist, ist nahezu irrelevant (Maut? Ernsthaft?) - wer es tut im Grunde unwichtig (SPD? CDU? Alles ähnlich). Nein, es gibt nur ein Mega-Jahrhundert-Thema: das politisch-ökonomische Design der Eurozone. Ich bin hier anderer Ansichten als die meisten hier auf Publixphere. Aber die Eurozukunft muss zur Wahl gestellt werden. Die SPD sollte sich dabei genau überlegen, ob sie sich weiterhin hinter Merkel wegduckt oder eine andere klare Idee von Europa zur Wahl stellt.

    • Hallo Rakaba,

      Deinen Gedanken, dass die nächste Bundestagswahl eine EUROPAWAHL sein sollte, finde ich sehr gut.

      Fallen Dir Wahlslogans auf den Wahlplakaten von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken etc ein, die Europa betreffen, und die den deutschen Durchschnittsbürger bewegen könnten, seine Wahlentscheidung davon bestimmen zu lassen? Oder ist dem Wähler nicht doch das Hemd näher als der Rock?

      • Hallo Doro, ich glaube, das ist keine Frage von Wahlplakaten (die sind in Sachen Dümmlichkeit schon ganz unten angelangt). Das ganze Bewusstsein müsste sich ändern, in den Talkrunden und Nachrichten. Wer wie Merkel Europa als Europa der Regierungen begreift, darf nicht im Bundestagswahlkampf so tun, als sei Europa etwas anderes, mit dessen Gestaltung man als Regierung nichts am Hut hat. Da braucht es mehr Ehrlichkeit über die tiefe Verflechtung unseres Euro-Teilstaats.

      • Hallo Doro

        Ich befürchte, dass die nächste Bundestagswahl sowenig eine Europawahl wird, wie die letzte Europawahl eine Europawahl war.

  • Von einer absoluten Mehrheit für die SPD zu träumen wäre wie Albig richtig sagt "völlig bescheuert". Ehrlichkeit wird ja immer gefordert. Da ist sie.

    Trotzdem fordere ich von Politik auch, dass sie Träume hat. 25 + 10 + 10 sind nach meiner Rechnung 45. So weit weg ist die rot-rot-grüne Mehrheit samt Kanzler/in gar nicht. Aber dafür scheint es bei der SPD keinen richtigen Bock mehr zu geben und bei den Grünen auch nicht. Vernünftig oder ganz schön armselig?

    • So weit weg ist die rot-rot-grüne Mehrheit samt Kanzler/in gar nicht. Aber dafür scheint es bei der SPD keinen richtigen Bock mehr zu geben und bei den Grünen auch nicht.

      Bei der Linken aber auch nicht muss man fairerweise sagen. Das macht's nicht vernünftiger oder armseliger, erschwert aber das Zustandekommen.In allen drei Parteien, SPD, Linke und Grüne, gibt es einflussreiche Funktionäre, die gegen ein solches Bündnis ist.

      Bei der Wählerschaft hatte Rot-Rot-Grün vor der letzten Bundestagswahl auch keine hohe Zustimmung. Leider werden hypothetische Koalitionen von den Meinungsforschungsinstituten nicht monatlich erfasst, soweit ich weiß. SPD/Grüne müssten darum bangen ihre konservativen Wähler zu verlieren, wenn ihre Regierungspolitik des Linksbündniss' als "zu links" wahrgenommen würde.

  • "All we want is life beyond the thunderdome." Mit Tina Turner gesprochen. Aber ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Was passiert, wenn alle CDU wählen, weil sie sich darauf verlassen, dass irgendwelche 25 Prozent schon noch SPD wählen und die Kuschel-GroKo wieder hindeichseln? Dann stehen wir da, mit einer absoluten Mehrheit für die Union. Haben gar keine Ideen mehr. Machen nochmal Herdprämie und Maut und schießen Griechenland aus dem Euro. Willkommen am Ende der Politik.

  • Ich bin jetzt nicht begeistert, aber auch nicht tief enttäuscht, zumal es ja an manchen Stellen auch ohne Zutun der Bundesregierung ganz gut gelaufen ist. Das Betreuungsgeld wurde vom Verfassungsgericht abgeräumt, und der Mautminister hat seine Maut fürs erste verschieben müssen. Dafür gibt es endlich den flächendeckenden Mindestlohn, zumindest etwas mehr Doppelte-Staatsbürgerschaft (für hier geborene), mehr Geld in der Rentenkasse, Verbesserungen bei der Pflege und mehr Geld für Investitionen. Die Bindung der Mieten bei Neuvermietung ist meines Erachtens sinnvoll und es gibt noch dies und das, was ich sinnvoll fand. Nicht zufrieden bin ich allerdings mit der Lösung im Bereich des Klimas bzw. der Emissionsreduzierung und auch die Vorratsdatenspeicherung löst bei mir keine Jubelsprünge aus. Die Reform der Erbschaftssteuer geht nach meinem Empfinden in die falsche Richtung und PPP-Projekte lehne ich grundsätzlich ab, sofern sie sich auf Finanzierungsleistungen beziehen. Der Staat ist der Finanzierungsprofi schlechthin, da kann es doch rein logisch nie einen Sinn machen, dass er sich für die Finanzierung irgendeinen Amateur der Privatwirtschaft nimmt. Was den Ukraine-Konflikt anbelangt, würde ich die Bundesregierung, die meines Erachtens doch recht schnell dazu übergangen ist, auf Ausgleich zu setzen, wohl weniger kritisieren als die Medien, die für einen solchen Konflikt eben einen Schuldigen und Bösewicht brauchen.

    Der Bundesregierung hat in den letzten beiden Jahren allerdings auch kräftig in die Hände gespielt, dass wir aufgrund der Geldpolitik der EZB und der Eurokrise massiv Zinsen in Deutschland sparen und durch den Wechselkurs der Export zusätzlich gestärkt wird. In diesem Umfeld ist es recht leicht Politik zu machen, auch wenn die Bundesregierung dafür gar nicht wirklich etwas kann.
    2008 haben wir für 1,67 Bio. Euro Zinsen in Höhe von 68,5 Mrd. bezahlt. Bei den Schulden von 2,17 Bio. Euro hätten wir 2014 eigentlich ca. 89 Mrd. an Zinsen zahlen müssen. Tatsächlich waren es mit 50,6 Mrd. Euro fast 40 Mrd. weniger, von denen nach meiner Rechnung ca. 10 Mrd. auf Zinsvorteile im Rahmen der Eurokrise und rund 30 Mrd. auf das insgesamt niedrigere Zinsniveau zurückzuführen sind.

    Was ich wirklich kritisch sehe, sind die Dinge, welche die Bundesregierung nicht macht. Helfen die EU und die Eurozone weiterzuentwickeln, die Schere zwischen Arm und Reich effektiver zu schließen, die Finanztransaktionssteuer endlich umzusetzen oder die Finanzmärkte besser zu regulieren. Die Investitionen sind insgesamt immer noch zu niedrig, Kommunen überschuldet und soziale Leistungen des Staates, wie das Kindergeld, sind sehr niedrig. Aber vor allem ist es eben das mangelnde Engagement für eine europäische Zukunft, das nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa auf die Füße fallen könnte.

  • Ich wünsche mir für 2017 eine schwarz-grüne Koalition. Die SPD-Anliegen (Mindestlohn, Rente mit 63) sind bald abgearbeitet. Jetzt kann der Green New Deal kommen.

    Außerdem sollte Merkel nicht mehr gewählt werden, sondern als Angestellte (Deutschland-Managerin) dauerhaft eingestellt. Denn so viele CDu-Abgeordnete haben es einfach nicht verdient allein wegen ihr in Amt und Würden gespült zu werden.